Entscheidungsdatum
19.09.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W142 2150763-1/15E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. Somalia, vertreten durch Edward W. DAIGNEAULT, Rechtsanwalt in 1160 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2017, Zl. 1072642104/150641297, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.08.2018 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger Somalias, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 08.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Am 09.06.2015 fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung des BF im Beisein eines Dolmetschers, welcher in die Sprache Somalisch übersetze, statt. Zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt, gab der BF an, er sei am
XXXX in Qoryooley in Somalia geboren. Er sei ledig, bekenne sich zum Islam und gehöre der Volksgruppe der Ashraf an. Er habe drei Jahre lang die Grundschule besucht. Er habe keine Berufsausbildung. Seine Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern würden in Somalia leben. Ein Bruder wohne in Norwegen und sei dort asylberechtigt. Er habe in Somalia in Qoryooley gelebt und seinen Herkunftsstaat im Jänner 2013 verlassen. Seine Mutter habe gemeinsam mit einem Schlepper die Reise organisiert und die Reise habe 4.000 USD gekostet.
Als Fluchtgrund gab der BF an, er habe sein Land wegen der Terrorgruppe Al Shabaab verlassen. Sie hätten gewollt, dass er sich dieser Terrorgruppe anschließe. Er habe dies nicht gewollt und habe große Angst gehabt, dass sie ihn deswegen töten würden. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.
3. Am 07.07.2015 wurde der BF vom BFA unter Beteiligung eines Dolmetschers für Somalisch niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass er bei der Erstbefragung die Wahrheit gesagt habe. In Äthiopien sei für ihn ein Antrag auf Familienzusammenführung gestellt worden. Er wolle gerne zu seinem Bruder nach Norwegen.
4. Nach Durchführung eines Konsulationsverfahrens mit Norwegen lehnte Norwegen die Aufnahme des BF ab und teilte zudem mit, dass der BF gemeinsam mit seinem Bruder am 17.07.2013 einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt habe. Dabei habe er angegeben, er sei XXXX , geboren am XXXX . Er sei in Norwegen als volljährig registriert.
5. Am 28.08.2015 wurde der BF erneut niederschriftlich einvernommen. Er gab an, bis dato die Wahrheit gesagt zu haben. Nach Vorhalt der Behörde, dass er bereits im Jahr 2013 einen Antrag auf Familienzusammenführung in Norwegen gestellt habe, für die norwegischen Behörden als volljährig gelte und keine Übernahme seines Asylverfahrens erfolge, gab der BF an, dass er zu seinem Bruder gewollt habe, da er hier keine Familie habe. In Somalia herrsche Krieg. Befragt, warum er bei der Antragstellung den XXXX als Geburtsdatum angegeben hab, führte er aus, dass er nur sicher wisse, dass er XXXX geboren sei, aber das Datum wisse er nicht sicher.
Das BFA ging in weiterer Folge von der Volljährigkeit des BF aus.
6. Am 14.10.2016 fand eine weitere Einvernahme des BF in Beisein eines Dolmetschers für die Somalische Sprache statt. Der BF gab an bis dato die Wahrheit gesagt zu haben. Zu seinen persönlichen Verhältnissen in Somalia gab er ergänzend an, er sei dort Landwirt auf ihrer eigenen Landwirtschaft gewesen. Er sei gesund und nehme keine Medikamente ein. Er habe immer in Qoryooley gelebt. Er habe seinen Herkunftsstaat glaublich im März 2013 verlassen, sei ca. zwei Jahre in Äthiopien gewesen und dann nach Österreich gekommen. Er habe für die Ausreise 4.000 USD bezahlt. Sein Bruder in Norwegen habe ihm das Geld geschickt. In Somalia sei es ihnen mittelmäßig gegangen, ihr Besitz sei ihnen weggenommen worden. Seine Eltern seien gestorben. Sein Vater sei in Qoryooley im Jahr 2005 getötet worden, seine Mutter sei eines natürlichen Todes im Jahr 1999 gestorben. Drei seiner Geschwister hätten in der Umgebung von Qoryooley gewohnt. Seit seiner Ausreise habe er keinen Kontakt mehr zu den Geschwistern. Andere Verwandte kenne er nicht. Er habe in Qoryooley bei seinem Bruder, nach dessen Ausreise, bei dessen Frau gelebt. Sie hätten ein Haus und zwei Grundstücke in Somalia gehabt. Ein Grundstück sei ihnen weggenommen worden. Sie hätten auch vier Kühe gehabt. Befragt, ob er in der Heimat je in Haft gewesen sei, gab er an, die Al Shabaab habe ihn festgenommen und eingesperrt.
Zu seinen Fluchtgründen brachte der BF wie folgt vor (Schreibfehler korrigiert):
[...]
Ich bin in Qoryooley bei meinem Bruder aufgewachsen. In einem Stadteil von Qoryooley hat es eine Moschee gegeben. Ich bin dorthin beten gegangen. Ich habe dann Probleme bekommen. Eines Tages haben zwei Männer nach dem Gebet mich angesprochen. Sie haben gesagt, sie gehören der Al Shabaab an, und Sie wollten, dass ich mit Ihnen zusammenarbeite. Ich habe Ihnen gefragt, was ich tun soll. Sie sagten ich bin ein junger Mann. Ich muss mit Ihnen mitgehen. Ich hatte Angst nein zu sagen. Sie haben mir zwei Tage Bedenkzeit gegeben. Ich soll nach zwei Tagen wieder in die Moschee kommen. Ich bin dann zuhause geblieben und habe die Moschee nicht mehr besucht.
LA: War Ihr Bruder XXXX noch in Somalia?
VP: Er war schon in Norwegen.
LA: Wann war dieser Vorfall?
VP: Es war einen Monat vor meiner Ausreise.
LA: Haben Sie diese Männer gekannt?
VP: Ich habe Sie ein paar Mal vorher in der Moschee gesehen.
