TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/19 W221 2171395-1

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Veröffentlicht am 19.10.2018
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Entscheidungsdatum

19.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W221 2171395-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Daniela URBAN, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2017, Zl. 1095435000-151813053, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.06.2018, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am XXXX den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Dabei gab an sie zunächst an, sie sei Kurdin und stamme aus Qamishli. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete die Beschwerdeführerin, dass einer ihrer Brüder, der mittlerweile in Österreich lebe, in Syrien ein Politiker der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) gewesen sei. Er habe mit seinen Freunden viele Demonstrationen veranstaltet, um gegen das syrische Regime zu kämpfen. Von Aleppo aus, wo sie studiert habe, habe die Beschwerdeführerin ihrem Bruder geholfen. Aus diesem Grund habe der syrische Geheimdienst nach ihr und ihrem Bruder gesucht.

Am 13.06.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die kurdische Sprache (Kumanji) niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte sie zunächst, dass ihre bisher getätigten niederschriftlichen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Sie sei in Qamishli geboren worden. Ihre Mutter, eine Schwester und ein Bruder würden in Österreich leben. Ihr in Österreich lebender Bruder habe Asyl erhalten. Ein weiterer Bruder lebe als Asylberechtigter in der Schweiz, ein dritter Bruder sei seit XXXX verschollen. Weitere Schwestern würden in der Schweiz, Deutschland, im Irak und der Türkei leben. Sie sei zwölf Jahre lang zur Schule gegangen und habe dann in Aleppo Mechanik studiert. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, in Aleppo habe es einen Bombenanschlag in der Nähe ihrer Universität gegeben. Nachdem die freie syrische Armee (FSA) die Kontrolle über Aleppo übernommen habe, sei es zu Entführungen gekommen. Deswegen sei sie 2012 nach Qamishli zu ihrer Mutter zurückgekehrt, wo der syrische Geheimdienst mehrmals ihr Haus aufgesucht habe, um nach dem Bruder zu suchen. Nach der Beschwerdeführerin selbst sei jedoch nicht gesucht worden. Sie sei dann gemeinsam mit ihrer Mutter im November desselben Jahres über einen von der FSA kontrollierten Grenzübergang in die Türkei ausgereist. Einmal sei ihre Mutter kurz nach Syrien zurückgekehrt, sei aber von den syrischen Behörden verhört worden, da sich ein Ausreisestempel der FSA in ihrem Pass befunden habe. Ihre Mutter sei dann wieder in die Türkei ausgereist. Sie und ihre gesamte Familie würden der PDK angehören. In Syrien habe sie für die Partei Tänze organisiert und an kurdischen Festen teilgenommen, auch habe sie regelmäßig an Demonstrationen teilgenommen. Dabei seien zahlreiche Teilnehmer festgenommen und manche auch getötet worden. Weiter sei ein Cousin nach ihrer Ausreise wegen der Mitgliedschaft bei der PDK von Mitgliedern kurdischer Milizen (YPG) getötet worden. Auch könne sie als alleinstehende Frau nicht nach Syrien zurückkehren.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.08.2017, zugestellt am 24.08.2017, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 21.08.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass zwar nach dem Bruder der Beschwerdeführerin gesucht worden sei, nicht jedoch nach der Beschwerdeführerin selbst. Auch scheine es nicht plausibel, dass kulturelle Tätigkeiten wie Tanzen eine Verfolgung durch die syrische Regierung nach sich ziehen würden. Auch eine Bedrohung der Beschwerdeführerin durch die YPG im Falle der Rückkehr nach Syrien werde nicht angenommen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Einreise nach Österreich nicht aus asylrechtlichen Gründen, sondern wegen wirtschaftlicher Faktoren erfolgt sei.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 22.08.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, welche am 15.09.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass, wenn die belangte Behörde der Beschwerdeführerin vorhalte, ihre Parteimitgliedschaft sei mangels der Vorlage entsprechender Dokumente nicht belegt, sei dem zu entgegnen, dass die PDK keine Ausweise ausstelle, da ihre Mitglieder verfolgt würden. Ihr Bruder besitze jedoch Unterlagen. Bei der Aufführung kurdischer Tänze und dem Organisieren kurdischer Feste habe die Beschwerdeführerin ihre politische Einstellung zum Ausdruck gebracht, weswegen sie einer Verfolgung unterliege. Auch würde die Beschwerdeführerin vom Geheimdienst gesucht. Es hätten mehrmals Männer in ihrer Nachbarschaft nach ihr und ihren Tätigkeiten gefragt. Der Beschwerdeführerin sei daher der Asylstatus zuzuerkennen. Der Beschwerde beigefügt waren mehrere Fotos von Demonstrationen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 22.09.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 07.05.2018 wurden die Beschwerdeführerin und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.06.2018 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Syrien geladen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 15.05.2018 mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.06.2018 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und im Beisein des Vertreters der Beschwerdeführerin sowie ihres Bruders und ihrer Mutter eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung fand eine eingehende Befragung der Beschwerdeführerin zu den Fluchtgründen statt und wurde ihr auch die Möglichkeit eingeräumt, zu den im Verfahren herangezogenen Länderberichten Stellung zu nehmen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom XXXX , der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.06.2018, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin trägt den im Spruch angeführten Namen, ist Staatsangehörige von Syrien und Angehörige der kurdischen Volksgruppe. Sie bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Die Beschwerdeführerin reiste illegal im November XXXX aus Syrien in die Türkei aus, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

