TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/17 W187 2175746-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2175746-1/22E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, dass er in einem Englischkurs in Kabul ein Mädchen kennen gelernt habe und sehr lange mit ihr in Kontakt gewesen sei. Sie hätten sich ineinander verliebt, aber die Familie sei dagegen gewesen. Als ihre Familie davon erfahren habe, sei sie von ihren Angehörigen verfolgt worden und sie hätten ihn töten wollen. Deshalb sei er aus Afghanistan geflohen. Er sei Schiit und sie sei Sunnitin, daher sei ihre Familie gegen die Beziehung gewesen.

2. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Moslem zu sein. Er sei in Kabul geboren worden und habe dort bei seinen Eltern und Geschwistern gelebt. Finanziell sei es ihnen sehr gut gegangen. Sein Vater habe nicht gearbeitet, seine Brüder in Russland hätten ihn regelmäßig finanziell unterstützt. Er habe auch in Kabul ein Bad (Hammam) zusammen mit drei weiteren Teilhabern besessen. Davon habe er auch seine Anteile bekommen. Er sei zwölf Jahre zur Schule gegangen und habe diese mit der Matura abgeschlossen. Zuletzt habe er noch einen Englischkurs besucht und von der Familie seines Onkels auch noch Russisch gelernt. Sie seien im Sommer meistens zwei bis drei Monate bei der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan gewesen. Das Haus, in dem die Familie des Beschwerdeführers lebe, habe sie von seinem Großvater geerbt. In diesem Haus lebten die Familie des Beschwerdeführers und zwei Onkel mit ihren Familien. Die Familie besitze das Haus und den Hammam. Der Beschwerdeführer sei ledig. Die Familie wohne nach wie vor in dem Haus in Kabul. Ihre Lebensumstände hätten sich seit der Ausreise des Beschwerdeführers nicht verändert. Der Beschwerdeführer gab die Handynummer seines Vaters an. Er kommuniziere im Schnitt einmal pro Monat mit seiner Familie über das Internet. Er könne wieder an der Wohnadresse seiner Familie in Kabul wohnen. Er habe auch noch viele Freunde in Kabul, mit denen er nach wie vor über Internet Kontakt habe. Er kenne sich nur in Kabul aus. Er habe bis zu seiner Ausreise dort gewohnt. Er beherrsche die Sprache seines Heimatlandes gut und sei gut mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten Afghanistans vertraut. Nach der Schilderung seiner Fluchtroute gab er zu seinem Fluchtgrund an, dass er in Kabul am Sprachinstitut XXXX im Stadtteil

