Entscheidungsdatum
19.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W191 2130524-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Rosenauer als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.07.2016, Zahl 1079975005-150957073, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 17.09.2018 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.10.2019 erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
1. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben irregulär und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 28.07.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG).
Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der BF am 18.07.2015 in Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden war.
1.2. In seiner Erstbefragung am 29.07.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion (PI) Traiskirchen, Erstaufnahmestelle (EAST), gab der BF im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi im Wesentlichen Folgendes an:
Er nannte seine Personalia und gab an, er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, schiitischer Moslem und verheiratet. Sein Vater sei vor ca. 15 Jahren verstorben und im Iran (Mashhad) lebten seine Mutter, seine zwei älteren Brüder, seine Ehefrau und seine zwei kleinen Kinder (ca. ein und fünf Jahre alt).
Zu seiner Reise, die er vor ca. sechs Wochen begonnen habe, machte der BF wenig Angaben. Er sei von der Türkei aus mit einem Schlauchboot nach Griechenland in die EU eingereist. Die Reisekosten hätten 12.000 US-Dollar betragen.
Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er im Alter von sechs Monaten mit seiner Familie aus ihm unbekannten Gründen von Afghanistan in den Iran gegangen sei, wo er seitdem illegal gelebt habe. Er habe ständig Angst gehabt, nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Er habe mehrere Probleme mit den iranischen Behörden gehabt und sich entschlossen, nach Österreich zu kommen, um hier zu studieren und zu leben.
1.3. Aufgrund der Angaben des BF zu seiner Reiseroute und des EURODAC-Treffers führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) Konsultationen gemäß Dublin-Übereinkommen bezüglich der Zuständigkeit für das Asylverfahren des BF mit dem Mitgliedstaat Ungarn, die negativ verliefen.
1.4. Bei seiner Einvernahme am 10.06.2016 vor dem BFA, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, im Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Farsi, bestätigte der BF die Richtigkeit seiner bisher gemachten Aussagen und korrigierte einzelne Angaben. Er habe bei seiner Mutter im Iran angerufen, und sie habe ihm gesagt, aus welcher Provinz sie wirklich herkomme (aus Ghor). Auch das Alter seiner Ehefrau korrigierte der BF.
Der BF gab an, er habe im Iran bei einem Motorradunfall einen Knochenbruch am rechten Bein erlitten, der in Österreich noch zweimal operiert werden musste. Er stehe in Nachbehandlung. Die Operation habe vor fünf Monaten stattgefunden, derzeit könne er keine bzw. nur einfache körperliche Arbeiten verrichten.
Befragt nach seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe sich im Iran wie ein Gefangener gefühlt. Er habe keine Ausreiseerlaubnis gehabt und keine Ausbildung machen können. Er habe keine Dokumente gehabt. Er habe zwei Jahre als Lehrer gearbeitet. Seine Frau habe er vor ca. acht Jahren geheiratet.
Neu gab der BF an, er sei vor sechs Monaten Christ geworden, und legte dazu eine Teilnahmebestätigung eines ehemaligen Pastors einer evangelikalen Gemeinde an Hausgottesdiensten vom 02.06.2016 vor. Der BF erzählte von den Umständen dieser Treffen (Sprechen, Essen, Musik) und wurde zu Grundsätzen des christlichen Glaubens befragt, die er teilweise zutreffend beantworten konnte.
Der BF legte seine Heiratsurkunde und Ausbildungszeugnisse aus dem Iran und ärztliche Bestätigungen betreffend seine Beinverletzung vor.
Laut Niederschrift wurden mit dem BF "Länderfeststellungen" der Staatendokumentation des BFA erläutert und ihm dargelegt, warum er eine negative Entscheidung erhalten werde.
Der BF gab dazu an, sein Leben sei in Gefahr, wenn man ihn in den Iran schicken würde. Er wolle in Frieden und Demokratie leben. Im Iran würde er entweder am Krieg in Syrien teilnehmen müssen oder nach Afghanistan geschickt, wo sich die Taliban befänden. Er habe keinen Ort, wo er hingehen könne. Er bitte, seinen Antrag nicht abzulehnen. Er habe um Schutz gebeten und seine Frau und seine Kinder zurückgelassen.
1.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens wies das BFA mit Bescheid vom 05.07.2016 den Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 28.07.2015 gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.) und verband diese Entscheidung in Spruchpunkt III. gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-VG mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt. Es wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF "2 Wochen" [richtig: 14 Tage] ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Eine asylrelevante Verfolgung liege nicht vor, das Vorbringen des BF sei unglaubhaft. Er habe keine Verfolgung im Sinne des AsylG glaubhaft gemacht und es bestünden keine stichhaltigen Gründe gegen eine Abschiebung des BF nach Afghanistan. Im Falle der Rückkehr drohe ihm keine Gefahr, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der BF erfülle nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe sein Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens angesichts der kurzen Aufenthaltsdauer und des Fehlens von familiären oder privaten Bindungen im Inland nicht entgegen. Angesichts der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung des BF nach Afghanistan. Die Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die der BF bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht gegeben seien.
