TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/17 W253 2123578-1

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Veröffentlicht am 17.10.2018
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Entscheidungsdatum

17.10.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W253 2123578-1/28E

Schriftliche Ausfertigung des am XXXX mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, nunmehr vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX, Zl. XXXX, nach Durchführung mündlicher Verhandlungen am XXXX und XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 06.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seiner Identität befragt gab er an, er heiße XXXX. Bei Durchsicht der mitgeführten Gegenstände wurde ein USB-Stick gefunden, welcher Kopien eines afghanischen Reisepasses lautend auf XXXX, geb. XXXX, enthielt. Der Lichtbildabgleich verlief positiv.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 07.09.2014 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei sunnitischer Tadschike, stamme aus Kabul und wisse nicht, wann er geboren worden sei. Er habe fünf Jahre die Grundschule in XXXX, Iran besucht. Ab seinem siebten oder achten Lebensjahr bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr habe der Beschwerdeführer mit seiner Familie illegal im Iran gelebt. Anschließend seien sie wieder nach Kabul zurückgekehrt, wo der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise nach Europa aufhältig gewesen sei. Er habe zu seiner Tante väterlicherseits nach XXXX, Deutschland reisen wollen. Die Eltern und die zwei Schwestern des Beschwerdeführers seien nach wie vor in Kabul aufhältig. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer als Tischler und Fliesenleger gearbeitet. Die Familie des Beschwerdeführers besitze Grundstücke in unbekanntem Ausmaß. Befragt zu seinem afghanischen Reisepass gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe ihm vor etwa zwei oder drei Jahren über einen Verbindungsmann einen afghanischen Reisepass besorgt, wobei in diesem weder sein richtiges Geburtsdatum noch sein richtiger Vorname eingetragen worden seien. Befragt zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan sei schlecht. Vor etwa einem Jahr sei der Beschwerdeführer von afghanischen Polizisten in Kabul aufgrund seiner iranischen Sprache geschlagen worden; die Narbe davon sei an seiner rechten Gesichtshälfte erkennbar. Als der Vater des Beschwerdeführers Anzeige erstattet habe, sei ihm gesagt worden, dass die Verletzungen nicht von diesem Vorfall stammen würden. Die polizeiliche Anhaltung wäre erfolgt, weil die Polizei den Beschwerdeführer zum Militärdienst einberufen hätte wollen. Zuletzt gab der Beschwerdeführer an, dass er nichts in seiner Heimat befürchte; es sei der Wunsch seines Vaters gewesen, dass er Afghanistan verlasse.

3. Am 18.03.2015 übermittelte seine Rechtsberaterin den afghanischen Führerschein des Beschwerdeführers und beantragte zugleich, sein Geburtsdatum zu berichtigen.

4. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 17.04.2015 führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen ergänzend aus, er sei am XXXX geboren und habe die letzten vier Jahre direkt in Kabul gelebt. Der Beschwerdeführer sei ohne Reisedokument aus Afghanistan ausgereist und sein Ziel sei Deutschland gewesen, zumal sein Stiefonkel dort wohne. Zu seinen Verwandten in Afghanistan stehe der Beschwerdeführer in telefonischen Kontakt. Neben seinem Vater, seiner Stiefmutter und seinen Geschwistern würden noch seine Stiefonkel in Afghanistan leben; die Brüder seines Vaters würden hingegen im Iran leben. Der Beschwerdeführer sei von einem verkleideten Polizisten geschlagen und verletzt worden, als er in seinem Stammgeschäft eingekauft und dem Verkäufer einen Scherz erzählt habe. Dieser vermeintliche Polizist habe den Beschwerdeführer mitnehmen wollen. Er sei anschließend mit seinen beiden Kollegen in ein Taxi gestiegen und weggefahren. Der Beschwerdeführer habe von dem Vorfall mehrere Verletzungen erlitten, könne allerdings nicht angeben, ob diese von dem Stoß in Richtung der Glasscheibe oder von dem Messer, das der vermeintliche Polizist mitgehabt habe, herrühren würden. Als der Beschwerdeführer aus dem Krankenhaus entlassen worden sei, sei er zur Polizei gegangen, um die Personen zu identifizieren; dies jedoch ohne Erfolg. Etwa drei bis vier Monate vor seiner Ausreise nach Europa habe der Beschwerdeführer besagten Polizisten aus einem Snookerclub herauskommen sehen, weshalb er kurz in diesen Club hineingegangen sei. Bei Anblick der dortigen Personen sei der Beschwerdeführer erschrocken gewesen. Auch sein Vater, welchen der Beschwerdeführer daraufhin telefonisch kontaktiert habe, sei beim Anblick dieser Personen erschrocken gewesen. Anschließend habe der Vater des Beschwerdeführers allen erzählt, der Beschwerdeführer wäre tot. Der Beschwerdeführer habe drei Wochen nach diesem Vorfall einen Autounfall gehabt und vermute, dass dieser Unfall von den besagten Personen ausgegangen sei.

