TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/10 W237 2150380-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2018
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Entscheidungsdatum

10.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2150380-1 /12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Somalia, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017, Zl. 1073925507-150685979, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: AsylG 2005), § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: BFA-VG), sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 16.06.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, Staatsangehöriger von Somalia und am XXXX geboren worden zu sein.

1.1. Am nächsten Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. In dieser gab er an, muslimischen Glaubens zu sein sowie dem Clan der Biyomal anzugehören; er habe keine Schule besucht und zuletzt als "PKW-Elektrotechniker" und Landwirt gearbeitet. Er leide derzeit unter keinen Erkrankungen. Sein Heimatland habe er nach der Ermordung seines Vaters im Dezember 2014 verlassen, im Februar 2015 sei er schließlich in Griechenland gewesen. Anschließend sei er über Serbien nach Österreich gelangt, wo er im Juni 2015 angekommen sei. Somalia habe er verlassen, weil Männer einer anderen Volksgruppe seine Eltern und seine Schwester nach vorangehenden Drohungen getötet und das Haus gesprengt hätten, sein Bruder sei dabei schwer verletzt worden. Auch der Beschwerdeführer sei im Vorfeld bedroht worden. Sein Vater habe ein großes Grundstück, ein Haus und einen Caterpillar besessen, sich aber geweigert, seine Besitztümer an diese Leute zu übergeben. Bei einer Rückkehr nach Somalia hätte der Beschwerdeführer Konflikte mit den Stammesangehörigen der Habargidir zu erwarten.

1.2. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 24.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei korrigierte er eingangs seine Angaben der Erstbefragung dahingehend, dass er im Jänner 2015 aus Somalia ausgereist sei und nicht im Februar 2015. Korrigierend wolle er auch angeben, dass er sich zwei Monate in Griechenland aufgehalten habe. Seinem Schlepper habe er als Gegenleistung ein Grundstück im Wert von 12.000,- US-Dollar gegeben.

Zu seiner Person gab der Beschwerdeführer an, in Qoryooley geboren worden und nie in der Schule gewesen zu sein, sein Vater habe ihm Lesen und Schreiben beigebracht. Der Beschwerdeführer habe seit dem siebten Lebensjahr acht Jahre lang die Koranschule besucht. Er gehöre dem Clan der Biyomal, Subclan Daud und Subsubclan Dadow, im Hauptclan der Dir an. Die Dir seien in seiner Umgebung der dominierende Clan gewesen. Die meisten in seinem Clan seien in der Landwirtschaft tätig, einige auch wohlhabend; seine Familie sei allerdings nicht wohlhabend gewesen. Im Oktober 2012 habe der Beschwerdeführer seine Frau traditionell geheiratet. Sie habe damals schon eine Tochter gehabt, nun hätten sie auch zwei gemeinsame Töchter, die alle in Somalia leben würden; auch sein jüngerer Bruder lebe noch dort.