Beweiswürdigend führte das BFA (zusammengefasst) aus, dass der BF bezüglich seiner behaupteten Herkunftsregion, Volks- und Staatsangehörigkeit aufgrund seiner Sprach- und Lokalkenntnisse - im Gegensatz zu seinem Fluchtvorbringen - glaubwürdig wäre. Die Feststellungen zur Situation in Afghanistan wären glaubhaft, weil sie verlässlichen, seriösen, aktuellen und unbedenklichen Quellen entstammten, deren Inhalt schlüssig und widerspruchsfrei sei.
Seinen [Nach-] Fluchtgrund der Konversion habe der BF nicht glaubhaft machen können. Er habe "absolut keine Ahnung vom christlichen Glauben" und könne nicht einmal die einfachsten Fragen in diesem Zusammenhang beantworten.
Angemerkt wird hier, dass das BFA dabei offenbar großteils vom Wissen des zuständigen Mitarbeiters des BFA über den katholischen Glauben ausging und mehrere Argumente anführte, die im Zusammenhang mit einer evangelikalen christlichen Gemeinde nicht gleichermaßen zutreffen (etwa betreffend Feiertage, Feste, Gottesdienst, Dreifaltigkeit).
Subsidiärer Schutz wurde ihm nicht zuerkannt, da im Falle einer Rückkehr des BF in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur GFK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt oder im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes nicht gegeben sei (Zitat: "Wie den Länderfeststellungen klar hervorgeht, ist auch die allgemeine Lage in Ihrem Heimatgebiet zumutbar und demnach keine ernsthafte Bedrohung des Lebens mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.").
Der BF könne auch in Kabul seinen Lebensunterhalt bestreiten, zumal er arbeitsfähig und gesund sei. Hinzu komme, dass in Afghanistan komplementäre Auffangmöglichkeiten, etwa in Lagern existierten, die er im Falle einer erfolglosen Suche nach einer Unterkunft in Anspruch nehmen könnte.
1.6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF mit offenbar von seinem Rechtsberater unterstützt erstelltem Schreiben vom 18.07.2016 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) wegen "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" und Rechtswidrigkeit des Inhalts ein.
In der Beschwerdebegründung wurde moniert, dass der BF als Angehöriger der Minderheit der Volksgruppe der Hazara in Afghanistan gezielten Schikanen und schwer vorhersehbaren lebensbedrohlichen Angriffen ausgesetzt sein würde, und dazu kurze Ausschnitte aus diversen Berichten zitiert. Weiters wurde moniert, dass eine Rückkehr unzumutbar sei, da die Lage in Afghanistan - im Gegensatz zur Einschätzung des BFA - sehr unsicher sei. Der Krieg habe wohl nie aufgehört. Da der BF über keinerlei funktionierende soziale oder familiäre Netzwerke verfüge, sei ihm eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich.
1.7. Mit Eingabe vom 21.02.2017 legte der BF ein Sprachzertifikat Deutsch A2 sowie Belege zu seiner Gesundheit (Operation am rechten Unterschenkel) vor.
Mit weiterer Eingabe vom 13.09.2017 legte der BF einen weiteren Beleg zu seiner Gesundheit (betreffend PTSD, Spannungskopfschmerz, Psychotherapie, Medikation) vor.
Mit Eingabe vom 14.12.2017 legte der BF eine Schulbesuchsbestätigung vom 29.11.2017 an der HTBLV Wiener Neustadt vor. Er urgierte wiederholt die Erledigung seines Antrages.
1.8. Die zuständige Gerichtsabteilung wurde mit Schreiben des Präsidenten des BVwG vom 09.05.2018 darüber informiert, dass ein Beschwerdeschreiben der Volksanwaltschaft hinsichtlich der Verfahrensdauer eingelangt sei.
1.9. Das BVwG führte am 17.09.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein eines Dolmetsch für die Sprache Dari durch, zu der der BF in Begleitung seiner Vertreterin und eines Bekannten (als Zeuge) persönlich erschien. Die belangte Behörde verzichtete im Vorhinein auf die Teilnahme an der Verhandlung.
Dabei gab der BF auf richterliche Befragung im Wesentlichen Folgendes an (Auszug aus der Verhandlungsschrift):
"[...] RI [Richter]: Was ist Ihre Muttersprache?
BF: Dari, aufgrund meines lebenslangen Aufenthalts im Iran spreche ich eigentlich schon besser Farsi. Da ich schon recht gut Deutsch spreche, würde ich auch gerne einzelne Aussagen auf Deutsch machen.