XXXX einen Englischkurs besucht habe. Dort habe er ein Mädchen namens XXXX kennengelernt. Sie sei aus Paghman gekommen. Die Leute aus Paghman seien generell gläubige Sunniten und meistens Paschtunen. Sie seien befreundet gewesen und hätten sehr viel Zeit miteinander verbracht. Sie sei ein sehr hübsches Mädchen gewesen und er habe sie sehr geliebt. Sie seien praktisch ihre gesamte freue Zeit zusammen gewesen und hätten manchmal sogar heimlich alkoholische Getränke getrunken. Eines Tages habe er sie mit nach Hause gebracht. Seine Familie sei irgendwo zu Gast gewesen und sie seien alleine zu Hause gewesen. Sie hätten auch ein wenig Bier getrunken, hätten die Kontrolle verloren und miteinander geschlafen. Danach habe er ein seltsames Gefühl gehabt und habe niemanden davon erzählt, bis er sich schließlich seiner Mutter anvertraut und alles erzählt habe. Seine Mutter er stünden einander sehr nahe und er spräche mit ihr über alles. Sie sei nicht begeistert gewesen und habe ihm auch ein paar Ohrfeigen verpasst. Aber sehr heftig habe sie nicht reagiert. Sie habe verstanden, dass er dieses Mädchen wirklich liebe. Wenige Tage später habe seine Mutter seinem Vater von dem Vorfall erzählt. Sein Vater sei sehr wütend gewesen und habe ihn mehrere Nächte hintereinander geschlagen und gemeint, dass er überhaupt nicht verstehen könne, warum der Beschwerdeführer so weit gegangen sei. Der Beschwerdeführer habe seinem Vater klargemacht, dass er dieses Mädchen wirklich liebe. Schlussendlich sei sein Vater zur Familie dieses Mädchens gegangen und habe offiziell um ihre Hand angehalten. Ihre Familie seien strenggläubige Sunniten. Die Familie des Beschwerdeführers seien Schiiten, das hießt seine Mutter sei Sunnitin und sein Vater sei Schiit. Der Beschwerdeführer habe auch immer auf schiitische Art und Weise, dh mit offenen Händen, gebetet. Aber bei dem Beschwerdeführer zu Hause sei es eigentlich vollkommen egal, ob Schiit oder Sunnit. Für die Familie des Mädchens sei das aber nicht so einfach. Sie hätten sofort nein gesagt, weil der Beschwerdeführer Schiit sei. Ihr Vater habe gemeint, wenn der Beschwerdeführer bereit wäre, vom Schiiten zum Sunniten zu konvertieren, wäre er mit dieser Ehe einverstanden. Der Vater des Beschwerdeführers sei überhaupt nicht konservativ gewesen, aber dann sei es zu einer Sturheit von seiner Seite gekommen und er habe sofort nein gesagt, dass dies nicht in Frage kommen würde. Die Erwachsenen hätten untereinander zu streiten begonnen und plötzlich sei niemand mehr mit der Ehe einverstanden gewesen. Sie seien bereits drei Monate ein Paar gewesen. Die Freundin des Beschwerdeführers habe auch nicht gewusst, dass er Schiit sei, da dies bei ihnen gar nie zur Sprache gekommen sei. Sie habe dann erfahren, dass die Familie den Heiratsantrag abgelehnt habe, und habe mit ihrer Familie gesprochen. Sie habe gesagt, dass sie den Beschwerdeführer sehr liebe und diese Ehe auch gerne wolle. Ihr Vater sei danach aber sehr wütend gewesen und habe gemeint, dass sie keine Beziehung hätten führen dürfen, ohne darüber Bescheid zu wissen. Der Vater des Beschwerdeführers habe alles getan, diese Familie von der eigenen Familie und der Ehe zu überzeugen. Er habe auch sein eigenes Leben als Beispiel genannt. Der Vater der Freundin des Beschwerdeführers habe die Ehe aber weiterhin verneint. Die Freundin des Beschwerdeführers habe auch einige Brüder, die nach Ansicht des Beschwerdeführers nicht normal gewesen seien. Sie hätten immer Haschisch geraucht und seien bewaffnet gewesen. Als die Brüder von der Antragstellung erfahren hätten, hätten sie begonnen, der Familie des Beschwerdeführers zu drohen. Konkret hätten sie gesagt, dass der Beschwerdeführer und seine Familie sie in Ruhe lassen müssten und die Brüder hätten dann auch noch gesagt, dass der Beschwerdeführer und seine Freundin eine unerlaubte Beziehung hätten, und drohten, den Beschwerdeführer zu finden und umzubringen. Danach sei die Mutter des Beschwerdeführers sehr besorgt gewesen. Sie habe gewollt, dass der Beschwerdeführer in Sicherheit sei, und habe mit dem Vater des Beschwerdeführers darüber gesprochen. Die Familie des Beschwerdeführers habe beschlossen, dass der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen müsse, bevor etwas Schlimmes passieren könne. Die Flucht sei vom Vater des Beschwerdeführers und dessen Bruder organisiert worden. Nach der Ausreise aus Afghanistan habe der Beschwerdeführer von seinem Vater erfahren, dass die Familie seiner Freundin von der intimen Beziehung erfahren habe. Danach habe er auch seine Freundin nicht mehr erreichen können. Er mache sich Sorgen und liebe sie nach wie vor sehr. Und wenn er wüsste, dass sie ihn heiraten würde und er auch nach Afghanistan gehen könnte, würde er dort gerne mit ihr zusammen leben. Dieser Vorfall habe sich ca fünf Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan ereignet. Die Vorbereitung der Flucht habe ca eine Woche gedauert. Der Beschwerdeführer habe seinen Eltern von dem Ereignis erzählt, weil er seine Freundin heiraten wollte. Seine Mutter sei immer sehr nett zu ihm gewesen. Immer, wenn er etwas Blödes gemacht habe, sei er zu seiner Mutter gegangen. Als sein Vater zum ersten Mal erfahren habe, dass er Zigaretten geraucht habe, habe der den Beschwerdeführer geschlafen. Die Mutter des Beschwerdeführers habe einfach mit ihm gesprochen und gesagt, dass er das nicht mehr machen solle. Er habe gedacht, dass seine Mutter dies alles eventuell irgendwie regeln könnte. Seine Familie habe auch alles versucht, um das wieder zu regeln. Sein Vater sei nach wie vor böse auf ihn und habe gesagt, dass der Beschwerdeführer mit der Ehre der Familie gespielt habe. In der Zwischenzeit habe die Familie seiner Freundin auch von der intimen Beziehung erfahren. Davor habe es niemand gewusst. Er habe es von seinem Vater gehört und habe keinen direkten Kontakt zu seiner Freundin mehr. Sein Vater habe auch erzählt, dass die Brüder seiner Freundin gesagt hätten, dass, wenn sie den Beschwerdeführer irgendwo sehen würden, sie auch ihn schießen würden, da er die Ehre dieser Familie beschmutzt habe. Der Beschwerdeführer sei von den Brüdern seiner Freundin nie persönlich bedroht worden.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