Vor ihrer Ausreise lebte die Beschwerdeführerin in XXXX (Bezirk XXXX) im Gouvernement Al Hasaka. Festgestellt wird, dass der Bezirk XXXX unter Kontrolle der Kurden (YPG) steht, aber Qamishli grundsätzlich eine zwischen den Kurden und dem Regime geteilte Stadt ist.

Die Beschwerdeführerin hat Syrien wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen.

Die Mutter, ein Bruder und eine Schwester der Beschwerdeführerin leben in Österreich.

Dem in Österreich lebenden Bruder der Beschwerdeführerin wurde der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.

Das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Fluchtvorbringen (Bedrohung durch die syrische Regierung bzw. die YPG wegen der Unterstützung der PDK und der Teilnahme an Demonstrationen bzw. Gefährdung als alleinstehende Frau und illegale Ausreise) konnte nicht festgestellt werden.

Die Beschwerdeführerin lebt in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

"Politische Lage

Seit 2011 tobt die Gewalt in Syrien. Aus anfangs friedlichen Demonstrationen ist ein komplexer Bürgerkrieg geworden, mit unzähligen Milizen und Fronten. Die tiefer liegenden Ursachen für den Konflikt sind die Willkür und Brutalität des syrischen Sicherheitsapparats, die soziale Ungleichheit und Armut vor allem in den ländlichen Gegenden Syriens, die weit verbreitete Vetternwirtschaft und nicht zuletzt konfessionelle Spannungen (Spiegel 10.8.2016). Die Arabische Republik Syrien existiert formal noch, ist de facto jedoch in vom Regime, von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und von anderen Rebellen-Fraktionen oder dem sogenannten Islamischen Staat (IS) kontrollierte Gebiete aufgeteilt (BS 2016). Der IS übernahm seit 2014 vermehrt die Kontrolle von Gebieten in Deir ez-Zour und Raqqa, außerdem in anderen Regionen des Landes und rief daraufhin ein "islamisches Kalifat" mit der Hauptstadt Raqqa aus (USDOS 3.3.2017). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung nur ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der "wichtigsten" Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer, die noch nicht aus Syrien geflohen sind, leben (Reuters 13.4.2016). Verschiedene oppositionelle Gruppen mit unterschiedlichen Ideologien und Zielen kontrollieren verschiedene Teile des Landes. Vielfach errichten diese Gruppierungen Regierungsstrukturen bzw. errichten sie wieder, inklusive irregulär aufgebauter Gerichte (USDOS 3.3.2017). Seit 2016 hat die Regierung große Gebietsgewinne gemacht, jedoch steht noch beinahe die Hälfte des syrischen Territoriums nicht unter der Kontrolle der syrischen Regierung. Alleine das Gebiet, welches unter kurdischer Kontrolle steht wird auf etwa ein viertel des syrischen Staatsgebietes geschätzt (DS 23.12.2017; vgl. Standard 29.12.2017).

Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz und schiitische Milizen aus dem Irak unterstützen das syrische Regime militärisch, materiell und politisch. Seit 2015 schickte Russland auch Truppen und Ausrüstung nach Syrien und begann außerdem Luftangriffe von syrischen Militärbasen aus durchzuführen. Während Russland hauptsächlich auf von Rebellen kontrollierte Gebiete abgezielt, führt die von den USA geführte internationale Koalition Luftangriffe gegen den IS durch (FH 27.1.2016; vgl. AI 24.2.2016).

Im Norden Syriens gibt es Gebiete, welche unter kurdischer Kontrolle stehen und von den Kurden Rojava genannt werden (Spiegel 16.8.2017). 2011 soll der damalige irakische Präsident Jalal Talabani ein Übereinkommen zwischen der syrischen Regierung, der iranischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), deren Mitglieder die PYD gründeten, vermittelt haben: Im September 2011 stellte der iranische Arm der PKK, die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê - PJAK), ihren bewaffneten Kampf gegen den Iran ein. Etwa zur selben Zeit wurde die PYD in Syrien neu belebt. Informationen zahlreicher Aktivisten zufolge wurden bis zu zweihundert PKK-Kämpfer aus der Türkei und dem Irak sowie Waffen iranischer Provenienz nach Syrien geschmuggelt. Aus diesem Grundstock entwickelten sich die Volksverteidigungseinheiten (YPG). Ausgestattet mit einem bewaffneten Flügel begann die PYD, die kurdische Bevölkerung davon abzuhalten, sich effektiv an der Revolution zu beteiligen. Demonstrationen wurden aufgelöst, Aktivisten festgenommen, Büros des Kurdischen Nationalrats in Syrien, einer Dachorganisation zahlreicher syrisch-kurdischer Parteien, angegriffen. Auf diese Weise musste die syrische Armee keine "zweite Front" in den kurdischen Gebieten eröffnen und konnte sich auf die Niederschlagung der Revolution in anderen Gebieten konzentrieren. Als Gegenleistung zog das Baath-Regime Stück für Stück seine Armee und seinen Geheimdienst aus den überwiegend kurdischen Gebieten zurück. In der zweiten Jahreshälfte 2012 wurden Afrin, Ain al-Arab (Kobanî) und die Dschazira von PYD und YPG übernommen, ohne dass es zu erwähnenswerten militärischen Auseinandersetzungen mit der syrischen Armee gekommen wäre (ES BFA 8.2017). Im März 2016 wurde die Democratic Federation of Northern Syria ausgerufen, die sich über Teile der Provinzen Hassakah, Raqqa und Aleppo und auch über Afrin erstreckte. Afrin steht zwar unter kurdischer Kontrolle, ist jedoch nicht mit dem Rest des kurdischen Gebietes verbunden (ICC 4.5.2017; vgl. IRIN 15.9.2017). Das von der PYD in den kurdischen Gebieten etablierte System wird von der PYD als "demokratische Autonomie" bzw. "demokratischer Konföderalismus" bezeichnet. "Demokratischer Konföderalismus" strebt danach, die lokale Verwaltung durch Räte zu stärken, von Straßen- und Nachbarschaftsräten über Bezirks- und Dorfräte bis hin zu Stadt- und Regionalräten. "Demokratischer Konföderalismus" muss somit als Form der Selbstverwaltung verstanden werden, in der Autonomie organisiert wird. Die Realität sieht allerdings anders aus. Tatsächlich werden in "Rojava" Entscheidungen weder von den zahlreichen (lokalen) Räten getroffen, noch von Salih Muslim und Asya Abdullah in ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der PYD, stattdessen liegt die Macht bei der militärischen Führung im Kandilgebirge, die regelmäßig hochrangige Parteikader nach Syrien entsendet (ES BFA 8.2017 und ICC 4.5.2017). In den kurdischen Gebieten haben die Bürger durch die PYD auch Zugang zu Leistungen, wobei die Partei unter anderem die Bereitstellung von Leistungen nutzt, um ihre Macht zu legitimieren. Die Erbringung öffentlicher Leistungen variiert jedoch. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch wurden Parallelstrukturen geschaffen. In Gebieten in denen die PYD mehr Kontrolle besitzt, bleibt die Macht in der Hand der PYD zentralisiert, trotz den Behauptungen der PYD die Macht auf die lokale Ebene zu dezentralisieren (CHH 8.12.2016).

