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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art133 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, den Hofrat Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg in 2100 Korneuburg, Bankmannring 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. September 2017, Zl. LVwG-S-1928/001-2017, betreffend Übertretung nach dem LMSVG (mitbeteiligte Partei: D P in D, vertreten durch Stapf Neuhauser Rechtsanwälte OG in 1010 Wien, Eßlinggasse 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Revisionsbeantwortung der S Gesellschaft m.b.H. wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Partei (die belangte Behörde im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht) hat den Mitbeteiligten mit Straferkenntnis vom 25. Juli 2017 der Übertretung des § 90 Abs. 1 Z 1 iVm § 5 Abs. 2 Z 1 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes (LMSVG) für schuldig erkannt und wegen dieser Verwaltungsübertretung über ihn eine Geldstrafe von EUR 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 6 Stunden) verhängt, wobei das Tatverhalten zur Tatzeit 24. August 2016 am Tatort in G. folgendermaßen umschrieben wurde (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Sie haben als verantwortlicher Beauftragter der S Gesellschaft m.b.H. mit dem Sitz in W. zu verantworten, dass diese Gesellschaft folgende Verwaltungsübertretung begangen hat:
Durch die S Gesellschaft m.b.H. wurden vom Standort G. aus 70 Stück des Lebensmittels mit der Bezeichnung 'Jausen Platte' am 19. August 2016 an die M Warenhandels-Aktiengesellschaft (Bezeichnung des Standorts in W.) zu Verkaufszwecken weitergegeben.
Eine Begutachtung dieses Lebensmittels durch die M. hat folgendes ergeben:
,Die vorliegende laut Begleitschreiben als 'Jausen Platte' bezeichnete Lebensmittelprobe unterliegt als verpackte Ware den Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel.
Folgende verpflichtende Angabe ist mangelhaft deklariert:
Die Aufbewahrungs- oder Verwendungsbedingungen gemäß Artikel 25:
Das vorliegende Lebensmittel erfordert die Einhaltung besonderer Aufbewahrungsbedingungen sowohl vor als auch nach dem Öffnen. Die Angabe von zwei widersprüchlichen Aufbewahrungsbedingungen lässt den Verbraucher über die tatsächlich erforderlichen Lagerbedingungen im Unklaren: 'Lagerung bei Zimmertemperatur bis 22 Grad C' und 'nach dem Kauf gekühlt bei +4 Grad C bis +8 Grad C aufbewahren'.
Weiters sind die Aufbewahrungsbedingungen nach dem Öffnen nicht eindeutig angeführt.
Die vorliegende Deklaration der Lagerbedingungen stellt somit eine im Sinne des § 5 Abs. 2 Z 1 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes - LMSVG idgF zur Irreführung geeignete Angabe über die Eigenschaften des Lebensmittels dar.'
Die S Gesellschaft m.b.H. hat somit ein Lebensmittel, das mit irreführenden Angaben in Bezug auf dessen Haltbarkeit versehen ist, in Verkehr gebracht."
2 Das Verwaltungsgericht hat der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde stattgegeben, den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt. Die Revision hat es als unzulässig erklärt.
3 Nach der auf den Spruch des Straferkenntnisses der belangten Behörde Bezug nehmenden Begründung des angefochtenen Erkenntnisses sei aufgrund der Qualifikation als Begehungsdelikt - das Verwaltungsgericht stellt dabei offenkundig auf das "Inverkehrbringen" ab - nicht der von der belangten Behörde angegebene Tatort in G., sondern der Ort der Anlieferung an die Filiale der M. Warenhandels-AG in W. als Tatort heranzuziehen. Dies habe zur Folge, dass das behördliche Straferkenntnis durch eine örtlich unzuständige Behörde erlassen worden sei. Es sei "daher aus den genannten Gründen" spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision der belangten Behörde.
5 Der Mitbeteiligte erstattete - im gemeinsamen Schriftsatz mit der S Gesellschaft m.b.H. - eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
6 § 3 Z 9 des Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetzes (LMSVG), BGBl. I Nr. 13/2006, in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. I Nr. 67/2014, lautet:
"Begriffsbestimmungen
§ 3. Für dieses Bundesgesetz gelten folgende Begriffsbestimmungen:
...
9. Inverkehrbringen: Inverkehrbringen gemäß Art. 3 Z 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002. ..."
7 Art. 3 Z 8 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 lautet:
"Artikel 3
Sonstige Definitionen
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
...
8. 'Inverkehrbringen' das Bereithalten von Lebensmitteln
oder Futtermitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, gleichgültig, ob unentgeltlich oder nicht, sowie den Verkauf, den Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst;
..."
8 § 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 (LMG 1975), BGBl. Nr. 86/1975, lautete bis zu seiner Aufhebung durch das LMSVG
in seiner Stammfassung folgendermaßen:
"I. ABSCHNITT
Anwendungsbereich
Tätigkeiten
§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz ist auf das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten, Zusatzstoffen, kosmetischen Mitteln und Gebrauchsgegenständen anzuwenden.
(2) Unter Inverkehrbringen ist das Gewinnen, Herstellen, Behandeln, Einführen, Lagern, Verpacken, Bezeichnen, Feilhalten, Ankündigen, Werben, Verkaufen, jedes sonstige Überlassen und das Verwenden für andere zu verstehen, sofern es zu Erwerbszwecken oder für Zwecke der Gemeinschaftsversorgung geschieht. Bei Beurteilung einer Ware (Abs. 1) ist jedoch auch zu berücksichtigen, ob sich ihre etwaige dem Gesetz nicht entsprechende Beschaffenheit bloß aus der Besonderheit jener Phase des Inverkehrbringens ergibt, aus der sie stammt. Ein Inverkehrbringen liegt nicht vor, wenn sichergestellt ist, daß die Ware (Abs. 1) in ihrer dem Gesetz nicht entsprechenden Beschaffenheit nicht zum Verbraucher gelangt."
