TE Bvwg Beschluss 2018/9/10 W144 2185822-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2018
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Entscheidungsdatum

10.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W144 2185822-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.01.2018, Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben

und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz, VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger wurde am 16.01.2015 in Wien polizeilich aufgegriffen und stellte in der unmittelbar darauffolgenden Einvernahme am 16.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In seiner Einvernahme vom 16.01.2015, die sich lediglich auf persönliche Umstände und seine Reiseroute bezog, gab der BF zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsland an, dass seine Ehefrau XXXX und seine beiden Kinder vor 3 Jahren in Kabul entführt worden seien, er kenne deren Aufenthaltsort nicht.

Im Zuge seiner Erstbefragung nach dem Asylgesetz am 18.01.2015 durch die Landespolizeidirektion Wien, gab der BF zusammengefasst an, dass seine erste Ehegattin gemeinsam mit seinen beiden Kindern vor drei Jahren entführt worden sei. Seine zweite Ehefrau sei ebenfalls, vor ca. eineinhalb Jahren entführt worden. Eine Schwester sei gemeinsam mit ihm nach Österreich eingereist, im Übrigen habe er einen Sohn und drei Brüder, die in England bzw. sonst wo in Europa aufhältig seien. Er selbst sei in Kabul geboren und habe immer in Kabul gelebt. Er habe gemeinsam mit seiner Schwester die Heimat vor etwa drei Monaten verlassen und sei nach Österreich gereist, wobei sein eigentliches Reiseziel Finnland gewesen sei. Sein Land habe er verlassen, da er von unbekannten Personen persönlich und via Telefon erpresst worden sei. Vor ca. drei Jahren habe das Ganze begonnen. Er habe jedoch kein Geld bezahlt. Danach seien seine beiden Ehefrauen und seine Kinder entführt worden. Auch nach den Entführungen habe er nie Geld bezahlt. Einen der Entführer habe man ausforschen können, dieser habe sich " XXXX " genannt. Er habe ihn angezeigt, es sei aber nichts unternommen worden. Zudem habe er auch Drohbriefe bekommen, zwei davon befänden sich zu Hause in Afghanistan. Aus Angst, dass er selbst entführt werde, habe er beschlossen, seine Heimat zu verlassen.

Am 20.10.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Hiebei gab der BF im Wesentlichen Folgendes zu Protokoll bzw. antwortete auf Fragen wie folgt:

"Beruflicher Werdeganq:

Beschäftigungsart: Händler

Dienstgeber: selbstständig Firma " XXXX " Anmerkung: zw. Pakistan und Afghanistan

Angaben zur Person und Lebensumständen:

F: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?

A: Ich bin in Kabul geboren und bei meinen Eltern aufgewachsen. Mit sieben habe ich die Schule besucht bis ich 17 Jahre alt war. Sofort habe ich angefangen am Basar zu arbeiten als Straßenverkäufer. Ich habe verschiedene Waren gekauft und wieder verkauft. Ein paar Jahre später war ich in der Baubranche. Ich habe alte Gebäude und Wohnungen gekauft, renoviert und weiter verkauft oder vermietet. Danach habe ich meine eigene Firma gegründet. Ich war dann ein sogenannter Großhändler. Viele verschiedene Waren habe ich im Iran oder in Pakistan gekauft, diese nach Afghanistan transportiert und diese dort weiterverkauft. Ich bin zwar nicht sehr gebildet, aber talentiert in diesem Geschäft. Zum ersten Mal habe ich im Jahr XXXX) geheiratet. Alle drei Kinder stammen aus dieser Ehe. Meine erste Ehefrau wurde dann später getötet. Zum zweiten Mal habe ich am XXXX) geheiratet. Meine erste Ehefrau war noch am Leben. Ca. ein Jahr später wurde sie aber getötet. Ich habe gut verdient.

F: Welchen Beruf haben Sie in Ihrer Heimat ausgeübt? A: Händler - siehe oben.

F: Haben Sie in Ihrem Heimatland derzeit Angehörige, wenn ja, geben Sie eine Erklärung dazu ab, in welchem Verwandtschaftsgrad Sie zu diesen Personen stehen?

A: Nein. Ich habe niemanden mehr dort.

F: Hat Ihre Familie irgendwelche Besitztümer in Ihrem Heimatland, z. B. Häuser, Grund?

A: Ja ich hatte Grundstücke. Ich weiß aber nicht was mit diesen in der Zwischenzeit passiert ist.

F: Warum haben Sie sich eine Zweitehefrau genommen?

A: Meine erste Ehefrau war krank und konnte sich nicht um die Kinder kümmern- Mir ging es finanziell auch sehr gut und meine Kinder brauchten zu Hause jemanden. Ich war meistens nicht zu Hause und auf der Reise. In Afghanistan ist es nicht schlecht, wenn man eine zweite oder dritte Ehefrau hat.

F: War Ihre Hauptehefrau zuvor schon jemals verheiratet und gibt es Kinder aus dieser Beziehung? A: Nein.

F: Haben Sie noch Freunde oder Bekannte in der Heimat?

A: Einige sehr weitschichtige Verwandte habe ich noch dort.

F: Haben Sie Kontakt zu Ihren entfernten Verwandten?

A: Nein. Auch zu damaligen Freunden habe ich keinen Kontakt mehr.

F: Könnten Sie im Falle der Rückkehr in Ihr Herkunftsland wieder an Ihrer Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen?

A: Ja ich habe noch ein Haus. Ich weiß nicht ob das Haus noch steht. aber es gehört mir und XXXX ist eine sehr gute Gegend in Kabul.

F: Waren Sie nur in Ihrem Heimatort oder kennen Sie sich in anderen Afghanistans aus und wenn ja, wo haben Sie sich schon aufgehalten bzw. wohin sind Sie gereist (z.B. Verwandtenbesuche, Schulaufenthalte etc.?)

A: Ich war in der Baubranche und Händler - ich war sehr viel unterwegs. Ich kenne mich gut aus in Afghanistan. Ich war einmal für vier Jahre in Mazar-i-Sharif. Das war bevor die Taliban Afghanistan erobert haben.

F: Warum haben Sie in Mazar-i-Sharif gelebt?

A: Damals herrschte in Kabul Krieg. Die Lage im Norden war besser und sicherer.

F: Bei Ihrer Erstbefragung gaben Sie an. dass Sie 15 Jahre in Pakistan gelebt hätten und vor vier Jahren wieder nach Afghanistan zurückkehrten.

A: JA das stimmt. Das wollte ich jetzt noch sagen. Ich war vier Jahre im Mazar-i-Sharif. Danach haben die Taliban Afghanistan Stück für Stück komplett erobert. Die Sicherheitslage war sehr kritisch und ich habe Afghanistan ganz verlassen und bin nach Pakistan gezogen. Auf Nachfrage gebe ich an, dass zuerst meine Schwester XXXX nach Pakistan zu meinem Onkel gezogen ist. Ich und meine Familie sind dann einige Jahre später nach Pakistan geflüchtet.