Noch sind die beiden größeren von Kurden kontrollierten Gebietsteile voneinander getrennt, das Ziel der Kurden ist es jedoch entlang der türkischen Grenze ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen (Spiegel 16.8.2016). Der Ton zwischen Assad und den an der Seite der USA kämpfenden syrischen Kurden hat sich in jüngster Zeit erheblich verschärft. Assad bezeichnete sie zuletzt als "Verräter". Das von kurdischen Kämpfern dominierte Militärbündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) konterte, Assads Regierung entlasse "Terroristen" aus dem Gefängnis, damit diese "das Blut von Syrern jeglicher Couleur vergießen" könnten (Standard 29.12.2017).

Quellen:

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): Syria Country Report, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 22.12.2017

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CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,

https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017

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DS - The Daily Star (23.12.2017): Syria war winds down but tangled map belies conflict ahead,

https://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2017/Dec-23/431317-syria-war-winds-down-but-tangled-map-belies-conflict-ahead.ashx, Zugriff 28.12.2017

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ES BFA - Eva Savelsberg: Der Aufstieg der kurdischen PYD im syrischen Bürgerkrieg (2011 bis 2017) in BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 12.12.2017

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FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/327745/468444_de.html, Zugriff 22.12.2017

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FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Syria, https://www.ecoi.net/local_link/341821/485142_de.html, Zugriff 17.1.2018

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France24 (17.4.2016): Assad's Party wins majority in Syrian election,

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Haaretz (4.6.2014): Landslide Win for Assad in Syria's Presidential Elections,

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ICC - International Crisis Group (4.5.2017): The PKK's Fateful Choice in Northern Syria,

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IRIN - Integrated Regional Information Networks (15.9.2017): The Kurdish struggle in northern Syria, http://www.irinnews.org/analysis/2017/09/15/kurdish-struggle-northern-syria, Zugriff 2.1.2018

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Reuters (13.4.2016): Assad holds parliamentary election as Syrian peace talks resume,

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Spiegel - Spiegel Online (10.8.2016a): Die Fakten zum Krieg in Syrien: 1. Was sind die Ursachen des Konflikts in Syrien?, http://www.spiegel.de/politik/ausland/krieg-in-syrien-alle-wichtigen-fakten-erklaert-endlich-verstaendlich-a-1057039.html#sponfakt=1, Zugriff 22.12.2017

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Spiegel - Spiegel Online (16.8.2016b): Ankara sieht kurdischen Militärerfolg mit Sorge,

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-kurden-traeumen-nach-eroberung-von-manbidsch-von-eigenem-staat-rojava-a-1107785.html, Zugriff 22.12.2017

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Der Standard (29.12.2017): Syrien: USA warnen Assad vor Offensive gegen Kurden,

https://derstandard.at/2000071227330/USA-warnen-Assad-vorOffensive-gegen-Kurden, Zugriff 3.1.2018

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USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (26.4.2017): United States Commission on International Religious Freedom 2017 Annual Report; 2017 Country Reports: USCIRF Recommended Countries of Particular Concern (CPC): Syria, https://www.ecoi.net/file_upload/5250_1494489917_syria-2017.pdf, Zugriff 11.1.2017

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USDOS - US Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices 2015 - Syria, http://www.ecoi.net/local_link/322447/461924_de.html, Zugriff 22.12.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,

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Sicherheitslage

Der im März 2011 begonnene Aufstand gegen das Regime ist in eine komplexe militärische Auseinandersetzung umgeschlagen, die grundsätzlich alle Städte und Regionen betrifft. Nahezu täglich werden landesweit Tote und Verletzte gemeldet. Die staatlichen Strukturen sind in zahlreichen Orten zerfallen und das allgemeine Gewaltrisiko ist sehr hoch (AA 27.12.2017).

