Entscheidungsdatum
21.09.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W211 2170023-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Barbara SIMMA LL.M. als Vorsitzende und die fachkundige Laienrichterin Mag.a Gerda HEILEGGER und den fachkundigen Laienrichter Dr. Ulrich E. ZELLENBERG als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde vom XXXX , in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Die Staatsanwaltschaft XXXX führte zur XXXX ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer und andere wegen des Verdachts nach § 256 StGB und weiteren strafbaren Handlungen. Mit Schreiben vom XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z 2 StPO benachrichtigt.
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2017 einen Antrag an die Staatsanwaltschaft XXXX auf Löschung von Daten auf Datenträgern gemäß § 27 DSG 2000, die sich dort im Ermittlungsakt zur XXXX befinden. Mit Note vom XXXX 2017 lehnte die Staatsanwaltschaft XXXX diesen Antrag mit Verweis auf § 27 DSG 2000 iVm §§ 74, 75 StPO ab.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom XXXX 2017 Beschwerde an die Datenschutzbehörde und beantragte, die Datenschutzbehörde möge die Rechtsverletzung feststellen und der Staatsanwaltschaft XXXX mit Bescheid im Wege einer Sofortmaßnahme die Löschung näher bezeichneter Datenträger auftragen. Weiter wurde ein Antrag auf Untersagung einer Datenanwendung gemäß § 30 Abs. 6a DSG 2000 gestellt. Auf den Datenträgern würden sich personenbezogene Daten befinden, die vom rechtsanwaltlichen Berufsgeheimnis geschützt seien und aus Anlass von Mandatsbeziehungen angelegt worden seien. Zur Zuständigkeit der Datenschutzbehörde führte der Beschwerdeführer aus, dass die Staatsanwaltschaft funktional nicht im Dienste der Gerichtsbarkeit tätig sei, wenn sie nach Beendigung sämtlicher Ermittlungsverfahren Daten archiviere und aufbewahre.
Mit Bescheid vom XXXX 2017 wies die Datenschutzbehörde die Beschwerde mangels Zuständigkeit zurück und führte zusammengefasst begründend aus, dass Staatsanwälte gemäß Art. 90a B-VG "Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit" seien. Der Verfassungsgesetzgeber habe einerseits bewusst eine Hybridform, ein Staatsorgan mit dem formellen Status eines Organs der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei gleichzeitiger Einbindung in eine für die Verwaltungsbehörden typische Weisungshierarchie, schaffen und andererseits keine Unterscheidung zwischen Behörde (Staatsanwaltschaft) und Organwaltern (Staatsanwälten) treffen wollen, womit sich die Wirkungen der Verfassungsbestimmung auf beide erstrecken würden. Eine dieser Wirkungen bestehe darin, dass behördliche Akte der Staatsanwaltschaften im Strafverfahren der Rechtskontrolle durch die ordentlichen Gerichte unterliegen würden. Beim Vorbringen einer "funktionalen" Unterscheidung des Handelns der Staatsanwaltschaft würde der Beschwerdeführer übersehen, dass das Handeln von Organen der Gerichtsbarkeit jedenfalls dort, wo das Handeln von Organen der Gerichtsbarkeit durch Bezüge zu einem strafprozessualen Ermittlungsverfahren im Kernbereich der Anwendung von Art. 90a B-VG erfolgen würde, dieses stets ein Akt der Gerichtsbarkeit selbst sei, da ein Organ der Gerichtsbarkeit sich nicht selbst in den Dienst der Gerichtsbarkeit zu stellen brauche. Zum anderen trete eine mögliche Verletzung des Rechts auf Löschung nicht schon durch die Aufbewahrung bzw. Speicherung von Datenträgern oder Daten ein, sondern erst durch eine Entscheidung über das geltend gemachte Löschungsrecht. Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vom XXXX 2017 bilde den staatsanwaltschaftlichen Akt, den der Beschwerdeführer durch Bescheid als Rechtsverletzung festgestellt haben möchte, womit jedoch eine verfassungswidrige Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über die Rechtmäßigkeit des Handelns eines Organs der ordentlichen Gerichtsbarkeit begehrt werde. Eine Rechtsschutzlücke bestehe außerdem nicht, da § 85 Abs. 1 GOG jedermann ein (subsidiäres) datenschutzrechtliches Beschwerderecht gegen "ein Organ der Gerichtsbarkeit in Ausübung dessen Tätigkeit" eröffne.