RI an D [Dolmetsch]: In welcher Sprache übersetzen Sie für den BF?
D: Dari.
RI befragt BF, ob er D gut verstehe; dies wird bejaht.
Zur heutigen Situation:
RI: Fühlen Sie sich körperlich und geistig in der Lage, der heutigen Verhandlung zu folgen?
BF: Ja.
RI: Leiden Sie an chronischen oder akuten Krankheiten oder anderen Leiden oder Gebrechen?
BF: Ich bin nervös, weil die Verhandlung für mich wichtig ist. Ich habe viel Stress. Ich leide an starken Kopfschmerzen und bin seit Juli 2016 regelmäßig in ärztlicher und in psychotherapeutischer Behandlung. Ich nehme regelmäßig Medikamente (Sirdalud, Mirtazapin), damit ich schlafen kann. Seit ca. einer Woche versuche ich gerade, ohne Medikamente auszukommen. Von meinem Motorradunfall im Iran leide ich immer noch an Spätfolgen, ich kann etwa nicht mehr als eine halbe Stunde frei stehen.
Die BFV [Vertreterin des BF] legt vor eine Mehrzahl von Belegen zur Gesundheit des BF, die diese Angaben bescheinigen und in Kopie zum Akt genommen werden.
[...]
Der BF hat bisher keine Belege bezüglich seiner Identität vorgelegt und legt auch heute keine vor. Er hat im Verfahren seine Heiratsurkunde in Kopie vorgelegt, die im Verwaltungsakt einliegt (das Original befindet sich im Iran). Er hat zahlreiche Belege betreffend seine Gesundheit sowie Belege zu seiner Integration vorgelegt.
Heute legt er weitere Belege zu seiner Integration (Deutschkursbestätigungen, Schulbesuchsbestätigungen, Schulzeugnisse sowie Empfehlungsschreiben) vor, die in Kopie zum Akt genommen werden. Weiters hat er Belege bezüglich seiner angegebenen Konversion vorgelegt und legt heute ein diesbezügliches Schreiben (laut BF Anfang September 2018 erhalten) einer Kirchenfunktionärin aus Wiener Neustadt vor, das ebenfalls in Kopie zum Akt genommen wird.
[...]
Zur Identität und Herkunft sowie zu den persönlichen
Lebensumständen:
RI: Sind die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen zu Ihrem Namen und Geburtsdatum sowie zu Ihrer Staatsangehörigkeit korrekt?
BF: Ja.
RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volks- oder Sprachgruppe gehören Sie an?
BF: Hazara.
RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an, und wenn ja, welcher?
BF: Ich war früher schiitischer Moslem und bin jetzt katholischer Christ.
RI: Sind Sie verheiratet, oder leben Sie in einer eingetragenen Partnerschaft oder sonst in einer dauernden Lebensgemeinschaft?
BF: Ich habe vor ca. zehn Jahren geheiratet, meine Tochter ist ca. acht Jahre alt und mein Sohn ca. vier Jahre alt.
RI: Haben Sie in Ihrem Herkunftsstaat eine Schul- oder Berufsausbildung absolviert?
BF: Ich habe im Iran zwölf Jahre die Schule besucht und dann zwei Jahre lang auf der Universität Journalismus studiert. Da ich im Iran illegal aufhältig war und mir klar wurde, dass ich keine Abschlusszeugnisse bekommen würde, habe ich dann damit aufgehört.
RI: Womit haben Sie sich in Ihrem Herkunftsstaat Ihren Lebensunterhalt verdient bzw. wer ist für Ihren Lebensunterhalt aufgekommen?
BF: Ich habe in einem Ziegelsteinofen und dann auf der Baustelle gearbeitet. Als ich studiert habe, habe ich von Ersparnissen gelebt.
RI: Geben Sie bitte soweit wie möglich chronologisch an, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
BF: Ich bin im Alter von sechs Monaten gemeinsam mit meinen Eltern aus der Provinz Ghor in den Iran gekommen und war später nie wieder in Afghanistan aufhältig.
RI: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
BF: Ich habe zwei Brüder, beide leben im Iran (Mashhad).
Zur derzeitigen Situation in Österreich:
RI: Haben Sie in Österreich lebende Familienangehörige oder Verwandte?
BF: Nein.
RI ersucht D, die folgenden Fragen nicht zu übersetzen. RI stellt diverse Fragen.
RI: Sprechen Sie Deutsch? Haben Sie mich bis jetzt auch ohne Übersetzung durch den D verstehen können?
BF: Wenn Sie langsam und deutlich sprechen, verstehe ich das allermeiste.
RI stellt fest, dass der BF die zuletzt gestellten und nicht übersetzten Fragen verstanden und auf Deutsch beantwortet hat.