5. Mit Bescheid vom XXXX wies die Bezirkshauptmannschaft XXXX den Antrag des Beschwerdeführers auf Umschreibung einer ausländischen Lenkerberechtigung gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 6 Führerscheingesetz wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen ab. Begründend führte sie aus, eine Überprüfung des afghanischen Führerscheins durch das Bundeskriminalamt habe ergeben, dass es sich bei diesem Führerschein um eine Totalfälschung handle.

6. In seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.02.2016 gab der Beschwerdeführer gefragt, ob er derzeit in ärztlicher Behandlung stehe, an, dass er an der Nase operiert worden sei. Zuletzt habe er vor drei Monaten Kontakt zu seiner Familie gehabt; diese hätte Afghanistan verlassen. Gefragt zu der vorgefundenen Aufenthaltsberechtigung von Russland in seinem afghanischen Reisepass, führte der Beschwerdeführer aus, er habe diesen Namen und das Geburtsdatum in Österreich nicht angegeben, weil er einen Aufenthaltstitel in Russland habe; XXXX sei sein Spitzname. Sein richtiger Name laute XXXX und er sei am XXXX geboren. Er gebe auch zu, dass der Führerschein in seiner Abwesenheit in Afghanistan ausgestellt worden sei und es sich dabei um eine Fälschung handle. Der Beschwerdeführer habe im Jahr 2010 Afghanistan verlassen, woraufhin er nach Russland gereist sei. Anfang 2011 habe er Russland verlassen und anschließend eineinhalb Jahre in Tadschikistan gelebt. Auf Nachfrage, wie er dann am XXXX.2011 einen Aufenthaltstitel in Russland beantragen habe können, führte der Beschwerdeführer aus, es könne sein, dass er an besagtem Datum den Aufenthaltstitel bekommen habe, allerdings sei er vorerst nur sechs Monate und nach seinem Aufenthalt in Tadschikistan weitere sechs Monate in Russland gewesen. Er habe sich das Leben in Russland nicht leisten können und habe auch nie in Russland bleiben wollen; sein Ziel sei Österreich gewesen. In Tadschikistan habe der Beschwerdeführer als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle gearbeitet und Angst gehabt, dass ihn die verkleideten Polizisten dort auch finden könnten. Der Vorfall mit den verkleideten Polizisten habe sich vor sechseinhalb Jahren ereignet. Auf Nachfrage, warum sich der Beschwerdeführer dann am XXXX.2010 bei der "Kabul Police" einen Reisepass ausstellen habe lassen, obwohl er Angst gehabt habe, entgegnete der Beschwerdeführer, dass beim Ausstellen des Reisepasses sein Vater und sein Cousin dabei gewesen seien.

7. Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Der Begründung des im Spruch bezeichneten Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ist im Wesentlichen zu entnehmen, das Vorbringen des Beschwerdeführers biete keinen Hinweis darauf, dass eine wohlbegründete Furcht aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe bestehen würde.

Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der "Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20/5 (Mezzanin), 1090 Wien" als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

8. Mit Schreiben vom 17.03.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und brachte ergänzend eine Gefährdung wegen Zwangsrekrutierung vor.

9. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 23.03.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Mit Beschwerdeergänzung vom 12.04.2016 verwies der Beschwerdeführer auf einen Bericht von Anfang April 2016 vom britischen "Refugee Support Network", aus welchem sich die triste Rückkehrsituation entnehmen lasse; aus Europa rückgekehrte Afghanen würden entweder für wohlhabend gehalten und deswegen entführt werden, oder aber die Talibanterroristen bzw. neuerdings auch der Islamische Staat würden Rückkehrer für Spione halten und ermorden. Dem Beschwerdeführer drohe bei Rückkehr konkret Gefahr an Leib und Leben verletzt zu werden, weshalb ihm internationaler Schutz zuzuerkennen sei.

11. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 17.05.2017 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung W151 abgenommen und der Gerichtsabteilung W253 neu zugewiesen.

12. Mit E-Mail vom 09.02.2018 teilte der rechtsfreundliche Vertreter des Beschwerdeführers mit, er vertrete diesen nicht mehr und werde daher an der anberaumten mündlichen Verhandlung am XXXX nicht teilnehmen. Er habe die Ladung an den Beschwerdeführer weitergeleitet.

13. Der am XXXX öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ist der Beschwerdeführer unentschuldigt ferngeblieben. Der zur Entscheidung berufene Richter vertagte die Verhandlung auf unbestimmte Zeit.

14. Die Ladung für die am XXXX anberaumte mündliche Verhandlung wurde vom Beschwerdeführer persönlich am 20.09.2018 übernommen.

15. Am XXXX übermittelte die Rechtsberaterin vom Verein für Menschenrechte Österreich die Vollmacht des Beschwerdeführers.

16. Am selben Tag fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine weitere öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein der Vertreterin des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt. Der Beschwerdeführer ist der Verhandlung erneut unentschuldigt ferngeblieben. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Mit dem Beginn der Verhandlung nach Aufruf der Sache um 09:00 Uhr wurde zugewartet, die Verhandlung wurde neuerlich um 09:10 Uhr und um 09:20 Uhr aufgerufen und in Abwesenheit des Beschwerdeführers und in Anwesenheit seiner Vertretung durchgeführt. Die Beschwerdeführervertreterin gab an, der Beschwerdeführer sei noch am 28.09.2018 beim Verein für Menschenrechte Österreich erschienen, um die Vollmacht zu unterzeichnen.

Nach Schluss der Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Die Verkündung des Erkenntnisses erfolgte etwa gegen 09:30 Uhr. Der zur Entscheidung berufene Richter hat den Verhandlungssaal 3 um 10:30 Uhr zur Unterfertigung, Ausfertigung und Aushändigung der Niederschrift wieder aufgesucht. Die Beschwerdeführervertreterin teilte dem zur Entscheidung berufenen Richter anschließend mit, dass der Beschwerdeführer seit etwa 08:00 Uhr im Bereich des Warteraums zwischen Saal 2 und 3 aufhältig gewesen sei und nicht wie mit der Vertreterin vereinbart, direkt vor dem Saal 3. Der zur Entscheidung berufene Richter hat den Beschwerdeführer bis zu diesem Zeitpunkt nicht persönlich wahrgenommen, obwohl er bis 10:30 Uhr mehrfach durch den nicht sehr großen Wartebereich gegangen ist, um sein Büro oder den Verhandlungssaal aufzusuchen (vor Beginn der Verhandlung um etwa 08:55 Uhr, ebenso nach dem zweiten Aufruf der Sache um 09:10 Uhr, unmittelbar vor dem letzten Aufruf und am Weg zur Korrektur um etwa 09:30 Uhr sowie am Rückweg zum Verhandlungssaal um 10:30 Uhr) und ihm dessen Äußeres aufgrund der im Akt einliegenden Fotos aus dem Fremdenregister bekannt war. Der zur Entscheidung berufene Richter setzte die Vertreterin und den nunmehr anwesenden Beschwerdeführer darüber in Kenntnis, dass eine Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach erfolgter mündlicher Verkündung nicht mehr möglich ist.

Das Verhandlungsprotokoll wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.10.2018 samt Hinweis auf die mündliche Verkündung übermittelt.

17. Am XXXX beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

18. Am 04.10.2018 langte eine Vollmacht des MigrantInnenvereins St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien ein und beantragte der Beschwerdeführer erneut die Ausfertigung des Erkenntnisses.

