TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/6 99/01/0127

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Veröffentlicht am 06.10.1999
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des BM in K, geboren am 9. September 1977, vertreten durch Dr. Norbert Lehner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Dezember 1998, Zl. 200.670/0-IV/11/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Bundesrepublik Jugoslawien", der am 19. Oktober 1997 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 21. Oktober 1997 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 6. November 1997 niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab er an, er stamme aus Gladno Selo, Bezirk Glogovac, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens.

Die Behörde erster Instanz gab sein damaliges Vorbringen in ihrem den Asylantrag abweisenden Bescheid vom 6. November 1997 folgendenermaßen wieder:

"Ihr Vater wäre Buchhalter in einer Schule von Glogocve gewesen. 1991 wären alle albanisch-stämmigen Schüler von den Schulen entfernt worden, in den von albanisch-stämmigen Schülern besuchten Schulen wären aus Kroatien und Bosnien stammende Flüchtlinge einquartiert worden.

Ihren Vater habe man daraufhin 1992 malträtiert und hätte man von ihm die Herausgabe diverser Unterlagen bzw. des Schulsiegels begehrt.

In weiterer Folge habe man Ihren Vater immer wieder drangsaliert und ihn zur Herausgabe der Unterlagen gedrängt. Nachdem er massiv gefoltert worden sei habe man ihn entlassen, er wäre krank gewesen. Er hätte dann nicht mehr daheim bleiben können, deshalb wäre er geflüchtet, seither wüssten Sie nicht, wo er sich aufhält.

1993 wäre Ihr Großvater von der Polizei mitgenommen worden und hätte man ihn gefragt, wo der Vater sei. Da der Großvater alt sei wäre er entlassen worden und hätte man Sie festgenommen und Sie wieder hinsichtlich des Verbleibs der Dokumente gefragt.

Sie wären zwei Wochen festgehalten worden, dann habe man Ihnen aufgetragen, den Vater ausfindig zu machen.

Da Sie das nicht tun hätten können, wären Sie geflüchtet. Nachdem Sie aber erfahren hätten, dass man anstatt Ihnen Ihren Bruder in Haft genommen hätte, hätten Sie sich bei der Polizei wieder gemeldet, wo Sie misshandelt worden seien.

In weiterer Folge wären Sie entlassen worden und hätte man Ihnen aufgetragen dann wiederzukommen, wenn Sie die Dokumente hätten.

In weiterer Folge sei die Polizei jedes Monat gekommen und habe das Haus durchsucht.

1996 hätten Sie ein kleines Geschäft aufgemacht, welches Sie aber auf Anordnung der Polizei 1997 zusperren hätten müssen. Man habe Ihnen nämlich vorgeworfen, dass Sie dazu keine Berechtigung hätten und hätten Sie auch noch nicht gesagt wo sich Ihr Vater befinde.

In weiterer Folge hätten Sie dann studieren wollen. Am 1.10.1997 wäre es in Pristina zu studentischen Demonstrationen gekommen, um die beschlagnahmten Schulgebäude wieder für die kosovo-albanische Bevölkerung zurückzuerhalten.

Gemeinsam mit einer Gruppe von Studenten hätten Sie von Ihrem Wohnort aus nach Pristina fahren sollen, wo die Demonstrationen stattgefunden hätten.

Sie hätten sodann an der Protestveranstaltung teilgenommen, welche von der Polizei gefilmt und hernach aufgelöst worden sei.

Drei Tage später hätten Sie von Verwandten erfahren, dass alle diejenigen, die von den Kameras gefilmt worden seien, gesucht würden. Aufgrund dieses Umstandes wären Sie zu Verwandten geflüchtet. Dort hätten Sie erfahren, dass die Polizei das Wohnhaus der Familie durchsucht und verschiedene Dokumente beschlagnahmt hätte.

Die Polizei hätte außerdem ein Schriftstück hinterlegt, wonach Sie sich bei der Polizei melden sollten. Aus Furcht vor weiteren Repressionen hätten Sie sich daher entschlossen das Land zu verlassen."

Die Behörde erster Instanz begründete ihre Entscheidung u. a. damit, dass alle vom Beschwerdeführer bis zur Schließung seines Geschäftes genannten Ereignisse nicht mehr asylrelevant seien, weil den weiteren Angaben des Beschwerdeführers klar zu entnehmen sei, dass dieselben nicht auslösendes Element für die am 17. Oktober 1997 begonnene Flucht gewesen seien, sondern ein in keinem Zusammenhang mit den vorangehenden Ereignissen stehender Sachverhalt, nämlich die am 1. Oktober 1997 stattgefundene auch internationale Großdemonstration der Grund für die Flucht gewesen sei.