RI: Besuchen Sie derzeit einen Deutschkurs, oder haben Sie einen Deutschkurs bereits besucht?
BF: Ich habe die Deutschprüfung A1 und A2 absolviert, ich habe diese Kurse selber bezahlen müssen. Für den Besuch des Kurses B1 fehlt mir das Geld.
RI: Schildern Sie mir einen typischen Tagesablauf.
BF: Ich stehe in der Früh um 06:30 Uhr auf. Ich frühstücke, und dann bereite ich mich vor. Ich gehe Duschen. Dann gehe ich zur Schule HTL. Meine Schule bzw. mein Unterricht beginnt zehn Minuten vor acht. Diese Schule besuche ich drei Tage in der Woche zehn Minuten vor Acht in der Früh bis 17:00 Uhr nachmittags. Zwei Tage in der Woche, zehn Minuten vor acht bis 13:15 Uhr nachmittags und an einem anderen Tag. Samstags habe ich eine Stunde Unterricht in der Schule und zwar bis 08:40 Uhr. Nach der Schule komme ich nach Hause und mache ich meine Hausaufgaben. Ich lege eine Pause von einer halben Stunde bis Stunde ein und danach gehe ich wieder nach draußen. Dann komme ich wieder nach Hause und koche ich Essen. Nach dem Essen bleibe ich eine halbe Stunde oder eine Stunde wach, und danach gehe ich Schlafen, damit ich für den nächsten Tag fit bin, und zwar für die Schule.
RI: Sind Sie dort der älteste Schüler?
BF: Leider ja. Ich schäme mich dafür, bin aber auch sehr froh, dass ich in diese Klasse gehen kann und dabei auch besser Deutsch lernen kann.
RI: Besuchen Sie in Österreich bestimmte Kurse oder eine Schule, oder sind Sie aktives Mitglied in einem Verein? Gehen Sie sportlichen oder kulturellen Aktivitäten nach?
BF: Ich spiele gerne Fußball, aber leider wegen meines Beines kann ich nicht intensiv Fußball spielen, daher spiele ich sehr langsam. Ich war eine Zeit lang im Verein aktiv (Admira Wiener Neustadt). Ich durfte dort ca. eineinhalb Monate lang inoffiziell trainieren. Aufgrund meiner Beinverletzung habe ich damit aufgehört. Ich habe gelegentlich mit einer Bekannten Konzerte und das Kino besucht.
RI: Wurden Sie in Österreich jemals von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt oder von einer Behörde mit einem Aufenthaltsverbot oder Rückkehrverbot belegt?
BF: Nein.
RI: Unterhalten Sie von Österreich aus noch Bindungen in Ihre Heimat, insbesondere Kontakte zu dort lebenden Familienangehörigen, Verwandten, Freunden oder zu sonstigen Personen? Wenn ja, wie sieht dieser Kontakt konkret aus (telefonisch, brieflich, per E-Mail), bzw. wie regelmäßig ist dieser Kontakt?
BF: Alle paar Wochen kontaktiert mich meine Ehefrau mit einem ausgeborgten Handy per IMO.
Zu den Fluchtgründen und zur Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat:
RI: Warum sind Sie aus dem Iran nach Eur0pa gegangen?
BF: Ein Mensch hat verschiedene Träume. Ich wollte sicher leben und studieren dürfen. Ich konnte dort nicht mehr leben, wollte aber studieren. Ich war dort nicht sicher.
RI: Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie ohne sie gegangen sind?
BF: Meine Frau konnte nicht mitkommen. Unsere Kinder waren sehr klein. Der Weg nach Europa war sehr gefährlich. Andererseits war mein Bein verletzt. Ich konnte die Kinder nicht mitnehmen. Ich hatte Angst vor der Polizei und um mein Leben.
RI: Was würde Ihnen konkret passieren, wenn Sie jetzt wieder in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
BF: Erstens war ich nie in Afghanistan. Sie wissen Bescheid über die Sicherheitslage in Afghanistan. In den letzten zwei Wochen gab es viele Anschläge. Dabei kamen ungefähr 200 bis 300 Menschen ums Leben.
RI: Sie könnten sich in Herat ansiedeln?
BF: Herat ist auch nicht sicher. Es gibt auch Selbstmordattentäter, die sich in die Luft jagen, und das passiert auch in Herat. Nirgends in Afghanistan ist es sicher.
RI: Wovon leben Ihre Frau und Ihre Kinder derzeit?
BF: Sie bekommen ein bisschen Unterstützung von meinem Bruder, und sie sind auch in Betreuung bei manchen Hilfsorganisationen (UN, privat).
RI: Zu Ihrer Konversion. Sind Sie tatsächlich zum christlichen Glauben konvertiert, und wenn ja, wann und warum?