19. Zum Fernbleiben des Beschwerdeführers wird der guten Ordnung weiters festgehalten:

Am Nachmittag des XXXX hielt der zur Entscheidung berufene Richter beim diensthabenden Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Nachfrage. Diese Nachfrage ergab, dass der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes den Beschwerdeführer zwar auf seiner Kontrollliste als anwesend abgehackt hatte, ihm aber der Zeitpunkt des Erscheinens des Beschwerdeführers nicht mehr erinnerlich war. Jedoch konnte der Mitarbeiter der Sicherheitsfirma angeben, dass ihm aufgefallen sei, dass der Beschwerdeführer zwischenzeitlich das Gerichtsgebäude zum Rauchen verlassen habe (siehe hierzu Aktenvermerk vom XXXX).

Mit E-Mail vom 08.10.2018 (siehe Aktenvermerk vom 09.10.2018) nahm die Dolmetscherin zur Verhandlung Stellung und gab zusammenfassend an, dass sie einige Minuten verspätet in die Verhandlung gekommen sei; zu diesem Zeitpunkt sei der Beschwerdeführer ebenfalls noch nicht anwesend gewesen. In der Folge sei zweimal aufgerufen worden. Nach einem Gespräch mit der Vertreterin des Beschwerdeführers sowie der mündlichen Verkündung sei der Dolmetscher entlassen worden. Anschließend habe die Dolmetscherin noch kurz mit der Vertreterin geredet, da sie die Nachbarin ihrer Schwester sei. Die Vertreterin sei sehr verwundert gewesen, dass der Beschwerdeführer nicht gekommen sei. Im Wartebereich vor dem Verhandlungssaal 3 habe niemand gewartet.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 06.09.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei Durchsicht der mitgeführten Gegenstände wurde ein USB-Stick gefunden, welcher Kopien eines afghanischen Reisepasses lautend auf XXXX, geb. XXXX, enthielt. Der Lichtbildabgleich verlief positiv.

Mit Bescheid vom XXXX wies die Bezirkshauptmannschaft XXXX den Antrag des Beschwerdeführers auf Umschreibung einer ausländischen Lenkerberechtigung gemäß § 23 Abs. 1 und Abs. 6 Führerscheingesetz wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen ab. Begründend führte sie aus, eine Überprüfung des afghanischen Führerscheins des Beschwerdeführers durch das Bundeskriminalamt habe ergeben, dass es sich bei diesem Führerschein um eine Totalfälschung handle.

In seiner zweiten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 09.02.2016 gab der Beschwerdeführer an, sein richtiger Name laute XXXX und er sei am XXXX geboren. Er gab zudem zu, dass der vorgelegte Führerschein eine Fälschung sei.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ihm wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Mit Schreiben vom 17.03.2016 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen sämtliche Spruchpunkte des gegenständlichen Bescheides und brachte ergänzend eine Gefährdung wegen Zwangsrekrutierung vor.

Der Beschwerdeführer nahm unentschuldigt trotz ordnungsgemäßer Ladung [l1]weder an der Verhandlung am XXXX noch an jener am XXXX teil. Die Verhandlung am XXXX wurde insgesamt dreimal aufgerufen und anschließend in Abwesenheit des Beschwerdeführers und in Anwesenheit seiner Vertretung durchgeführt. Nach Schluss der Verhandlung verkündete der Richter das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen. Der zur Entscheidung berufene Richter ist mehrfach (vor Beginn der Verhandlung um etwa 08:55 Uhr, ebenso nach dem zweiten Aufruf der Sache um 09:10 Uhr, unmittelbar vor dem letzten Aufruf und am Weg zur Korrektur um etwa 09:30 Uhr sowie am Rückweg zum Verhandlungssaal um 10:30 Uhr) durch den nicht sehr großen Wartebereich gegangen und hat den Beschwerdeführer nicht persönlich wahrgenommen. Als der zur Entscheidung berufene Richter den Verhandlungssaal 3 um 10:30 Uhr wieder aufgesucht hat, teilte die Beschwerdeführervertreterin ihm mit, dass der Beschwerdeführer seit etwa 08:00 Uhr im Bereich des Warteraums zwischen Saal 2 und 3 aufhältig gewesen sei und nicht wie mit der Vertreterin vereinbart, direkt vor dem Saal 3.

Am XXXX und 05.10.2018 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG.

