TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/24 W211 2193323-1

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Veröffentlicht am 24.09.2018
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Entscheidungsdatum

24.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W211 2193323-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Somalia, gegen den Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesasylamtes vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführende Partei, eine weibliche Staatsangehörige Somalias, stellte am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am XXXX 2015 gab die beschwerdeführende Partei soweit wesentlich an, in Mogadischu in Somalia geboren worden zu sein. Jedoch habe sie bei einer Familie in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) gelebt, und geglaubt, diese sei ihre eigene. Vor einem Jahr habe sie dann erfahren, dass sie aus Somalia stamme und dass ihre Familie, bestehend aus ihren Eltern und acht Geschwistern, noch dort lebe. Danach habe sie nicht mehr bei der Familie in den VAE leben wollen und sei deshalb im Zuge eines Urlaubs in der Türkei geflüchtet. Sie wolle weder in die VAE, noch nach Somalia zurückkehren.

3. Bei ihrer Einvernahme durch die belangte Behörde am XXXX 2016 gab die beschwerdeführende Partei zusammengefasst und soweit wesentlich an, in Somalia geboren worden zu sein, wobei ihre Mutter sie im Alter von acht Monaten nach Abu Dhabi in die VAE mitgenommen habe, da diese dort für eine Familie gearbeitet habe. Als die beschwerdeführende Partei zwei Jahre alt gewesen sei, sei ihre Mutter jedoch nach Somalia abgeschoben worden, sie selbst sei bei ihrer Gastfamilie geblieben. Die beschwerdeführende Partei sei im Glauben belassen worden, ihre Gastfamilie sei ihre leibliche Familie, habe das Wohnhaus nicht verlassen dürfen und die Hausarbeit verrichtet. Weiter sei sie mehrmals von ihrer Gastmutter und deren Kindern körperlich misshandelt worden. 2014 habe sie dann von einer Bekannten ihrer Mutter erfahren, dass sie mit ihrer Gastfamilie nicht verwandt sei. Als sie ihre Gastfamilie bei einem Urlaub in die Türkei mitgenommen habe, sei die beschwerdeführende Partei geflohen und habe sich an eine somalische Frau gewandt, die sie nach Ankara mitgenommen habe. Dort habe sie gemeinsam mit anderen Mädchen eine Wohngemeinschaft gebildet und in einer Werkstatt Möbelstücke hergestellt. Da sie in der Türkei keine Aufenthaltsbewilligung besessen und befürchtet habe, ihre Gastmutter könne sie finden, sei sie nach Österreich weitergereist.

4. Am XXXX 2017 wurde die beschwerdeführende Partei von der belangten Behörde abermals einvernommen und ihr eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen zu den herangezogenen Länderinformationen gegeben.

5. Mit Schreiben vom XXXX 2015 nahm die beschwerdeführende Partei zu den von der belangten Behörde eingebrachten Länderberichten Stellung und verwies auf die Situation von Frauen in Somalia und die derzeit vorherrschende Dürre. Auch wurde vorgebracht, dass die beschwerdeführende Partei nie in Somalia gelebt habe und weder zu ihren Eltern, noch zu sonstigen Verwandten Kontakt bestehe. Sie wäre somit im Falle einer Rückkehr nach Somalia völlig auf sich alleine gestellt. Auch befinde sie sich im heiratsfähigen Alter, womit die Gefahr bestehe, sexuell ausgebeutet zu werden.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der beschwerdeführenden Partei bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status einer subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte eine befristete Aufenthaltsgenehmigung (Spruchpunkt III.). Nach einer Zusammenfassung des Verfahrensganges und der Einvernahme stellte die belangte Behörde fest, dass sie keine begründete Furcht vor Verfolgung in Bezug auf ihren Herkunftsstaat vorgebracht habe und daher keine Fluchtgründe im Sinne der GFK vorliegen würden.

7. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheids wurde rechtzeitig Beschwerde eingebracht, in der moniert wurde, dass die beschwerdeführende Partei als alleinstehende Frau einer Bedrohung ausgesetzt sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur beschwerdeführenden Partei:

1.1.1. Die beschwerdeführende Partei ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die am XXXX 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellte.

