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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §224 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und Senatspräsident Dr. Pokorny sowie die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien I, Biberstraße 9, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 13. Dezember 1993, Zl. GA 7 - 1153/93, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer wurde als Geschäftsführer einer GmbH gemäß § 9 BAO zur Haftung für Abgabenschuldigkeiten dieser Gesellschaft im Ausmaß von insgesamt S 25,648.182,-- herangezogen. Die Abgaben waren auf Mehrergebnisse einer Betriebsprüfung für die Jahre 1982 bis 1987 zurückzuführen und betrafen Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Kapitalertragsteuer. Zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Haftungsbescheides (Zustelldatum: 15. Juli 1992) waren diese Abgaben bereits bescheidmäßig festgesetzt (Erlassung sämtlicher Bescheide im Jahr 1991) und mit Berufung der Primärschuldnerin angefochten.
Das Finanzamt begründete die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung damit, dass diesem schwere Verletzungen der abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht u.a. durch Vortäuschung von Leistungsbeziehungen zu einer Schweizer AG (fingierte Betriebsausgaben zwecks beträchtlicher Abgabenverkürzungen) zur Last zu legen seien. Außerdem seien mit Wissen des Beschwerdeführers Zuwendungen und geldwerte Vorteile an ihm nahe stehende Personen nicht versteuert worden. Auch sich selbst habe der Beschwerdeführer solche Vorteile zugewendet. Dieses Verhalten sei kausal für die nunmehrige Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der GmbH. Bei Entstehen der Abgabenschuldigkeiten seien jedoch seinerzeit Mittel der GmbH vorhanden gewesen, um die Abgaben ordnungsgemäß zu entrichten.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung und machte geltend, dass die an die GmbH gerichteten Abgabenbescheide (infolge der gegen sie erhobenen Berufung) noch nicht in Rechtskraft erwachsen seien. Der den Abgabenschuldigkeiten zugrundeliegende Sachverhalt sei noch nicht hinreichend geklärt. Art und Umfang der Haftung stehe daher überhaupt noch nicht fest. Es bestehe daher noch keine "Haftungspflicht" des Beschwerdeführers.
Mit der Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer gemäß § 248 BAO auch die betreffenden Abgabenbescheide einschließlich Wiederaufnahme der Verfahren. Er wies auf verschiedene Verfahrensmängel hin und behauptete die Unzuständigkeit der Großbetriebsprüfung, weil diese "gesetz- und verfassungswidrig" als eigene Abgabenbehörde eingerichtet sei (Verstoß gegen das Abgabenverwaltungsorganisationsgesetz). Daher seien auch die auf Grund der Betriebsprüfung erlassenen Abgabenbescheide "nichtig".
Die weiteren Berufungsausführungen befassten sich im Wesentlichen mit der Geschäftsbeziehung zur Schweizer AG, die von der Betriebsprüfung als vorgetäuscht beurteilt worden war.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab. Es stehe fest, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer verpflichtet gewesen sei, alle Pflichten zu erfüllen, die der GmbH oblagen. Insbesondere sei er verpflichtet gewesen, die Abgaben der GmbH aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten (§ 80 BAO). Der Beschwerdeführer habe nichts vorgebracht, was darauf schließen ließe, dass er ohne Verschulden an der Erfüllung dieser Pflichten gehindert gewesen sei. Weiters stehe fest, dass die Abgaben bei der GmbH uneinbringlich seien (Erfolglosigkeit von vorgenommenen Vollstreckungsversuchen).
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, deren Behandlung mit Beschluss vom 12. März 1994, B 170/94-5, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde, erwogen:
Der Beschwerdeführer erklärt sich in dem Recht verletzt, "dass gegen ihn ein Haftungsbescheid nicht erlassen werden darf, wenn die Höhe der Abgabenschuldigkeiten beim Primärschuldner überhaupt noch nicht feststeht bzw. rechtskräftig festgesetzt ist, was im gegenständlichen Abgabenverfahren deshalb nicht geschehen kann, weil die Abgabenverpflichtung des Primärschuldners bis heute noch nicht entstanden ist (Fehlen des Bestandes einer abstrakten Abgabenschuld beim Primärschuldner)".
Das Fehlen einer Abgabenschuld begründet der Beschwerdeführer im Wesentlichen wie folgt:
§ 4 BAO normiere, dass der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft. Solange die Realisierung eines solchen Tatbestandes strittig sei, könne nicht von der Tatbestandsverwirklichung und damit auch nicht vom Entstehen des Abgabenanspruches ausgegangen werden.
Der Beschwerdeführer verwechselt offensichtlich den Zeitpunkt der Verwirklichung eines Abgabentatbestandes mit dem Zeitpunkt, zu dem diese Verwirklichung als erwiesen angenommen werden kann. Auch ein zunächst bestrittener Sachverhalt wird aber zum Zeitpunkt des tatsächlichen Geschehens verwirklicht und nicht erst zu dem Zeitpunkt, in dem er von der Behörde festgestellt wird bzw. als erwiesen anzusehen ist. § 4 BAO knüpft das Entstehen des Abgabenanspruches an ein tatbestandsmäßiges Geschehen, dessen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit erst im nachfolgenden Abgabenverfahren festgestellt wird. Es ist daher durchaus denkbar, dass sich bei einem Abgabenanspruch, von dessen Entstehen gemäß § 4 BAO auszugehen war, nachträglich herausstellt, dass er zu keinem Zeitpunkt entstanden war, weil der zunächst angenommene tatbestandsmäßige Sachverhalt in Wahrheit nie verwirklicht wurde. Stellt sich hingegen heraus, dass er verwirklicht wurde, so entstand der Abgabenanspruch eben bereits in jenem Zeitpunkt, in dem das tatbestandsmäßige Handeln, Unterlassen oder das den sonstigen Abgabentatbestand erfüllende Ereignis eingetreten ist, und nicht erst in dem Zeitpunkt, in dem es verifiziert wurde.