1.2. Zum Beschwerdeführer:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX, ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX in der Stadt Kabul, Stadtteil XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Muslim und seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Bis zu seinem siebten oder achten Lebensjahr hat der Beschwerdeführer mit seiner Familie in Kabul gelebt. Anschließend waren sie illegal im Iran aufhältig, wobei sie wieder nach Kabul zurückkehrten, als der Beschwerdeführer fünfzehn Jahre alt war. Der Beschwerdeführer hat fünf Jahre die Grundschule im Iran besucht. Er verfügt über Berufserfahrung als Tischler, Fließenleger sowie Hilfsarbeiter.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers besteht aus seinem Vater, seiner Stiefmutter und zwei Schwestern, welche zum Zeitpunkt der Einvernahme des Beschwerdeführers am 17.04.2015 jedenfalls noch in Kabul aufhältig waren. Die Familie des Beschwerdeführers hat zum Zeitpunkt der Einvernahme des Beschwerdeführers am 07.09.2014 Grundstücke in unbekanntem Ausmaß besessen.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und gesund. Er ist mit der afghanischen Tradition und Lebensweise vertraut. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Kernfamilie des Beschwerdeführers nicht mehr in Kabul bzw. Afghanistan aufhältig ist. Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich verfügt.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan einer individuellen konkreten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt war. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan gefährdet ist, physischer Gewalt oder Verfolgung ausgesetzt zu sein.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan (Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat) Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Insgesamt kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten ebenfalls nicht festgestellt werden. Er kann dort seine Existenz - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass er nicht in der Lage ist, in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat eine einfache Unterkunft zu finden. Kabul, Mazar-e Sharif sowie Herat sind über die dort vorhandenen Flughäfen sicher erreichbar.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht von seiner Familie unterstützt werden kann.

1.5. Zur Situation im Herkunftsstaat:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft aufgrund der im Beschwerdeverfahren eingebrachten aktuellen Erkenntnisquellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen:

1.5.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 (in Folge kurz "LIB"):

1.5.1.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan im Allgemeinen:

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB S. 20). Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (LIB S. 24).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (LIB S. 24).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben. Dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (LIB S. 30 f).

Im Jänner 2018 waren 56,3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14,5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29,2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB S. 31).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB S. 34).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören ua die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (LIB S. 33).

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (LIB S. 23).

1.5.1.2. Zur Sicherheitslage in Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten: Bagrami, Chaharasyab/Char Asiab, Dehsabz/Deh sabz, Estalef/Istalif, Farza, Guldara, Kabul Stadt, Kalakan, Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar, Mirbachakot/Mir Bacha Kot, Musayi/Mussahi, Paghman, Qarabagh, Shakardara, Surobi/Sorubi. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (LIB S. 45).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an, dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten, Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt. Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen. In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (LIB S. 45 f).

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt

1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (LIB S. 46 f). Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB S. 222).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte). Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen. Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB S. 47).

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden. Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" -dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind. Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt. Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen. Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt. Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden. Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlosanschließt -alles dazwischen muss geräumt werden (LIB S. 47 f).

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul, auch dem Haqqani-Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben. So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden. Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.01.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte -fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe -noch -auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (LIB S. 48).

Für den Zeitraum 01.01.2017 - 31.01.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (LIB S. 49).

1.5.1.3. Zur Sicherheitslage in Mazar-e Sharif:

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh und ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB S. 64).

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (LIB S. 64).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans und zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB S. 65).

1.5.1.4. Zur Sicherheitslage in Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Herat grenzt im Norden an die Provinz Badghis und Turkmenistan, im Süden an die Provinz Farah, im Osten an die Provinz Ghor und im Westen an den Iran. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.967.180 geschätzt. In der Provinz leben Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Uzbeken und Aimaken (LIB S. 101).

Herat ist eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Das Harirud-Tal, eines der fruchtbarsten Täler des Landes, wo Baumwolle, Obst und Ölsaat angebaut werden, befindet sich in der Provinz. Bekannt ist Herat auch wegen seiner Vorreiterrolle in der Safran Produktion. Im Dezember 2017 wurden verschiedene Abkommen mit Uzbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (LIB S. 101).

Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Des Weiteren wurde Ende Oktober 2017 verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Die Provinz ist u.a. ein Hauptkorridor für den Menschenschmuggel in den Iran bekannt - speziell von Kindern (LIB S. 102).