4. Mit Eingabe vom 2.11.2017 erhob der Beschwerdeführer, unterstützt durch seine Rechtsberaterin, fristgerecht vollinhaltlich Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

5. Mit Schriftsatz vom 25.5.2018 brachte der Beschwerdeführer nahm der Beschwerdeführer Stellung und brachte im Wesentlichen vor, dass sich die allgemeine Situation in Afghanistan in den letzten Monaten maßgeblich und auf eine Weise verändert habe, die in den bisher behandelten Berichten und Unterlagen nicht abgebildet sei. Insgesamt nahm der Beschwerdeführer zu den gemeinsam mit der Ladung versandten Länderberichten Stellung.

6. Am 29.5.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsberaters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag und seiner Beschwerde einvernommen wurde. Die belangte Behörde verzichtete schriftlich auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ich habe die Einvernahme gemacht. Alles wurde zusammenfassend protokolliert. Ja.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich habe bereits bei der Einvernahme gesagt, dass ich mein Geburtsdatum nicht kenne. Ich bin in Kabul geboren. Meine Mutter weiß mein Geburtsdatum auch nicht genau. In meiner Heimat ist es nicht üblich, dass man sich sein Geburtsdatum merkt.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Meine Muttersprache ist Dari. Ich verstehe ein wenig Englisch und ein wenig Russisch. Auf Dari kann ich schreiben und lesen. Die anderen Gedankensprachen beherrsche ich nicht gut, damit meine ich auch Lesen und Schreiben. Auf Deutsch kann ich schon ein bisschen sprechen. Diese Sprache ist sehr schwer, ich bemühe mich aber sehr. Ich muss es sehr oft wiederholen, damit etwas hängen bleibt.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich bin ledig. Ich gehöre den Tadschiken an. Ich bin ein Schiite. Meine Mutter ist Sunnitin, mein Vater ist ein Schiite. Ich selbst bin auch ein Schiite.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe nur in Kabul gelebt. Meine Familie musste mit mir zweimal für einen Zeitraum von ungefähr ein bis zwei Jahren nach Pakistan flüchten. Damals war ich noch ein Kleinkind. Es herrschte Krieg.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Mein Großvater hat das Haus an uns weitervererbt. Ursprünglich hat es meinem Urgroßvater gehört.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe gelernt und war Schüler.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich war in der zwölften Schulstufe, als ich die Schule aufgegeben habe. Einen Abschluss habe ich nicht.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Meine Familie lebt nach wie vor in Kabul.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Gelegentlich habe ich Kontakt zu meinen Eltern.

Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich habe keinen Kontakt zu anderen Personen in Afghanistan. Die anderen Verwandten, damit meine ich meine Tanten mütterlicher- und väterlicherseits, haben in der gleichen Gegend wie wir gelebt.

Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Ja, sie können aber von dort nicht weg. Die illegale Reise ist hochgefährlich.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Die meiste Zeit verbringe ich in Österreich, damit die Sprache zu lernen. In der Unterkunft gibt es einige andere, die das auch versuchen.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Trotz der Sprachbarriere habe ich es geschafft, ein paar Freunde zu finden. Diese Freunde habe ich über andere Freunde kennen gelernt.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Ich habe keine Probleme mit der Polizei. Sie waren einige Male in unserer Unterkunft. Sie haben auch meine Karte kontrolliert. Ich habe eine weiße Karte, die haben sie mir weggenommen. Eine grüne Karte haben sie mir dann ausgehändigt. In Tirol habe ich mehrheitlich afghanische Freunde aus der Unterkunft. Nicht jeder erzählt gleich, was er gemacht hat oder was er vorhat zu tun. Ich weiß nicht, was sie angestellt haben, aber mein Zimmer wurde einmal mit Spürhunden durchsucht. Ich war dann beim Unterkunftsgeber, mein Chef hat mir dann gesagt, dass ich mir keine Sorgen machen soll und die haben vermutet, dass ich was Falsches gemacht habe.