BF: Sechs Monate nach meiner Ankunft in Österreich habe ich eine Person kennengelernt. Diese Person brachte mich zu einer Kirche. Diese Kirche befand sich in einem Haus. Damals lebten wir am Land. Ich habe diese Kirche kennengelernt. Ich habe diese Kirche regelmäßig besucht. Nachdem ich manche Menschen kennengelernt habe, wollte ich zum Christentum konvertieren. Das ganze Elend bzw. das Elend meines Lebens ist auf den Islam zurückzuführen. Im Namen des Islams habe ich schlechte Erfahrungen gemacht. Unter dem Namen des Islams durfte ich nicht im Iran studieren gehen. Man hat es mir nicht erlaubt. Ich durfte nicht reisen. Ich durfte nicht ein normales Leben führen. Ich hatte auch keine Arbeitserlaubnis. Ich kam hierher und wollte ein neues Leben mit einer neuen Religion beginnen und mit meiner alten Religion abschließen.
RI: Haben Sie das gemacht?
BF: Ja, seitdem ich in Österreich bin, kurz nach meiner Ankunft, habe ich das auch so gemacht.
RI: Aber getauft sind Sie noch nicht, oder?
BF: Nein, noch nicht.
RI: Und haben Sie das vor?
BF: Wenn es nach mir gehen würde, würde ich mich so schnell wie möglich taufen lassen, aber man sagte mir, ich solle mich gut für das Christentum vorbereiten. Derzeit besuche ich keinen Taufvorbereitungskurs.
RI: Was wissen Sie schon über das Christentum?
BF: Soll ich Ihnen etwas erzählen?
BF erzählt über das Christentum. RI stellt diverse Fragen. Festgehalten wird, dass der BF ein gewisses Grundwissen über das Christentum aufweist.
Der RI bringt unter Berücksichtigung des Vorbringens des BF auf Grund der dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Informationen die dieser Niederschrift beiliegenden Feststellungen und Berichte [...] in das gegenständliche Verfahren ein.
Der RI erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte. Im Anschluss daran legt der RI die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
RI folgt BFV Kopien dieser Erkenntnisquellen aus.
Der Zeuge (Z) betritt um 10:50 Uhr den Verhandlungssaal.
[...]
RI: Seit wann und von wo her kennen Sie den BF?
Z: Seit Mai oder Juni 2016. Im Rahmen der Interreligiösen Forums Wiener Neustadt in Zusammenarbeit von zwei katholischen und einer evangelischen Pfarre im Freizeit- und Sportbereich sowie im Mathematik- und Physik-Unterricht.
RI: Wo steht der BF Ihrer Einschätzung nach religiös?
Z: Was im Allerinnersten vor sich geht, kann ich nicht sagen. Er hat zweieinhalb Jahre lang erlebt, dass ihm nur von kirchlichen Organisationen geholfen worden ist. Ich meine, er steht in einem Anerkennungsverhältnis gegenüber christlicher Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe und hat erfahren die Toleranz von christlicher Seite gegenüber Muslimen im Unterschied zur intoleranten Haltung in der Gegenrichtung. Die Stadt Wiener Neustadt tut für die Flüchtlinge nur das Allernotwendigste. Auch die muslimische Gemeinde macht für die Flüchtlinge sehr wenig.
BFV hat keine Fragen an den Z. Der Z wird um 10:55 Uhr aus der Einvernahme entlassen und nimmt im Verhandlungsaal hinten Platz.
RI: Nach meinem Wissensstand ist Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe ein ganz wichtiger Grundsatz im moslemischen Glauben. Was sagen Sie dazu?
BF: Der Meinung bin ich nicht. Das lehne ich absolut ab. Solange ich gelebt habe, habe ich keine Nettigkeit von religiöser Seite erlebt, sondern im Gegenteil.
BFV: Würden Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Ihren christlichen Glauben ausleben?
BF: Ja, sicher.
BFV wird die Möglichkeit von Fragen an den BF eingeräumt.
BFV: Wie sehen Sie Ihre Zukunft in Österreich, sollten Sie hierbleiben dürfen?
BF: Ich sehe meine Zukunft als eine sehr schöne. Ich wäre froh, wenn ich da bleiben dürfte, um studieren zu können. In Österreich bin ich sicher. Ich möchte meine Wünsche erfüllen. Viel wichtiger ist die Zukunft meiner Kinder. Ich möchte nicht, dass sie was Schlimmes erleben, was ich bereits in meinem Leben erlebt habe. Ich möchte, dass meine Kinder in Zukunft zur Schule gehen können, und ich möchte nicht mehr, dass meine Kinder belästigt und erniedrigt werden, wie ich das einst erlebt habe. Ich möchte nicht, dass meine Kinder wegen ihres Aussehens in irgendeinem Eck der Welt diskriminiert werden. Ich bin mehrmals in meinem Leben wegen meines Aussehens diskriminiert worden. Ich möchte, dass wir, ich und meine Familie, wie Menschen behandelt werden. Wir sind auch Menschen wie alle anderen. Wir haben ein Anrecht auf ein menschliches Leben.