Mitte Februar 2018 wurde von der Entminungs-Organisation Halo Trust bekannt gegeben, dass nach zehn Jahren der Entminung 14 von 16 Distrikten der Provinz sicher seien. In diesen Gegenden bestünde keine Gefahr mehr, Landminen und anderen Blindgängern ausgesetzt zu sein, so der Pressesprecher des Provinz-Gouverneurs. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben u.a. tausende afghanische Binnenflüchtlinge. Im Zeitraum 01.01.2017 - 30.04.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen/komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB S. 102 f).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt. In Herat sind Truppen der italienischen Armee stationiert, die unter dem Train Advise Assist Command West (TAAC-W) afghanische Streitmächte im Osten Afghanistans unterstützen (LIB S. 103).

Herat wird als einer der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Dem Iran wird von verschiedenen Quellen nachgesagt, afghanische Talibankämpfer auszubilden und zu finanzieren. Regierungsfeindliche Aufständische griffen Mitte 2017 heilige Orte, wie schiitische Moscheen, in Hauptstädten wie Kabul und Herat, an. Dennoch erklärten Talibanaufständische ihre Bereitschaft, das TAPI-Projekt zu unterstützen und sich am Friedensprozess zu beteiligen. Es kam zu internen Konflikten zwischen verfeindeten TalibanGruppierungen (LIB S. 103 f).

Anhänger des IS haben sich in Herat zum ersten Mal für Angriffe verantwortlich erklärt, die außerhalb der Provinzen Nangarhar und Kabul verübt wurden. ACLED registrierte für den Zeitraum 01.01.2017-15.07.2017 IS-bezogene Vorfälle (Gewalt gegen die Zivilbevölkerung) in der Provinz Herat (LIB S. 104).

1.5.1.5. Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge:

Wegen des Konflikts wurden im Jahr 2017 insgesamt 475.433 Menschen in Afghanistan neu zu Binnenvertriebenen (IDPs). Im Zeitraum 2012-2017 wurden insgesamt 1.728.157 Menschen im Land zu Binnenvertriebenen. Zwischen 01.01.2018 und 15.05.2018 wurden 101.000 IDPs registriert. 23% davon sind erwachsene Männer, 21% erwachsene Frauen und 55% minderjährige Kinder (LIB S. 309).

Vertriebene Bevölkerungsgruppen befinden sich häufig in schwer zugänglichen und unsicheren Gebieten, was die afghanischen Regierungsbehörden und Hilfsorganisationen bei der Beurteilung der Lage bzw. bei Hilfeleistungen behindert. Ungefähr 30% der 2018 vertriebenen Personen waren mit Stand 21.03.2018 in schwer zugänglichen Gebieten angesiedelt (LIB S. 310). Mit Stand Dezember 2017 lebten 54% der Binnenvertriebenen in den afghanischen Provinzhauptstädten. Dies führte zu weiterem Druck auf die bereits überlasteten Dienstleistungen sowie die Infrastruktur sowie zu einem zunehmenden Kampf um die Ressourcen zwischen den Neuankömmlingen und der einheimischen Bevölkerung (LIB S. 311).

Die Mehrheit der Binnenflüchtlinge lebt, ähnlich wie Rückkehrer aus Pakistan und Iran, in Flüchtlingslagern, angemieteten Unterkünften oder bei Gastfamilien. Die Bedingungen sind prekär. Die Unterstützungsfähigkeit der afghanischen Regierung gegenüber vulnerablen Personen - inklusive Rückkehrern aus Pakistan und Iran - ist beschränkt und auf die Hilfe durch die internationale Gemeinschaft angewiesen. Die Regierung hat einen Exekutivausschuss für Vertriebene und Rückkehrer sowie einen politischen Rahmen und einen Aktionsplan eingerichtet, um die erfolgreiche Integration von Rückkehrern und Binnenvertriebenen zu fördern. Im Rahmen der humanitären Hilfe wurden IDPs je nach Region und klimatischen Bedingungen unterschiedlich unterstützt, darunter Nahrungspakete, Non-Food-Items (NFI), grundlegende Gesundheitsdienstleistungen, Hygienekits usw (LIB S. 311 f).