Grob gesagt stehen auf der Seite der syrischen Regierung Russland, der Iran, die libanesische Hisbollah und schiitische Milizen, die vom Iran im Irak, in Afghanistan und im Jemen rekrutiert werden. Auf der Seite der diversen Gruppierungen, die zur bewaffneten Opposition bzw. zu den Rebellen gehören, stehen die Türkei, die Golfstaaten, die USA und Jordanien, wobei diese Akteure die Konfliktparteien auf unterschiedliche Arten unterstützen. Zudem sind auch die Kurden in Nordsyrien und der sogenannte Islamische Staat (IS) am Konflikt beteiligt (BBC 7.4.2017).

Mitte September des Jahres 2016 wurde von den USA und Russland, nach monatelangen Gesprächen, eine Waffenruhe ausgehandelt. Diese sollte ermöglichen, dass humanitäre Hilfe die Kampfgebiete erreichen kann; ausserdem sollte den Luftangriffen des syrischen Regimes auf die Opposition Einhalt geboten werden. Die Waffenruhe sollte sieben Tage bestehen und galt für das syrische Regime und die Rebellen, jedoch nicht für die terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" (IS) und Jabhat Fatah ash-Sham (CNN 12.9.2016). Es soll in verschiedenen Gebieten mehr als 300 Verstöße gegen die Waffenruhe gegeben haben. Nach ungefähr einer Woche wurde die Waffenruhe von der syrischen Armee bzw. vom syrischen Regime für beendet erklärt. In dieser Zeit konnten keine humanitären Hilfslieferungen die Kampfgebiete erreichen (Zeit 19.9.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (27.12.2017): Länderinformationen - Syrien:

Reisewarnung,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/syrien-node/syriensicherheit/204278, Zugriff 27.12.2017

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BBC News (7.4.2017): Syria war: a brief guide to who's fighting whom, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-39528673, Zugriff 17.1.2018

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CNN (12.9.2016): Syria ceasefire: Who's Vorheriger SuchbegriffinNächster Suchbegriff, who's out and will this one hold?,

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http://edition.cnn.com/2016/09/12/middleeast/syria-ceasefire-explained/, Zugriff 27.12.2017

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Zeit Online (19.9.2016): Assad erklärt Waffenruhe für beendet, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/syrien-waffenruhe-ende-luftangriffe-usa, Zugriff 27.12.2017Folter und unmenschliche Behandlung

Gebiete unter der Kontrolle des syrischen Regimes

Das Justizsystem Syriens besteht aus mehreren Gerichten, darunter Zivil-, Straf-, Militär-, Sicherheits- und religiöse Gerichte sowie ein Kassationsgericht. Die religiösen Gerichte behandeln das Familien- und Personenstandsrecht und regeln Angelegenheiten wie Eheschließungen, Scheidungen, Erb- und Sorgerecht. Was religiöse Gerichte betrifft, so sind Scharia-Gerichte für sunnitische und schiitische Muslime zuständig. Drusen, Christen und Juden haben ihre eigenen gerichtlichen Strukturen. Für diese Gerichte gibt es auch eigene Berufungsgerichte (SLJ 5.9.2016 und IA 7.2017). Manche Personenstandsgesetze wenden die Scharia unabhängig von der Religionszugehörigkeit der Beteiligten an (USDOS 3.3.2017).

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Behörden sind in der Praxis jedoch oft politischen Einflüssen ausgesetzt. Die Ergebnisse von Fällen mit politischem Kontext scheinen oft schon vorbestimmt zu sein (USDOS 3.3.2017).