RI: Warum sind Sie noch nicht in einer Taufvorbereitung?
BF: Das wusste ich nicht. Ich dachte, dass das alles in der Kirche geregelt wird. Ich gehe sonntags und manchmal samstags in die Kirche.
Nach Rückfrage beim Z gibt dieser an, dass er den BF vor ca. einem Jahr zur Pfarre Flugfeld zu einem Informationsgespräch über die Vorgänge der Vorbereitung für eine spätere Konversion begleitet hat.
RI: Haben Sie die Taufe nicht begonnen, weil Sie vor den anderen Afghanen in Österreich Angst haben?
BF: Ja, sicher.
RI: Weiß Ihre Ehefrau davon, dass Sie eventuell konvertieren wollen?
BF: Nein.
RI: Wollen Sie es ihr sagen?
BF: Es kommt darauf an. Ich muss mir das anschauen.
BFV: Keine weiteren Fragen.
Der RI gibt der BFV die Möglichkeit, zu den Länderfeststellungen und den bisherigen Angaben des BF eine mündliche Stellungnahme abzugeben.
Die BFV legt eine vorbereitete Stellungnahme mit heutigem Datum vor, die zum Akt genommen wird.
RI befragt BF, ob er noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BFV, ob sie noch etwas Ergänzendes vorbringen will; dies wird verneint.
RI befragt BF, ob er D gut verstanden habe; dies wird bejaht. [...]"
Das erkennende Gericht brachte weitere Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF in das Verfahren ein (aufgelistet unter Punkt 2.).
In der vorbereiteten Stellungnahme der BFV wird moniert, dass in Afghanistan nicht bloß eine Konvertierung als Apostasie bestraft werde. Allein das Abgehen vom Islam reiche aus, dass der BF als Apostat nach der Scharia bestraft werde. Ihm drohe bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe. Nach mehreren Auszügen aus diversen Berichten zur Lage im Herkunftsstaat wurde die Zuerkennung von Asyl und eventualiter von subsidiärem Schutz beantragt.
Das BFA beantragte nicht die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beteiligte sich auch sonst nicht am Verfahren vor dem BVwG. Dem BFA wurde die Verhandlungsschrift samt Beilagen übermittelt.
2. Beweisaufnahme:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:
* Einsicht in den dem BVwG vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung am 29.07.2015 und der Einvernahme vor dem BFA am 10.06.2016, die vom BF vorgelegten Schriftstücke (Heiratsurkunde, Gesundheit Integration) sowie die Beschwerde vom 18.07.2016
* Einsicht in Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat des BF im erstbehördlichen Verfahren (offenbar Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Aktenseiten 141 bis 182)
* Einvernahme des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 17.09.2018 sowie Einsichtnahme in die in der Verhandlung vorgelegten Schriftstücke betreffend Gesundheit und Integration des BF
* Einsicht in folgende in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG zusätzlich in das Verfahren eingebrachte Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des BF:
o Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, die Lage in den Provinzen Bamiyan und Ghor, die Lage der Hazara sowie die Religionsfreiheit (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, zuletzt aktualisiert am 11.09.2018)
o Artikel in Asylmagazin 3/2017 "Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung" von Friederike Stahlmann sowie
o Auszug aus einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation für AfghanInnen (insbesondere Hazara), die ihr ganzes Leben im Iran verbracht haben und dann nach Afghanistan kommen (u.a. mögliche Ausgrenzung oder Belästigungen); Verhalten der Taliban gegenüber Hazara, die aus dem Iran zurückkehren, vom 12.06.2015 (a-9219)
3. Ermittlungsergebnis (Sachverhaltsfeststellungen):
Folgende Feststellungen werden aufgrund des glaubhaft gemachten Sachverhaltes getroffen:
3.1. Zur Person des BF:
3.1.1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekannte sich früher zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Er gab an, jetzt sei er katholischer Christ. Die Muttersprache des BF ist Dari, er spricht aber aufgrund seines fast lebenslangen Aufenthaltes im Iran eigentlich besser Farsi. Der BF spricht Dari mit einem klar erkennbaren iranischen Akzent, wie er für den Iran typisch ist.
3.1.2. Lebensumstände:
Der BF verließ im Alter von sechs Monaten gemeinsam mit seinen Eltern Afghanistan (Provinz Ghor) und wuchs im Iran auf, wo er bis Juni 2015 gemeinsam mit seiner Mutter, zwei älteren Brüdern und seiner Ehefrau mit zwei kleinen Kindern illegal lebte. Sein Vater ist vor mehreren Jahren verstorben. Die Familie im Iran ist nicht wohlhabend und nicht in der Lage, den BF sowie dessen Ehefrau und Kinder im Falle der Rückkehr nach Afghanistan zu unterstützen.