1.5.1.6. Grundversorgung und Wirtschaft:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist. Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu. Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1,4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3,4% bzw. 1,8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (LIB S. 314).

1.5.1.7. Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt. Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (LIB S. 314 f).

1.5.1.8. Projekte der afghanischen Regierung:

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern. Darunter fällt ua der fünfjährige (2017 - 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind ua der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des "Citizens' Charter National Priority Program" und des "Women's Economic Empowerment National Priority Program" ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien. Das "Citizens' Charter National Priority Program" zB hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen (LIB S. 315).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (LIB S. 316).

1.5.1.9. Medizinische Versorgung:

Gemäß Artikel 52 der afghanischen Verfassung muss der Staat allen Bürgern kostenfreie primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen gewährleisten; gleichzeitig sind im Grundgesetz die Förderung und der Schutz privater Gesundheitseinrichtungen vorgesehen. Allerdings ist die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal (va Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Berichten zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Behandlung stark einkommensabhängig. Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB S. 318).

In den letzten zehn Jahren hat die Flächendeckung der primären Gesundheitsversorgung in Afghanistan stetig zugenommen. Das afghanische Gesundheitssystem hat in dieser Zeit ansehnliche Fortschritte gemacht. Gründe dafür waren ua eine solide öffentliche Gesundheitspolitik, innovative Servicebereitstellung, Entwicklungshilfen usw. Einer Umfrage der Asia Foundation (AF) zufolge hat sich 2017 die Qualität der afghanischen Ernährung sowie der Gesundheitszustand in den afghanischen Familien im Vergleich zu 2016 gebessert (LIB S. 318).

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat mit Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Strategieplan für den Gesundheitssektor (2011-2015) und eine nationale Gesundheitspolicy (2012-2020) entwickelt, um dem Großteil der afghanischen Bevölkerung die grundlegende Gesundheitsversorgung zu garantieren (LIB S. 318 f).

Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsversorgung wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Kindern unter fünf Jahren liegen die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin unter dem Durchschnitt der einkommensschwachen Länder. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel. In den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen: Während die Müttersterblichkeit früher bei 1.600 Todesfällen pro 100.000 Geburten lag, belief sie sich im Jahr 2015 auf 324 Todesfälle pro 100.000 Geburten. Allerdings wird von einer deutlich höheren Dunkelziffer berichtet. Bei Säuglingen liegt die Sterblichkeitsrate mittlerweile bei 45 Kindern pro 100.000 Geburten und bei Kindern unter fünf Jahren sank die Rate im Zeitraum 1990 - 2016 von 177 auf 55 Sterbefälle pro 1.000 Kindern. Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen weiterhin kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Weltweit sind Afghanistan und Pakistan die einzigen Länder, die im Jahr 2017 Poliomyelitis-Fälle zu verzeichnen hatten; nichtsdestotrotz ist deren Anzahl bedeutend gesunken. Impfärzte können Impfkampagnen sogar in Gegenden umsetzen, die von den Taliban kontrolliert werden. In jenen neun Provinzen, in denen UNICEF aktiv ist, sind jährlich vier Polio-Impfkampagnen angesetzt. In besonders von Polio gefährdeten Provinzen wie Kunduz, Faryab und Baglan wurden zusätzliche Kampagnen durchgeführt (LIB S. 319).

1.5.1.10. Krankenkassen und Gesundheitsversicherung:

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) bietet zwei Grundversorgungsmöglichkeiten an: das "Essential Package of Health Services" (EPHS) und das "Basic Package of Health Services" (BPHS), die im Jahr 2003 eingerichtet wurden. Beide Programme sollen standardisierte Behandlungsmöglichkeiten in gesundheitlichen Einrichtungen und Krankenhäusern garantieren. Die im BPHS vorgesehenen Gesundheitsdienstleistungen und einige medizinische Versorgungsmöglichkeiten des EPHS sind kostenfrei. Jedoch zahlen Afghanen und Afghaninnen oft aus eigener Tasche, weil sie private medizinische Versorgungsmöglichkeiten bevorzugen, oder weil die öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen die Kosten nicht ausreichend decken. Es gibt keine staatliche Unterstützung für den Erwerb von Medikamenten. Die Kosten dafür müssen von den Patienten getragen werden. Nur privat versicherten Patienten können die Medikamentenkosten zurückerstattet werden.