Den im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Demonstration vom 1. Oktober 1997 dem Beschwerdeführer widerfahrenen Ereignissen käme

- sowohl im Falle der Glaubwürdigkeit der Angaben als auch der Unglaubwürdigkeit - keine Asylrelevanz zu. Der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention - GFK.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor:

"Ich berufe wegen Verfahrensmängel und unrichtiger Beurteilung. Mein kleines Geschäft wurde im März 97 durch die serbische Polizei geschlossen, was die Lebenssituation sehr beeinträchtigt hat und ein Verstoß gegen Art. 23 MRK ist. Anschließend begann ich zu studieren. Am 1. Oktober nahm ich mit anderen in Prishtine an der friedlichen Demonstration der Studenten teil, die gewaltsam aufgelöst wurde. Offensichtlich war ich erkannt worden, weil die Polizei hernach nach mir suchte und auch eine Ladung hinterließ. Ich werde mich bemühen, die Ladung nachzubekommen. Ich musste daher begründete Furcht haben, festgenommen, misshandelt, angeklagt und verurteilt zu werden. Aus diesem Grund bin ich geflohen."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22. Dezember 1998 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab. Sie erhob die vom Bundesasylamt in dessen Bescheid "richtig und vollständig" wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner niederschriftlichen Vernehmung zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Nach Wiedergabe des Inhaltes der Berufung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen stellte die belangte Behörde folgenden Sachverhalt fest:

"Der Vater des Asylwerbers war Buchhalter in einer Schule in Glogovc. Im Jahre 1992 ist er von der serbischen Polizei misshandelt worden. Man hat von ihm Schulsiegel und sonstige Dokumente verlangt. Nachdem der Vater geflüchtet war, wurde der Großvater des Asylwerbers von der Polizei mitgenommen und befragt, wo der Vater des Asylwerbers sei. Im Jahre 1993 ist dann nicht mehr der Großvater, sondern der Asylwerber selbst von der Polizei mitgenommen und verhört worden. Der Asylwerber wurde zwei Wochen lang festgehalten und nach dem Aufenthaltsort seines Vaters befragt. Danach ist er mit dem Auftrag, seinen Vater ausfindig zu machen, entlassen worden. Nach zwei Wochen ist der Asylwerber wieder zur Polizei gegangen, wo man ihm gesagt hat, dass er die Dokumente bringen müsse, ansonsten würde er nicht mehr von der Polizei wegkommen. Danach ging der Asylwerber von zu Hause weg. Daraufhin wurde der Bruder des Asylwerbers von der Polizei mitgenommen und diesem gesagt, dass er so lange nicht entlassen werde, bis der Asylwerber oder sein Vater erscheine. Als der Asylwerber dies erfahren hatte, ist er zur Polizei gegangen. Dort ist er misshandelt und befragt worden, warum er geflüchtet sei. Der Asylwerber sagte, dass er bei Freunden des Vaters aufhältig gewesen sei, um dort die Dokumente zu suchen, er habe diese jedoch nicht gefunden. Die Polizei sagte daraufhin, er solle nach Hause gehen und wiederkommen, sobald er die Dokumente hätte. In der Folge ist laufend die Polizei zum Asylwerber nach Hause gekommen und hat das Haus durchsucht. 1996 hat der Asylwerber ein kleines Geschäft aufgemacht. Im Jahre 1997 ist die Polizei gekommen und hat ihm das Geschäft zugesperrt. Dabei ist ihm vorgeworfen worden, dass er noch nicht gesagt habe, wo der Vater aufhältig sei, und er außerdem nicht die Befugnis habe, eine Werkstatt zu betreiben. Darauhin ließ sich der Asylwerber in einer Hochschule für Techniker in Mitrovica eintragen. Dort wurden Proteste organisiert, um wieder die beschlagnahmten Schulen zu bekommen. So ist es am 01.01.1997 zu Protesten in Mitrovica gekommen. Nachdem sie gehört hatten, dass es auch in Pristina zu Demonstrationen gekommen ist, sind die Studenten nach Pristina gefahren, wobei der Asylwerber als eine Art Gruppenführer eingeteilt wurde, weil er sich in Pristina auskennt. Die Polizei hat die Demonstration gewaltsam aufgelöst. Der Asylwerber ist in ein Privathaus geflüchtet und ist sodann nach Glogovc zurückgegangen. Nach drei Tagen hat der Asylwerber von Verwandten in der Stadt gehört, dass alle diejenigen gesucht würden, die bei der Demonstration fotografiert worden sind. Daraufhin begab sich der Asylwerber zu Verwandten. Nach etwa fünf oder sechs Tagen kam die Polizei in sein Haus und durchsuchte dieses. Dabei fanden sie den Studentenindex des Asylwerbers sowie eine andere Dokumente, wie den Staatsbürgerschaftsnachweis, ärztliche Bestätigungen, etc. Die Polizei hinterließ ein Schreiben, dass er sich melden solle. Die Polizei sagte zu seiner Mutter, dass man ihm den Kopf abschneiden werde, wenn er nicht käme. Als der Großvater sagte, wieso wollt ihr ihn umbringen, bekam er einen Faustschlag. Der Asylwerber ist wieder zu Verwandten gegangen, bis diese eine Verbindung fanden, damit er sein Heimatland verlassen konnte. Schließlich hat er am 17.10.1997 sein Heimatland verlassen."