Sein Vater sei KFZ-Elektriker gewesen, nach dem Besuch der Koranschule habe der Beschwerdeführer ihm bei seiner Arbeit geholfen. Im Alter von 20 Jahren habe der Beschwerdeführer schließlich alleine Autos reparieren können, sein Vater und er seien in der Wohngegend von verschiedenen Unternehmen mit der Reparatur von Autos beauftragt worden. Seine Eltern hätten auch Land und Tiere besessen; seine Mutter habe am Markt Milch, Mais und Bohnen verkauft. Wenn es keine Aufträge gegeben habe, sei der Beschwerdeführer in der Landwirtschaft tätig gewesen. Im Jahr 2009 sei in Qoryooley der Krieg ausgebrochen, weshalb die Familie nach Mogadischu gezogen sei, wo ein Onkel gelebt habe. Der Vater des Beschwerdeführers sei ein bekannter Mann gewesen, weshalb er schnell Aufträge bekommen habe, im Juni 2013 sei die Familie schließlich zurück nach Qoryooley gegangen. Mit einsetzender Dürre sei das Leben immer schlechter geworden, alles sei von der Landwirtschaft abhängig gewesen. Der Vater des Beschwerdeführers habe deshalb einige Tiere verkaufen müssen, von dem Geld habe er für seine Mutter ein Lebensmittelgeschäft eröffnet. Der Beschwerdeführer und sein Vater hätten nur noch gelegentlich Aufträge bekommen. Sein Vater habe eines Tages den Auftrag erhalten, Bäume auf einem Grundstück mit dem Traktor abzutransportieren. Zwischen dem Auftraggeber und seinem Vater sei es wegen der Bezahlungsmodalitäten zu einem Streit gekommen. Der Auftraggeber habe die Benzinkosten nicht übernehmen und erst nach Beendigung der Arbeit bezahlen wollen, woraufhin sein Vater sich geweigert habe, weiter zu arbeiten. Dieser Streit habe sich über mehrere Tage gezogen und sei eskaliert; sein Vater sei einmal sogar handgreiflich geworden, der Beschwerdeführer sei dann dazwischen gegangen. Der Auftraggeber habe seinem Vater schließlich gedroht, ihn umzubringen, wenn er die Arbeit am nächsten Tag nicht fortsetze, sein Vater habe sich dennoch geweigert. Am XXXX sei schließlich der Auftraggeber nachts in das Haus der Eltern des Beschwerdeführers gekommen; er selbst habe im benachbarten Haus gewohnt und auf einmal Schüsse gehört. Sein jüngerer Bruder sei blutend zu ihm ins Haus gekommen; der Beschwerdeführer habe ihn zu einem Freund seines Vaters gebracht, der den Bruder schließlich verarztet habe. Der Beschwerdeführer sei unter Schock gestanden und habe das Bewusstsein verloren. Am nächsten Tag habe der Beschwerdeführer schließlich erfahren, dass seine Eltern erschossen worden seien. Der Freund seines Vaters habe den Beschwerdeführer am nächsten Tag nach Mogadischu zu seinem Onkel gebracht, auch seine Frau, seine Kinder und sein Bruder seien mitgekommen. Eines Tages habe der Beschwerdeführer schließlich zu seinem Onkel gesagt, dass er nicht bereit sei, weiterhin im Land zu bleiben.

Auf Nachfrage führte der Beschwerdeführer an, dass seine Familie nun von seinem Onkel versorgt werde und sie noch Land und ein Haus in Qoryooley besitzen würden. Mit seinem Onkel und seiner Frau habe er zuletzt vor drei Wochen telefoniert. Sein Bruder sei damals schwer verletzt worden, es gehe ihm nun aber wieder gut; der Beschwerdeführer wisse allerdings nicht, welche Verletzungen er genau gehabt habe. Auf Nachfrage durch den Referenten, wo sein Bruder eine Wunde gehabt habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er am linken Fuß getroffen worden sei. Der Beschwerdeführer habe seinen Bruder zur Apotheke getragen, den Inhaber hätten sie aufgeweckt und dieser habe seinen Bruder verarztet. Beim Anblick der Wunde sei der Beschwerdeführer schließlich bewusstlos geworden. Auf Nachfrage, ob seine Familie seit der Ankunft in Mogadischu Probleme gehabt habe, verneinte dies der Beschwerdeführer. Der Mann, der seinen Vater getötet habe, sei noch am Leben. Der Beschwerdeführer hätte bei einer Rückkehr Angst, dass er nach ihm suchen würde. Selbst sei er aber nie bedroht worden.

1.3. Der Beschwerdeführer legte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mehrere Arztbriefe und Befunde betreffend eine Verletzung am rechten Handgelenk, die er sich bei einem Sturz zugezogen habe, vor. Er sei deshalb am XXXX in einer Universitätsklinik stationär aufgenommen und operiert worden, daraufhin seien mehrere Kontrolluntersuchungen in der Universitätsklinik erfolgt. Der Beschwerdeführer habe deshalb auch Ergotherapie in Anspruch genommen.