Wenn Personen, von denen angenommen wird, dass sie Regierungsgegner sind, vor Gericht gebracht werden, so ist es wahrscheinlich, dass es sich dabei um ein Anti-Terror-Gericht, welches 2012 eingerichtet wurde, oder ein Militärgericht handelt, obwohl es gegen die internationalen Standards für faire Prozesse verstößt, einen Zivilisten vor einem Militärgericht zu verurteilen. Das Anti-Terror-Gericht hält sich in seiner Arbeitsweise nicht an grundlegende Bedingungen einer fairen Gerichtsverhandlung. Manchmal dauern die Verhandlungen nur wenige Minuten und "Geständnisse", welche unter Folter gemacht wurden, werden als Beweismittel akzeptiert. Außerdem wird das Recht auf Rechtsberatung stark eingeschränkt. In Militärgerichten haben Angeklagte kein Recht auf einen Anwalt. Manchmal werden Angeklagte auch nicht über ihr Urteil informiert (AI 17.8.2016; vgl. HRW 2.8.2017). In den ersten zweieinhalb Jahren seit seiner Errichtung soll das Anti-Terror-Gericht mehr als 80.000 Fälle behandelt haben (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (17.8.2016): "It breaks the Human":

Torture, disease and death in Syria's prisons, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1471499119_mde2445082016english.PDF, Zugriff 25.8.2017

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HRW - Human Rights Watch (2.8.2017): Bassel Pays with His Life for Non-Violent Resistance in Syria, https://www.ecoi.net/local_link/344713/475779_en.html, Zugriff 25.8.2017

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IA - International Alert (7.2017): "Most of the Men want to leave": Armed groups, displacement and the gendered webs of vulnerability in Syria,

http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Gender_VulnerabilitySyria_EN_2017.pdf, Zugriff 25.8.2017

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SLJ - Syrian Law Journal (5.9.2016): An Overview of the Syrian Court System,

http://www.syrianlawjournal.com/index.php/overview-syrian-court-system/, Zugriff 25.8.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,

https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 17.8.2017

Gebiete unter kurdischer Kontrolle

Im von der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) kontrollierten Gebiet wurde die "Verfassung von Rojava" erstellt, welche als "sozialer Vertrag" zwischen den Bürgern der kurdischen Gebiete beschrieben wird und eine parlamentarische Demokratie mit Pluralismus und gleichen Rechten für Männer und Frauen vorsieht (BTI 2016). Es wurden Komitees gegründet, die die Erhaltung des "sozialen Friedens" zum Ziel haben und Straftaten unter diesem Gesichtspunkt regeln (FT 23.12.2015). Die von der PYD geführte Verwaltung umfasst neben einer eigenen Polizei auch Gerichte, Gefängnisse, Ministerien und Gesetze. Für die Militärgerichtsbarkeit sind die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) verantwortlich (AI 12.7.2017). Die Erbringung öffentlicher Dienste variiert in den kurdisch kontrollierten Gebieten. In Gebieten, in denen die PYD neben Behörden der Regierung existiert, haben sich zahlreiche Institutionen entwickelt und dadurch Parallelstrukturen geschaffen. Zum Beispiel fordert die PYD die Bevölkerung dazu auf sich bei den Institutionen der PYD zu registrieren, gleichzeitig müssen sich Bürger jedoch auch bei den örtlichen staatlichen Gerichten um offizielle Dokumente bemühen, da Dokumente der PYD vom syrischen Staat nicht anerkannt werden (CHH 8.12.2017).

Quellen:

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AI - Amnesty International (12.7.2017): Further Information on

Urgent Action: 123/17 [MDE 24/6710/2017], https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/zwei-von-drei-aktivisten-wieder-frei, Zugriff 25.8.2017

-

BTI - Bertelsmann Stiftung's Transformation Index (2016): Syria Country Report,

http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Syria.pdf, Zugriff 11.12.2017

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CHH - Chatham House (8.12.2017): Governing Rojava - Layers of Legitimacy in Syria,

https://www.chathamhouse.org/sites/files/chathamhouse/publications/research/2016-12-08-governing-rojava-khalaf.pdf, Zugriff 11.12.2017

-

FT - Financial Times (23.10.2015): Power to the people: a Syrian experiment in democracy,

https://www.ft.com/content/50102294-77fd-11e5-a95a-27d368e1ddf7, Zugriff 11.12.2017

Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen (USDOS 3.3.2017).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste. Der Militärische Nachrichtendienst, der Luftwaffennachrichtendienst und das Direktorat für Politische Sicherheit unterstehen dem Innenministerium. Das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat ist eine alleinstehende Organisation und untersteht direkt dem Präsidenten. Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (USDOS 3.3.2017; vgl. GS 11.2.2017). Die größeren Organisationen haben ihre eigenen Gefängniszellen und Verhörzentren (UK HOME 11.9.2013; vgl. UNHRC 3.2.2016).

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihen an Techniken, um Syrer einzuschüchtern oder sie dazu zu bringen den Vorstellungen der Sicherheitskräfte entsprechend zu handeln. Diese Techniken beinhalten einerseits Angebote von lukrativen und prestigeträchtigen Positionen oder andere Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikane von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, die Androhung von Inhaftierung (ohne Anklage), Verhör und Haftstrafen nach langen Gerichtsverhandlungen. Die bürgerliche Gesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften aber auch andere Gruppen und Individuen müssen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017).

Quellen:

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GS - Global Security (11.2.2017): Syria Intelligence & Security Agencies,

http://www.globalsecurity.org/intell/world/syria/intro.htm, Zugriff 25.8.2017

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UK HOME - UK Home Office (11.9.2013): Syrian Arab Republic Country of Origin Information (COI) Report, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1379488369_syr-cr-2013-09-11-ukhomeoffice.pdf, Zugriff 11.12.2017

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UNHRC - United Nations Human Rights Council (3.2.2016): Out of Sight, Out of Mind: Deaths in Detention in de Syrian Arab Republic, http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A-HRC-31-CRP1_en.pdf, Zugriff 11.12.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Syria,

https://www.ecoi.net/local_link/337226/479990_de.html, Zugriff 11.8.2017

Polizei

Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen von Polizeikräften: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Polizei gegen Unruhen (UK HOME 11.9.2013; vgl. GS 11.2.2017).

Quellen:

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GS - Global Security (11.2.2017): Syria Intelligence & Security Agencies,

http://www.globalsecurity.org/intell/world/syria/intro.htm, Zugriff 25.8.2017

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UK HOME - UK Home Office (11.9.2013): Syrian Arab Republic Country of Origin Information (COI) Report, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1379488369_syr-cr-2013-09-11-ukhomeoffice.pdf, Zugriff am 1.12.2017

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG/YPJ)

Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (FIS 23.8.2016). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig. Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst. Jede Familie ist dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Wird dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, kommt es zu Zwangsrekrutierungen, sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen, oder zu rechtlichen Konsequenzen (KurdWatch 30.6.2016; vgl. SEM 21.12.2015). In Artikel 2 und 3 des Wehrpflichtgesetzes wird zunächst der Personenkreis definiert, auf den sich das Gesetz bezieht. So heißt es in Artikel 2: "Die Pflicht zur Selbstverteidigung ist eine gesellschaftliche und moralische Pflicht der gesamten Bevölkerung. Aufgrund dessen obliegt es jeder in der Region ansässigen Familie, einen Angehörigen für die Ausübung der Pflicht zur Selbstverteidigung zu stellen."

Artikel 3 führt weiter aus: "Die Bestimmungen dieses Gesetzes gelten für alle männlichen Personen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren. Frauen können sich freiwillig zur Selbstverteidigung verpflichten."

Der Wehrdienst beträgt gemäß Artikel 4 sechs Monate, die in der Regel innerhalb von höchstens einem Jahr abzuleisten sind. Laut Artikel 5 sind Personen, deren Familien "einen Märtyrer aus den Reihen der Volksverteidigungseinheiten, des Asayis [Sicherheitsdienstes] oder der kurdischen Volksbefreiungsbewegung zu beklagen haben" sowie Einzelkinder von der Wehrpflicht befreit. Ferner sind Menschen freigestellt, die die Wehrpflicht aus gesundheitlichen Gründen nicht ausüben können, und darüber ein ärztliches Attest vorweisen können (KurdWatch 5.2015).