Dieser Sachverhalt ergebe sich aus dem diesbezüglich glaubwürdigen Vorbringen des Asylwerbers. Hingegen sei nicht glaubwürdig, dass die Polizei im Haus des Asylwerbers eine Telefonüberwachung durchführe und dass er eine Ladung zur Untersuchungshaft bekommen habe.

In rechtlicher Sicht sprach die belangte Behörde den Vorfällen "aus dem Jahr 1992 und 1993" den zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise ab. Im Übrigen seien die Repressionen gegen den Beschwerdeführer darauf gerichtet gewesen, den Aufenthaltsort seines Vaters zu erfahren. Dies zeige sich auch daran, dass die Polizei laufend Durchsuchungen des Elternhauses des Beschwerdeführers durchgeführt habe, der Beschwerdeführer jedoch keine Übergriffe im Zuge dieser Hausdurchsuchungen dargetan habe. Die Sperre des von ihm 1996 eröffneten Geschäftes im Jahr 1997 durch die Behörden seines Heimatstaates sei deshalb nicht von asylrechtlicher Relevanz, als er u.a. selbst dargetan habe, dass die Sperre mangels Befugnis, ein solches Geschäft zu betreiben, erfolgt sei. Er habe auch nicht dargetan, dass ihm hiedurch die Lebensgrundlage entzogen worden sei. Auch die Vorfälle anlässlich der Teilnahme des Beschwerdeführers an der Demonstration am 1. Oktober 1997 seien nicht geeignet, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen. Dem Beschwerdeführer komme die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 - AsylG - nicht zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der belangten Behörde kann nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, dass sie die im Gefolge der Suche der Behörden seines Heimatstaates nach seinem Vater in den Jahren 1992 und danach dem Beschwerdeführer widerfahrenen Ereignisse als nicht im Zusammenhang mit dem fluchtauslösenden Ereignis angesehen habe. Denn einerseits zielten sie auf die Ausforschung des Vaters des Beschwerdeführers, andererseits endeten diese Nachforschungen nach den Beschwerdeangaben offenbar spätestens im Jahre 1995.

Im Übrigen hat der Beschwerdeführer in der Berufung gegen die bereits im Bescheid der Behörde erster Instanz enthaltene Ansicht, die genannten Ereignisse seien nicht im Zusammenhang mit der Flucht des Beschwerdeführers zu sehen, kein Gegenvorbringen erstattet und nur auf die Ereignisse der Schließung seines Geschäftes im März 1997 Bezug genommen.

Auch die Ansicht der belangten Behörde, die Schließung des Geschäftes könne die Flüchtlingseigenschaft nicht begründen, ist nicht rechtswidrig. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, die Schließung sei auch deshalb erfolgt, weil er "nicht die Befugnis" habe, "eine Werkstatt zu betreiben", hat er nicht behauptet, dass seine wirtschaftliche Existenz durch die Schließung des Geschäftes bedroht gewesen sei; er gab im Gegenteil an, in der Folge ein Studium begonnen zu haben. Das neue Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde, der Grund der Schließung des Geschäftes sei eine Schikane der Behörde gegenüber der albanischen Minderheit, da der Beschwerdeführer um alle Bewilligungen eingekommen sei, unterliegt mangels eines entsprechenden Vorbringens im Verwaltungsverfahren dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltenden Neuerungsverbot des § 42 Abs. 1 VwGG.