Dagegen wendet sich die gegenständliche Beschwerde des Beschwerdeführers, in der er die Verletzung seines subjektiven Rechte auf Wahrung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 6 EMRK, ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art. 83 Abs 2 B-VG und Löschung personenbezogener Daten gemäß § 27 DSG 2000 behauptet und auf das Wesentlichste zusammengefasst vorbringt, die Datenschutzbehörde könne in Angelegenheiten der Justizverwaltung entscheiden. Ob ein Akt der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung vorliege, sei nach funktionalen Gesichtspunkten zu klären. Aus Art 90a 2. Satz B-VG ergebe sich, dass Staatsanwaltschaften nur als Ermittlungs- und Anklagebehörde im Dienste der Gerichtsbarkeit tätig seien. Ein bloßer Bezug eines staatsanwaltschaftlichen Handelns zu einem Ermittlungsverfahren sei nicht hinreichend; andernfalls sei jedes Handeln der Staatsanwaltschaft, wie Personalangelegenheiten oder die Büroorganisation, der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Die bloße Aufbewahrung von Daten, die nichts mit einem aktiven oder potentiellen zukünftigen Ermittlungsverfahren zu tun haben würde, gehöre daher als Aktenverwaltung zu Archivzwecken nicht zum Bereich der Gerichtsbarkeit. Die Entscheidung über die Löschung der Daten durch die Staatsanwaltschaft sei im strafprozessualen Wege auch nicht mehr bekämpfbar. Auch die Archivierung von Akten im Staatsarchiv sei kein Akt der Gerichtsbarkeit. Daraus ergebe sich die unmittelbare Zuständigkeit der Datenschutzbehörde über die Beschwerde vom XXXX 2017 zu entscheiden.
Mit Schriftsatz vom XXXX 2017 legte die Datenschutzbehörde die Bescheidbeschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem erkennenden Gericht vor und brachte im Wesentlichen vor, dass die Annahme, Akten gerichtlicher Verfahren seien mit Verfahrensabschluss der Justizverwaltung zuzurechnen, bei teleologischer Interpretation von Art 90a B-VG und § 31 Abs 2 DSG 2000 nicht gedeckt sei. Dem Beschwerdeführer stünde außerdem ein Rechtsschutzverfahren im Bereich der Gerichtsbarkeit zur Verfügung. Der Vergleich mit dem Archivwesen des Staatsarchivs vermöge ebenfalls nicht zu überzeugen, weil die Übergabe von Akten erst nach in der Regel 30 Jahren auf gesetzlich näher festgelegte Weise erfolge. Die belangte Behörde verwies darüber hinaus auf die Begründung des angefochtenen Bescheids, verzichtete auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Staatsanwaltschaft XXXX führte zur XXXX ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer und andere wegen des Verdachts nach § 256 StGB und weiteren strafbaren Handlungen. Mit Schreiben vom XXXX 2017 wurde der Beschwerdeführer von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 190 Z 2 StPO benachrichtigt.
Im Ermittlungsakt befinden sich USB-Sticks, auf denen diverse personenbezogene Daten im Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers gespeichert sind.
Der Beschwerdeführer stellte am XXXX 2017 einen Antrag an die Staatsanwaltschaft XXXX , diese Daten gemäß § 27 DSG 2000 zu löschen. Die Staatsanwaltschaft XXXX entsprach diesem Antrag nicht.
Mit Schriftsatz vom XXXX 2017 beantragte der Beschwerdeführer bei der Datenschutzbehörde die Feststellung der Rechtsverletzung in seinem Recht auf Löschung personenbezogener Daten sowie der Staatsanwaltschaft XXXX mit Bescheid im Wege einer Sofortmaßnahme die Löschung näher bezeichneter Datenträger aufzutragen. Weiter wurde ein Antrag auf Untersagung einer Datenanwendung gemäß § 30 Abs. 6a DSG 2000 gestellt.
Die belangte Behörde wies den Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom XXXX 2017 mangels Zuständigkeit mit der Begründung zurück, für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Akten der Gerichtsbarkeit nicht zuständig zu sein.