Der BF besuchte zwölf Jahre die Schule und studierte dann zwei Jahre lang an der Universität Journalismus. Er arbeitete in einem Ziegelsteinofen und auf Baustellen und lebte während seines Studiums von Ersparnissen.
Der BF hat sich seit seiner Ausreise aus Afghanistan im Alter von sechs Monaten nicht wieder in Afghanistan aufgehalten. Der BF verfügt über keine aufrechten familiären oder sonstigen sozialen Kontakte in Afghanistan.
Den familiären Hintergrund und die Situation im Iran berücksichtigend kann nicht festgestellt werden, dass der BF im selben Ausmaß mit den kulturellen Gepflogenheiten, Traditionen und Ritualen seines Herkunftsstaates vertraut wäre, wie es auf Personen seines Alters zutrifft, die in Afghanistan aufgewachsen sind. Der BF verfügt über keine Ortskenntnisse in Afghanistan.
3.1.3. Der BF hat bei einem Motorradunfall im Iran im März 2015 einen Knochenbruch des rechten Beins erlitten, der in Österreich, mit Metallentfernung frühestens 2018, noch zweimal operiert werden musste. Er wird weiterführend physikalisch therapiert und bedarf orthopädischer Einlagen.
Nach einem Psychotherapeutischen Bericht des Interkulturellen Psychotherapiezentrums in PAYERBACH vom 15.09.2018 steht der BF seit Juli 2016 dort in regelmäßiger zweiwöchiger psychotherapeutischer Behandlung. Der BF sei stets sehr bemüht, seine Probleme zu bewältigen. Er leide an sehr realistischen Alpträumen, die Durchschlafqualität sei stark eingeschränkt, Einschlafen kaum möglich. Daraus resultierten ausgeprägte Tagesmüdigkeit und falle es dem BF sehr schwer, den Alltag zu bewältigen. Seine Konzentrationsfähigkeit sei stark herabgesetzt. Trotzdem versuche er unter großer Anstrengung, immer wieder die Schule zu besuchen. Seine Stimmungslage sei stark depressiv, Hoffnungslosigkeit und Angst machten ihm zu schaffen.
Fortschritte habe er bei der Erlangung der inneren Sicherheit zu verzeichnen.
3.1.4. Der BF bemüht sich in beachtlichem Ausmaß um seine Integration in Österreich. Er hat das Deutsch-Zertifikat A2 erlangt und besucht die Höhere technische Bundes- Lehr- und Versuchsanstalt in Wiener Neustadt. Er hat Hausgottesdienste eines ehemaligen Pastors einer evangelikalen Gemeinde besucht und, solange bzw. soweit es möglich war, am Training eines Fußballvereins teilgenommen.
Der BF verfügt über Empfehlungsschreiben von Bekannten in Österreich.
Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
3.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
3.2.1. Der BF verließ den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort illegal aufhältige Afghanen, insbesondere da er etwa keinen Studienabschluss hätte erlangen können. Zudem hatte er Angst vor Abschiebung nach Afghanistan bzw. vor der Entsendung in den Krieg nach Syrien.
3.2.2. Der BF wurde nach eigenen Angaben in seinem Herkunftsstaat niemals inhaftiert, ist nicht vorbestraft und hatte mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Der BF war nicht politisch tätig und gehörte nicht einer politischen Partei an.
Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass konkret er als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie schiitischer Muslim bzw. dass jeder Angehörige der Volksgruppe der Hazara sowie schiitische Muslim in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
3.2.3. Der BF konnte nicht glaubhaft vermitteln, dass er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt war. Er hat eigene Fluchtgründe nicht hinreichend schlüssig vorgebracht.
Der BF wurde als schiitischer Muslim geboren. Er ist vom Islam enttäuscht und führt viele Widerfährnisse seines Lebens auf Einstellungen und Vorschriften der Religion zurück. Er hat zu einem gewissen Grad Denk- und Verhaltensweisen angenommen, die in Europa verbreitet sind und der gängigen Denk- und Verhaltensweise in Afghanistan widersprechen, so etwa im Hinblick auf die Beurteilung der Religion.
Der BF hat zwar angegeben, dass er nunmehr Christ sei, er ist jedoch weder getauft worden, noch besucht er einen Taufvorbereitungskurs.
