Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Verlassenschaft nach *****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Heinz Heher, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten H***** D*****, vertreten durch MMag. Nina Pichler, Rechtsanwältin in Wien als Verfahrenshelferin, wegen Räumung, über den Rekurs des Beklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2018, GZ 39 R 101/18v-23, womit die Berufungen des Beklagten vom 22. Februar und vom 23. April 2018 gegen das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 13. November 2017, GZ 8 C 429/17b-8, zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die (verbesserte) Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die geräumte Übergabe einer Liegenschaft.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Der anwaltlich vertretene Beklagte erhob dagegen am 22. 2. 2018 eine Berufung, die bloß einleitende Ausführungen zum Thema „Unrichtige Tatsachenfeststellung“ enthält, mitten im Satz abbricht und keine Berufungsanträge enthält.
Das Berufungsgericht trug dem Erstgericht auf, die ganz offensichtlich unvollständige Berufungsschrift einem Verbesserungsverfahren zu unterziehen. Das Erstgericht erteilte dem Beklagten sodann den Auftrag, eine vollständige Berufungsschrift einzubringen.
Der Beklagte brachte in der Folge am 23. 4. 2018 eine Berufung ein, die neben einer Einleitung noch mehrere weitere Punkte zu den Anfechtungsgründen unrichtige Tatsachenfeststellung, unrichtige rechtliche Beurteilung, fehlende Tatsachenfeststellung sowie dem Berufungsantrag bestand, wobei der Punkt „Unrichtige Tatsachenfeststellung“ teilweise anders formuliert ist als im Fragment der ursprünglichen Berufung.
Das Berufungsgericht wies die Berufungen vom 22. 2. 2018 und vom 23. 4. 2018 zurück. Der Beklagte habe seine offensichtlich unvollständige Berufung nicht „vervollständigt“, sondern eine völlig neue Berufungsschrift eingebracht, die nicht einmal im zweiten Satz mit der ursprünglich eingebrachten Berufung übereinstimme; auch die Beweisrüge sei anders formuliert als im ursprünglichen Schriftsatz. Es könne daher nicht von einer Vervollständigung ausgegangen werden. Der Beklagte habe mit der Einbringung der zweiten Berufungsschrift gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels verstoßen.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des Berufungsverfahrens unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Der Rekurs ist zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Ein Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem es die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls mit Rekurs anfechtbar (vgl RIS-Justiz RS0098745). Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist seit der ZVN 2009 zweiseitig (RIS-Justiz RS0128487).
Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
Der Beklagte macht geltend, er habe zunächst versehentlich nur eine Vorversion der Berufungsschrift eingebracht anstelle der bereits fertigen Finalversion; letztere sei dann in Erfüllung des Verbesserungsauftrags nachgereicht worden. Es liege daher keine neue, sondern lediglich eine verbesserte und vervollständigte Berufungsschrift vor.
Der Senat hat dazu erwogen:
1. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu (RIS-Justiz RS0041666; 7 Ob 170/16z mwN). Die durch die Zivilverfahrensnovelle 1983 geschaffenen erweiterten Verbesserungsmöglichkeiten haben an diesem Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels nichts geändert (RIS-Justiz RS0036673).
2.1. Nach der Rechtsprechung ist ein Austausch (oder die Verbesserung) von Rechtsmittelschriften zulässig, wenn die ursprüngliche Rechtsmittelschrift an einem den erweiterten Verbesserungsvorschriften entsprechenden Mangel gelitten hat. (Nur) wenn kein fehlerhaftes Rechtsmittel vorgelegen ist, ist der Austausch unzulässig. Die Einbringung eines neuen Rechtsmittels neben oder anstatt des ursprünglichen wird somit (nur) in jenen Fällen als unzulässig angesehen, in denen der Rechtsmittelwerber ein formal einwandfreies, zur meritorischen Behandlung geeignetes Rechtsmittel einbringt und dieses (noch während der Rechtsmittelfrist) abändern oder ergänzen will (6 Ob 124/04k; 8 Ob 113/10s; Kodek in Fasching/Konecny3 § 85 ZPO Rz 139 f; Gitschthaler in Rechberger4, §§ 84–85 ZPO, Rz 15).
2.2. Fehlt einem fristgebundenen Schriftsatz ein Inhaltserfordernis im Sinne des § 84 Abs 3 ZPO, dann ist ein Verbesserungsverfahren einzuleiten; das gilt nach § 474 Abs 2 Satz 2 ZPO auch für das Fehlen des Rechtsmittelantrags in einem Rechtsmittelschriftsatz (RIS-Justiz RS0109506). Als Inhaltsmangel ist auch die mangelnde Begründung eines Rechtsmittels zu werten (Gitschthaler aaO Rz 11). Nur inhaltliche Mängel im Sinne sachlich unrichtiger oder unschlüssiger Ausführungen sind nicht verbesserungsfähig (RIS-Justiz RS0036173).
2.3. Nach den Intentionen des Gesetzgebers sollen durch die Erteilung von Verbesserungsaufträgen gerade jene Personen vor prozessualen Nachteilen geschützt werden, die versehentlich oder in Unkenntnis gesetzlicher Vorschriften Fehler begehen. Nur dann, wenn eine Partei prozessuale Formvorschriften absichtlich und rechtsmissbräuchlich verletzt, ist ihr diese Möglichkeit zu versagen (10 Ob 66/05m).
3.1. Im vorliegenden Fall litt die Erstversion der Berufung nicht nur am Fehlen eines Rechtsmittelantrags, sondern war auch inhaltlich insoweit unvollständig, als die Ausführung des mit Punkt 1. (dem kein weiterer Punkt folgte) bezeichneten Rechtsmittelgrundes der unrichtigen Tatsachenfeststellung mitten im Satz endete und nur mehr das Kostenverzeichnis folgte. Da jeglicher Anhaltspunkt für eine Rechtsmissbräuchlichkeit oder Absichtlichkeit im Zusammenhang mit dem Inhaltsmangel fehlt, haben die Vorinstanzen zu Recht ein Verbesserungsverfahren eingeleitet.
3.2. Wenn nun der Beklagte die im fragmentarischen Rechtsmittel vorhandenen – teilweise mit einem Platzhalter („[o]“) gekennzeichneten – Auslassungen im verbesserten Schriftsatz vervollständigt bzw auch eine inhaltlich belanglose Satzkorrektur vorgenommen hat, übersteigt dies nicht den Rahmen der aufgetragenen Verbesserung. Der Umstand, dass im ursprünglich eingebrachten Rechtsmittel rudimentär ausschließlich auf den Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung eingegangen wurde – wobei die weiteren Berufungsgründe aufgrund der Platzhalter und der Textnummerierung ganz offensichtlich aus Versehen nicht in den Schriftsatz Eingang gefunden haben –, kann dem Beklagten schon deshalb nicht derart zum Nachteil gereichen, dass die verbesserte Berufungsschrift auf diesen Rechtsmittelgrund zu beschränken wäre, weil auch ein „leeres Rechtsmittel“ verbessert werden kann, soweit kein Missbrauch anzunehmen ist (vgl RIS-Justiz RS0036396).
4. Der Beklagte ist daher dem Verbesserungsauftrag im Zusammenhang mit seiner Berufung ordnungsgemäß nachgekommen. Seinem Rekurs ist somit Folge zu geben, der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und dem Berufungsgericht ist die Entscheidung über die (verbesserte) Berufung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Textnummer
E123266European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00190.18X.1023.000Im RIS seit
28.11.2018Zuletzt aktualisiert am
21.02.2019