LA: Haben Sie mit ihnen vorher schon mal gesprochen?
VP: Ich hatte noch nie mit Ihnen gesprochen. Ich hatte immer Angst.
LA: Was ist dann weiter passiert?
VP: Nach den zwei Tagen sind vier Männer zu uns in das Haus gekommen. Es waren die zwei Männer von der Moschee und zwei weitere.
LA: Wann war das (Am Morgen,.....)?
VP: Wir sind schon schlafen gegangen. Es war Dunkel. Es war vermutlich Mitternacht. Sie haben die Tür aufgebrochen. Die fünf Kinder und seine Frau waren erschrocken. Sie haben meine Hände und Füße mit einem Seil zusammen gebunden. Mit dem Gewehrkolben haben Sie mich geschlagen. Ich wurde mit einem Auto mitgenommen.
LA: Waren alle diese Männer bewaffnet?
VP: Zwei hatten Gewehre und zwei hatten eine Pistole.
LA: Wer hatte die Gewehre und wer hatte die Pistolen besessen?
VP: Die mir von der Moschee bekannten hatte einer ein Gewehr und der andere hatte eine Pistole.
LA: Wohin wurden Sie gebracht?
VP: Sie haben mich außerhalb der Stadt gebracht. Sie haben mich geschlagen und dann haben Sie mich in ein Zimmer eingesperrt. Ich war 20 Tage eingesperrt und wurde jeden Tag geschlagen.
LA: Wie wurden Sie geschlagen?
VP: Mit einem Seil aus Plastik?
LA: Wie hat dieses Seil ausgesehen?
VP: Es war so lang wie ich.
LA: Wie dick war es und welche Farbe hat es besessen?
VP: Es war schwarz und hat ca. 5 cm Durchmesser gehabt. In der Nacht haben Sie uns mit kaltem Wasser übergossen.
LA: Wie lange hat die Fahrt vom Heimathaus bis zum Haus wo Sie eingesperrt waren gedauert?
VP: Ca. 40 Minuten sind wir mit dem Auto gefahren.
LA: Was ist dann weiter passiert?
VP: Nach ca. 20 Tagen haben Sie mich und zwei andere in ein Büro in diesem Haus gebracht. Die Chefs dort haben mich gefragt, ob ich mir bewusst bin welche Straftaten ich begangen habe. Ich habe daraufhin gesagt, dass ich es nicht weiß. Sie haben gesagt, dass ich gegen die Religion und die Befehle verstoßen habe. Weil ich nicht mitarbeiten wollte wurde ich zum Tode verurteilt. Ich habe dann geweint. Ich wurde dann wieder in die Zelle zurückgebracht. Zwei Tage später haben die Amison- und die Regierungsoldaten das Gefängnis gestürmt. Nach einer Befragung haben Sie uns zurück in die Stadt Quorolly gebracht und frei gelassen.
LA: Was ist mit den anderen zwei Mithäftlingen passiert?
VP: Sie wurden auch zum Tode verurteilt.
LA: Wie viele Gefangene hat es gegeben?
VP: Es waren noch 14 weitere Gefangene dort.
LA: Haben Sie jemanden persönlich gekannt?
VP: Ich habe niemanden gekannt.
LA: Wie viele Al Shabaab Kämpfer waren in diesem Gefängnis?
VP: Ich weiß nicht wie viele es waren. Uns haben vier am Tag und auch vier andere in der Nacht bewacht.
LA: Wie hat die Zelle ausgesehen?
VP: Wir waren 15 in einem Raum. Als die Regierungstruppen gekommen sind, habe ich noch gesehen, dass acht Personen im Nebenraum waren. Der Raum hatte eine Tür und kein Fenster. Es gab ein kleines Loch. Dort kam Luft herein.
LA: Was ist nach Ihrer Freilassung passiert?
VP: In der Stadt Qorolly haben Sie uns frei gelassen. Sie haben gesagt, dass Sie uns nicht beschützen können. Ich bin nach Hause gegangen. Ich habe meinen Bruder XXXX angerufen. Ich habe ihn gesagt, dass ich freigekommen bin. Ich hatte Angst, dass die Männer wiederkommen. Sie hatten die Kontrolle über die Stadt. Mein Bruder XXXX hat einen Mann in unserer Stadt angerufen und ihm gebeten uns zu helfen. Dieser Mann ist mit einem großem Pick Up gekommen. Wir haben uns auf diesem Fahrzeug dann versteckt. Die Frau meines Bruders, die fünf Kinder von Ihm und ich waren auf diesem Fahrzeug. Sie haben uns nach Äthiopien gebracht.
LA: Wie lange waren Sie in Äthiopien?
VP: Ca. 2 Jahre.
LA: Hat es vorher andere Probleme gegeben?
VP: 2005 wurde mein Vater getötet und uns wurde die Landwirtschaft und vier Kühe weggenommen. Einige Monate später ist mein Bruder geschlagen worden. Er hat daraufhin das Land verlassen. Danach hat es keine Probleme gegeben. Die Probleme haben erst ein Monat vor meiner Ausreise begonnen.
LA: Wollen Sie noch etwas Wichtiges mitteilen?
VP: In Libyen wurden ich drei Monate vom Schlepper eingesperrt und weitere fünf Monate hat mich die Regierung eingesperrt. Wir waren illegal eingereist.
LA: Wo waren zu dieser Zeit die Frau des Bruders und Ihre Kinder?
VP: Mein Bruder hat einen Asylstatus in Norwegen. Sie sind legal von Addis Abeba nach Norwegen gereist.
LA: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?
VP: Ja. Für mich war es schwer in Äthiopien zu leben. Zurück konnte ich nicht. Ich bin dann weiter nach Europa gereist.
LA: Gibt es weitere Fluchtgründe?
VP: Nein.
LA: Waren die Al Shabaab auch tagsüber in Ihrem Heimatstadt?