Der BF ist in Österreich mit dem Christentum in Berührung gekommen und hat mehrere Hausgottesdienste besucht. Er verfügt über ein gewisses Grundwissen über das Christentum. Er hat jedoch keine Initiativen gesetzt, einen Taufvorbereitungskurs zu besuchen, und hat auch seine im Iran lebende Ehefrau bisher nicht über seine diesbezüglichen religiösen Absichten informiert.
Er hat nicht glaubhaft machen können, dass ihm die reale Gefahr drohe, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan auf Grund einer Konversion vom Islam zum Christentum von anderen Personen getötet zu werden, weil er nach der dort allgemein vorherrschenden Ansicht als Moslem (Schiit) nicht die Religion wechseln hätte dürfen. Er hat nicht glaubhaft machen können, dass er gewillt ist, im Fall der Rückkehr den christlichen Glauben offen und nach außen hin erkennbar auszuüben, eine Konversion zum Christentum nicht zu widerrufen und nicht wieder zum Islam überzutreten.
Der BF konnte einen in Österreich gesetzten Nachfluchtgrund nicht glaubhaft darlegen.
Dass er sich im Herkunftsstaat so benehmen würde, dass er wegen unreligiösen Verhaltens in Gefahr der Verfolgung wegen Apostasie geraten würde, hat der BF damit ebenfalls nicht glaubhaft gemacht.
3.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:
3.3.1. Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass er im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wäre.
3.3.2. Dem BF würde derzeit bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghor ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Eine Rückkehr und Ansiedelung außerhalb der Herkunftsprovinz seiner Eltern, insbesondere in der Stadt Kabul, ist dem BF aufgrund seiner individuellen Umstände nicht zumutbar. Der BF verfügt in Afghanistan über kein familiäres Netzwerk, mit dessen Unterstützung ihm der Aufbau einer Existenzgrundlage möglich wäre, zumal er für eine Ehefrau und zwei kleine Kinder zu sorgen hat. Auch von einer (finanziellen) Unterstützung des BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan durch seine Familie im Iran, die dort illegal aufhältig ist, kann nicht ausgegangen werden, da diese den notwendigen eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten hat.
Da sich der BF zudem seit seiner Kindheit nicht mehr in Afghanistan aufgehalten hat und mit den örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten sowie den dortigen Lebensgewohnheiten nicht vertraut ist, wäre er unter äußerst schwierigen Bedingungen auf sich alleine gestellt. Verstärkend kommt hinzu, dass der BF im Iran sozialisiert wurde und anhand seiner Aussprache deutlich erkennbar ist, dass er einen langen Zeitraum im Iran gelebt haben muss, sodass auch dadurch von einer erschwerten Eingliederung in die ortsansäßige afghanische Gesellschaft auszugehen ist. In diesem Zusammenhang kommt des Weiteren hinzu, dass der BF als junger Erwachsener nach Europa gekommen ist, hier nunmehr bald drei Jahre lebt und sich um seine Integration sehr bemüht zeigt und darüberhinaus erhebliche gesundheitliche Probleme hat.
Die beim BF vorgenommene Einzelfallprüfung ergibt, dass aufgrund der oben dargelegten individuellen Umstände nicht davon ausgegangen werden kann, dass es ihm möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan, insbesondere in Kabul, Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Bei einer dortigen Ansiedelung liefe der BF vielmehr Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des BF:
Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:
3.4.1. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA zu Afghanistan ("Gesamtaktualisierung am 29.06.2018", zuletzt aktualisiert am 11.09.2018, Schreibfehler teilweise korrigiert):
"[...] 2. Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).
Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.02.2015; vgl. AAN o. D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).
Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.01.2017; vgl. USDOS 20.04.2018, USDOS 15.08.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.01.2017).
Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.02.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.04.2018; vgl. USDOS 15.08.2017).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).
Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht Am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.01.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20.10.2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.04.2018; vgl. AAN 22.01.2017, AAN 18.12.2016).
Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.08.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o. D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).
Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 06.05.2018).
Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 06.05.2018).
Parteienlandschaft und Opposition
Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 03.05.2017). Am 04.05.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 04.05.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung, sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.03.2018).
Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 06.05.2018).
Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 11.10.2017).
Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.05.2017).
Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 151.2016; vgl. AB 295.2017).
Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 06.05.2018; vgl. AAN 21.08.2017).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Am 28.02.2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.03.2018; vgl. TS 28.02.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 07.03.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.03.2018; vgl. TD 07.03.2018, NZZ 28.02.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.04.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").
Am 19.05.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.05.2018).
Am 07.06.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.06.2018 - 20.06.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich Am 04.06.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 07.06.2018; vgl. Reuters 07.06.2018, RFL/RL 05.06.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 05.06.2018). Die Taliban selbst gingen am 09.06.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.06.2018; vgl. TH 10.06.2018, Tolonews 09.06.2018).
[...]
2. Sicherheitslage
Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.02.2018).
Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.)
[...]
Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.02.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 09.03.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.03.