F: Warum sind Sie vor vier Jahren wieder zurück nach Kabul?

A: Im Jahr 1389 (2010) bin ich nach Afghanistan zurück. Die Lage in Pakistan war inzwischen auch sehr kritisch geworden. Wir wohnten in XXXX . Die pakistanischen Taliban waren dort sehr aktiv und die Polizei hat uns auch sehr schlecht behandelt. Deshalb haben wir beschlossen nach Afghanistan zurückzukehren.

F: Wo haben Sie Ihre erste Ehefrau kennen gelernt?

A: Die Cousine meiner Schwester war mit ihr befreundet. So haben wir uns kennen gelernt und in Pakistan dann geheiratet. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich sie im Jahr 1376 (1997) kennen gelernt habe.

F: Wann und wo haben Sie Ihre zweite Ehefrau kennen gelernt?

A: Ich habe sie in Kabul kennen gelernt. Sie war mit ihrer Familie neu in Kabul weil sie viele Jahre im Iran gelebt hat. Ich habe sie 1390 (2011) kennen gelernt. Das war ein Jahr nach unserer Rückkehr aus Pakistan.

F: Wie konnten Sie Ihre Arbeit als Händler trotz des hohen Sicherheitsrisikos ausüben und zwischen Afghanistan und Pakistan hin und her fahren?

A: Man muss lernen, wann man losfährt und wann man wieder zurückfährt- Um 10, 1 1 Uhr am Vormittag ist da ok. Man muss immer auf der Hauptstraße bleiben-

Angaben zum Fluchtweg:

F: Können Sie nochmals angeben, über welche Reiseroute Sie nach Österreich gekommen sind?

A: Von Kabul bin ich nach Teheran geflogen- Dann bin ich weiter in die Türkei gereist. Ein paar Tage war ich dort. Dann bin ich weiter mit dem Schlauchboot weiter nach Griechenland- Da sind wir auf einer Insel angekommen und waren dort ein paar Tage. Die Polizei hat uns dann mit einem Schiff nach Athen geschickt. Ich bin dann weiter meistens zu Fuß bis nach SerbienBevor wir Serbien erreichten waren wir noch in Mazedonien. Von Serbien bin ich dann vom Schlepper bis nach Österreich geschleppt. Die meiste Zeit war ich zu Fuß unterwegs oder mit einem PKW des Schleppers.

F: Wie viel mussten Sie für die Schleppung bezahlen?

A: USD 14.000 haben wir für die Reise bis nach Finnland bezahlt. In Österreich wurden wir aufgegriffen von der Polizei und dann sind wir hier geblieben.

F: Woher haben Sie das Geld?

A: Das war mein eigenes Geld - meine Ersparnisse.

F: Mit welchem Dokument sind Sie gereist - Flug nach Teheran?

A: Das war ein Reisepass des Schleppers. Er hat alles organisiert. Es war auch ein Visum für den Iran drin.

F: Warum sind Sie nicht mit Ihrem eigenen Reisepass ausgereist?

A: Weil ich nicht so lange Zeit hatte. Einen Reisepass zu beantragen und zu bekommen dauert. Man braucht einen eigenen Termin bei der Botschaft und das dauert ewig.

F: Bei Ihrer Erstbefragung gaben Sie an, dass Ihr Reisepass von den Behörden in Kabul eingezogen wurde.

A: Nein das war nicht so. das habe ich nicht gemeint. Ich habe gesagt, dass der Reisepass, mit dem ich in den Iran geflogen bin nicht falsch war sondern echt. Er wurde halt nur vorn Schlepper organisiert. Ob das Visum echt war, weiß ich nicht. In Afghanistan funktioniert es, dass jemand anderer etwas besorgen kann- Ich habe ihm nur die Fotos gegeben für den Pass- Den Rest hat er erledigt. Wenn man bereit ist Bestechungsgeld in Afghanistan zu bezahlerm bekommt man von den Behörden alles.

F: Haben Sie in einem anderen Land schon einmal einen Asylantrag gestellt? A: Nein.

F: Warum sind Sie ausgerechnet nach Österreich gereist?

A: Wir wurden von der Polizei aufgegriffen. Deshalb sind wir hier geblieben. Ich wollte nach Finnland, weil zwei gute Freunde von mir dort sind und auch Verwandte. Sie sagten, dass man in Finnland ziemlich leicht einen Aufenthaltstitel bekommen kann und die Sprache einfach zu lernen ist.

F: Möchten Sie zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?

A: Nein, das war alles.

Angaben zum Fluchtgrund:

F: Was war der konkrete Grund. warum Sie die Heimat verlassen haben? Erzählen Sie bitte möglichst chronologisch über alle Ereignisse. die Sie zum Verlassen der Heimat veranlasst haben (freie Erzählung)!

A: (AW beginnt zu weinen) Ich habe vier verschiedene Fluchtgründe. Nummer eins ist meine zweite Ehefrau. Sie war verschwunden. Dadurch wurde mein Leben in Afghanistan ruiniert. Eines Tages hatte ich meine Schwester nach XXXX zur Behandlung gebracht. Als ich zwei Tage später nach Afghanistan zurückkehrte, hörte ich, dass meine Zweitehefrau verschwunden ist. Sie ist einkaufen gegangen und ist nie zurückgekehrt. Ehre eigene Familie hatte zwei Tage lang überall nach ihr gesucht. Aber erfolglos. Sie haben mit mir gesprochen und haben gesagt, dass ich diesen Vorfall nicht bei der Behörde melden soll, weil die Ehre und der Stolz der Familie noch wichtiger sind. Wenn die Leute in Afghanistan erfahren, dass eine Frau einfach spurlos verschwunden ist, wird die Ehre der Familie beschmutzt. Meine Schwester hatte Krebs. Alle paar Wochen musste ich sie nach Pakistan bringen zur Strahlungstherapie. Deshalb war ich in XXXX . Die Stammältestenrat und die Weißbärtigen haben miteinander gesprochen und haben sich beraten. Wie es bei uns bei solchen Sachen üblich ist. Sie kamen zu dem Schluss, dass wir dieses Problem unter uns lösen müssen. Man hat gesagt, dass meine Frau auf jeden Fall schuldig ist. Wenn sie freiwillig mit einem anderen Mann weggegangen ist. dann hat sie eine unverzeihbare Sünde begangen. Wenn sie auch nicht freiwillig mit einem anderen Mann weggegangen ist, ist sie sowieso schuldig, weil sie die Ehre der Familie beschmutzt hat. Die Frau sollte daher gefunden und bestraft werden. Ich konnte mit dieser Entscheidung nichts anfangen. Das war falsch. Ich wollte nicht, dass meine Frau für etwas bestraft wird, was sie gar nicht gemacht hat. Inzwischen hat mein Schwiegervater einen Anruf erhalten und ein unbekannter Mann verlangte 100.000 USD. Er behauptete, dass er weiß, wo sich meine Frau aufhält. Mein Schwiegervater hat mit mir gesprochen und hat mich gefragt ob ich bereit bin diesen Betrag zu bezahlen. Er hat gemeint. dass seine Tochter jetzt sowieso ein verlorener Fall ist. Aber wir mussten entscheiden, was wir nun machen. Ich wollte nicht, dass meine Frau getötet wird. Wenn ich das Geld bezahlt hätte und meine Frau freigelassen worden wäre, wäre sie von den Stammesätesten und Weißbärtigen ermordet worden. Ich bin zur Polizei gegangen und habe den Vorfall gemeldet. Die Bestätigungen habe ich heute vorgelegt. Die Polizei hat über diese Handynummer erfahren, dass dieser Anruf aus der Provinz XXXX kommt. Die Polizei hat dann eine Befreiungsoperation organisiert. Sie haben es aber nicht geschafft meine Frau zu finden und zu befreien. Danach habe ich große Probleme bekommen mit den Verwandten und der Familie meiner Frau. Alle haben mich beschuldigt, dass ich zur Polizei gegangen wäre und gegen den Beschluss der Weißbärtigen gehandelt hätte und die Ehre und der Stotz der Familie für mich nicht wichtig wäre. Eines Tages war ich zu Hause. Der Bruder und ein weiterer Bekannter meiner Frau sind zu mir gekommen und haben mich geschlagen. Sie haben die Vorwürfe wiederholt. Mein Leben war wegen der Familie meiner Frau nun dort in Gefahr. Ich habe mein Haus in XXXX verlassen und mich in Sicherheit gebracht. Das ist der erste Grund.