VP: Ja. Sie hatten die Kontrolle über die Stadt.
LA: Haben Sie noch Verwandte in Somalia? Onkel Tanten, Großeltern
...
VP: Ich kenne niemanden.
LA: Warum sind Sie nicht nach Mogadishu gegangen. Dies ist eine relativ sichere Stadt?
VP: Wir haben niemanden in Mogadishu. Ich war nie in Mogadishu
LA: Warum sind sie nach Österreich gekommen?
VP: Ich wollte Asyl bekommen.
LA: Könnten Sie wieder in Ihr Heimatland zurückkehren?
VP: Nein.
LA: Was hätten Sie bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland zu befürchten?
VP: Ich habe Angst, dass ich getötet werde. Ich habe es geschafft zu flüchten.
[...]
VP: Ich habe alles gesagt. Meine Mutter heißt nicht XXXX sondern XXXX . Bei der Erstbefragung wurde es falsch eingetragen. Meine Mutter ist auch verstorben.
LA: Bei der Erstbefragung haben Sie angegeben, dass Ihre Mutter die Reise organisierte. Jetzt haben Sie angegeben, dass Ihre Mutter tot ist und Ihr Bruder aus Norwegen die Reise organisiert hat. Nehmen Sie dazu bitte Stellung.
VP: Ich war krank. Ich war lange auf der Flucht. Ich weiß nicht was ich damals gesagt habe.
LA: Wo lebt Ihr zweiter Bruder XXXX ?
VP: Zuletzt war er in der Umgebung von Quorolly.
LA: Wann hatten Sie den letzten Kontakt zu ihm?
VP: Ich habe nur gehört, dass es noch einen Bruder gibt. Ich habe ihn noch nie gesehen.
LA: Wo sind Ihre Schwestern?
VP: Auch meine Schwestern habe ich nie gesehen. Ich habe davon nur gehört.
LA: Wer hat Ihnen dies erzählt?
VP: Mein Bruder XXXX hat es mir ca. im Jahre 2012 erzählt.
LA: Sind Ihre Geschwister älter oder jünger als Sie?
VP: Es sind alle älter.
LA: Warum haben Sie von den anderen Geschwistern nichts gehört. Warum hat Ihr Bruder erst im Jahre 2012 davon erzählt?
VP: Er hat mir nichts erzählt, weil ich noch jung war.
[...]
LA: Möchten Sie noch weitere Angaben machen? Konnten Sie zum Verfahren alles umfassend vorbringen und gibt es zur Einvernahme irgendwelche Einwände?
VP: Ich habe alles gesagt. Ich möchte noch sagen, dass mein Vater nicht von den Al Shabaab getötet wurde. Er wurde von Stammmilizen getötet. Der Chef heißt XXXX .
LA: Wo wurde Ihr Vater getötet?
VP. In Qoryooley.
LA: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden?
VP: Gut.
LA: Fühlten Sie sich während dieser Einvernahme auch wohl?
VP: Ja.
[...]
LA: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Die Angaben auf der Seite vier bezüglich meiner Geschwister stimmen nicht. Ich habe Sie nie gesehen und auch keinen Kontakt gehabt. Sonst wurde alles richtig und vollständig übersetzt und protokolliert.
LA: Wussten Sie wo die zwei Personen die Sie in der Moschee getroffen haben auch gelebt haben?
VP: Nein.
LA: Wie weit ist ihr Heimathaus von der Moschee entfernt.
VP: 15 Minuten zu Fuß
LA: Gibt es eine Polizeistation in Ihrem Heimatort?
VP: Ja. Es gibt eine.
LA: Die ergänzenden Fragen wurden rückübersetzt. Wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
VP: Ja, es stimmt alles.
[...]
7. Im Verwaltungsakt befindet sich eine ACCORD-Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 19.01.2016 zu Somalia "Zwangsrekrutierungen durch die Al Shabaab in Qoryooley bis Dezember 2013."
8. Am 02.02.2017 wurde der BF erneut in Beisein eines Somalisch-Dolmetschers einvernommen. Er gab an, im bisherigen Verfahren die Wahrheit gesagt zu haben. Er sei gesund und nehme keine Medikamente. Er sei noch nie in Mogadischu gewesen. Er sei bei seiner Ausreise durch Mogadischu durchgefahren.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er wie folgt an:
[...]
LA: Sie haben bei der Befragung am 14.10.2016 vor dem BFA angegeben, dass Sie ca. 20 Tage inhaftiert waren. Wie viele Personen waren in diesem Gefängnis inhaftiert?
VP: 14 Männer und ich waren im gleichen Raum. Später als ich durch die Polizei freigelassen wurde habe ich acht weitere Häftlinge von einem weiteren Raum gesehen.
LA: Sie haben angegeben, dass Sie für die Al Shabaab arbeiten sollten. Welche Tätigkeiten hätten Sie für die Al Shabaab machen sollen?
VP: Sie sagten, dass ich für die Religion arbeiten muss.
LA: Welche arbeiten müssen Sie für die Religion erledigen?
VP: Sie forderten mich auf, dass ich mich der Gruppe anschließe. Sie sagten mir nicht, was ich genau tun muss. Es ist nicht so weit gekommen, dass Sie mir davon erzählt haben.
LA: Wo leben Ihre Schwestern und Ihr Bruder XXXX ?
VP: Ich habe gehört, dass Sie am Land in der Umgebung von Qoryooley.
LA: Woher wissen Sie es?
VP: Mein Bruder XXXX hat es mir erzählt.
LA: War Ihr Bruder in Somalia als er Ihnen dies erzählt hat?
VP: Mein Bruder hat es mir am Telefon erzählt als er bereits in Norwegen war.
LA: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Ihrem Bruder XXXX ?
VP: Ich hatte noch nie einen Kontakt zu ihm.
LA: Haben Sie nicht versucht Ihren Bruder XXXX zu finden bzw. zu besuchen?