Nach seiner Einvernahme legte der Beschwerdeführer ein Bestätigungsschreiben der Volkshilfe vor, aus welchem hervorgeht, dass er sich in seiner Flüchtlingsunterkunft unterstützend durch Putzarbeiten und handwerkliche Tätigkeiten eingebracht habe; er sei sehr hilfsbereit und zuvorkommend.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 24.02.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

2.1. Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich, wenig plausibel und nicht lebensnah gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe sich im Laufe der Einvernahme mehrmals in Widersprüche verstrickt und sei nicht in der Lage gewesen, genaue Angaben zum Zeitpunkt der angeblichen Ermordung seiner Eltern zu machen. Zudem habe er anfangs auch keine näheren Angaben zu den Verletzungen seines Bruders machen können; zu einem späteren Zeitpunkt der Einvernahme habe er jedoch plötzlich angegeben, dass dieser am linken Fuß verletzt gewesen sei. Auch die Ausführungen, wie der Beschwerdeführer seinen Bruder zur Apotheke gebracht habe, seien widersprüchlich gewesen. Es sei vielmehr der Eindruck entstanden, dass sich der Beschwerdeführer wesentliche Details erst auf Nachfrage ausgedacht habe, womit er nicht in der Lage gewesen sei, konkrete Fragen detailliert und differenziert zu beantworten. Daher ergebe sich zweifelsfrei, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspreche und es sich um eine konstruierte Fluchtgeschichte handle. Viel eher werde angenommen, dass der Beschwerdeführer Somalia aus anderen Gründen verlassen habe, wofür auch der Umstand spreche, dass er gemeinsam mit seiner Familie nach Mogadischu gegangen sein will, jedoch als Einziger das Land verlassen habe. Die Behörde gehe davon aus, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat keine Gefahren droht, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine Familienangehörigen; es werde allerdings positiv gewürdigt, dass der Beschwerdeführer freiwillig Instandhaltungs- und Reinigungsarbeiten in seiner Flüchtlingsunterkunft durchgeführt habe, Nachweise über absolvierte Deutschkurse oder sonstige Integrationsmaßnahmen seien nicht vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfüge über Familienangehörige in Somalia, wodurch familiäre Unterstützung bei einer Rückkehr gewärleistet sei. Es sei im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat nicht davon auszguehen, dass er in eine derart dauerhaft aussichtlose Lage gedrängt werde, die eine Rückkehr unzumutbar erscheinen ließe. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers sei jedenfalls zulässig.

2.2. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 28.02.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt. Mit Verfahrensanordnung vom selben Tag wurde der Beschwerdeführer weiters über das verpflichtende Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG bis zum 08.03.2017 in Kenntnis gesetzt und ihm mitgeteilt, dass die Caritas Rückkehrhilfe ihn bei einer freiwilligen Rückkehr während und nach Abschluss des Verfahrens berate und unterstütze.

3. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen Rechtsanwalt gegen den angeführten Bescheid vollinhaltlich Beschwerde, welche am 10.03.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird im Wesentlichen das bisherige Fluchtvorbringen wiederholt und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer vom Ereignis im Dezember 2016 noch immer schwer traumatisiert sei und er den Verlust seiner Eltern nicht verkraften könne. Es seien zudem keine gravierenden Widersprüche im Vorbringen zu finden, er habe sich hinsichtlich des Zeitpunkts der Ermordung seiner Eltern seiner Bewusstlosigkeit lediglich versprochen. Während der gesamten Einvernahme sehr er aufgewühlt und nervös gewesen. Der Beschwerdeführer habe durch das Trauma Erinnerungslücken und es falle ihm schwer, sich zu konzentrieren; ihm sei erst im Laufe der Einvernahme eingefallen, wo sein Bruder konkret verletzt gewesen sei. Seine Ehefrau, seine Kinder und sein Bruder könnten deshalb in Mogadischu bei seinem Onkel leben, weil diese nicht als KFZ-Elektriker gearbeitet hätten. Nur der Beschwerdeführer selbst stehe im Verfolgungsfokus des Nachbarn. Sein Bruder sei seit dem Unfall geistig verwirrt, weshalb eine Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab bei ihm nicht in Frage komme; ebenso unwahrscheinlich sei eine solche auch bei seiner Frau und seinen Töchtern. Der Beschwerdeführer sei als junger somalischer Mann aufgrund der aktiven Präsenz der Al Shabaab in ganz Somalia dem Risiko einer Zwangsrekrutierung ausgesetzt. Zudem sei er als Bioymal, einem Subclan der Dir, von Diskriminierung betroffen, was die Behörde gänzlich ignoriert habe. Die Behörde hätte ihm daher zumindest - wenn sie von der Unglaubwürdigkeit seiner Angaben ausgehe - angesichts der Dürresituation subsidiären Schutz gewähren müssen. Ohne entsprechende Erhebungsschritte könne die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht abschließend beurteilt werden.

4. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 17.03.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt.

4.1. Mit Schreiben vom 10.01.2018 wurden der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 15.03.2018 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Somalia geladen. Nach kurzfristiger Abberaumung der Verhandlung, wurden der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 28.03.2018 neuerlich zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2018 unter gleichzeitiger Übermittlung der aktuellen Länderberichte zur Lage in Somalia geladen.

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.05.2018 in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die somalische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Darin legte der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen erneut dar und gab an, dass seine Eltern, zwei Brüder und eine Schwester umgebracht worden seien. Er sei in Qoryooley aufgewachsen, infolge von Kriegshandlungen im Jahr 2009 allerdings in den Bezirk Kaxda in Mogadischu gezogen; 2013 sei er nach Qoryooley zurückgekehrt. Dem Beschwerdeführer wurden zu diesen Ortschaften nähere Fragen gestellt. Auf Vorhalt, dass seine Herkunftsangaben unglaubhaft seien, gab der Beschwerdeführer an, er bleibe bei seinen Aussagen. Nach Einführung weiterer Länderberichte in das Verfahren (Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 03.05.2018 und Anfragebeantwortung der BFA-Staatendokumentation vom 11.05.2018 zu Mogadischu) wurde der Beschwerdeführer zu seinem Leben in Österreich näher befragt. Er legte in diesem Zusammenhang zwei Teilnahmebestätigungen vom 03.02.2017 und vom 03.03.2017 an einem Deutschkurs A1 - Modul A und B im Ausmaß von jeweils 75 Unterrichtseinheiten vor.

4.3. In einer nachgereichten Stellungnahme vom 12.06.2018 zum Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 03.05.2018 und zur Anfragebeantwortung der BFA- Staatendokumentation vom 11.05.2018 führte der Beschwerdeführer aus, dass in Somalia wegen der anhaltenden Dürre und der danach eingetretenen Überschwemmungen eine prekäre Lage vorherrsche, weshalb der Beschwerdeführer in seinen Rechten nach Art. 2 und Art. 3 EMRK beeinträchtigt wäre. Selbst wenn in den angeführten Länderberichten diverse Hilfsorganisationen angeführt werden, heiße dies nicht automatisch, dass die Hilfe die Betroffenen auch erreiche. Die Unterstützung durch den UNHCR sei nicht ausreichend, um sich eine neue Existenz in Somalia aufzubauen. Freie Jobs in Somalia würden in erster Linie an Verwandte, Clanmitglieder, Mitglieder der Dorfgemeinschaft des Arbeitsgebers bzw. dessen Angehörige vermittelt. Auch die wenigen von den NGOs und der Regionalverwaltung Benadir geschaffenen Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten stünden vermutlich nur jenen offen, die über entsprechende Netzwerke verfügten. Da für den Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative vorhanden sei, werde die Zuerkennung von internationalen Schutz beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags auf internationalen Schutz vom 16.06.2015, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 24.02.2017, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2018, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Strafregister, Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, gehört dem Clan der Biyomal im Hauptclan der Dir an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Er gelangte über Griechenland in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und erreichte im Juni 2015 Österreich, wo er am 16.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Seitdem befindet er sich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung durchgängig im Bundesgebiet, lebt in einer Flüchtlingsunterkunft und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er leistet allerdings Aushilfstätigkeiten in seiner Flüchtlingsunterkunft und ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Mit Ausnahme von Allergien befindet sich der Beschwerdeführer in einem guten gesundheitlichen Zustand; er nimmt derzeit einmal pro Tag ein Antialergikum zu sich. Im Jahr 2015 wurde er an seinem rechten Handgelenk operiert. Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse des Sprachniveaus A1 und vermag sich in gebrochenem Deutsch mit einfachen Sätzen auf alltagstauglichem Niveau zu verständigen.

1.1.2. Weder das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen noch seine behauptete Herkunft konnten festgestellt werden.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):

SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update,

http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Quellen:

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf.

Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (NHRC 10.12.2017a).

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten: Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

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BBC (22.12.2017): Who are Somalia's al-Shabab?

http://www.bbc.com/news/world-africa-15336689, Zugriff 5.1.2018

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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