Der zweite Grund ist, dass die Polizei den Anruf verfolgt hat und zwei Männer in der Provinz XXXX festgenommen hat. Einige Zeit später habe ich einen Anruf bekommen und ein unbekannter Mann sagte, dass er und sein Freund von der Polizei festgenommen wurden, weil ich die Polizei alarmiert und eingeschaltet hätte. Sie sind aber so mächtig und einflussreich, dass die Polizei sie wieder entlassen musste. Jetzt werden sie mich suchen und finden. Aus Rache werden sie mich umbringen. Egal wo ich mich verstecke, werden sie mich finden. Sie meinten, dass die Polizei sie aufgrund meiner Informationen sie gefunden und festgenommen haben. Das ist der zweite Grund.

Einige Verwandte meiner Frau hatten mit den Taliban Kontakte gehabt-Sie haben sogar mit den Taliban zusammen gearbeitet. Diese Leute haben mich darum gebeten, dass ich mein Haus in Kabul für die Taliban zur Verfügung stelle- Sie wollten mein Haus nicht für immer, sondern für eine bestimmte Zeit. Was sie genau vorhatten, weiß ich nicht Vielleicht wollten sie einen Anschlag planen oder etwas ähnliches. Ich habe natürlich nein gesagt- Sie haben gesagt. wenn es so ist, muss ich wenigstens Geld als Entschädigung an die Taliban zahlen. Das habe ich abgelehnt und sagte, dass ich auf gar keinen Fall den Taliban Erpressungsgeld zahlen würde-

Danach wurde ich auch von diesen Leuten bzw. von den Taliban bedroht- Das ist mein dritter Grund.

Der vierte und letzte Grund ist moralisch begründet. Wenn die Frau eines Mannes verschwunden ist und alle davon reden, dass sie mit unbekannten Männern abgehauen ist. ist das für den Stolz des Ehemannes sehr schlecht Praktisch könnte ich nicht mehr in Kabul leben. weil überall die Leute schlecht über mich redeten. Ich war nicht Mann genug, um auf meine Frau aufzupassen. Das ist der letzte Grund. (Ende der freien Erzählung)

[ ... ]

F: Wann genau wurde Ihre Zweitehefrau entführt? A: Das war am XXXX )

V: Es ist nicht nachvollziehbar, dass Sie sich als ehrbarer Geschäftsmann und Ehemann dieser Frau sich nicht gegenüber der Familie behaupten konnten. Was sagen Sie dazu?

A: Die Familie meiner Frau waren alle Kämpfer. Sie haben alle für verschiedene Gruppierungen gekämpft. Sie haben viel Erfahrung im Kämpfen und sind brutal. Ich war ein normaler Mensch - ein Mensch aus der Stadt. Ich wollte keine Auseinandersetzung. Ich war ein ruhiger Typ.

F: Wenn Ihre Frau entführt wurde, warum ist sie dann selbst schuld daran?

A: Genau das ist die Frage. So ist die kulturelle Lage dieser Leute. Sie denken, wenn eine Frau eine Nacht nicht mehr zu Hause schläft und ihre Familie und vor allem ihr Mann nicht weiß, wo sie ist, soll man diese Frau vergessen und sie bestrafen. Sie fragen nicht, warum diese Frau weg war. Hauptsache sie war nicht da. Das ist falsch, aber so denken diese Leute.

F: Wen genau meinen Sie mit diese Leute?

A: Die Verwandten und die Familie meiner Frau meine ich. Viele von diesen sind entweder von den Taliban oder sie sympathisieren mit den Taliban.

V: Sie haben heute gesagt, dass ihre Frau neu nach Kabul gekommen ist, da sie lange Zeit im Iran gelebt hat, als Sie sie kennen lernten. Wie kann es dann sein, dass fast alle dieser Familie Mitglieder der Taliban sind.

A: Meine Frau und ihre Eltern waren sehr lange im Iran. Die weiteren Verwandten waren in Afghanistan. ZB alle Ehemänner ihrer Schwestern. Diese Kultur hat diese Familie einfach-

F: Wussten Sie zum Zeitpunkt der Eheschließung bzw. als Sie Ihre Frau kennen lernten vom Hintergrund der Familie?

A: Nein das wusste ich nicht

F: Wie haben Sie davon erfahren?

A: Das war erst einige Zeit nach der Hochzeit. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich sie nicht geheiratet.

F: Warum haben diese Leute bei Ihrem Schwiegervater angerufen und nicht bei Ihnen? Sie waren doch nach der Heirat für Ihre Frau zuständig?

A: Ich weiß es nicht. Vielleicht hatten diese Leute meine Nummer nicht. Der Mann sagte zu meinem Schwiegervater, dass er das Geld von mir bekommen muss.

F: Wissen Sie von wem Ihre Ehefrau entführt wurde?

A: Der Hauptmann war XXXX . Er hat alles organisiert. Auf Nachfrage gebe ich an, dass ich nicht weiß, ob sie normale Verbrechen waren oder mit den Taliban verbunden waren.

F: Woher wissen Sie von diesem Mann XXXX ?

A: Die zwei Männer, die von der Polizei erwischt wurden, haben XXXX als Hauptmann verraten.