Es ist derzeit gegen XXXX bei der Staatsanwaltschaft XXXX kein Ermittlungsverfahren anhängig.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen gründen auf den unbedenklichen Verwaltungsakt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur anwendbaren Rechtslage:
Seit der Entscheidung der Datenschutzbehörde am XXXX 2017 hat sich die Rechtslage durch die VO (EU) 679/2016 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) und das Datenschutzgesetz 2000 idF BGBl I 24/2018 geändert.
Ungeachtet einer im Rechtsmittelverfahren erfolgten Änderung der behördlichen Zuständigkeit ist aber die gegenständliche Frage, ob eine Behörde zur Erlassung ihres Bescheides zuständig war, nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der behördlichen Entscheidung zu beurteilen, sofern der Gesetzgeber kein "rückwirkendes Inkrafttreten" der geänderten Zuständigkeitsbestimmungen normiert hat (vgl. VwGH, 26.06.2014, Ra 2014/03/0004 mwH und VwGH, 25.03.2015, Ro 2015/12/0003). Ein "rückwirkendes Inkrafttreten" der neuen Zuständigkeitsbestimmungen wird weder im DSG 2000, dessen Übergangsbestimmungen sich in § 69 Abs 4 und 5 finden, noch in der Datenschutz-Grundverordnung, die keine Übergangsbestimmungen enthält, normiert.
Die Zuständigkeit der Datenschutzbehörde bestimmt sich daher nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheids, daher nach dem Datenschutzgesetz 2000 idF BGBl I 83/2013 (in Folge kurz "DSG 2000").
3.2. Zum Prüfungsumfang:
Die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichts ist auf die "Sache" des Verfahrens beschränkt. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist "Sache" in einem Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die "Rechtmäßigkeit der Zurückweisung"; eine meritorische Entscheidung ist dem Verwaltungsgericht verwehrt. Andernfalls würde den Parteien eine Instanz genommen und es wäre dem Verwaltungsgericht möglich, eine Entscheidung in der Sache unter Umgehung der zuständigen Behörde zu treffen (vgl. VwGH, 18.12.2014, Ra 2014/07/0002).
Die Datenschutzbehörde hat die datenschutzrechtliche Beschwerde des Beschwerdeführers mangels Zuständigkeit zurückgewiesen, ohne in der Sache zu entscheiden. Das erkennende Gericht ist daher nur befugt, über diese Frage zu entscheiden und es ist ihm eine inhaltliche Entscheidung selbst dann verwehrt, wenn der wesentliche Sachverhalt für eine inhaltliche Entscheidung feststehen würde. Prüfungsumfang des erkennenden Gerichts ist somit ausschließlich die Frage, ob die Datenschutzbehörde die Beschwerde des Beschwerdeführers zu Recht mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hat.
3.3. Zur Zuständigkeit der Datenschutzbehörde:
3.3.1. Allgemeines:
Gemäß § 31 Abs 2 DSG 2000 entscheidet die Datenschutzbehörde über Beschwerden von Personen oder Personengemeinschaften, die behaupten, in ihrem Recht auf Geheimhaltung (§ 1 Abs 1 leg cit) oder in ihrem Recht auf Richtigstellung oder auf Löschung (§§ 27 und 28 leg cit) verletzt zu sein, sofern der Anspruch nicht nach § 32 Abs 1 leg cit vor einem Gericht geltend zu machen ist oder sich gegen ein Organ im Dienste der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit richtet.
Die Datenschutzbehörde ist somit für die Prüfung von Handlungen von Organen im Dienste der Gerichtsbarkeit nicht zuständig. Die Zuordnung zur Gerichtsbarkeit hat dabei nach funktionalen Gesichtspunkten zu erfolgen (ErlRV und ErlRV 2010 zu § 31 Abs 2 DSG 2000).
3.3.2. Zur Zuordnung staatsanwaltlichen Handelns zur Gerichtsbarkeit:
Gemäß Art 90a B-VG sind (auch) Staatsanwälte und Staatsanwältinnen Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen Ermittlungs- und Anklagefunktionen wahrnehmen (zur Einordung der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zur Staatsfunktion Gerichtsbarkeit siehe auch VwGH 15.03.2012, 2012/01/0048 und OGH 13.08.2008, 14 Os 108/08a sowie 1618 BlgNR 24. GP 9, wonach "Staatsanwälte Organe der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit aber keine ordentlichen Gerichte sind").