Das Grundproblem dieses Gesetzes besteht zum einen darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen wurde, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Beim bewaffneten Arm der PYD, den YPG, handelt es sich nicht um eine quasistaatliche Armee, sondern um eine Parteimiliz. Zum anderen sieht das Gesetz keine Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor (KurdWatch 5.2015).

Die YPG unternimmt umfangreiche Rekrutierungskampagnen - auch aufgrund der Schlacht um Raqqa. Die YPG verkündete kürzlich eine Amnestie für Wehrdienstverweigerer, laut welcher diese die zusätzliche Dienstzeit von üblicherweise 3 Monaten, die als Bestrafung definiert ist, nicht ableisten müssen, sondern nur die reguläre Wehrdienstdauer. Berichten zufolge kommt es in den kurdischen Gebieten zu Zwangsrekrutierungen von Männern und Jungen (BFA 8.2017). Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (ES EZKS 3.11.2017).

Während einer Fact Finding Mission der Staatendokumentation des BFA gaben zwei Quellen an, dass es keine Beweise für Zwangsrekrutierungen von Frauen durch die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) gibt, es jedoch einzelne Fälle der Zwangsrekrutierung von Frauen in kleineren lokalen kurdischen Milizen, die gegen den IS kämpfen, geben kann (BFA 8.2017). Laut Eva Savelsberg vom Europäischen Zentrum für Kurdische Studien sind jedoch auch Frauen und Mädchen von Zwangsrekrutierungen betroffen:

KurdWatch und das Europäische Zentrum für Kurdische Studien haben mehrere Fälle recherchiert, in denen minderjährige Mädchen rekrutiert bzw. zwangsrekrutiert wurden. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen kurdische Frauen, die der YPG zunächst freiwillig beitraten, daran gehindert wurden, die YPG wieder zu verlassen (ES EZKS 3.11.2017).

Organisationen wie Human Rights Watch, den Vereinten Nationen und KurdWatch zufolge rekrutiert die YPG sogar Kinder, einige nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen. Nurman Ibrahim Khalifa etwa wurde von der YPG entführt, als sie dreizehn Jahre alt war, und in ein PKK-kontrolliertes Lager in Irakisch-Kurdistan verschleppt. Während ihres Zwangsaufenthaltes dort wurde sie Zeugin, wie eine achtzehnjährige Frau nach mehreren Fluchtversuchen aus dem Lager öffentlich von einer PKK-Funktionärin hingerichtet wurde. Der tote Körper der Frau wurde in den nahe gelegenen Fluss geworfen. Derartige Brutalität ist eher die Regel als die Ausnahme; Zwangsrekrutierungen sind seit ihrer Einführung zu einem der Hauptgründe junger, kurdischer Männer geworden, aus den kurdischen Regionen zu fliehen. Dies trifft nicht auf junge Araber zu: Im Gegensatz zu Kurden sind sie nicht von Zwangsrekrutierungen betroffen. Wenn Araber in den kurdischen Gebieten rekrutiert werden, dann vom syrischen Regime (ES BFA 8.2017).

Die syrische Regierung zog sich 2012 weitgehend aus der Jazira Region im Nordosten Syriens zurück, hat ihre Kontrolle jedoch in zwei urbanen Zentren der Region, Hassakah und Teilen von Qamishli, aufrechterhalten. Die PYD kontrolliert den Großteil der Jazira, abgesehen von diesen beiden urbanen Zentren. Die Regierung hat in der Jazira jedoch noch immer essentielle Machtstrukturen inne, weshalb in dieser Region ein duales Sicherheitsarrangement herrscht. Die administrativen Strukturen der Regierung und der PYD überschneiden sich, zumindest in Bezug auf Überwachung und die Militarisierung der lokalen Bevölkerung. So kann es jungen Männern in der Jazira-Region passieren, dass sie von beiden Seiten zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen werden, weil keine der beiden Gruppierungen die offiziellen Militärdienstdokumente der jeweils anderen anerkennt (BFA 8.2017).

Quellen:

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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