Medizinische Versorgung wird in Afghanistan auf drei Ebenen gewährleistet: Gesundheitsposten (HP) und Gesundheitsarbeiter (CHWs) bieten ihre Dienste auf Gemeinde- oder Dorfebene an; Grundversorgungszentren (BHCs), allgemeine Gesundheitszentren (CHCs) und Bezirkskrankenhäuser operieren in den größeren Dörfern und Gemeinschaften der Distrikte. Die dritte Ebene der medizinischen Versorgung wird von Provinz- und Regionalkrankenhäusern getragen. In urbanen Gegenden bieten städtische Kliniken, Krankenhäuser und Sonderkrankenanstalten jene Dienstleistungen an, die HPs, BHCs und CHCs in ländlichen Gebieten erbringen. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB S. 319 f).

1.5.1.11. Krankenhäuser in Afghanistan:

Theoretisch ist die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern kostenlos. Dennoch ist es üblich, dass Patienten Ärzte und Krankenschwestern bestechen, um bessere bzw schnellere medizinische Versorgung zu bekommen. Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Für den Zugang zur medizinischen Versorgung sind der Besitz der afghanischen Staatsbürgerschaft und die Mitnahme eines gültigen Ausweises bzw. der Tazkira erforderlich. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass Beeinträchtigungen wie Herz-, Nieren-, Leber- und Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, die eine komplexe, fortgeschrittene Behandlung erfordern, wegen mangelnder technischer bzw fachlicher Expertise nicht behandelt werden können. Chirurgische Eingriffe können nur in bestimmten Orten geboten werden, die meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Wenn eine bestimmte medizinische Behandlung in Afghanistan nicht möglich ist, sehen sich Patienten gezwungen ins Ausland, meistens nach Indien, in den Iran, nach Pakistan und in die Türkei zu reisen. Da die medizinische Behandlung im Ausland kostenintensiv ist, haben zahlreiche Patienten, die es sich nicht leisten können, keinen Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung (LIB S. 321 f).

1.5.1.12. Rückkehrer:

Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.3. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (LIB S. 327).

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (zB IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) (zB IPSO und AMASO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer/innen direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Im Jangalak Aufnahmezentrum befanden sich 24 Zimmer, mit jeweils 2-3 Betten. Jedes Zimmer war mit einem Kühlschrank, Fernseher, einer Klimaanlage und einem Kleiderschrank ausgestattet. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden (LIB S. 328 f).

1.5.2. Übersetzter[l2] Auszug aus den UNHCR-Richtlinien "Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from afghanistan" vom 30.08.2018, die auf Grund der gerichtsnotorischen englischen Sprache im englischen Original verwendet werden:

"[...] Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelprüfung unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich seines Alters, Geschlechts, seiner Gesundheit, seiner Invalidität, der familiären Situation und Beziehungen sowie seines Bildungs- und Berufsstandes, geprüft werden. [...]

Ein interne Schutzalternative ist nur dann verfügbar, wenn der Antragsteller dort in Sicherheit leben kann, ohne Gefahr sowie ohne Verletzungsrisiko. Diese Bedingungen müssen dauerhaft und dürfen weder illusorisch noch unvorhersehbar sein. Vor diesem Hintergrund muss die Unbeständigkeit und die Veränderlichkeit des bewaffneten Konflikts in Afghanistan berücksichtigt werden. [...]

Damit eine vorgeschlagene interne Schutzalternative zumutbar ist, muss der Antragsteller in der Lage sein, seine grundlegenden Menschenrechte im Bereich der Neuansiedlung auszuüben, und der Antragsteller muss wirtschaftliche Überlebenschancen unter würdevollen Bedingungen haben. In diesem Zusammenhang muss die Bewertung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative insbesondere Folgendes berücksichtigen:

(i) Zugang zu einer Unterkunft in dem vorgeschlagenen Bereich der Neuansiedlung;

(ii) Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung im vorgeschlagenen Neuansiedlungsbereich wie Trinkwasser und sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung;

(iii) Erwerbsmöglichkeiten einschließlich des Zugangs zu Land für Afghanen, die aus ländlichen Gebieten stammen; oder im Fall von Antragstellern, die nicht für ihren eigenen Leb

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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