V: Es ist nicht nachvollziehbar, dass Ihre Frau von Unbekannten entführt wird, wenn Ihre Frau ein Mitglied einer so mächtigen Taliban-Familie gewesen sein soll. Was sagen Sie dazu?

A: Das weiß ich nicht. tch kann das nicht erklären. Vielleicht waren diese Leute früher bei den Taliban und sind aus einem anderen Grund einen anderen Weg gegangen. Ich kann es nicht sagen.

F: Sie haben heute gesagt, dass diese zwei Männer sehr mächtig waren und deshalb freigelassen wurde. Woher wissen Sie das?

A: Sie haben das am Telefon zu mir gesagt: "Wir wurden wieder entlassen. Jetzt kannst du sehen, wie mächtig wir sind. Nicht einmal die Polizei kann uns festhalten. Wir werden dich suchen und finden".

V: Wenn Ihr Schwiegervater dagegen war, dass Sie zur Polizei gehen, er aber angerufen wurde, wie kam es dazu, dass die Polizei dann die Handynummer erfahren hat um den Anruf zurück zu verfolgen?

A: Ich habe bei der Polizei die Telefonnummer meines Schwiegervaters bekannt gegeben. Die Polizei hat dann alle Telefonate meines Schwiegervaters kontrolliert und so lange nachgeforscht, bis sie auch die Nummer dieser Leute gefunden haben. Bei den vorgelegten Unterlagen kann man das alles herauslesen.

F: Wie hat Ihr Schwiegervater erfahren, dass Sie doch zur Polizei gegangen sind?

A: Das war zwei oder drei Tage später nachdem ich bei der Polizei war. Wie genau er es erfahren hat, weiß ich nicht. Vielleicht wurde er von der Polizei angerufen oder er hatte Kontakte zur Polizei, Ich habe keine Ahnung.

F: Hätten Sie die USD 100.000 bezahlt?

A: Nein. Es hätte sich um Erpressungsgeld gehandelt und wenn man einmal zahlt, muss man immer zahlen.

F: Wann genau kamen die zwei Verwandten Ihrer Frau zu Ihnen und schlugen Sie?

A: Ein genaues Datum weiß ich nicht. Es war ca. 10 oder 12 Tage nachdem mein Schwiegervater erfahren hatte, dass ich bei der Polizei war.

F: Erzählen Sie mir bitte was genau vorgefallen ist!

A: Diese zwei Männer sind zu uns nach Hause gekommen. Ich war zufällig nicht daheim. Meine Schwester hat die Tür aufgemacht und die Leute wollten mit mir sprechen. Als meine Schwester sagte, dass ich nicht zu Hause war. haben sie mich wild beschimpft als einen Mann ohne Moral. Sie meinten dass ich nicht auf meine Frau nicht aufgepasst hätte und gegen den Beschluss der

Weißbärtigen gehandelt hätte. Sie werden mich weiter suchen. Letztendlich finden und vielleicht sogar umbringen. Das alles habe ich von meiner Schwester erfahren- Es kam nicht dazu, dass sie mich geschlagen haben. Wenn ich zu Hause gewesen wäre, wäre ich geschlagen worden-

V: Vorhin haben Sie im Widerspruch angegeben, dass Sie geschlagen wurden. Nun haben Sie gesagt, dass es nicht dazu kam-

A: Soweit ist es nicht gekommen. Ich habe mich falsch ausdruckt- Ich meinte wenn ich zu Hause gewesen wäre- Meine Schwester hatte nach dem Vorfall große psychische Belastungen.

F: Wann nach der Entführung Ihrer Frau gingen Sie zur Polizei?

A: Ich muss kurz überlegen es war auf jeden Fall nach dem Erpressungsanruf_ Das war ca. um den 321393 (23.04.2014). Das war bereits sechs bis sieben Monate, nachdem meine Frau verschwunden war.

F: Wann nach der Entführung erhielt Ihr Schwiegewater den Anruf?

A: Das war vielleicht ca- fünfzehn Tage vor diesem Datum als ich zur Polizei ging.

V: Es ist nicht nachvollziehbar, dass erst ca. ein halbes Jahr nach der Entführung Ihrer Frau ein Erpressungsanruf kommt. Was sagen Sie dazu?

A: Ich habe keine Ahnung wie und unter welchen Umständen sie meine Frau festgehalten wurde oder ob sie freiwillig mitgegangen ist. All das weiß ich nicht.

F: Wohin sind Sie nach dem Verlassen Ihres Hauses hingegangen?

A: Zuerst war ich einen Monat im Iran. Dann bin ich nach Kabul zurück und habe mich bei einem Cousin meiner Mutter versteckt. Ca. 4-5 Monate blieb ich dort. Während dieser Zeit habe ich meine Flucht vorbereitet und bin dann geflüchtet.

F: Wo befand sich Ihre Schwester während dieser Zeit?

A: Meine Schwester habe ich immer mitgenommen. Sie war bei mir.

F: Wurden Sie von den Verwandten Ihrer Frau nach diesem Vorfall wieder bedroht? A: Nein. Niemand wusste wo ich bin.

F: Wann haben Sie den Anruf dieser Männer aus der Provinz XXXX erhalten?

A: Das war im dritten Monat des Jahres XXXX (Mai I Juni XXXX ). Den genauen Tag weiß ich nicht

F: Was genau hat man zu Ihnen gesagt?

A: Sie haben wörtlich zu mir gesagt: "Wenn du klug gewesen wärst, hättest du nicht so einen Blödsinn gemacht. Du müsstest einfach dieses Geld bezahlen und die Sache wäre erledigt. Du hast alles falsch gemacht. Du hast uns bei der Polizei verraten. Das werden wir nicht vergessen und vergeben. Wir sind nicht normale Leute- Wir haben Beziehungen, wir haben Macht. Wir sind die Männer von XXXX - Du kannst nichts gegen uns unternehmen. Wir bekommen was wir wollen und wir wollen jetzt dich".

F: Vorhin haben Sie diese Männer zitiert und jetzt erwähnen Sie nichts davon, dass sie aufgrund ihrer Macht entlassen wurden-

A: Das haben sie danach auch noch gesagt.

F: Was haben Sie nach diesem Anruf gemacht?

A: Ich bin wieder zur Behörde gegangen und habe den Anruf gemeldet. Ich habe Anzeige erstattet und habe gesagt, dass ich bedroht wurde. Sie haben meine Anzeige registriert. Ich habe das heute schon vorgelegt. Die Polizei hat Ermittlungen eingeleitet. Man hat sogar diese

Männer ausgeforscht. Aber ob sie wirklich festgenommen wurde, weiß ich nicht. Ich glaube eher nicht.

F: Wie genau haben Sie erfahren dass die Verwandten Ihrer Frau Taliban sind bzw. Kontakt zu diesen haben?

