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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des FK in W, geboren am 17. September 1973, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. November 1998, Zl. 201.763/1-IV/10/98, betreffend 1.) Asylgewährung und
2.) Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei. Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt 1.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, in seinem Spruchpunkt 2.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Bundesrepublik Jugoslawien", der am 27. Jänner 1998 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 28. Jänner 1998 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 30. Jänner 1998 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab er an, er stamme aus dem Kosovo, gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei moslemischen Glaubens. Er habe zuletzt in Grebnik (in der Nähe von Klina) gewohnt. Er wies unter anderem durch Vorlage von Berichten des Council for the Defence of Human Rights and Freedom in Pristina auf die allgemeine Lage der Albaner im Kosovo hin. Die Behörde erster Instanz wies den Asylantrag mit dem Bescheid vom 6. Mai 1998 mit der Begründung ab, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatstaat keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zu befürchten habe und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers zulässig sei.
In der dagegen erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer neuerlich darauf hin, dass er aus der Krisenregion um Klina stamme.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 5. November 1998 (Datum der mündlichen Verkündung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung) wies die belangte Behörde die Berufung mit Spruchpunkt 1.) ab und stellte mit Spruchpunkt 2.) fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die "Bundesrepublik Jugoslawien" zulässig sei. Sie begründete den Bescheid zu 1.) damit, dass unter Prüfung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht worden sei, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention drohe, weshalb ihm kein Asyl zu gewähren sei. Die belangte Behörde sprach den Angaben des Beschwerdeführers jedenfalls zu seinem letzten Wohnort im Heimatland die Glaubwürdigkeit nicht ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Wenngleich die Beschwerdeausführungen sich unrichtigerweise auf den Zeitpunkt 19. Jänner 1999 beziehen (Datum der schriftlichen Ausfertigung des zuvor mündlich verkündeten Bescheides), führt das in der Beschwerde wiederholte Vorbringen zur Situation aller Albaner im Gebiet des letzten Wohnortes des Beschwerdeführers in seiner Heimat die Beschwerde auch bezüglich des Bescheiderlassungszeitpunktes 5. November 1998 aus folgenden Gründen zum Erfolg.
Es kann im gegenständlichen Fall dahingestellt bleiben, ob die dem Beschwerdeführer individuell widerfahrenen Ereignisse vor seiner Ausreise ausreichten, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu begründen.
Denn der Verwaltungsgerichtshof sieht es insbesondere aufgrund von Medienberichten als notorisch an, dass mit der Reaktion serbischer Sonderpolizei auf einen Überfall auf eine reguläre Polizeipatrouille durch "albanische Separatisten" am 28. Februar 1998 eine neue Stufe der (bewaffneten) Auseinandersetzungen im Kosovo begonnen hat. Diese Auseinandersetzungen gehen auch mit vermehrten Übergriffen insbesondere auf die albanische Zivilbevölkerung einher. Es ist gleichfalls allgemein bekannt, dass sich die Kampfhandlungen und die damit verbundenen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung bis zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides" nicht auf das gesamte Gebiet des Kosovo erstreckten, sondern sich im Wesentlichen auf das Gebiet Zentralkosovo (Region Drenica bzw. "Drenicadreieck", wobei sich die Vorfälle von Srbica und Logovac bis Klina ausgedehnt haben) sowie westlich davon auf die Verwaltungsbezirke an der albanischen Grenze, vor allem Decani und Diakovica erstreckten, wobei eine gebietsmäßige Ausdehnung der Kampfhandlungen im September 1998 erfolgte.
Derartige Vorgänge, insbesondere in Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, sind vom Bundesasylamt und vom unabhängigen Bundesasylsenat als Spezialbehörden jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen.
Eine Verfolgungsgefahr kann nicht nur aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, sie kann vielmehr auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0370, mwN). Bei einem ethnischen Albaner, der aus der oben genannten Region kommt, kann daher - anders als für den Zeitraum vor dem 28. Februar 1998 - nicht von vornherein gesagt werden, dass die bloße Zugehörigkeit zur albanischen Bevölkerungsgruppe nicht ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. In einem solchen Fall ist es vielmehr erforderlich, bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft auch das genannte Amtswissen einzubeziehen. Dazu hat die Behörde dem Asylwerber - allenfalls im Rahmen einer gemäß § 67d AVG iVm Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG idF BGBl. I Nr. 28/1998 erforderlichen Verhandlung - Gelegenheit einzuräumen, sich auch zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Umständen zu äußern (vgl. die in Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens5, Seite 96 wiedergegebene hg. Rechtsprechung) zu § 45 Abs. 1 AVG). Eine asylrelevante Verfolgung wäre bereits dann zu bejahen, wenn sich dabei herausstellt, dass der Asylwerber aus einer Gegend stammt, in der Aktionen der genannten Art mit der für die Asylgewährung maßgeblichen Wahrscheinlichkeit zu befürchten sind und keine besonderen Umstände vorliegen, die es unwahrscheinlich machen, dass der Asylwerber davon betroffen sein könnte. Die belangte Behörde ist hierauf im angefochtenen Bescheid nicht eingegangen.
Dass sich die Lage etwa im Anschluss an das sogenannte "Holbrooke-Milosevic-Abkommen" ab etwa Oktober wesentlich geändert hätte, kann hingegen nicht als notorisch angesehen werden und wurde von der belangten Behörde auch nicht zur Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogen.
Der Beschwerdeführer stammt nach seinen Angaben aus einem Ort im Bereich des von den Vorgängen bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides betroffenen Gebietes. Es ist daher offensichtlich, dass die belangte Behörde, hätte sie auf die genannten Vorfälle ab 28. Februar 1998 in der dargestellten Weise von Amts wegen Bedacht genommen, zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 12. Mai 1999, Zl. 98/01/0576; es betraf einen aus Klina stammenden Beschwerdeführer).
Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG in seinem Spruchpunkt 1.) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Zu Spruchpunkt 2.) wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das hg. Erkenntnis vom 21. April 1999, Zl. 98/01/0566, verwiesen. Der angefochtene Bescheid erweist sich daher in seinem Spruchpunkt 2.) mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 6. Oktober 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1999010310.X00Im RIS seit
20.11.2000