VP: Nein. Ich weiß nicht wo er genau lebt, oder ob er noch lebt.
LA: Sie haben vor dem BFA angegeben, dass Sie festgenommen wurden. Erzählen Sie bitte wie diese Festnahme abgelaufen ist?
VP: 4 Männer haben unser Haus in Qoryooley angegriffen. Zwei habe ich schon früher gesehen. Sie haben schon mal mit mir gesprochen. Es war in der Nacht. Wir haben geschlafen. Sie haben die Tür aufgebrochen. Die fünf Kinder meines Bruders XXXX und seine Frau sind erschrocken. Sie haben meine Hände nach hinten gebunden. Sie haben auch meine Füße gefesselt. Sie haben mich dann zum Auto getragen und ins Auto geworfen.
LA: Wann ist ihr Bruder XXXX aus Somalia ausgereist?
VP: Es war im Jahre 2006.
LA: Wie lange waren Sie selbst noch nach der Ausreise Ihres Bruders in Somalia?
VP: Bis zum Jahre 2013. Ca. sieben Jahre war ich noch in Somalia.
LA: Was war der Grund für die Ausreise Ihres Bruders XXXX ?
VP: Mein Vater wurde von Milizen getötet. Mein Bruder hat nachgefragt weshalb er getötet wurde. Man hat ihn gesagt, dass er nicht mehr darüber Fragen darf, sonst wird er selbst getötet. Deswegen ist er ausgereist. Sie haben uns vier Kühe und eine Landwirtschaft weggenommen.
LA: Ist Ihr Bruder aus Somalia alleine ausgereist?
VP: Ich weiß es nicht.
LA: Seit wann ist ihr Bruder in Norwegen?
VP: Das weiß ich nicht.
LA: Warum sind seine Frau und die Kinder in Somalia geblieben?
VP: Mein Bruder wurde gesucht. Nicht die Kinder und seine Frau.
LA: Was hat Ihr Bruder XXXX in Somalia gearbeitet?
VP: Er hat auf unserer Landwirtschaft gearbeitet.
LA: Sie haben bei der Befragung angegeben, dass Ihr Bruder XXXX der in Norwegen ist für die Ausreise Geld geschickt hat? Erzählen sie bitte davon.
VP: Er hat mir Geld in den Sudan geschickt. Ich war zu dieser Zeit in Libyen. Er hat es zu einem Büro im Sudan geschickt. Der Schlepper der im Libyen war hatte zum Schlepper im Sudan Kontakt. Der Schlepper im Sudan hat dann das Geld erhalten.
LA: War dies die einzige Geldüberweisung Ihres Bruders?
VP: Als ich in Italien war hat er mir auch Geld geschickt.
LA: Wie oft hat Ihr Bruder Geld geschickt?
VP: Als wir in Somalia gelebt haben hat er seiner Frau Geld geschickt. Ich habe bei Ihr mitgelebt.
LA: Wie groß war Ihre Landwirtschaft vor Ihrer Ausreise? Wie viele Tiere haben Sie besessen?
VP: Es war eine große Landwirtschaft. Wir haben 10 Ziegen besessen. Sonst hat es keine Tiere gegeben.
LA: Wer hat alles vor Ihrer Ausreise in Ihrem Heimathaus gelebt?
VP: Ich, die Frau meines Bruders und seine fünf Kinder.
LA: Wie alt sind die Kinder Ihres Bruders XXXX ?
VP: Die älteste ( XXXX ) ist ca. 15 Jahre alt und die jüngste ( XXXX) ist ca. 6 Jahre alt
[...]
9. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 23.02.2017 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Das Bundesamt stellte fest, dass die Identität des BF nicht feststehe, da er keine Urkunden vorgelegt habe. Er sei ledig, gesund und arbeitsfähig. Er sei somalischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Ashraf an und sei Moslem. Drei Geschwister würden in Somalia leben. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF in Somalia der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sei. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia einer realen Gefahr der Verletzung von Art. 2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt wäre oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen Konfliktes oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Beweiswürdigend führte das Bundesamt zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen aus, dass der BF - selbst auf Nachfrage - wenige Details (bspw. zu dem Seil mit dem er geschlagen worden wäre) angegeben habe. Auch sei nicht lebensnah, dass die Al Shabaab sich 20 Tage Zeit lasse, sondern wäre logischer, dass diese den BF gleich von Anfang an vor die Wahl zwischen Leben und Tod gestellt hätte. Auch habe der BF nicht detailliert über die Zelle, in welcher er inhaftiert gewesen sei berichten können. Zudem habe der BF angegeben, dass seine persönlichen Probleme erst einen Monat vor seiner Ausreise begonnen hätten, was jedoch im Widerspruch zu seiner Aussage bei der Erstbefragung stehe, wo er angegeben habe, den Entschluss zur Ausreise im Februar 2012 gefasst zu haben. Zudem habe er bei der Erstbefragung angegeben, dass seine Mutter die Reise organisiert habe, während er vor der Behörde aber ausführte, dass seine Mutter bereits im Jahr 1999 verstorben sei. Auch habe aus der Anfragebeantwortung von ACCORD vom 02.02.2016 keine Zwangsrekrutierung speziell in Qoryooley festgestellt werden können. Es sei somit davon auszugehen, dass der BF eine fiktive Geschichte vorgebracht habe.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass es derzeit keine gesicherte Rückkehr nach Qoryooley gebe, der BF jedoch die Möglichkeit habe nach Mogadischu zurückzukehren. Mogadischu sei unter Kontrolle von AMISOM und sei generell sicher. Der BF sei ein gesunder, junger Mann der bei einer Rückkehr wegen seiner somalischen Wurzeln, wie Abstammung, Sprache und Clanzugehörigkeit eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden könne. Zudem habe er Geschwister in Somalia. Auch könne ihm sein Bruder in Norwegen finanziell helfen.