Richter: Was ist bei dem Vorfall passiert, der zur Anklage wegen Körperverletzung geführt hat? Wie ist die Verhandlung am XXXX ausgegangen?

Beschwerdeführer: In der Nacht war ich in einer Disco und habe übermäßig viel getrunken, Ich war von Kufstein aus nach Hause unterwegs. Ich habe meine Geldbörse in dieser Nacht verloren gehabt, als die Kontrolle gekommen ist, ich wurde aufgefordert meine Fahrkarte zu zeigen. Diese Person hat sich nicht vorgestellt. Ich war betrunken und er war sehr provokant. Es waren viele andere dort auch anwesend. Nur ich wurde angesprochen. Es war keine Kontrolle. Ich war betrunken und habe ihn ins Gesicht geschlagen und bin dann ausgestiegen. Mir wurde gesagt, dass ich ein Tag vorher hier ankommen soll, damit ich rechtzeitig an der heutigen Verhandlung teilnehmen kann. Bei der gestrigen Verhandlung war ich nicht.

Richter: Und warum haben Sie auf meine Frage das nicht erzählt?

Beschwerdeführer: Ich war etwas überfragt. Es gab einige Vorfälle. Ich dachte diese Vorfälle wären Ihnen bekannt.

Richter: Gab es andere Vorfälle, wegen derer Sie vor Gericht gestanden sind? Wurden Sie bereits strafgerichtlich verurteilt?

Beschwerdeführer: Ich musste einmal 480 Euro Strafe zahlen. Das Geld habe ich noch nicht bezahlt.

Richter: Sind Sie öfter in Schlägereien oder körperliche Auseinandersetzungen verwickelt?

Beschwerdeführer: Ich war bei einigen Auseinandersetzungen dabei. Ich habe meine Freunde versucht davon abzuhalten noch mehr Schaden anzurichten.

Richter: Ich halte Ihnen vor, dass in der ganzen Information einige Vorfälle gerade mit Bezug auf Körperverletzung und ganz wenig Bezug auf Suchtmittel festgehalten ist. Was meinen Sie dazu?

Beschwerdeführer: Ich habe nichts mit Suchtmitteln zu tun. Ich konsumiere es auch nicht. Ich habe Freunde davon abgehalten, aus Trauer oder Frust Drogen zu nehmen. Zu den Vorfällen möchte ich sagen, dass ich ein geregeltes Leben haben will.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Die Fluchtgeschichte habe ich bei der Erstbefragung nur ganz kurz geschildert. Ich habe einen Kurs besucht und dort habe ich ein Mädchen kennen gelernt. Bevor ich dieses Mädchen kennen gelernt habe, wollten meine Eltern, dass ich die Heimat verlasse. Die Sicherheitslage hat sich verschlechtert. Ständig sind Menschen bei Anschlägen getötet worden. Wie gesagt war die Sicherheitslage in der Heimat sehr schwer. Ich habe ein Mädchen kennen gelernt. Wir haben uns im Kurs angefreundet und uns näher kennen gelernt. Ich habe sie dann auch einige Male getroffen. Dann sind wir zusammen gekommen und haben uns heimlich getroffen, um spazieren zu gehen. Wir standen einander sehr nahe und wollten heiraten. Wir haben dann eine Gelegenheit genutzt, um einander noch näher zu kommen, ich meine körperlich. Ich habe auch meiner Mutter von ihr erzählt, weil sie mir eben wichtig war. Meine Mutter ist enttäuscht von mir gewesen. Ich habe meiner Mutter anvertraut, dass ich auch eine körperliche Beziehung zu ihr hatte, weswegen sie enttäuscht war. Ich hatte Angst davor, wie mein Vater darauf reagieren würde, daher wollte ich, dass meine Mutter zwischen uns vermittelt. Als mein Vater davon erfahren hat, hat er mich geschlagen. Ich habe dann meinen Eltern vorgeschlagen, um die Schande für alle abzuwenden, würde ich sie heiraten. Meine Mutter hat dann um ihre Hand angehalten. Sie war dreimal bei ihrer Familie. Ihre Familie wusste nicht, dass sie eine Beziehung zu mir hatte und noch dazu eine körperliche Beziehung. Sie hatte am Anfang die Absicht, einer Heirat mit mir zu zustimmen. Nur wegen meiner Religionszugehörigkeit haben sie sich dann gegen mich entschieden. Sie haben uns vorgeworfen, dass wir Schiiten sind. Niemand aus ihrer Sippe wäre eine Heirat mit einem Schiiten angegangen. Dann haben sie die Bedingung gestellt, dass ich den sunnitischen Glauben annehmen soll. Meine eigene Mutter ist Sunnitin. Mir hätte das nichts ausgemacht. Mein Vater hat mich aber unter Druck gesetzt. Mein Vater hat sich als Schiite diskriminiert gefühlt, er meinte, er würde sein Gesicht in seiner Verwandtschaft verlieren. Mein Vater ist eine angesehene Person, eine Respektsperson. Ich fürchte mich vor ihm. Mein Vater hat sich dann gegen eine Heirat entschieden und somit alles ruiniert. Die XXXX meine Freundin, hat sich vor ihren eigenen Brüdern gefürchtet. Sie haben Waffen getragen und waren gewaltbereit. Meiner Mutter wurde gesagt, sie soll mich belehren und ausrichten, dass ich mich ihnen nicht nähern darf. Mein Vater hat mit mir gesprochen und gesagt, bevor es zu einer Eskalation kommt, ist es besser, wenn du Afghanistan verlässt. Bereits vor dieser Angelegenheit, wollte ich, dass du in ein sicheres Land ziehst. Er hat sich um meine Ausreise gekümmert, so bin ich nach Europa gekommen. Ich musste den Kontakt zu meiner Freundin abbrechen.