A: Mein Schwager - der Ehemann der Schwester meiner Frau - hat einmal persönlich zu mir gesagt, dass er mein Haus braucht. Ich fragte warum. Er meinte, dass er mit den Taliban zusammen ist und die Taliban mein Haus einige Zeit haben wollen. Er hat gemeint, dass ich ein wohlhabender Mensch bin und einige Zeit auf mein Haus verzichten kann. Er ist ein Mann mit einem langen Bart und er trägt Turban. Von außen ist er so typisch wie die Taliban.

F: Hat das Aussehen der Vetwandten Sie nicht schon beim Kennenlernen Ihrer Ehefrau aufmerksam auf den Hintergrund der Familie?

A: Ich habe die Verwandten nicht gesehen. Ech hatte immer nur mit den Eltern meiner Frau zu tun gehabt. Erst später habe ich die anderen kennen gelernt.

F: Sie haben heute erwähnt, dass Sie wegen Ihres Hauses bedroht wurden. Wer genau hat Sie bedroht?

A: Einige Zeit später habe ich einen Brief in unserem Haus aufgefunden: Darauf stand, dass ich nicht bereit war. mein Haus zur Verfügung zu stellen. Ich hätte auch die Gotteskämpfer nicht finanziell unterstützt. Das war ein Fehler von mir und das hat alles Konsequenzen. Ich werde dafür in Zukunft bestraft.

F: Warum haben Sie diesen Drohbrief bis jetzt nicht erwähnt?

A: Sie haben jetzt gefragt. (gemeint LV). Ich habe die Briefe mitgenommen. Aber auf dem Weg habe ich sie verloren. Sie waren in den Rucksack, den ich verloren habe. Die Unterlagen die ich heute vorgelegt habe, waren in meiner Sakkotasche, deswegen habe ich sie noch.

V: Bei Ihrer Erstbefragung haben Sie mehrere Drohbriefe erwähnt und dass zwei noch in Afghanistan wären. Wie viele Drohbriefe haben nun tatsächlich erhalten?

A: Ich habe nur einen Drohbrief erhalten. Ein paar Mat habe ich auch Anrufe bekommen. Wenn bei der Erstbefragung steht, habe ich mehrere Drohungen gemeint - auch Anrufe.

V: Sie haben heute aber nur von einem direkten Drohanruf gegen Ihre Person berichtet. Nicht von mehreren Anrufen. Was sagen Sie dazu?

A: Insgesamt waren es zwei Drohanrufe. Einmal nach diesem Vorfall und einmal davor, als ich nicht bereit war, mein Haus zur Verfügung zu stellen.

F: Wer genau hat Sie nun wegen Ihres Hauses angerufen und bedroht?

A: Er hat nichts gesagt wer er ist. Er hat mich nur bedroht. Der Brief selbst hatte eine Unterschrift und einen Namen darunter. Den Namen habe ich inzwischen vergessen. Das war der Name einer Gruppierung der Taliban.

F: Was genau wurde Ihnen am Telefon gesagt?

A: Der Drohanruf war nach dem Drohbrief. Der Mann hat gesagt, dass ich den Brief der Taliban nicht ernst genommen habe und dafür in Zukunft hart bestraft werde. Er meinte, dass wir uns im Dschihad befinden und jeder Moslem verpflichtet ist zu helfen. Man soll alles tun. Ich bin ein wohlhabender Mensch und trotzdem will ich nicht hilfsbereit sein. Das ist gegen den Islam, das ist gegen islamische Vorschriften. Wegen meines unislamischen Verhaltens werde ich bestraft.

F: Warum haben Sie von der Bedrohung durch die Taliban bei der Erstbefragung nichts erwähnt?

A: Die Erstbefragung war am späten Nachmittag- Die Polizei hat mich aufgefordert mich zusammen zu fassen. Sie haben aber ausdrücklich gesagt, dass ich bei der Asylbehörde ausreichlich Zeit haben werde, alles zu erzählen-

V: Bei Ihrer Erstbefragung haben Sie angegeben, dass Ihre erste Ehefrau und auch zwei Ihrer Kinder entführt wurden- Heute haben Sie davon in der freien Erzählung nichts erwähnt Was sagen Sie dazu?

A: Das stimmt- Aber das hat nichts mit meinem Fluchtgrund zu tun. Die erste Frau und die zwei Kinder wurden entführt und später getötet.

F: Wann war das?

A: Das war im achten Monat des Jahres XXXX (Oktober / November XXXX).

F: Was können Sie über die Entführung sagen?

A: Das war fünf Tage vor dem Opferfest. Meine Frau war mit den Kindern am Basar. Sie wollte für die Kinder neue Kleidung kaufen. Sie sind nicht mehr nach Hause zurückgekehrt- Von wem sie entführt wurden, wissen wir nicht.

F: Sie haben gesagt, dass Sie wissen würden, dass Ihre Ehefrauen und die Kinder mit Sicherheit tot wären. Woher?

A: Bekannte von mir haben gesagt, dass meine Familie in südlichen Provinzen getötet wurde. Woher sie das wissen, weiß ich nicht. Vielleicht haben sie dort Bekannte oder Freunde.

V: Bei Ihrer Erstbefragung haben Sie angegeben, dass Sie persönlich erpresst wurden. Sie hätten Geld zahlen müssen und da sie das nicht gemacht haben, wurden beide Ehefrauen und Ihre Kinder entführt. Heute geben sie im vollkommenen Widerspruch an, dass ihre Hauptehefrau bereits verstorben ist, als Ihre Zweitehefrau entführt wurde. Was sagen Sie dazu?

A: Bei der Erstbefragung hat man zwei verschiedene Sachen gemacht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt, weil ich sehr müde war.

V: Bei Ihrer Erstbefragung gaben Sie an, dass Sie Angst hätten auch entführt zu werden. Dies ergibt gar keinen Sinn, zumal Sie nicht einmal wissen, warum ihre Frauen entführt wurden und die eine Entführung mit der anderen nichts zu tun hätte. Zudem haben Sie diesbezüglich heute nichts erwähnt. Was sagen Sie dazu?

A: Ich hatte davor Angst, dass ich mitgenommen und getötet werde, weil ich das Lösegeld nicht bezahlt hatte. Ich hatte nicht Angst, dass ich entführt werde. Ich hatte Angst dass ich mitgenommen werde.

F: Warum haben all Ihre Geschwister und Ihre Mutter die Heimat vor 20 Jahren verlassen?

A: Das war wegen des Bürgerkriegs in Afghanistan. IN Kabul herrschte damals Krieg und totales Chaos. Verschiedene Gruppierungen haben gekämpft. Viele sind geflohen und darunter meine Familie- Ich selbst wollte nicht weg. Ich wollte in meiner Heimat bleiben- Auch jetzt habe sehr ungern meine Heimat verlassen.

F: Warum hat Ihr Sohn XXXX die Heimat verlassen?