10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende vollumfängliche Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Behörde ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe. Das Vorbringen sei nicht vor dem Hintergrund einschlägiger Länderberichte gewürdigt worden. Die Behörde habe keine Ermittlungen dazu durchgeführt, welche Akteure derzeit die Kontrolle über die Herkunftsregion des BF ausüben. Es würden ausführlicher Berichte zur Lage in Qoryooley und zur Lage der Minderheit der Ashraf fehlen. Auch habe die Behörde nicht ermittelt, ob er die Möglichkeit hätte, sich außerhalb seiner Herkunftsregion seinen Lebensunterhalt zu sichern. Zudem seien keine Ermittlungen zum Bruder des BF und seinen Asylgründen angestellt worden. Die Länderfeststellungen seien unvollständig, unrichtig bzw. teilweise veraltet. Dies gelte vor allem für die Lage in Mogadischu. Zur Situation der Ashraf werde ergänzend auf Berichte (aus 2010, 2015 und 2016) verwiesen. Auch zur Zwangsrekrutierung der Al Shabaab und zur Sicherheits- und Versorgungslage in Mogadischu werde auf Berichte aus 2015 und 2016 verwiesen. Dem BF drohe in Somalia asylrelevante Verfolgung vor Al Shabaab aufgrund der unterstellten politischen Gesinnung. Die Behörde habe auch nicht berücksichtigt, dass der BF zum Zeitpunkt des fluchtauslösenden Ereignisses noch minderjährig gewesen sei. Zu seinen Geschwistern werde angemerkt, dass der BF von seinem Bruder erfahren habe, dass er noch weitere Geschwister habe, welche als Nomaden außerhalb von Qoryooley gelebt hätten. Der BF habe seit seiner Kindheit bei seinem Bruder XXXX gelebt und sei von diesem erzogen worden. Er habe die anderen Geschwister nie kennengelernt. Als XXXX Somalia verlassen habe, habe er versucht mit den anderen Geschwistern Kontakt aufzunehmen, es sei ihm aber nicht gelungen. Der BF habe auch umfassende Details zu dem Seil mit dem er misshandelt worden sei machen können. Zum Beweis für die Richtigkeit seiner Verletzungen beantrage der BF ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage, ob beim BF körperliche oder psychische Folgen erkennbar seien, einzuholen. Soweit das BFA meine, es sei nicht lebensnah, dass Al Shabaab sich 20 Tage Zeit gelassen habe um den BF vor die Wahl zwischen Leben und Tod zu stellen, werde ausgeführt, dass diese bei Rekrutierungen mit Gehirnwäsche, Indoktrinierung und Misshandlungen arbeite. Dazu werde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung aus 2013 verwiesen. Der BF habe seine Zelle auch ausführlich beschreiben können. Zum Vorhalt der Behörde, der BF habe widersprüchliche Angaben zum Beginn seiner persönlichen Probleme gemacht, werde ausgeführt, dass der BF bereits seit 2012 generell Angst vor einer Rekrutierung durch Al Shabaab gehabt habe, da bereits viele Jungen in seiner Nachbarschaft rekrutiert worden seien. Seine persönlichen Probleme hätten erst 2013 angefangen. Soweit sich das BFA in unzulässiger Weise auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme stütze, werde darauf hingewiesen, dass der BF sehr erschöpft gewesen sei und müssten seine Aussagen vor diesem Hintergrund gesehen werden. Richtig sei, dass seine Mutter 1999 gestorben sei. Mit "meiner Mutter" habe der BF die Frau seines Bruders gemeint, bei welcher der BF aufgewachsen sei und welche über Jahre die Rolle einer Mutter für ihn übernommen habe. Zudem sei die ACCORD-Anfragebeantwortung nicht im Bescheid enthalten. Der BF könne nicht in Mogadischu leben, da er von Al Shabaab ausfindig gemacht werden könne und Mogadischu zudem unsicher sei. Auch verfüge er dort über keine Anknüpfungspunkte.
11. Am 29.09.2017 stellt der BF durch seinen Rechtsvertreter einen Fristsetzungsantrag gem. Art 133 Abs. 1 Z 2 BV-G, welcher mit Beschluss des VwGH vom 04.12.2017 zurückgewiesen wurde.
12. Am 23.08.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die somalische Sprache und in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters eine mündliche Verhandlung durch.
Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung wie folgt an:
[...]
RI: Von wann bis wann waren Sie in Somalia aufhältig?
BF: Ich bin geboren und aufgewachsen in Somalia und im März 2013 geflüchtet.
RI: Können Sie mir Ihr genaues Geburtsdatum nennen?
BF: Mein Familienname ist XXXX , mein Vorname ist XXXX .
RI: Lautet Ihr Name XXXX oder XXXX ?
BF: Mein Name lautet XXXX . Ich bin am XXXX geboren in der Stadt XXXX in Somalia.
RI: Können Sie das genaue Datum angeben, wann Sie im März 2013 Somalia verlassen haben?
BF: Wie gesagt, im März 2013, das genaue Datum habe ich vergessen.
RI: Sie Stadt Qoryooley liegt in welcher Provinz?
BF: Qoryooley liegt in der Provinz Lower Shabele.
RI: Haben Sie noch Verwandte, die in Somalia leben?
BF: Ich habe einen Bruder und zwei Schwestern, allerdings weiß ich nicht, wo sie sich befinden.
RI: Können Sie mir den Namen Ihres Bruders und Ihrer beiden Schwestern aufschreiben?
BF: Mein Bruder heißt XXXX , meine Schwestern heißen XXXX und XXXX . (siehe Beilage ./A)
RI: Können Sie mir das Geburtsdatum Ihres Bruders nennen?
BF: Ich habe ihn in meinem Leben noch nie gesehen und ich weiß nicht, wann er geboren ist.
RI: Kennen Sie Ihre beiden Schwestern?