Richter: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Freundin?

Beschwerdeführer: Nein, nach meiner Einreise hatte ich einige Male Kontakt zu ihr, dann hat ihre Telefonnummer nicht mehr funktioniert. Beim letzten Gespräch hat sie mir gesagt, dass ihre Brüder sie verheiraten würden.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Persönlich wurde ich nicht bedroht. Über meine Familie wurde mir eine Drohung ausgerichtet. Sollte ich es wagen mich in der Nähe von ihnen zu begeben, werden sie mich beseitigen. Meine Mutter hatte große Angst um mich, sie wollte das mein Vater mich sofort wegschickt.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Ich fühle mich von Ihren Brüdern bedroht.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Nach Österreich bin ich gekommen... von Afghanistan zu sein, um genauer zu sein von Kabul aus bin ich nach Pakistan gekommen. In Pakistan wurde mir ein gefälschter Reisepass angefertigt. Ich bin dann nach Moskau geflogen. Zwei Onkel väterlicherseits leben dort. Ich hatte aber eine Schlepperunterkunft. Ich wurde dann über den Landweg mit vielen verschiedenen Fahrzeugen weggebracht. Nach Moskau kamen einige Städte, die ich nicht gekannt habe. Ich habe dann gehört, wie der Schlepper gesagt hat, dass wir über die Slowakei fahren werden. Ich wurde mit einigen anderen Männern geschleppt. Ich habe ein bisschen russisch verstanden. Der Schlepper hat sich mit mir etwas unterhalten. Zwei andere Flüchtlinge haben relativ gut russisch gesprochen, sie sind von Moskau weiter geflüchtet. Wir sind nicht durchgefahren, einige Nächte haben wir in abgelegenen Häusern verbracht. Wir haben regelmäßig etwas zu essen bekommen. Ich weiß, dass die Schlepper irgendwas mit Tschechien und Slowakei gesagt haben. Es gab auch einige Fußmärsche in verschieden Waldstücken. Über hügelige Berge sind wir auch marschiert. In Österreich sind alle Flüchtlinge ausgestiegen und haben sich verteilt.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Ich habe nichts bezahlt. Wie gesagt habe ich die Reise von Afghanistan aus angetreten und habe bis hierher nichts bezahlt. Mein Vater hat sich um meine Flucht gekümmert. Die Weiterreise aus Moskau hat mein Onkel väterlicherseits übernommen.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: In der Hoffnung, dass ich eine positive Entscheidung bekomme. Ich möchte einer Arbeit nachgehen und endlich auf eigenen Beinen stehen.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Es wird schwierig, weil ich nicht vorhersehen kann, was dort passieren wird. Jedes Mal wenn ich mit meinen Angehörigen spreche, sagen sie mir wer noch getötet wurde. Ich habe wirklich vor mein Leben zu ändern.