1.1.2. Die beschwerdeführende Partei stammt ursprünglich aus Mogadischu. Sie zog jedoch im Alter von acht Monaten mit ihrer Mutter nach Abu Dhabi in den VAE, wo ihre Mutter als Hausangestellte bei einer Familie arbeitete. Die beschwerdeführende Partei wurde, als ihre Mutter nach Somalia abgeschoben wurde, von dieser im Alter von zwei Jahren bei ihrer Gastfamilie zurückgelassen. Dort lebte sie bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr, arbeitete als deren Bedienstete und wurde mehrmals misshandelt.

Der beschwerdeführenden Partei gelang es während eines Urlaubs ihrer Gastfamilie in der Türkei zu fliehen und sich somalischen Frauen in Ankara anzuschließen. In der Türkei arbeitete die beschwerdeführende Partei in einer Werkstatt, in der sie Möbelstücke anfertigte.

Die Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei kann nicht festgestellt werden.

Die beschwerdeführende Partei spricht besser Arabisch als Somalisch.

Die beschwerdeführende Partei verfügt in Somalia über ihre Eltern und acht Geschwister. Nicht festgestellt werden kann jedoch, wo in Somalia sich die Familie der beschwerdeführenden Partei befindet.

1.2. Festgestellt wird, dass der beschwerdeführenden Partei als alleinstehende Frau, die seit dem Kindesalter nicht mehr in Somalia gelebt hat, in Somalia eine reale geschlechtsspezifische Gefährdung droht.

1.3. Es werden die folgenden Feststellungen zur Situation in Somalia getroffen (Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 12.01.2018):

Bevölkerungsstruktur

Mehr als 85% der Bevölkerung teilen eine ethnische Herkunft (USDOS 3.3.2017). Eine andere Quelle besagt, dass laut einer Schätzung aus dem Jahr 2002 die Minderheiten zusammen ungefähr ein Drittel der Bevölkerung Somalias ausmachen sollen (ÖB 9.2016). Jedenfalls gibt es in ganz Somalia eine Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, SEM 31.5.2017). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird (SEM 31.5.2017). Dieses Identifikationsmerkmal bestimmt, welche Position eine Person oder Gruppe im politischen Diskurs oder auch in bewaffneten Auseinandersetzungen einnimmt (AA 4.2017a). Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Allerdings gibt eines keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen. Daher wissen die Menschen in Mogadischu und anderen großen Städten nicht automatisch, welchem Clan eine Person angehört (LI 4.4.2016).

Die sogenannten "noblen" Clanfamilien können ihre Abstammung auf einen mythischen gemeinsamen Vorfahren namens Hiil bzw. dessen Söhne Samaale und Saab zurückverfolgen, die vom Propheten Mohammed abstammen sollen. Die meisten Minderheiten können eine solche Abstammung hingegen nicht geltend machen (SEM 31.5.2017).

Die Somalis sehen sich also als Nation arabischer Abstammung. Die "noblen" Clanfamilien sind meist Nomaden:

* Die Darod sind gegliedert in die drei Hauptgruppen Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während die Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Jubba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

* Die Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind die Habr Gedir und die Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

* Die Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Djibouti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind die Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

* Die Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

* Die Rahanweyn bzw. Digil/Mirifle werden als weitere Clanfamilie gesehen. Sie gelten als Nachfahren von Saab, dem Bruder von Samaale (SEM 31.5.2017; vgl. AA 4.2017a).

Es ist nicht möglich, die genauen Zahlenverhältnisse der einzelnen Clans anzugeben. Hawiye, Darod, Isaaq und Digil/Mirifle stellen wohl je 20-25% der Gesamtbevölkerung, die Dir deutlich weniger (AA 4.2017a).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten - nicht aber die berufsständischen Gruppen - haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u.a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die "noblen" Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen mit nichtsomalischer ethnischer Abstammung;

Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben;

sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

-

LI - Landinfo (4.4.2016): Somalia: Praktiske forhold og sikkerhetsutfordringer knyttet til reisevirksomhet i Sør-Somalia, http://www.landinfo.no/asset/3331/1/3331_1.pdf, Zugriff 15.12.2017

-

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Frauen

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).

Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).

