TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/6 95/01/0218

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Veröffentlicht am 06.10.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des am 11. Mai 1970 geborenen M M in L, vertreten durch Dr. Friedrich Staudacher, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Alter Platz 30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 1. Juni 1995, Zl. 4.340.740/5-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der "jugoslawischen Föderation". Er reiste am 28. April 1992 in das Bundesgebiet ein und wurde am 5. Mai 1992 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich niederschriftlich befragt. Bei dieser Befragung gab der Beschwerdeführer an:

"Mein Vater ist Bauer und wohnt an der von mir unter Pkt. 13 angegebenen Adresse. Mutter war Hausfrau und ist 1985 verstorben. Ich besitze keinerlei Barmittel. Seit 1991 war ich Mitglied der demokratischen Union Kosovos. Ich hatte in dieser Partei jedoch keinerlei Funktionen inne.

Ich bin Angehöriger der albanischen Minderheit im ehemaligen Jugoslawien. Ich hatte jedoch vor Ausbruch des Krieges keinerlei Schwierigkeiten und war ich weder aus politischen, noch aus religiösen oder rassistischen Gründen Verfolgungen ausgesetzt. Meine Religion konnte ich immer frei ausüben.

Am 20.4.1992 brachte mir ein Kurier der Militärbehörden eine Einberufung zur serbischen Armee. Ich habe diese jedoch nicht angenommen, sondern zurückgeschickt. Am 23.4.1992 kamen Militärbeamte um mich zu holen. Ich bemerkte ihr Kommen jedoch rechtzeitig und konnte mich noch verstecken. Ich wollte nicht einrücken, weil es im Kosovo nur eine Armee gibt und diese ist serbisch. Ich hätte demnach mit den Serben gegen meine eigenen Landsleute kämpfen müssen. Das möchte ich aber auf keinen Fall. Darum habe ich mich entschlossen, meine Heimat zu verlassen."

Mit Bescheid vom 17. September 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten fest, dass die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A GFK beim Beschwerdeführer nicht zuträfen, er daher nicht Flüchtlingsstatus genieße.

Die dagegen erhobene Berufung, in der der Beschwerdeführer im Wesentlichen sein Vorbringen aus der Ersteinvernahme wiederholte und ergänzend darauf hinwies, er hätte im Falle seiner Einberufung "Reservedienste" in Kroatien und Bosnien zu machen gehabt, wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 25. Mai 1994 abgewiesen und festgestellt, dass Österreich dem Beschwerdeführer kein Asyl gewähre.

Nachdem dieser Bescheid wegen unzutreffender Anwendung des Asylgesetzes 1991 vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 19. Oktober 1994, Zl. 94/01/0547, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden war, wies der Bundesminister für Inneres die (wieder offene) Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 1. Juni 1995 (erneut) gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und stellte fest, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1968 sei. In seiner Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die behauptete Mitgliedschaft zur Demokratischen Union Kosovos und die in seinem Berufungsvorbringen behauptete Teilnahme an Demonstrationen für eine Demokratie im Kosovo könnten für sich allein nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen. Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verwaltungsverfahren nicht dargetan, dass er deswegen Verfolgungshandlungen im Sinne der GFK zu gewärtigen bzw. zu befürchten gehabt hätte. Auch die Einberufung zur Militärdienstleistung stelle keine Verfolgung im Sinne der GFK dar, weil die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei. Die Militärdienstpflicht und deren Sicherstellung durch Strafandrohung stelle eine auf einem originären und souveränen staatlichen Recht beruhende legitime Maßnahme dar, weshalb eine unter Umständen auch strenge Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung als solche nicht als Verfolgung im Sinne der GFK zu qualifizieren sei. Die Beweggründe des Beschwerdeführers, der von ihm geforderten Militärdienstpflicht nicht nachzukommen, seien asylrechtlich insoferne unbeachtlich, als sie für sich noch keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsmotivation des Staates zuließen. Dem Vorbringen seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass mit der Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre. In der jugoslawischen Föderation, somit auch im Kosovo, bestehe grundsätzlich allgemeine Wehrpflicht, wobei nach den gesetzlichen Bestimmungen keine ethnischen Unterschiede vorgesehen seien, also serbische und kosovo-albanische Volksgruppenangehörige gleichermaßen einberufen würden bzw. worden seien. Hinsichtlich der Volksgruppenzugehörigkeit werde bei der Verwendung der einrückenden Wehrpflichtigen grundsätzlich kein Unterschied gemacht. Auch in der Strafverfolgung und -bemessung mache das Gesetz keinen Unterschied hinsichtlich ethnischer Kriterien. Die Zahl der Deserteure und Refraktäre der jugoslawischen Armee gehe in die Zehntausende. Bis "heute" seien - trotz formaler Anklageerhebung - rund 100 Prozesse gegen Deserteure tatsächlich durchgeführt worden. In diesen Urteilen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass ethnische Kriterien beim Strafmaß eine entscheidende Rolle gespielt hätten. Schließlich könne auch die Berufungsbehauptung, der Beschwerdeführer hätte wegen seiner Zugehörigkeit zur albanischen Volksgruppe keine Arbeit bekommen, nicht zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft führen, weil aus seinem Vorbringen kein Vorgehen der Behörden seines Heimatlandes gegen seine Person in Verfolgungsabsicht ableitbar sei. Im Übrigen hätte er dies "sicherlich" bereits im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vorgebracht, zumal er in deren Rahmen ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, alle seine Person betreffenden Gründe, welche ihn zum Verlassen seines Heimatlandes gezwungen hätten, vorzubringen. Überdies stelle das Recht auf Arbeit kein geschütztes Rechtsgut im Sinne der GFK dar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Im vorliegenden Fall ist aus den im hg. Erkenntnis vom 21. September 1994, Zl. 94/01/0511, genannten Gründen das Asylgesetz 1968 anzuwenden.