A: Aus denselben Gründen- Er hat- Ca 1,5 Jahre vor mit Afghanistan verlassen. Damals haben meine Probleme erst begonnen. Er war sofort weg. Ich blieb noch einige Zeit, in der Hoffnung dass ich bleiben könnte.

F: Hatten Sie nach seiner Ausreise Kontakt mit ihm?

A: Ich habe keine aktuelle Nummer. Seine afghanische Nummer ist nicht mehr aktiv. Seit er Afghanistan verlassen hat, habe ich keinen Kontakt mehr zu ihm.

F: Wussten Sie, dass er Afghanistan verlassen wollte?

A: Ich habe es ihm sogar gesagt er soll gehen. Ich hatte Angst um ihn und habe seine Ausreise organisiert.

F: Sie haben heute gesagt, dass Ihre Hauptehefrau krank war und sich nicht um die Kinder kümmern konnte. Welche Krankheit hatte sie?

A: Sie war gelähmt. Fast die ganze rechte Hälfte ihres Körpers war gelähmt. Sie konnte nicht mehr arbeiten. nicht mehr kochen.

F: Bei Ihrer Erstbefragung haben Sie gesagt, dass Sie bei einer Rückkehr Angst vor den Taliban und den Kriminellen aus XXXX hätten. Was meinten Sie damit?

A: Die Taliban habe ich erwähnt, weil ich wie gesagt habe, von diesen bedroht wurde. Die Kriminellen aus XXXX sind aktuell in Kabul sehr aktiv. Sie sind fast alle bewaffnet und haben dort Macht. Einfluss und Beziehungen. Die wohlhabenden Leute, vor allem die Händler werden von diesen Leuten ständig unter Druck gesetzt und erpresst. Deshalb habe ich diese Kriminellen erwähnt.

F: Sie werden nochmals auf das Neuerungsverbot im Beschwerdeverfahren aufmerksam gemacht. Ich frage Sie daher jetzt nochmals, ob Sie noch etwas Asylrelevantes angeben möchten oder etwas vorbringen möchten, was Ihnen wichtig erscheint, ich jedoch nicht gefragt habe?

A: Nein, ich habe alles erzählt. Ich habe keine weiteren Gründe mehr vorzubringen.

F: Sind Sie in Ihrer Heimat oder in einem anderen Land vorbestraft bzw. haben Sie im Herkunftsland, oder hier Strafrechtsdelikte begangen?

A: Nein.

F: Werden Sie in der Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet?

A: Nein.

F: Hatten Sie in Ihrer Heimat Probleme mit den Behörden? A: Nein.

F: Waren Sie in Ihrer Heimat jemals Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei? A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer politischen Gesinnung verfolgt? A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Rasse verfolgt? A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion verfolgt? A: Nein.

F: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Nationalität, Volksgruppe oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt?

A: Nein-

F: Gab es jemals bis zu den besagten Vorfällen auf Sie irgendwelche Übergriffe oder ist an Sje persönlich jemals irgendwer herangetreten?

A: Nein _

F: Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten?

A: Ich werde dort entweder von der Familie meiner Frau oder von diesen Verbrechern oder von den Taliban getötet- Abgesehen davon kann ich moralisch auch nicht mehr in Kabul oder Afghanistan {eben. Andere sehen mich als einen Mann der seine Familie nicht richtig beschützt hatte.

F: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?

A: Nein.

F: Warum sind Sie nicht in eine andere Stadt oder in einen anderen Landesteil gezogen? A: Kabul ist die Hauptstadt und die sicherste Stadt des Landes. Dort war ich nicht in Sicherheit. Woanders gibt es sowieso keine Sicherheit.

F: Wissen Sie über die aktuelle politische Lage und über die Sicherheitslage in Ihrer Heimat Bescheid?

A: Nein. Ich weiß nichts.

Anmerkung: Ihnen wird nun die Möglichkeit eingeräumt, in die in die vom Bundesamt zur Beurteilung Ihres Falles herangezogenen allgemeinen Länder-feststellungen des BFA zu Ihrem Heimatland samt den darin enthaltenen Quellen Einsicht und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. Diese Quellen berufen sich vorwiegend unter anderem auf Berichte von EU-Behörden von Behörde von EU-Ländern aber auch Behörden anderer Länder, aber auch Quellen aus Ihrer Heimat wie auch zahlreichen NGOs und auch Botschaftsberichten, die im Einzelnen auch eingesehen werden können.

Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs schriftlich Stellung zu nehmen. Möchten Sie die Erkenntnisse des BFA Ihr Heimatland betreffend in Kopie mitnehmen und eine schriftliche Stellungnahme innerhalb einer Frist von zwei Wochen dazu abgeben?

A: Nein. Ich verzichte darauf. Ich möchte keine schriftliche Stellungnahme dazu abgeben.

Anqaben zum Privat- und Familienleben:

F: Wann sind Sie nach Österreich eingereist?

A: Das war fünfzehn Tage nach Weihnachten- Ca- 16.012015

F: Seit wann sind Sie in Österreich aufhältig?

A: Seit meiner Einreise bin ich hier-

F: Hatten Sie in Österreich jemals einen gültigen Aufenthaltstitel zur Begründung eines legalen Aufenthaltes?

A: Nein.

F: Wie sieht Ihr Alltag in Österreich aus?

A: Dreimal in der Woche kommt eine Lehrerin und unterrichtet uns auf Deutsch. Man hat auch meinen Namen in die Arbeitsliste der Gemeinde geschrieben. Wenn es Arbeit gibt, arbeite ich. Wir bekommen drei Euro die Stunde. Wir putzen die Straßen und solche Sachen. Ich habe vor in Zukunft in Österreich ein Geschäft zu eröffnen und mich selbstständig zu machen. Ich glaube, dass ich mich und meine Schwester selbstständig finanzieren kann. Im Moment darf ich das nicht.

F: Sind Sie seit Ihrer Einreise nach Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen? A: Nein. Ich war bei einigen Firmen, aber sie haben gesagt, dass ich einen Aufenthattstitel brauche.

F: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich? Welche Unterstützungen beziehen Sie?

A: Ich bin in der Grundversorgung.

F: Haben Sie in Österreich einen Deutschkurs besucht und können Sie dafür Beweismittel in Vorlage bringen?

A: Nein. Es läuft noch. Ich habe keinen Kurs abgeschlossen. Ich kann auch nicht regelmäßig daran teilnehmen, da ich meine kranke Schwester pflegen muss.

F: Haben Sie einen abgeschlossenen Deutschkurs mit mindestens dem Niveau A2? Wie schätzen Sie Ihre Deutschkenntnisse ein?

A: Nein.

F: Verfügen Sie über einen Schulabschluss, der der allgemeinen Universitätsreife entspricht oder haben Sie einen Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule?

A: Nein.

F: Haben Sie in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert? Wie war das Ergebnis, bzw. was resultierte daraus?

A: Nein.