Die Tätigkeit der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen ist in funktioneller Hinsicht aber nur insoweit als Gerichtsbarkeit zu qualifizieren, als sie Aufgaben im Rahmen der Rechtspflege wahrnehmen. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sind daher im Kernbereich ihrer Tätigkeit, nämlich der Ermittlung und Anklage im strafgerichtlichem Verfahren, der Gerichtsbarkeit zuzurechnen (Mayer/Muzak B-VG5 (2015) Art 90a B-VG I f). Aufgaben im Rahmen der "Staatsanwaltschaftsverwaltung" sind hingegen der Verwaltung zuzuordnen (vgl. Thienel in GedS Walter 819 (831)).
Die Datenschutzbehörde ist daher nicht befugt, die Tätigkeit der Staatsanwälte und Staatsanwältinnen zu prüfen, es sei denn, ihr Handeln ist ausnahmsweise als Verwaltung anzusehen (vgl. Thienel in GedS Walter 819 (833)).
In Grenzfällen ist zur Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche auf das Vorbild der Unterscheidung der richterlichen Tätigkeit von der Justizverwaltung zurückzugreifen (vgl. Thienel in GedS Walter 819 (831)).
3.3.3. Zur Abgrenzung zwischen richterlicher Tätigkeit und Justizverwaltung:
Unter Justizverwaltung versteht Art. 87 Abs 2 B-VG eine durch Richter_innen ausgeübte, ihrem Inhalt nach aber nicht der Rechtsprechung zuzuzählende Tätigkeit, die zur richterlichen Funktion irgendeinen Bezug hat; sei es, dass sie dem Funktionieren der Gerichtsbarkeit dient, durch gerichtliche Entscheidungen bedingte Vorkehrungen anderer Organe erleichtern soll oder auf eine andere Art mit richterlicher Tätigkeit in Zusammenhang steht (VfSlg 7.376/1974 und 8.158/1977).
Ein Akt der Gerichtsbarkeit liegt vor, wenn das gesetzlich geregelt ist und/oder wenn zwischen dem geltend gemachten inkriminierten Vorgehen und einem gerichtlichen Verfahren ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (VwGH 17.10.2001, 99/12/0004).
3.3.4. Zur Einordnung der Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren:
Der Beschwerdeführer bringt vor, nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gehöre die bloße Aufbewahrung von Daten, die nichts mit einem aktiven oder potentiellen zukünftigen Ermittlungsverfahren zu tun haben würde, als Aktenverwaltung zu Archivzwecken nicht zur Gerichtsbarkeit. Die Datenschutzbehörde sei daher für die Behandlung datenschutzrechtlicher Beschwerden über die unterlassene Löschung von Daten aus einem strafprozessualen Ermittlungsakt nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens zuständig. Das Ermittlungsverfahren, in dem ua personenbezogene Daten des Beschwerdeführers verwendet würden, sei rechtskräftig beendet worden und es sei kein Strafverfahren anhängig, in dem die genannten Daten verwendet werden könnten. Die Datenschutzbehörde sei daher für die Behandlung der datenschutzrechtlichen Beschwerde des Beschwerdeführers zuständig.
Dem ist Folgendes entgegen zu halten:
Die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren ist nicht Selbstzweck. Ihre Einordnung in einen Akt der Gerichtsbarkeit oder in einen Akt der (Staatsanwaltschafts-)Verwaltung hängt vom Zweck der Archivierung ab.
Der Beschwerdeführer begehrt mit seinem Antrag auf Löschung personenbezogener Daten letztlich bestimmte Teile aus dem Ermittlungsakt zu entfernen. Die Entscheidung, ob bestimmte Teile im Ermittlungsakt verbleiben oder nicht, hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf allfällige weitere Verwendungen des Aktes. Ist einer der Zwecke für die Archivierung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren der Gerichtsbarkeit zuzuordnen, beeinflusst die Entscheidung über den Inhalt eines Aktes unmittelbar (zukünftige) Akte der Gerichtsbarkeit und ist daher ebenfalls ein Akt der Gerichtsbarkeit (vgl. auch VfGH 12.12.2002, G194/02, V45/02, in der die Entscheidung über den Inhalt gerichtlicher Verfahrensakten, von Registern und Geschäftsbehelfen von der Bundesregierung als Akt der Gerichtsbarkeit qualifiziert worden ist, und sich der VfGH dieser Meinung angeschlossen hat). Daraus folgt, dass - wie im gegenständlichen Fall - die Entscheidung über den Inhalt eines Ermittlungsaktes solange der Gerichtsbarkeit zuzurechnen ist, solange einer der Zwecke der Aufbewahrung der Akten der Gerichtsbarkeit zuzurechnen ist.
Die Zwecke der Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren liegen ua darin zu ermöglichen, eine Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu treffen bzw. ein Verfahren fortzusetzen (§ 193 StPO), Akteneinsicht nach § 77 StPO zu gewähren, die Daten - auch unabhängig von der Person des/der Beschuldigten - in anderen Straf- oder sonstigen Verfahren zu verwenden, (nicht personenbezogene) Auswertungen zu kriminalpolitischen bzw. kriminalstatistischen Zwecken durchzuführen, eine nachprüfende Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden zu ermöglichen und andere Untersuchungen von unmittelbarem strafverfahrensrechtlichen Interesse durchzuführen (siehe zum vergleichbaren Fall der Konservierung von Verfahrensdaten Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2015) zu § 75 StPO Rz 3 f bzw. ErläutRV 25 BlgNR
22. GP 108 f).
Die Prüfung auf und allfällige Fortsetzung eines eingestellten Ermittlungsverfahrens gemäß § 193 StPO ist dabei der Gerichtbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 193 Abs 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft die Fortführung eines nach den §§ 190 oder 191 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens anordnen, solange die Strafbarkeit der Tat nicht verjährt ist und wenn ua neue Tatsachen oder Beweismittel entstehen oder bekannt werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, die Bestrafung des/der Beschuldigten oder ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO zu begründen. Sofern für eine Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens bestimmte Ermittlungen oder Beweisaufnahmen erforderlich sind, kann die Staatsanwaltschaft solche im Einzelnen anordnen oder durchführen (§ 193 Abs 1 StPO).
Die Prüfung auf und die Entscheidung über die Fortsetzung eines eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens haben unmittelbare Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren, das nach Entscheidung der Staatsanwaltschaft entweder fortgesetzt oder nicht fortgesetzt wird. Sie liegen demnach im Kernbereich der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben, nämlich Ermittlung und Anklage im strafgerichtlichen Verfahren, und sind somit der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Es ist dabei unerheblich, ob die Tathandlung, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, bereits verjährt ist, was einer Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens an sich entgegenstehen würde. Ein eingestelltes Ermittlungsverfahren kann nämlich auch auf Grund neuer Tatsachen fortgesetzt werden (Nordmeyer in WK-StPO § 193 Rz 24). Auf Grund dieser Tatsachen könnte der ursprüngliche Tatzeitraum ausgedehnt oder der Tatvorwurf einer strengeren Strafdrohung unterstellt werden, wodurch die Verjährung wegfallen könnte und eine Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens möglich wäre.
Auch die Gewährung von Akteneinsicht (auch außerhalb eines laufenden Strafverfahrens) gemäß § 77 Abs 1 StPO ist der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 77 Abs 1 StPO haben Staatsanwaltschaften und Gerichte im Falle begründeten rechtlichen Interesses Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren, soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.
Während die §§ 51 ff und 68 StPO nur die Akteneinsicht in anhängigen Strafverfahren regeln, kann nach § 77 Abs 1 StPO - bis zum Ende der Aufbewahrungsfrist (zu den Aufbewahrungsfristen siehe § 174 Abs 1 Z 8 und 9 iVm Abs 2 Geo, § 27 f DV-StAG) - auch noch in rechtskräftig erledigte Akten Einsicht genommen werden. Nach Rechtskraft liegt es im - nach den Umständen des Einzelfalles auszuübenden - Ermessen des über die Akteneinsicht entscheidenden Organs, ob und inwieweit eine solche gewährt wird oder nicht (Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 3). Wenn es sich um Akten eines Ermittlungsverfahrens handelt, entscheidet über die Akteneinsicht der Staatsanwalt/die Staatsanwältin (Oshidari WK § 77 Rz 4). Die Gewährung der Akteneinsicht nach § 77 Abs 1 StPO ist dabei Rechtsprechung, nicht Justizverwaltung (Bertel in Bertel/Venier (Hrsg), StPO: Kommentar (2012) zu § 77 Rz 2; Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 1 FN 2).