Auf eine behauptete Mitgliedschaft bei der Demokratischen Union Kosovos und eine Teilnahme an Demonstrationen kommt der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht mehr zu sprechen. Sein Hauptvorbringen richtet sich gegen die Einschätzung der Situation von Refraktären und Deserteuren durch die belangte Behörde.

Der belangten Behörde ist zunächst insoweit beizupflichten, als die Verweigerung der Ableistung des Militärdienstes - sei es durch Nichtbefolgung eines Einberufungsbefehles, sei es durch Desertion - nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein nicht die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling rechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof geht allerdings von einer asylrechtlich relevanten Furcht vor Verfolgung in solchen Fällen aus, in denen die Einberufung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK angeführten Gründe erfolgt, in denen damit gerechnet werden müsste, dass ein Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während des Militärdienstes aus diesen Gründen im Vergleich zu Angehörigen anderer Gruppierungen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichender Weise benachteiligt würde, oder in denen davon auszugehen ist, dass dem Asylwerber aus diesen Gründen eine - im Vergleich zu anderen Staatsangehörigen - härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung droht (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377, Slg. Nr. 14089/A).

Die belangte Behörde befasste sich in ihrem Bescheid im Lichte der Judikatur (insbesondere des obzitierten hg. Erkenntnisses eines verstärkten Senates), wenn auch in knappster Form, mit der Praxis der Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Einberufung von Wehrpflichtigen albanischer Nationalität als auch hinsichtlich der Bestrafung albanischer Wehrdienstverweigerer jeweils im Vergleich mit Angehörigen anderer Volksgruppen. Die belangte Behörde erkannte somit zutreffend den möglichen Zusammenhang zwischen der Einberufung des Beschwerdeführers und seiner Zugehörigkeit zur Minderheit der Kosovo-Albaner, sie verneinte jedoch (auf der Sachverhaltsebene) eine Schlechterstellung der Angehörigen der albanischen Minderheit gegenüber Angehörigen der serbischen Bevölkerungsgruppe.

Demgegenüber brachte der Beschwerdeführer in seinen Beschwerdeausführungen, ohne auf die erwähnten Ausführungen der belangten Behörde konkret einzugehen und offen zu legen, welche Hinweise für eine diskriminierende Bestrafungspraxis es gebe, dass er als Kosovo-Albaner gerade auf Grund seiner Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe im Vergleich zu "serbisch stämmigen Wehrdienstverweigerern" wesentlich massivere Strafen zu gewärtigen hätte. Es kann somit dahin gestellt bleiben, ob die belangte Behörde angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren überhaupt gehalten war, ihm zur Bestrafungspraxis der jugoslawischen Behörden Parteiengehör einzuräumen, weil das Beschwerdevorbringen nicht geeignet wäre, die Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels aufzuzeigen.

Den Ausführungen des angefochtenen Bescheides, wonach die Unmöglichkeit, als Angehöriger der albanischen Bevölkerungsgruppe Arbeit zu bekommen, für sich nicht zur Anerkennung als Flüchtling führen könne, hält der Beschwerdeführer entgegen, er sei im Laufe des Verwaltungsverfahrens gar nicht danach gefragt worden, ob es konkrete gegen ihn gerichtete Maßnahmen der jugoslawischen Behörden gegeben hätte. Auch mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer jedoch keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es nicht Sache der Asylbehörden, ohne entsprechendes Vorbringen eines Asylwerbers Nachforschungen über Umstände anzustellen, aus denen sich allenfalls Verfolgungsgefahr herleiten ließe. In seiner Berufung hatte der Beschwerdeführer nur vorgebracht, nach Ableistung seines Militärdienstes versucht zu haben, in seinem "erlernten Fach Textil eine Arbeit zu bekommen". "Diese" sei ihm aber verweigert worden, weil er zur albansichen Minderheit gehöre; aus demselben Grund habe er keine Arbeit finden können. Diesem Vorbringen ist, wie die belangte Behörde zutreffend ausführte, keine Maßnahme von Seiten des jugoslawischen Staates zu entnehmen, die auf einen Entzug der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Beschwerdeführers hinausliefe. Nur eine solche wäre aber nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes asylrelevant (vgl. zuletzt z.B. das hg. Erkenntnis vom 13. Mai 1998, Zl. 97/01/0099).

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1995010218.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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