F: Sind Sie Mitglied in einem Verein oder in einer Organisation?

A: Nein.

F: Haben Sie Freunde oder Bekannte, die Sie bereits aus Ihrem Heimatland her kennen. in Österreich?

A: Nein.

F: Haben Sie nahe Verwandte oder Familienangehörige in Österreich?

A: Nur meine Schwestert die mit mir hier lebt - im Flüchtlingsheim.

F: Waren Sie jemals Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandef?

A: Nein.

F: Wurden Sie in Österreich jemals Opfer von Gewalt und haben Sie sich diesbezüglich an die örtlichen Sicherheitsbehörden bzw. an ein Gericht (§382e EO - Allgemeiner Schutz vor Gewalt) gewandt?

A: Nein.

F: Sind Sie mit eventuellen amtswegigen Erhebungen vor Ort unter Wahrung ihrer Anonymität, eventuell unter Beiziehung der Österreichischen Botschaft und eines Vertrauensanwaltes einverstanden?

A: Ja, damit bin ich einverstanden."

Unter einem legte der BF ein Konvolut von übersetzten Internetberichten über die allgemeine Situation in Afghanistan, konkret über die Lage der dortigen Händler und deren Gefahr Opfer von Entführungen bzw. Erpressungen zu werden, vor.

Am 02.08.2017 wurde der BF neuerlich vom BFA einvernommen, jedoch wobei er im Wesentlichen bestätigte, dass er bei seinem vormaligen Interview alles Relevante vorgebracht habe, dass sich abgesehen vom Tod seiner mit ihm nach Österreich gereisten Schwester, die einer Krankheit erlegen sei, an seinen Lebensumständen nichts geändert habe. Zu seinen Fluchtgründen habe er damals alles erzählt, mehr habe er dazu nicht zu sagen. Alles stimme, er habe nichts weiter anzuführen. Es hätten sich auch zwischenzeitig keine Änderungen bezüglich seines privaten Familienlebens in Österreich ergeben.

Unter einem legte der BF afghanische Dokumente, samt deutscher Übersetzung vor, die im Wesentlichen Korrespondenz zwischen ihm und der Generalpolizeidirektion der Provinz XXXX umfassen, bei denen es um seine Anzeige der Entführung seiner 2.-Ehefrau geht.

Mit Bescheid vom 09.01.2018 wies das BFA den Antrag sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. ab (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Beweiswürdigend wurde zum Vorbringen des BF u.a. Nachstehendes ausgeführt:

"Bei Ihrer Erstbefragung am 18.01.2015 gaben Sie an, dass nach persönlichen und telefonischen Bedrohungen Ihre beiden Ehefrauen und alle Kinder entführt worden wären. Sie hätten einen Entführer ausforschen können und diese hätte Sie nach Ihrer Anzeige bedroht. Auch Ihre Anzeige bei der Polizei wäre nicht verfolgt worden und Sie hätten Drohbriefe erhalten, wovon noch zwei in der Heimat wären.

Bei Ihrer Einvernahme am 20.10.2016 gaben Sie jedoch eine vollkommen widersprüchliche Fluchtgeschichte an. Zum einen gaben Sie widersprüchlich an, dass nur Ihre Zweitfrau entführt worden wäre. Von Ihrer Hauptfrau haben Sie kein Wort erwähnt, bis nachgefragt wurde, was nun mit Ihrer Hauptfrau ist. Hier wichen Sie nur aus, dass dies nichts mit dem Fluchtgrund zu tun hätte, und Ihre Hauptfrau wahrscheinlich mit den Kindern entführt wurde, da sie nicht mehr vom Basar zurückgekommen wäre. Fragwürdig in diesem Zusammenhang ist auch, ob Ihre Frau aufgrund Ihrer angeblichen Erkrankung überhaupt in der Lage war, alleine mit Kindern auf einen Basar zu gehen um Einkäufe zu tätigen.

Dies erscheint sehr unglaubwürdig, zumal Sie bei der Entführung Ihrer Zweitfrau auch gegen den Willen derer Familie eine Anzeige bei der Polizei erstatteten und die Entführung Ihrer Hauptfrau nicht einmal wert fanden, zu erwähnen. Sie hätten sich damit zufrieden gegeben, dass irgendwelche Bekannte Ihnen erzählt hätten, dass Ihre Frau und Ihre Kinder in den südlichen Provinzen ermordet worden wären.

[ ... ]

Weiters haben Sie sich bei den von Ihnen genannten Personen widersprochen. Bei der Erstbefragung gaben Sie an, dass einer der Entführer ein gewisser XXXX sei - diesen hätten Sie angezeigt, aber es wäre nichts unternommen worden. Hingegen brachten Sie bei Ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt vor, dass zwei Männer aufgrund eines Anrufs bei Ihrem Schwiegervater ausfindig gemacht werden konnten und diese Ihre Frau entführt hätten und Lösegeld forderten. XXXX sei der Hauptmann dieser Männer. Dies ist absolut widersprüchlich zu Ihren Angaben in der Erstbefragung.

[ ... ]

Auch die zeitlichen Angaben betreffend die Entführung Ihrer Zweitfrau stellen ein unglaubwürdiges Vorbringen dar. Zuerst gefragt, wann Ihre Zweitfrau entführt worden wäre, gaben Sie an, dass es am XXXX gewesen wäre. Den Drohanruf hätten Sie jedoch erst im Mai oder Juni XXXX erhalten. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, warum ein Erpressungsanruf erst nach einem dreiviertel Jahr getätigt wird und nicht sofort nach der Entführung. Sie selbst führten sohin nur aus, dass Sie keine Ahnung hätten, unter welchen Umständen Ihre Frau festgehalten wurde oder ob sie gar freiwillig mitgegangen wäre. Sie haben auf diesen Vorhalt nur ausweichend geantwortet.

[ ... ]

Auch in Ihrem Falle kann aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse seitens des Bundesamtes aufgrund der hervorstechenden Merkmale von einem standardisierten Vorbringen gesprochen werden.

Zudem geht auch der VwGH in seinem Beschluss davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann.

Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (vgl Beschluss des VwGH 2000/01/0250 vom 7.6.2000).

Zu den vorgelegten Unterlagen ist zu sagen, dass Sie lediglich Kopien mit fragwürdigem Inhalt vorlegten. Der vorgelegten Kopie kommt keine Beweiskraft zu, da Kopien jeglicher Art von Manipulation unterliegen können und daher auch keiner Echtheitsüberprüfung unterzogen werden können. Zudem ist der Sprachgebrauch in den Unterlagen fragwürdig, da es keiner gängige Behördensprache entspricht ("Kümmern Sie sich entsprechend der Vorschriften um das Problem des Beschwerdeführers"). Auch geht aus einem Schreiben hervor, dass der angebliche Drohanruf in der Zeit April / Mai XXXX getätigt wurde und nicht wie so vorbrachten, ca. Mai / Juni XXXX .