Vergewaltigung ist zwar gesetzlich verboten (AA 1.1.2017), die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 3.3.2017). Strafverfolgung oder Verurteilungen wegen Vergewaltigung oder anderer Formen sexueller Gewalt sind in Somalia dennoch rar (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016, USDOS 3.3.2017). Generell herrscht Straflosigkeit, bei der Armee wurden aber einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 3.3.2017). Manchmal verlangt die Polizei von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen. Frauen fürchten sich davor, Vergewaltigungen anzuzeigen, da sie mit möglichen Repressalien rechnen (USDOS 3.3.2017).

Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 3.3.2017). Andererseits gibt es Berichte die nahelegen, dass sexualisierte Gewalt von der al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 1.1.2017).

Auch traditionelle bzw. informelle Streitschlichtungsverfahren können das schwache Durchgreifen des Staates nicht ersetzen, da sie dazu neigen, Frauen zu diskriminieren und Täter nicht zu bestrafen (ÖB 9.2016). Dabei werden Vergewaltigungen oder sexuelle Übergriffe meist vor traditionellen Gerichten abgehandelt, welche entweder eine Kompensationszahlung vereinbaren oder aber eine Ehe zwischen Opfer und Täter erzwingen (USDOS 3.3.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). Auch Gruppenvergewaltigungen werden hauptsächlich zwischen Ältesten verhandelt. Die Opfer erhalten keine direkte Entschädigung, diese geht an die Familie (UNHRC 6.9.2017). Das patriarchalische Clansystem und xeer an sich bieten Frauen keinen Schutz. Wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß xeer gesühnt, dann wird zwar die Familie des Opfers finanziell kompensiert, der Täter aber nicht bestraft (SEM 31.5.2017).

Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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A - Sicherheitsanalyseabteilung (2.2017): Sicherheitsbericht im Februar 2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):

South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

Die somalische Regierung arbeitet mit der internationalen Gemeinschaft zusammen, um den Zugang von Vertriebenen zur Grundversorgung, zu Arbeit und dauerhaften Lösungen zu verbessern. Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen (USDOS 3.3.2017). Die EU unterstützt zahlreiche Reintegrationsprojekte für rückkehrende IDPs in Somalia mit mehr als 33 Millionen Euro aus dem EU Trust Fund (EEAS 5.4.2017).

Die Gesamtzahl an IDPs in Somalia wird im November 2017 mit 1,56 Millionen beziffert. Im Zeitraum 1.-11.2017 wurden 874.000 Menschen innerhalb Somalias aufgrund der Dürre vertrieben; weitere 188.000 aufgrund von Konflikt oder Unsicherheit (UNHCR 30.11.2017b). Alleine zwischen November 2016 und April 2017 haben mehr als 570.000 Menschen aufgrund der Dürre ihre Heimat verlassen und wurden so zu IDPs (UNSC 9.5.2017). Eine andere Quelle beziffert die Zahl der durch die Dürre vertriebenen Menschen im Zeitraum November 2016 bis Juli 2017 mit 859.000 (SEMG 8.11.2017). Davon suchten rund 7.000 Schutz in Äthiopien und Kenia (UNSC 5.9.2017). Die al Shabaab ist mitverantwortlich dafür, dass von der Dürre betroffene Personen aus ihrer Heimat fliehen mussten, da die Gruppe humanitäre Hilfe behindert und Blockaden betreibt. Außerdem wurden im Zuge des Konflikts und der Unsicherheit in Lower Shabelle rund 87.000 Menschen vertrieben (SEMG 8.11.2017). Dabei ist die Aufnahmekapazität der Zufluchtsgebiete begrenzt (ÖB 9.2016).

Vor allem in Mogadischu kam es weiterhin zur Vertreibung bzw. Zwangsräumung von IDPs (AI 22.2.2017). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 waren 80.000 IDPs von Zwangsräumungen betroffen, v. a. in Mogadischu (HRW 12.1.2017), nach anderen Angaben waren im ersten Halbjahr 2016 ca. 91.000 Personen betroffen (USDOS 3.3.2017). Für den Zeitraum Jänner bis Juli 2017 wird eine Zahl von ca. 90.000 Betroffenen genannt. Wiederum waren vor allem IDPs in Mogadischu betroffen, im August 2017 kam es aber auch zur Vertreibung von rund 5.000 IDPs in Baidoa (SEMG 8.11.2017). An den Vertreibungen waren staatliche Sicherheitskräfte beteiligt, die auch Gewalt angewendet haben (USDOS 3.3.2017).