Dem Beschwerdeführer ist zuzustimmen, dass durch diese gesetzliche Regelung das Risiko der unberechtigten Annahme einer Steuertatbestandsverwirklichung den (vermeintlichen) Abgabepflichtigen trifft. Seine Abgabenschuld entsteht, obwohl sie weder dem Grunde noch der Höhe nach feststeht, sondern mehr oder weniger auf Annahmen beruht, die widerlegbar sind und daher erfolgreich bekämpft werden können. Da nicht nur das erstinstanzliche Abgabenverfahren, sondern auch (erst) das Berufungsverfahren diesen Erfolg bringen kann und ein Rechtsmittel gemäß § 254 BAO keine aufschiebende Wirkung hat, entstanden beim Verfassungsgerichtshof verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein steuerliches Belastungssystem, das trotz Zweifeln an der tatsächlichen Verwirklichung eines Abgabentatbestandes eine Zahlungspflicht des Abgabepflichtigen auslöste. Diese Bedenken führten zur Aufhebung des § 254 BAO mit Erkenntnis vom 11. Dezember 1986, G 119/86-19.
Durch Schaffung des § 212a BAO wurde diesen Bedenken vom Gesetzgeber insoweit Rechnung getragen, als für die Dauer eines Berufungsverfahrens eine Aussetzung der Einhebung beantragt werden kann, durch die zunächst ein Zahlungsaufschub bewirkt wird. Die Abgabenschuld bleibt jedoch so lange aufrecht, als der von der Abgabenbehörde unterstellte Sachverhalt, der das Entstehen des Abgabenanspruches zur Folge hat, sich nicht als zu Unrecht angenommen herausstellt.
Wäre die Rechtsansicht des Beschwerdeführers zutreffend, das Entstehen eines Abgabenanspruches gemäß § 4 BAO setze voraus, dass die Verwirklichung des den Abgabentatbestand erfüllenden Sachverhaltes bereits feststeht, so wäre nicht nur die Bestimmung des § 212a BAO inhaltsleer, sondern auch jene des § 254 BAO, die nach ihrer Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof neuerlich unverändert normiert wurde, allerdings mit der flankierenden Möglichkeit einer Antragstellung gemäß § 212a BAO. Denn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Berufung gegen einen Abgabenbescheid, in dem die Verwirklichung des Abgabentatbestandes bestritten wird, bestünde keine Abgabenschuld und damit auch keine Zahlungspflicht, sodass es an einer einhebbaren bzw. zwangsweise einbringlichen Abgabe fehlt und sich eine Aussetzung der Einhebung erübrigen würde.
Auch die vom Beschwerdeführer aufgegriffene Möglichkeit des § 248 BAO bestätigt das obige Auslegungsergebnis. Danach kann der Haftungspflichtige unbeschadet einer Berufung gegen die Heranziehung zur Haftung innerhalb der für die Einbringung einer Berufung gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch berufen. Diese Regelung wäre völlig unverständlich, wenn ein Haftungsbescheid erst erlassen werden dürfte, wenn das Entstehen des Abgabenanspruches selbst bereits unanfechtbar geworden wäre. Auch die dem Haftungspflichtigen eingeräumte Möglichkeit, gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Berufung zu erheben, dient ja dem Zweck, die Verwirklichung des Abgabentatbestandes (beim Primärschuldner) erfolgreich bekämpfen zu können. Diese Möglichkeit setzt aber voraus, dass der Haftungspflichtige bereits bescheidmäßig zur Haftung herangezogen wurde, was jedoch nach der Rechtsansicht des Beschwerdeführers jedenfalls unzulässig wäre.
Dem vom Beschwerdeführer wiederholt zitierten hg. Erkenntnis vom 14. September 1981, 17/0082/80, kann daher keinesfalls die Aussage entnommen werden, dass die Erlassung eines Haftungsbescheides zur Voraussetzung habe, dass der Haftungspflichtige die Verwirklichung des Abgabentatbestandes nicht bekämpft. Vielmehr wurde im damaligen Beschwerdefall nur ein Hinweis auf das Verhalten des Haftungspflichtigen im Zusammenhang mit seinem Beschwerdevorbringen gegeben.
Da der Beschwerdeführer sonst kein substanzielles Vorbringen gegen die von der belangten Behörde festgestellten Haftungsvoraussetzungen erstattet hat und im Rahmen des oben wortgetreu wiedergegebenen Beschwerdepunktes keine Rechtsverletzung erkennbar ist, erweist sich die Beschwerde zur Gänze als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Oktober 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1995130149.X00Im RIS seit
20.11.2000