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit unter anderem eine Abweichung des gegenständlich angefochtenen Erkenntnisses von näher dargestellter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Tatort beim "Inverkehrbringen" von Lebensmitteln vor.
10 Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig und auch begründet.
11 Das Verwaltungsgericht hat zunächst zutreffend ausgeführt, dass es sich beim "Inverkehrbringen von Lebensmitteln", die in näher zu bezeichnender Weise den Vorschriften nicht entsprechen, um ein Begehungsdelikt handelt (vgl. VwGH 21.10.2010, 2010/10/0144; 14.6.2012, 2009/10/0080; sowie zum Inverkehrbringen nach dem LMG 1975 VwGH 9.3.1998, 97/10/0232; 25.2.2003, 2001/10/0257).
12 Tatort ist der Ort, wo das Lebensmittel in Verkehr gebracht wurde (vgl. etwa VwGH 16.12.1996, 93/10/0180; und wiederum 9.3.1998, 97/10/0232; 25.2.2003, 2001/10/0257).
13 Im Fall der Lieferung durch einen Erzeugungs- oder Handelsbetrieb wird die Verwaltungsübertretung am Sitz dieses Betriebes in dem Augenblick begangen, in dem die Ware expediert wird (VwGH 30.6.1997, 97/10/0045, mwN). Korrespondierend zum Tatzeitpunkt ist Tatort der Ort, von dem aus das Lebensmittel ausgeliefert wird.
14 Ausgehend vom Spruch des Straferkenntnisses wurde dem Mitbeteiligten als verantwortlichem Beauftragten der S Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in W. das Inverkehrbringen der beanstandeten Lebensmittel durch die Weitergabe vom Firmenstandort in G. an die M Warenhandels-Aktiengesellschaft in W. zu Verkaufszwecken zur Last gelegt.
15 Abweichend von der dargestellten Judikatur ging das Verwaltungsgericht davon aus, der Ort der Anlieferung an die Filiale der M Warenhandels-Aktiengesellschaft in W. sei als Tatort zu behandeln und verneinte daher zu Unrecht die Zuständigkeit der belangten Behörde.
16 Der Auffassung des Mitbeteiligten, die Begriffsbestimmung des "Inverkehrbringens" des § 3 Z 9 LMSVG verlange im Hinblick auf die Formulierung "Verkauf oder andere Formen der Weitergabe" eine körperliche Übergabe und sei daher enger zu sehen als jene des § 1 Abs. 2 LMG 1975, zu dem die in der Revision zitierte Judikatur ergangen sei, kann nicht beigepflichtet werden. Es ist nämlich anhand der Formulierungen nicht zu erkennen und wird auch vom Mitbeteiligten nicht dargetan, inwiefern zwischen "Weitergabe" und "sonstiges Überlassen" hinsichtlich des vom Mitbeteiligten als erforderlich angenommenen Aspekts der körperlichen Übergabe ein Unterschied bestehen sollte.
17 Eine Begründung, weshalb das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war, enthält das angefochtene Erkenntnis nicht. Insofern ist es auch diesbezüglich, weil der Verwaltungsgerichtshof insoweit an der Überprüfung des angefochtenen Erkenntnisses iSd § 41 VwGG gehindert ist, rechtswidrig (vgl. VwGH 22.2.2017, Ra 2015/17/0059). Aufgrund der fehlenden Begründung ist auch nicht ersichtlich, weshalb das Verwaltungsgericht - bei Zugrundelegung seiner Auffassung der Unzuständigkeit der belangten Behörde - daran gehindert gewesen wäre, die Befassung der seiner Meinung nach zuständigen Strafbehörde zu veranlassen (vgl. zu dieser Pflicht VwGH 15.12.1995, 95/11/0267).
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
19 Parteien im Verfahren über eine Revision gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts wegen Rechtswidrigkeit gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG sind neben dem Revisionswerber und - in den Fällen des § 22 zweiter Satz VwGG - dem zuständigen Bundesminister oder der Landesregierung gemäß § 21 Abs. 1 Z 4 VwGG die Personen, die durch eine Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder eine Entscheidung in der Sache selbst in ihren rechtlichen Interessen berührt werden (Mitbeteiligte).
20 Die Zurückweisung der Revisionsbeantwortung der S Gesellschaft m.b.H. beruht darauf, dass diese Gesellschaft zu keinem Zeitpunkt dem Strafverfahren gegen ihren verantwortlichen Beauftragten als Partei beigezogen und ihr gegenüber kein Haftungsausspruch erlassen wurde. In Ermangelung eines für den Eintritt der Haftung der Gesellschaft iSd § 9 Abs. 7 VStG erforderlichen Haftungsausspruchs im Spruch des Straferkenntnisses (vgl. VwGH 24.11.2010, 2009/08/0039; 19.12.2016, Ra 2015/08/0067) kommt verfahrensgegenständlich eine Berührung der rechtlichen Interessen der S Gesellschaft m.b.H nicht in Betracht.
Wien, am 24. Oktober 2018
Schlagworte
"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff TatortBesondere Rechtsgebiete"Die als erwiesen angenommene Tat" Begriff TatzeitIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2017100198.L00Im RIS seit
27.11.2018Zuletzt aktualisiert am
25.04.2019