BF: Nein, ich habe sie auch noch nie gesehen und weiß daher das Geburtsdatum nicht.
RI: Haben Sie noch einen Bruder?
BF: Ja, ich habe noch einen Bruder, der zurzeit in Norwegen lebt, ich bin bei ihm aufgewachsen.
RI: Wieso kennen Sie Ihren Bruder XXXX und Ihre beiden Schwestern nicht? Wieso haben Sie sie noch nie im Leben gesehen?
BF: Ich bin in Qoryooley wohnhaft gewesen, meine zwei Schwestern und mein Bruder XXXX haben in anderen Dörfern gewohnt.
RI: Wieso sind Sie nicht gemeinsam mit Ihren Geschwistern XXXX aufgewachsen?
BF: Sie sind Viehzüchter gewesen und haben in anderen Dörfern gelebt. Ich bin bei meinem anderen Bruder aufgewachsen.
RI: Wissen Sie vielleicht das Alter Ihres Bruders XXXX und Ihrer Schwestern XXXX und XXXX ?
BF: Nein, das weiß ich nicht.
RI: Sind Ihre Eltern verstorben?
BF: Mein Vater wurde umgebracht und meine Mutter ist gestorben.
RI: Wann ist Ihr Vater umgebracht worden?
BF: 2005.
RI: Wissen Sie ein näheres Datum?
BF: Nein, aber mein Bruder hat mir erzählt, dass mein Vater im Jahre 2005 umgebracht wurde.
RI: Wissen Sie von wem Ihr Vater umgebracht wurde?
BF: Mein Vater wurde von einem War Lored namens XXXX und zwar von dessen Milizen umgebracht.
RI: Wieso wurde Ihr Vater umgebracht?
BF: Wir haben zwei Landwirtschaften gehabt und eine davon wollte der Führer haben und deshalb haben sie sich mit meinem Vater gestritten.
RI: Weil Ihr Vater diese Landwirtschaft bzw. die Grundstücke nicht hergeben wollte wurde er umgebracht?
BF: Ja.
RI: Wann ist Ihre Mutter verstorben?
BF: Meine Mutter ist 1999 verstorben.
RI: Ist sie eines natürlichen Todes verstorben, war sie krank?
BF: Sie ist an einem natürlichen Tod verstorben.
RI: Wissen Sie das genaue Datum, wann Ihre Mutter verstorben ist?
BF: Nein, nur von Erzählungen.
RI: Wie alt waren Sie, als Ihre Mutter verstorben ist?
BF: Ich erinnere mich nicht mehr.
RI: Haben Sie eine Schule besucht?
BF: Ja, für drei Jahre habe ich eine Schule besucht.
RI: Wo haben Sie die Schule besucht?
BF: In Qoryooley
RI: Was war das für eine Schule, die Sie besucht haben?
BF: Eine Volksschule.
RI: Was haben Sie dann gemacht, da Sie nur drei Jahre die Volksschule besucht haben?
BF: Ich habe dann dem Bauern, der bei uns blieb auf den Feldern geholfen.
RI: Was meinen Sie mit, der Bauer, der bei Ihnen geblieben ist?
BF: Nachdem mein Vater umgebracht wurde, haben sie uns den Grundstücken enteignet.
RI: Sie haben vorhin gesagt, Sie haben zwei Landwirtschaften gehabt und eine wurde Ihnen weggenommen. Jetzt sagen Sie, dass Sie keine Grundstücke haben.
BF: Eine Landwirtschaft wurde weggenommen, die andere Landwirtschaft haben wir behalten und auf diesen Grundstücken habe ich mit der Frau meines Bruders gearbeitet.
RI: Was haben Sie dann gemeint, mit dem Bauern, der Ihnen geblieben ist?
BF: Ich meinte, wir haben Gemüse, Tomaten, Fisolen, Mais und Wassermelonen angebaut.
RI: Wie hat die Frau Ihres Bruders geheißen?
BF: XXXX .
RI: Können Sie sich erinnern, wann Sie in Österreich eingereist sind?
BF: Ich bin nach Österreich im Juni 2015 eingereist, das genaue Datum weiß ich nicht.
RI: Wie heißt Ihr Bruder, der in Norwegen lebt?
BF: XXXX
RI: Wissen Sie wie alt er ist?
BF: Ich schätze, er ist ca. 40 Jahre alt.
RI: Wann hat Ihr Bruder XXXX Somalia verlassen?
BF: 2006.
RI: Wieso hat Ihr Bruder Somalia verlassen?
BF: Nachdem mein Vater umgebracht worden ist, wurde er auch körperlich von den Milizen geschlagen und bedroht, wenn er noch weiter darauf besteht, dass diese Grundstücke von der einen Landwirtschaft ihm gehören, wird er umgebracht.
RI: Deswegen hat er Somalia verlassen?
BF: Ja.
RI: Hat Ihr Bruder Kinder, die in Somalia leben?
BF: Er hat fünf Kinder und eine Frau, sie leben jetzt auch in Norwegen.
RI: Wann ist seine Frau und die fünf Kinder nach Norwegen gereist?
BF: Wir haben 2013 gemeinsam Somalia verlassen und sind nach Äthiopien gereist. 2014 sind die Kinder und die Frau meines Bruders nach Norwegen gereist.
RI: Von wann bis wann waren Sie in Äthiopien aufhältig?
BF: Von 2013 bis 2014.
RI: Können Sie ein näheres Datum nennen?
BF: Ich bin im März 2013 nach Äthiopien eingereist, aber ich weiß es nicht genau. Ich bin im September oder Oktober 2014 aus Äthiopien ausgereist.
RI: Wie sind Ihre Schwägerin samt den Kindern nach Norwegen gelangt?
BF: Mein Bruder hat in Norwegen eine Familienzusammenführung bei der Botschaft beantragt und dann hat die norwegische Botschaft in Äthiopien veranlasst, dass meine Schwägerin samt den Kindern mit dem Flugzeug nach Norwegen einreisen konnten.