Dass die belangte Behörde dem Vorbringen anlässlich der Ersteinvernahme, er habe im Gefolge der gewaltsamen Auflösung der Studentendemonstration vom 1. Oktober 1997 und der bei ihm daheim vorgenommenen Hausdurchsuchung eine Ladung bekommen, wonach er in Untersuchungshaft genommen werde, die Glaubwürdigkeit aberkannt hat und dies u.a. mit der (im Wesentlichen unbegründet) unterlassenen Vorlage der Ladung trotz Ankündigung in der Berufung, er werde sich bemühen, die Ladung nachzubekommen, begründete, kann vom Verwaltungsgerichtshof schon deshalb nicht als unschlüssig erkannt werden, weil der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerde nur von einem "schriftlichen Befehl, dass sich der Beschwerdeführer stellen solle," der serbischen Polizei spricht. Zudem nennt er keine Gründe, durch welche er gehindert gewesen sei, die Ladung der Behörde nachreichen zu können. Damit ist aber nicht nachvollziehbar, dass es eine Ladung des vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren behaupteten Inhaltes überhaupt gegeben hat. Die belangte Behörde ging daher zu Recht bloß davon aus, die Polizei habe bei der Hausdurchsuchung nur ein Schreiben hinterlassen, dass sich der Beschwerdeführer bei der Polizei melden solle. Die gewaltsame Auflösung einer Demonstration, eine aus Anlass der Suche nach dem Beschwerdeführer als Demonstrationsteilnehmer erfolgte Hausdurchsuchung und die Hinterlassung einer Ladung zur Stellung begründen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1997, Zl. 95/01/0227, und vom 23. September 1998, Z. 98/01/0224). Die belangte Behörde handelte nicht rechtswidrig, dass sie wegen des Fehlens von Anhaltspunkten dafür, dass ein besonderes Interesse der Behörden an seiner Person, "etwa auf Grund einer politischen Betätigung", bestehe, keine besondere Gefährdung des Asylwerbers sah. Damit hat die belangte Behörde auch erkennbar dargelegt, dass sie die der anlässlich der Hausdurchsuchung gemachten Äußerung eines Polizisten, der Beschwerdeführer werde umgebracht, keine ernsthafte Bedeutung beimaß.

Hingegen widerspricht das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe Demonstrationen mitorganisiert und "insoweit politisch die albanische Minderheit vertreten", seinem eigenen Vorbringen, nach welchem er nur wegen seiner Ortskenntnisse in Pristina "als Art Gruppenführer" einer der zwei Gruppen der Studenten aus Mitrovica "eingeteilt" worden sei und sich die Studentengruppen aus Mitrovica in Pristina anderen Studentengruppen angeschlossen hätten. Von einer "Mitorganisation" im Sinne politischer Betätigung kann daher keine Rede sein. Zu dem hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren lediglich die Teilnahme an der einen Demonstration am 1. Oktober 1997 behauptet und nicht - wie nun in der Beschwerde - die Mitorganisation und Teilnahme an (mehreren) "Demonstrationen". Dass sich der Beschwerdeführer politisch aktiv betätigt hätte, hat er im Verwaltungsverfahren nicht behauptet.

Allerdings gelangt die Beschwerde aus anderen Gründen zum Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipratouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Djakovica erstreckten, wobei im September 1998 eine weitere gebietsmäßige Ausdehnung in Richtung Nordosten (Region Podujevo, Kosovska Mitrovica und Vucitrn) sowie Richtung Suha Reka erfolgte.

Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN). Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region bzw. aus einem angrenzenden Gebiet kommt, auf das eine Ausweitung der Aktionen nicht auszuschließen ist, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 96 wiedergegebene hg. Rechtsprechung) zu § 45 Abs. 1 AVG). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte.

Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Ort im Bereich des von den Vorgängen bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides betroffenen Gebietes. Es ist daher offensichtlich, dass die belangte Behörde, hätte sie auf die genannten Vorfälle ab 28. Februar 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht genommen, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287), zumal die Entspannung im Gefolge an den UN-Sicherheitsratsbeschluss 1199 vom 23. September 1998 hiezu keine wesentliche Änderung der Umstände mit sich gebracht hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. September 1999, Zl. 99/01/0126 und vom heutigen Tag, Zl. 99/01/0057, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Oktober 1999

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1999010127.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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