Bei Ihrer Einvernahme gaben Sie an, dass Ihre Frau aus einer mächtigen Taliban-Familie stammen würde. Sie hätten es nie bemerkt, erst, nachdem ein Schwager von Ihnen das Haus brauchen würde für die Taliban. Dies ist doch sehr fragwürdig. Denn wenn die Familie wirklich so mächtig wäre, wäre Ihre Frau auch nicht von anderen Taliban entführt worden für 100.000 USD. Zudem ist es nicht glaubhaft, dass Sie bis dorthin keinerlei Anzeichen erkannten, dass die Familie den Taliban angehört. Es entspricht nicht der afghanischen Verheiratungstradition, dass Sie nur mit den Eltern und Ihrer zukünftigen Frau zu tun gehabt hätten. Denn Großfamilien sind in Afghanistan eine normale gesellschaftliche Gegebenheit und wenn Sie wirklich des Öfteren mit den Eltern Ihrer Frau zu tun gehabt haben, wären Sie sicher auch mit anderen Familienmitgliedern in Berührung gekommen.

[ ... ]

Es ist auch absolut unglaubwürdig, warum Sie selbst Angst vor einer Entführung hätten, wo es doch um Geld gegangen ist. Dies ist absolut nicht nachvollziehbar. Hier führten Sie nur aus, dass Sie Angst gehabt hätten, mitgenommen und getötet zu werden.

[ ... ]."

Gegen diesen, am 15.01.2018 zugestellten Bescheid hat der BF fristgerecht am 07.02.2018 Beschwerde erhoben und hiebei zu den beweiswürdigenden Erwägungen des BFA ausgeführt:

"Im Rahmen einer umfassenden Beweiswürdigung hat die belangte Behörde die materielle Wahrheit zu ermitteln und die relevanten Ermittlungsergebnisse in ihrer Beurteilung zu berücksichtigen. Es ist evident, dass es der gegenständliche Sachverhalt eine gewisse Komplexität aufweist, und die Einvernahme aufgrund der Müdigkeit und altersgemäßen Verwirrtheit des BF gewisse Schwierigkeiten bei der zeitlichen Einordnung aller Geschehnisse bereitete. Umso wichtiger ist eine umfangreiche und sensible Ermittlungstätigkeit, welche sich vollumfänglich mit den Angaben des BF auseinandersetzt. Dass die Erstbehörde dem BF in Hinblick auf seine generellen Aussagen Glauben schenkt, dann aber aufgrund eines sehr konstruiert wirkenden Vorwurfs der Widersprüchlichkeit, dem BF in Hinblick auf sein Fluchtvorbringen im Nachhinein die gesamte Glaubwürdigkeit abspricht, ohne ihn mit ihren Bedenken zu konfrontieren, ist nicht nachvollziehbar.

Entgegen den Ausführungen der Erstbehörde waren die Angaben des BF gleichbleibend und in sich schlüssig. Bei der Erstbefragung am 18.01.2015 gab der BF an, er habe Afghanistan verlassen, da er erpresst wurde, und seine beiden Ehefrauen und Kinder entführt wurden. Wenn er in der Einvernahme vom 20.10.2016 vor allem detailliert über die Vorfälle bezüglicher seiner Zweit-Frau sprach und die genaueren Umstände der Entführungen seiner Erst-Frau sowie Kinder erst auf Nachfrage angab, ist dies darauf zurückzuführen, dass der BF davon ausging, dass vor allem die zeitnah an seiner Flucht gelegen Vorkommnisse für die Behörde fluchtrelevant seien. Er hat allerdings gleich zu Beginn bei seinen Angaben zur Person und den Lebensumständen den vermutlichen Tod seiner Erst-Frau erwähnt und bereitwillig auf Nachfrage die Vorkommnisse erörtert. Es handelt sich bei den durch den Beschwerdeführer im Rahmen der Einvernahme gemachten Angaben somit nicht um ein Abweichen gegenüber seiner Aussage bei der Erstbefragung.

Hierzu wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 19 Abs. 1, Zif. 2 AsylG es gerade nicht Zweck der Erstbefragung ist, den Fluchtgrund zu ermitteln, sondern die Ermittlung des Fluchtweges. Dazu wird auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofs (VfGH vom 27.06.2012, U 98/12) verwiesen, wonach Asylwerber im Zuge der Erstbefragung gar nicht näher zu ihren Fluchtgründen befragt werden dürfen. Der BF war bei der Erstbefragung durch die Polizei von der Situation sehr eingeschüchtert und übermüdet, zumal er sich in einem völlig fremden Land befand. Sohin kann eine detaillierte Angabe der Vorfälle zum damaligen Zeitpunkt nicht erwartet werden. Letztlich finden sich in den Aussagen des BF jedenfalls keinerlei Widersprüche, sondern lediglich der Versuch auf die Fragen des BFA bei der niederschriftlichen Einvernahme tiefergehend zu beantworten. Die Beweiswürdigung in diesem Punkt ist mangelhaft.

In Hinblick auf die zweite Einvernahme vom 20.10.2016 ist anzumerken, dass es sie leider unter sehr prekären Umständen stattfand. Wie auch im Protokoll notiert, hatte die Schwester des BF, die mittlerweile verstorben ist, in der Nacht vor der Einvernahme einen Anfall. Da sich der BF zum damaligen Zeitpunkt vollumfänglich um sie kümmerte, verbrachte er die ganze Nacht vor der Einvernahme mit seiner Schwester im Krankenhaus, weshalb er zu seinem Interview stark übermüdet erschien. Die Müdigkeit, als auch der persönlichen Stress, welchem der BF aufgrund dieser Situation zusätzlich ausgesetzt war, erklärt seine teils wirren Angaben und weshalb es ihm beizeiten offensichtlich schwerfiel der Intention der Fragestellungen der Behörde zu folgen und alle Geschehnisse klar zeitlich zu trennen. In Hinblick auf den komplexen Sachverhalt und die Verfassung des BF wurde leider nicht mit der erforderlichen Sensibilität auf eine chronologische und geordnete Frageführung geachtet, was die Wahrheitsfindung aufgrund der dadurch hervorgerufenen Verwirrung des BF, zusätzlich erschwerte. Zwar wurde, in offensichtlicher Erkenntnis dieses Mangels, eine nochmalige Einvernahme durchgeführt. Bei dieser wurden allerdings keinerlei inhaltliche Fragen zu seinem Fluchtvorbringen behandelt und wurde der BF auch nicht mit aufgetretenen Missverständnissen konfrontiert. Da auch im Rahmen der Beweiswürdigung nicht auf die besonderen Umstände der Angaben dieser zweiten Einvernahme eingegangen wurde und insbesondere weder die dadurch hervorgerufene Verwirrtheit noch das fortgeschrittenen Alter des BF gewürdigt wurde, ist es umso unerlässlicher, dass zu einer mündlichen Einvernah

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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