RI: Sie konnten aufgrund der Familienzusammenführung nicht nach Norwegen reisen?
BF: Die norwegische Regierung hat meinen Antrag abgelehnt, weil ich nur der Bruder bin und dies aufgrund der Familienzusammenführung nicht möglich ist.
RI: Wieso sind Ihre Schwägerin samt den Kindern und Sie nach Äthiopien gereist?
BF: Ich habe große Schwierigkeiten mit der Al-Shabaab gehabt.
RI: Was hatten Sie für Schwierigkeiten mit der Al-Shabaab?
BF: In unserem Bezirk gab es eine Moschee, und ich bin immer zu dieser Moschee beten gegangen. Zwei Menschen, die in der Moschee gebetet haben wollten mich treffen. Sie haben mir gesagt, dass sie Al-Shabaab-Mitglieder sind. Sie sagten, dass ich ein junger Mann bin und, dass ich der Al-Shabaab beitreten müsse. Dann wollten sie mich einschüchtern. Sie haben gesagt, wenn ich nicht der Al-Shabaab beitrete, dann werde ich umgebracht. Dann habe ich darum gebeten, dass sie mir eine Nachdenkzeit gewähren. Sie haben mir zwei Tage Nachdenkzeit gegeben, ich ging dann nicht mehr in die Moschee und bin zuhause geblieben. Ich bin dann eines Nachts in der Wohnung aufgewacht, weil unsere Türe aufgebrochen wurde. Da waren vier Männer. Die zwei Männer, die mich in der Moschee getroffen haben und noch zwei andere Männer waren dabei. Sie haben mich dann gefesselt und ich bin auch geschlagen worden. Sie sind mit einem Auto gekommen und haben mich dann auf das Auto geschmissen und mitgenommen.
RI: Was war das für ein Auto?
BF: Das war ein Toyota (Four Wheels).
RI: Können Sie mir das Auto noch näher beschreiben?
BF: Es war ein Auto, das meistens in der Sahara verwendet wird. Hinten ist eine freie Ladefläche.
RI: Und auf die freie Ladefläche hat man Sie raufgeschmissen?
BF: Ja.
RI: Wo hat man Sie hingebracht?
BF: Sie haben mich außerhalb der Stadt zu ihrem Lager gebracht.
RI: Waren Sie alleine auf der Ladefläche oder waren da bereits andere Personen?
BF: Ich war alleine.
RI: Sie haben gesagt, Sie wurden gefesselt, wie wurden Sie gefesselt?
BF: Meine Hände waren hinter dem Rücken zusammengebunden und die Füße wurden auch zusammengebunden.
RI: Wie waren Ihre Hände zusammengebunden? Mit einem Seil?
BF: Es war kein Metall, sondern ein Plastikstrick. Sie haben nur die Ellbogen zusammengebunden.
RI: Wann sind diese Personen in der Nacht zu Ihnen gekommen, können Sie mir das Datum nennen?
BF: Ich erinnere mich nicht an das Datum.
RI: Wann haben Sie diese beiden Männer in der Moschee getroffen?
BF: Ich erinnere mich nicht an das Datum.
RI: Wie viel Zeit ist vergangen von dem Zeitpunkt, wo Sie die Männer in der Moschee getroffen haben bis zu der Nacht, wo diese vier Männer in die Wohnung eingebrochen sind?
BF: Sie haben mir zwei Tage Nachdenkzeit gegeben.
RI: Also nach diesen zwei Tagen sind sie zu Ihnen gekommen?
BF: Ja.
RI: Dann waren Sie im Lager von Al-Shabaab, außerhalb der Stadt Qoryooley. Was ist passiert?
BF: Nachdem sie mich ins Lager brachten, haben sie mich noch einmal geschlagen und sie haben mich in einem kleinen Raum eingesperrt, wo bereits 14 Personen waren.
RI: Wie lange waren Sie in diesem kleinen Raum eingesperrt?
BF: Ich war dort 20 Tage.
RI: Woher wissen Sie jetzt, dass Sie dort 20 Tage aufhältig waren?
BF: Ich habe große Schwierigkeiten gehabt und ich habe die Tage gezählt.
RI: Was ist innerhalb dieser 20 Tage passiert?
BF: Tagsüber wurde ich geschlagen und in der Nacht wurde über mich kaltes Wasser geschüttet.
RI: Sind die anderen 14 Personen, die mit Ihnen eingesperrt waren auch misshandelt worden?
BF: Ja.
RI: Und das ist alles in dem Raum passiert, wo Sie eingesperrt waren?
BF: Nein, es wurde jeder einzeln nach draußen gebracht, geschlagen und wieder zurückgebracht.
RI: Hat man dann während dieser 20 Tage gesagt, Sie sollen der Al-Shabaab beitreten, oder wurden Sie "nur" geschlagen und misshandelt?
BF: Nein, sie haben es mir nicht mehr gesagt. Es war eine Bestrafung, weil ich der Al-Shabaab nicht betreten wollten.
RI: Wie sind Sie dann aus diesem Lager wieder rausgekommen?
BF: Somalischen Kräfte und AMISOM kamen in das Lager und haben das Lager attackiert und erobert. Dann haben sie uns freigelassen.
RI: Wann sind jetzt die somalischen Kräfte und AMISOM zu Ihnen ins Lager gekommen?
BF: Das war 2013.
RI: War das nach den 20 Tagen, wo Sie eingesperrt waren?
BF: Ja.
RI: Was ist passiert? Sie wurden von AMISOM befreit.
BF: Die AMISOM haben uns zurück in die Stadt Qoryooley gebracht und freigelassen.
RI: Dann sind Sie zu Ihrer Schwägerin und den Kindern gegangen?