Ebenso ist die Einbeziehung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren in andere strafrechtliche Ermittlungs- oder strafgerichtliche Verfahren der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 76 Abs 1 StPO sind Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz berechtigt, die Unterstützung aller ua Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Solchen Ersuchen ist ehest möglich zu entsprechen oder es sind entgegenstehende Hindernisse unverzüglich bekannt zu geben. Erforderlichenfalls ist Akteneinsicht zu gewähren.
Da sich die Verpflichtung gemäß § 76 Abs 1 StPO auch auf alle Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes bezieht, zu der auch die Staatsanwaltschaften zählen, kann Gegenstand eines Amtshilfeersuchens durch eine Staatsanwaltschaft für ein laufendes Ermittlungsverfahren auch der Akt eines - allenfalls eingestellten - Ermittlungsverfahrens einer anderen Staatsanwaltschaft sein. Der Inhalt dieses Aktes hätte dann unmittelbare Auswirkungen auf das laufende Ermittlungsverfahren, das der Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist.
Die Archivierung eingestellter Ermittlungsakten erfolgt daher auch für Zwecke, die im Kernbereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit liegen und damit für Zwecke der Gerichtsbarkeit; die Entscheidung über den Inhalt des Aktes eines eingestellten Ermittlungsverfahrens kann daher unmittelbare Auswirkungen auf Ermittlungsverfahren oder andere Akte der Gerichtsbarkeit haben und ist somit ebenfalls ein Akt der Gerichtsbarkeit.
An diesem Ergebnis vermag auch § 11 Abs 1 Z 22 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo) nichts zu ändern, wonach die Justizverwaltung auch das Archivwesen umfasst. So ist die Frage auf welche Art und wie lange archiviert wird von der - hier gegenständlichen - Frage zu unterscheiden, welche Geschäftsstücke im Akt enthalten sein sollen bzw. dürfen.
Ebensowenig zielführend ist der Einwand des Beschwerdeführers, wonach die Archivierung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren vergleichbar sei mit der Archivierung durch das Staatsarchiv, die mangels Bezug zu einem Ermittlungsverfahren jedenfalls nicht der Gerichtsbarkeit zuzuordnen sei. Die Archivierung der Ermittlungsakten erfolgt - im Gegensatz zu einer etwaigen Archivierung im Staatsarchiv - nämlich gerade nicht bloß für archivarische Zwecke, sondern auch für Zwecke der Gerichtsbarkeit.
Auch, ob die Entscheidung über die Löschung bestimmter personenbezogener Daten - also bestimmter Aktenteile - aus einem strafgerichtlichen Ermittlungsakt durch die Staatsanwaltschaft auch nach der rechtskräftigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Rahmen der StPO bekämpfbar ist - und damit allfällige Rechtsschutzlücken bestehen, vermag an der Einordnung als Akt der Gerichtsbarkeit nichts zu ändern. Allenfalls sind Akte der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Dienstaufsicht bekämpfbar (Aufsichtsbeschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft, § 37 StAG; siehe auch Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 17).
3.3.5. Ergebnis:
Da die belangte Behörde nicht befugt ist, Akte der Gerichtsbarkeit zu prüfen, hat sie den Antrag des Beschwerdeführers zu Recht mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Mangels Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren bzw. die Entscheidung über die Löschung bestimmter Bestandteile aus diesen Verfahrensakten der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung zuzurechnen ist, war die Unzuständigkeit der belangten Behörde zweifelhaft und nicht offenkundig, weshalb der belangten Behörde auch eine Weiterleitung der Datenschutzbeschwerde gemäß § 6 Abs 1 AVG verwehrt war (vgl. dazu VwGH, 29.10.2014, Ro 2014/04/0069). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.3.6. Da im Verfahren lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte gemäß § 24 Abs 5 VwGVG von der Durchführung einer - nicht beantragten - mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. So fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren bzw. die Entscheidung über die Löschung bestimmter Bestandteile aus diesen Verfahrensakten der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung zuzurechnen ist.
Schlagworte
Aktenbestandteile, Akteneinsicht, Archivierung, Datenschutzbehörde,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2170023.1.00Zuletzt aktualisiert am
22.11.2018