IDPs gehören in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen (NLMBZ 11.2017). Laut UNOCHA gelten IDPs als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet (ÖB 9.2016). Die Regierung und Regionalbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung und trugen sogar in manchen Fällen zur Vertreibung von IDPs bei (USDOS 3.3.2017). In Mogadischu sind für Vergewaltigungen bewaffnete Männer - darunter Regierungssoldaten und Milizionäre - verantwortlich (HRW 12.1.2017). Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet (USDOS 3.3.2017).

IDPs sind über die Maßen von der Dürre betroffen, da sie steigende Preise für Lebensmittel nicht bezahlten können. Außerdem gibt es für sie weniger Beschäftigungsmöglichkeiten. Üblicherweise überleben sie aufgrund der Überweisung von Remissen und mittels internationaler Unterstützung (ICG 9.5.2017). IDPs - und hier v.a. Frauen und Kinder - sind sehr vulnerabel und von Unterstützung abhängig (HRW 12.1.2016). Der UNHCR versucht, sich über die Gegebenheiten und Notwendigkeiten in den rund 1.800 IDP-Lagern in Somalia einen Überblick zu verschaffen (UNHCR 30.11.2017b). Alleine in Mogadischu gibt es 486 IDP-Lager (BFA 3./4.2017). Rund 1,5 Millionen IDPs werden durch UNHCR erreicht. Einigen wurde zu Einkommen und/oder Ausbildung verholfen (UNHCR 30.11.2017b). In Puntland und Somaliland hat die UN für Rückkehrer und IDPs mehr als 5.000 "housing units" errichtet (BFA 3./4.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

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BFA - BFA/SEM Fact Finding Mission Somalia (3./4.2017):

Informationen aus den Protokollen der FFM

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

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ICG - International Crisis Group (9.5.2017): Instruments of Pain (III) - Conflict and Famine in Somalia, https://www.crisisgroup.org/africa/horn-africa/somalia/b125-instruments-pain-iii-conflict-and-famine-somalia, Zugriff 24.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (30.11.2017b): Fact Sheet; Somalia; 1-30 November 2017, http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1514374235_61422.pdf, Zugriff 8.1.2018

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

2. Beweiswürdigung:

2.1. Das Datum der Antragstellung und Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2.2. Die Feststellungen zur Herkunft aus Mogadischu, zur Emigration in die VAE, dem dortigen langjährigen Aufenthalt, der Abschiebung ihrer Mutter, und den erlittenen Misshandlungen durch ihre Gastfamilie im Zuge ihrer Beschäftigung als deren Bedienstete basieren auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens. Eine Herkunft aus Mogadischu, sowie ihren Aufenthalt in den VAE stellte außerdem bereits die belangte Behörde selbst fest (S 11 des angefochtenen Bescheids).

Die Feststellungen, dass es der beschwerdeführenden Partei gelang, während eines Urlaubs ihrer Gastfamilie in der Türkei zu fliehen und sich somalischen Frauen in Ankara anzuschließen, wo sie in einer Werkstatt Möbelstücke anfertigte, basieren ebenfalls auf den glaubhaften Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens.

Die Feststellung, dass die beschwerdeführende Partei in Somalia über ihre Eltern und acht Geschwister verfügt, ergibt sich auch aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens. Auch die Angabe, dass nicht feststellbar ist, wo in Somalia sich diese befinden, ergibt sich aus den Angaben der beschwerdeführenden Partei im Laufe des Verfahrens und wurde von der belangten Behörde bereits selbst festgestellt (S. 12 des angefochtenen Bescheids).

Hinsichtlich der fehlenden Feststellung der Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei ist anzumerken, dass im Hinblick darauf, dass die beschwerdeführende Partei schon im Alter von acht Monaten Somalia verließ, sie zu ihrer leiblichen Mutter seit ihrem zweiten Lebensjahr keinen Kontakt mehr hat, sie keine Informationen über ihre leiblichen Eltern besitzt und diesbezüglich auch keine Hinweise ihrer Gasteltern erhielt, nachvollziehbar ist, dass die beschwerdeführende Partei über ihre Clanzugehörigkeit nicht Bescheid weiß.

Dass die beschwerdeführende Partei besser Arabisch als Somalisch spricht, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt; sie wurde außerdem bei der Behörde mit Hilfe von Arabisch Dolmetschern einvernommen (siehe Einvernahme- und Erstbefragungsprotokoll).

2.3. Zur Feststellung einer Gefährdung der beschwerdeführenden Partei im Falle einer Ansiedlung in Somalia wird der folgende wesentliche Sachverhalt, nämlich die mangelnde Sozialisierung in Somalia, die unklare Clanzugehörigkeit der beschwerdeführenden Partei und das damit verbundene Nicht-Vorhandensein von Clanschutz sowie das Fehlen von Kernfamilie vor Ort, untersucht:

Die aktuellen Länderberichte zu Somalia führen aus, dass IDPs in Somalia zu den am meisten gefährdeten Personengruppen zählen. IDPs gelten als besonders benachteiligte Gruppe, die kaum Schutz genießt und Ausbeutung, Misshandlung und Marginalisierung ausgesetzt ist. Single- oder alleinerziehende Frauen und Kinder sind besonders gefährdet. Die Regierung und Regierungsbehörden bieten den IDPs nur unwesentlichen Schutz und Unterstützung. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet. Besonders betroffen von sexueller Gewalt sind IDPs in Flüchtlingslagern. Von staatlichem Schutz kann, zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle, nicht ausgegangen werden. Das BVwG hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit und Aktualität der hier angeführten Länderberichte, die bereits Bestandteil des angefochtenen Bescheids waren, zu zweifeln.

Die beschwerdeführende Partei selbst ist nach ihren glaubhaften Angaben, die auch festgestellt wurden, in Somalia nicht sozialisiert und verfügt eben nicht über relevante Clanverbindungen. Der Aufenthaltsort ihrer Kernfamilie ist überdies nicht feststellbar. Außerdem spricht sie besser Arabisch als Somalisch.

Die beschwerdeführende Partei muss daher zur Zeit als alleinstehende Frau, die seit ihrem Kindesalter nicht mehr in Somalia gelebt hat, ihre Clanzugehörigkeit nicht kennt und über den Aufenthaltsort ihrer Kernfamilie nicht Bescheid weiß, angesehen werden, für die ein ernstzunehmendes Risiko besteht, sich im Falle einer Rückkehr in einem IDP Lager wiederzufinden.

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Beurteilung der gegenständlichen Beschwerde auf aktuelle Länderinformationen, die in Auszügen unter Punkt 1.3. in diesem Erkenntnis wiedergegeben sind und die bereits Teil des Verfahrens vor der belangten Behörde waren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Spruchpunkt I.:

3.1. Rechtsgrundlagen

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Die beschwerdeführende Partei muss zur Zeit als alleinstehende Frau, die seit ihrem Kindesalter nicht mehr in Somalia gelebt hat, ihre Clanzugehörigkeit nicht kennt und über den Aufenthaltsort ihrer Kernfamilie nicht Bescheid weiß, angesehen werden, für die ein ernstzunehmendes Risiko besteht, sich im Falle einer Rückkehr in einem IDP Lager wiederzufinden. Sie unterliegt damit einer ausreichend wahrscheinlichen und aktuellen Verfolgungsgefahr als Mitglied der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt zu werden.

3.2.2. Von einer Schutzfähigkeit und -willigkeit der somalischen Sicherheitsbehörden kann nach der aktuellen Berichtslage nicht ausgegangen werden.

3.2.3. Das Konzept einer innerstaatlichen Fluchtalternative kann bei der Problematik einer IDP und der Annahme einer deshalb bestehenden Verfolgungsgefahr bereits nicht Bestand haben. Eine Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative kann außerdem vor dem Hintergrund entfallen, dass die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

3.2.4. Da sich im Verfahren auch keine Hinweise auf Ausschlussgründe des § 6 AsylG ergeben haben, ist der beschwerdeführenden Partei nach dem oben Gesagten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG ist diese Entscheidung mit der Aussage zu verbinden, dass ihr damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 2016/24 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall nicht Anwendung finden.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Schlagworte

asylrechtlich relevante Verfolgung, Schutzunfähigkeit,
Schutzunwilligkeit, soziale Gruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W211.2193323.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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