BF: Dann bin ich nach Hause gekommen und meine Schwägerin und ich informierten dann meinen Bruder per Telefon, der in Norwegen lebt. Wir erzählten ihm, was passiert ist. Der Bruder in Norwegen hat dann auch einen Freund in Qoryooley informiert, der ein Auto hat. Dieser Mann hat mich, meine Schwägerin und die Kinder nach Äthiopien gebracht.
RI: Jetzt sind Sie von den AMISOM freigekommen und sind nachhause zu Ihrer Schwägerin gegangen. Wie lange waren Sie zu Hause, bevor Sie dann nach Äthiopien ausgereist sind?
BF: Einen Tag.
RI: Wie hat dieser Freund von Ihrem Bruder geheißen, der Sie und Ihre Schwägerin samt den Kindern nach Äthiopien gebracht hat?
BF: XXXX .
RI: Können Sie den vollständigen Namen nennen?
BF: Nein, das weiß ich nicht.
RI: Haben Sie diesen Freund Ihres Bruders gekannt?
BF: Nein.
RI: Wie viel hat der Freund Ihres Bruders verlangt, um Sie und Ihre Schwägerin samt den Kindern nach Äthiopien zu fahren.
BF: Das weiß ich nicht, das hat mein Bruder mit dem Freund ausgemacht.
RI: Können Sie mir die Reiseroute nennen? Welche Dörfer bzw. Städte haben Sie passiert, um von Qoryooley nach Äthiopien zu gelangen?
BF: Ich weiß es nicht. Ich habe nichts gesehen.
RI: Haben Sie nicht aus dem Fenster geschaut, als Sie mit dem Auto gefahren sind?
BF: Es gab keine Fenster. Wir waren auf der Ladefläche und ober uns war ein Stofftuch.
RI: Wie lange sind Sie jetzt von Qoryooley nach Äthiopien gereist?
BF: Ca. vier bis fünf Tage.
RI: Wo sind Sie dann in Äthiopien angelangt?
BF: In Wajaale, das grenzt an Somalia.
RI: Dort haben Sie in Äthiopien gelebt, bis Sie Äthiopien Richtung Europa verlassen haben?
BF: Nein, wir sind dann von Wajaale mit einem Bus nach Adisabeba gereist.
RI: Wo haben Sie dann in Adisabeba gelebt?
BF: In einem Bezirk in Adisabeba namens, Boly Makil.
RI: Haben Sie dort in Äthiopien in Boly Makil jemanden gekannt?
BF: Nein.
RI: Wo haben Sie gelebt?
BF: Anfangs haben wir in einem Hotel gewohnt. Dann hat ein Vermieter für uns eine Wohnung gefunden und dort haben wir dann gelebt.
RI: Können Sie die genaue Adresse angeben? Gibt es in dem Bezirk Boly Makil Straßen?
BF: Ich weiß die Straße nicht, aber wir haben neben dem bekannten Hotel namens, XXXX und es war auch eine bekannte Moschee daneben namens, XXXX .
RI: Haben Sie in Äthiopien gearbeitet? Wie konnten Sie sich die Wohnung leisten?
BF: Nein, ich habe nicht gearbeitet. Mein Bruder hat uns immer Geld geschickt.
RI: Wieso sind Sie nicht nach Mogadishu gereist?
BF: In Mogadishu kenne ich niemanden. Die Al-Shabaab ist überall und ich habe große Angst vor der Al-Shabaab.
RI: Wieso sind Sie nicht in Äthiopien geblieben?
BF: Nachdem meine Schwägerin samt den Kindern nach Norwegen gereist ist, war ich in Äthiopien ganz alleine. In Äthiopien gibt es keinen Flüchtlingsschutz und ich hatte Angst nach Somalia abgeschoben zu werden.
RI: Wie sind Sie dann von Äthiopien nach Österreich gelangt?
BF: Ein Schlepper hat mich von Äthiopien nach Libyen gebracht. Dann bin ich mit einer weiteren Schleppergruppe über das Mittelmeer nach Italien gelangt. Dann sind wir von Italien mit einem Bus gefahren und wir wollten nach Deutschland. In Tschechien wurden wir jedoch von der Polizei aufgehalten und wurde ich nach Österreich zurückgeschickt.
RI: Wie viel haben Sie dem Schlepper bezahlt, um von Äthiopien nach Libyen zu gelangen?
BF: 3800 US-Dollar.
RI: Woher hatten Sie das viele Geld?
BF: Mein Bruder und seine Frau haben mir das Geld nach Äthiopien geschickt.
RI: Wie lange waren Sie alleine in Äthiopien aufhältig, nachdem Ihre Schwägerin samt den Kindern bereits nach Norwegen gereist sind?
BF: Ich weiß es nicht, aber es war nicht sehr lange.
RI: Wie viel haben Sie dann der Schlepperbande in Libyen bezahlt, um mit dem Boot über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen?
BF: 3800 US-Dollar sind die Gesamtkosten.
RI: Wollten Sie zu Ihrer Familie nach Norwegen?
BF: Ja.
RI: Bereits in Äthiopien wollten Sie zu Ihrem Bruder nach Norwegen?
BF: Ja, mein Plan war es nach Norwegen zu meinem Bruder zu gehen. Wenn ich es nicht schafft nach Norwegen zu gelangen, wollte ich in ein sicheres Land.
RI: Sie sagten, Sie haben drei Jahre lang eine Volksschule besucht. Können Sie mir die Jahreszahl angeben, von wann bis wann Sie die Volksschule besucht haben?
BF: Ich erinnere mich nicht mehr.
RI: Woher können Sie dann so gut schreiben?
BF: Ich habe es in Österreich gelernt.
RI: Haben Sie irgendwelche Unterlagen da, was Sie in Österreich gemacht haben?
Der RV legt eine Teilnahmebestätigung am Werte- und Orientierungskurs des österreichischen Integrationsfons vor. Eine Kopie wird als Beilage ./B zum Akt genommen. Des weiteren werden zwei Bestätigungen betreffend die Teilnahme an einem