Rechtsvertreterin: Im Protokoll zur Einvernahme vor dem BFA, steht dass sie ihre Schulausbildung mit Matura abgeschlossen haben. Heute haben Sie angegeben, dass sie keinen Schulabschluss gemacht haben. Was von beiden ist richtig?

Beschwerdeführer: Ich habe die 12. Schulstufe nicht abgeschlossen und auch kein Zeugnis bekommen. Es wurde bestimmt missverstanden. Ich war kein guter Schüler, aber ich habe die Schule Klasse für Klasse bestanden und stand vor meinem Abschluss.

Rechtsvertreterin: Hatten Sie wirtschaftliche Gründe um Afghanistan zu verlassen?

Beschwerdeführer: Nein, wir hatten keine finanziellen Probleme.

Rechtsvertreterin: Hatten Sie mit dem Mädchen, das sie im Englischkurs kennen gelernt haben Geschlechtsverkehr gehabt?

Beschwerdeführer: Ja. Meine Mutter hatte Angst, dass ihre Brüder davon erfahren werden. Sie würden mich nicht am Leben lassen.

Der Beschwerdeführer legt keine weiteren Beweisanträge vor.

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

1.1.1 Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger, geboren am XXXX und somit volljährig. Er stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.1.2 Der Beschwerdeführer wurde in Kabul geboren und bis zu seiner Ausreise dort im Haus seiner Familie gelebt. Er hat die zwölf Jahre lang die Schule besucht, ohne sie abzuschließen, und nie gearbeitet. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist schiitischer Moslem. Der Beschwerdeführer spricht Dari und kann diese Sprache auch lesen und schreiben. Weiters spricht er Englisch, Russisch und Deutsch. Der Beschwerdeführer hat keine Kinder. Er ist in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen und mit den afghanischen Sitten und Traditionen vertraut. Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2015 reiste der Beschwerdeführer nach Europa. Seine Familie lebt unverändert in Kabul.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

1.2.1 Der Beschwerdeführer hat Afghanistan Jahr XXXX verlassen und reiste nach Europa.

1.2.2 Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich weder bedroht noch verfolgt.

1.2.3 Dem Beschwerdeführer droht in Afghanistan weder auf Grund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Tadschike noch auf Grund seiner Religionszugehörigkeit als schiitischer Moslem eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw physische Gewalt.

1.2.4 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer einer konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan, zu befürchten hätte.

1.2.5 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückführung in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit dem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw der Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre.

1.2.6 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer homosexuellen Orientierung verfolgt wird.

1.2.7 Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte hat.

1.2.8 Zudem konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Kabul oder Herat nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen und eine Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

1.3.1 Der Beschwerdeführer hält sich seit Juli 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

1.3.2 Der Beschwerdeführer geht keiner Beschäftigung nach, er absolviert einen Deutschkurs.

1.3.3 In Österreich leben keine nahen Verwandten oder sonstige Bezugspersonen des Beschwerdeführers.

1.3.4 Der Beschwerdeführer wurde mehrfach strafrechtlich verurteilt:

1. LG Innsbruck XXXX vom XXXX RK XXXX wegen §§ 83 Abs 1, 125 StGB, Datum der Tat XXXX , Geldstrafe von 200 Tagsätzen zu je € 4 (€ 800) im Fall der Nichterfüllung 100 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 100 Tagsätzen zu je 4 (€ 400), im Fall der Nichterfüllung 50 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt, Vollzugsdatum

XXXX ; der bedingt nachgesehen Teil der Geldstrafe wird widerrufen; BG Innsbruck XXXX vom XXXX

2. BG Innsbruck XXXX vom XXXX RK XXXX § 15 StGB, § 83 Abs 1 StGB Datum der (letzten) Tat XXXX , Geldstrafe von 120 Tagsätzen zu je €

4 (€ 480) im Fall der Nichterfüllung 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe

3. LG Innsbruck XXXX vom XXXX RK XXXX § 82 Abs 2, § 82 Abs 3 StGB Datum der (letzten) Tat XXXX , Geldstrafe von 90 Tagsätzen zu je € 4 (€ 360) im Fall der Nichterfüllung 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe; Zusatzstrafe gemäß § 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf LG Innsbruck XXXX vom XXXX RK XXXX ; junger Erwachsener

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 30.1.2018):

1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).

Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab (UNAMA 10.2017).

Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).

High-profile Angriffe

Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)

Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).

Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).

Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)

Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)

Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US amerikanischen Kräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:

Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um

3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personalim Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten