TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/26 W189 2181667-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.09.2018
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Entscheidungsdatum

26.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W189 2181670-1/8E

W189 2181666-1/11E

W189 2181667-1/9E

W189 2181668-1/9E

W189 2181669-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. am

XXXX , 2.) XXXX , geb. am XXXX , 3.) XXXX , geb. am XXXX , 4.) XXXX , geb. am XXXX und 5.) XXXX , geb. am XXXX , alle StA. Somalia, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017, Zlen. 1.) 1088256909-151390268 2.) 1088257808-151390250,

3.) 1088257503-151390284, 4.) 1088257601-151390292 und 5.) 1104839305-160197378, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.09.2018, zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und XXXX sowie XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 und 4 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF1) ist eine weibliche Staatsangehörige Somalias, die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2, BF3 und BF4) sind ihre minderjährigen Kinder, der Fünftbeschwerdeführer (im Folgenden: BF5) ist ihr im Bundesgebiet geborener Sohn.

1. BF1 reiste gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern BF2 bis BF4 in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2015 für sich, sowie als gesetzliche Vertreterin für BF2 bis BF4, die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

In ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 22.10.2015 gab BF1 zu Protokoll, dass sie Staatsangehörige von Somalia sei, der Volksgruppe der Gametle und muslimischen Glaubens sei. Sie sei in Somalia traditionell verheiratet und habe drei Kinder, BF2 bis BF4, welche sich ebenfalls im Bundesgebiet befinden würden. BF1 beherrsche die Sprache Somalisch nur in Wort, sei Analphabetin und habe keine Ausbildung genossen. Im Herkunftsstaat würden sich die Mutter, sowie zwei Brüder, eine Schwester und der Ehegatte von BF1 befinden; ihr Vater sei bereits verstorben. Im Bundesgebiet habe sie zwei Brüder, die asylberechtigt seien. Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates gab BF1 zu Protokoll, dass sie Probleme mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern gehabt habe, da er einer Minderheit in Somalia angehöre. Die Eltern von BF1 hätten aus diesem Grund von ihr verlangt, dass sie sich unverzüglich scheiden lasse und habe es einen Streit gegeben. Ihre Mutter hätte zu ihr gesagt, dass sie weggehen solle, damit die Beziehung zu ihren Eltern nicht zerstört werde. Sie seien täglich beschimpft und bespuckt worden und hätte sie aus diesem Grund den Entschluss zur Ausreise gefasst.

BF2 gab in ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag an, dass sie Staatsangehörige von Somalia sei und bislang keine Ehe geschlossen habe. Sie bekenne sich zum muslimischen Glauben, gehöre der Volksgruppe der Madhiiban an und habe die Schule in Marka besucht. Zum Fluchtgrund gab BF2 befragt an, dass sie Somalia aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit hätten verlassen müssen, da ihr Vater dort als minderwertig angesehen werde und würden die Kinder automatisch zur Volksgruppe des Vaters gehören. So sei BF2 täglich beschimpft und diskriminiert worden und habe sie nicht mehr auf die Straße gehen können.

2. Am 19.01.2016 wurde BF5 im Bundesgebiet geboren und stellte BF1 als seine gesetzliche Vertreterin am 08.02.2016 für diesen einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Am 03.11.2017 wurde BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab sie eingangs ihrer Befragung an, dass sie sich sowohl physisch als auch psychisch in der Lage fühle, wahrheitsgemäße Angaben zu tätigen. Sie sei Staatsangehörige von Somalia, gehöre der Volksgruppe der Gametle (Clan: Reer Hamar) an und bekenne sich zum muslimisch-sunnitischen Glauben. Im Herkunftsstaat sei sie nur ein Jahr in die Koranschule gegangen. Als sie 14 Jahre alt gewesen sei, habe sie traditionell geheiratet und stammen aus dieser Ehe vier Kinder, BF2 bis BF5. Eine weitere Tochter sei ungefähr drei Monate vor ihrer Ausreise aus Somalia bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Ihr Ehemann habe keine weiteren Kinder und wisse BF1 nicht, wo sich dieser aktuell befinde. Er sei verschwunden, als ihre Tochter gestorben sei und habe sie seither nichts mehr von ihm gehört. BF1 sei in Qoryolly geboren und nach ihrer Heirat gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Marka gezogen, wo sie bis zur Ausreise gelebt habe. Ihre Familie sei gegen die Heirat gewesen. Nach den Angehörigen im Herkunftsstaat gefragt führte BF1 an, dass ihre Mutter und ihre Geschwister in Qoryolly leben würden und sei ihr Vater bereits verstorben. Sie habe keinen Kontakt zu ihren in Somalia lebenden Verwandten und habe sie zuletzt bei ihrer Ausreise mit ihrer Mutter telefoniert. Zwei ihrer Brüder würden in Wien leben. Die wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat sei schlecht gewesen. BF1 sei Hausfrau gewesen und ihr Mann habe eine Schneiderei in Marka gehabt. Das Haus ihres Vaters sei auch nur eine Hütte und würden sie mehr nicht besitzen. BF1 sei aus Mogadischu ausgereist und habe ihr Schwager die schlepperunterstützte Ausreise bezahlt. BF1 habe keine Strafrechtsdelikte begangen und habe im Herkunftsstaat auch keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt. Es sei kein gegen sie gerichtetes Gerichtsverfahren anhängig und sei sie auch niemals festgenommen worden. Ebenso sei sie nicht politisch tätig gewesen.

Zu ihren Fluchtgründen gab BF1 zu Protokoll, dass sie Probleme mit Al-Shabaab gehabt habe. Nachdem ihr Ehemann verschwunden sei, habe sie die Kinder in die Schule bringen müssen, wobei sie nach ungefähr einer Woche von einem ihr unbekannten Mann angesprochen worden sei, der ihr gesagt habe, dass er sie heiraten wolle. Sie habe ihm erklärt, dass das nicht ginge, da sie bereits verheiratet sei, jedoch habe er dem entgegnet, dass er sie mit keinem Mann gesehen habe und er sie unbedingt heiraten wolle. Dies sei in den nächsten Tagen öfters vorgefallen und habe BF1 ihrem Schwager davon erzählt, der ihr aber gesagt habe, dass er sie nicht beschützen könne. Auf sein Anraten habe sie dann aufgehört, die Kinder in die Schule zu bringen. Eine Woche später habe man einen Stein auf ihr Haus geworfen und habe BF1 nach außen geblickt und viele vermummte Männer gesehen. Sie seien drei Tage lang, immer nachts, vor dem Haus gestanden. Nach dem dritten Tag hätten sie die Tür aufgebrochen und seien drei vermummte Männer ins Haus gekommen. Einer von ihnen hätte ihr den Mund zugehalten und sie hätten zu ihr gesagt, dass sie einen Mujaheddin heiraten solle oder ihre Tochter und sie für einen kochen müssten, widrigenfalls sie das Haus abbrennen würden - BF1 könne die Entscheidung treffen. Daraufhin sei BF1 wieder zu ihrem Schwager gegangen, welcher ihr erneut gesagt habe, dass er sie nicht schützen könne und er selber flüchten wollen würde. Zu dieser Zeit habe es auch Kriegshandlungen in der Stadt gegeben. So sei sie gemeinsam mit ihren Kindern nach Mogadischu gegangen, wo sie 25 Tage verblieben seien und von wo aus sie das Land verlassen hätten. Ihr Schwager sei gekommen und hätte alles organisiert. Danach gefragt, ob das der Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates gewesen sei, führte BF1 an, dass es ihnen sehr schlecht gegangen sei, nachdem ihr Mann das Land verlassen habe. Sie habe keine Arbeit gehabt und nicht gewusst, wie sie die Kinder ernähren solle. Nachgefragt gab sie weiters an, dass ihre Familie sie nach ihrer Heirat verstoßen habe und habe sie nur hin und wieder Kontakt zu ihrer Mutter gehabt und sie zuletzt im Jahr 2009 gesehen. BF1 habe gemeinsam mit ihrem Mann, den Kindern und ihrer Schwiegermutter gelebt und sei ihre Schwiegermutter zum Schwager von BF1 gezogen, nachdem ihr Mann verschwunden sei.

Schließlich gab BF1 auf Vorhalt an, wonach sie in ihrer Erstbefragung ganz andere Gründe angegeben habe, und umgekehrt in ihrer jetzigen Einvernahme ein Vorbringen erstatte, welches sie in ihrer Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt habe, dass sie nicht genauer gefragt worden sei.

Zu den Lebensumständen in Österreich führte BF1 an, dass sie von der Grundversorgung lebe, einen Deutschkurs besucht habe und die deutsche Sprache erlernen wolle. Sie wünsche sich auch eine Ausbildung für ihre Kinder. Im Bundesgebiet würden sich zwei Brüder von ihr befinden.

Nach den Fluchtgründen von BF3, BF4 und BF5 gefragt gab BF1 zu Protokoll, dass sie keine eigenen Fluchtgründe hätten und es ihnen gesundheitlich gut gehe. Sie seien aufgrund der Stammeszugehörigkeit beschimpft und beleidigt worden.

BF2 wurde ebenfalls am 03.11.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und gab dabei an, dass sie gesund, ledig und kinderlos sei. Sie sei in Marka geboren worden und habe bis zur Ausreise dort gemeinsam mit ihren Eltern, ihren Geschwistern und ihrer Großmutter gelebt; die wirtschaftliche Lage sei schlecht gewesen, sie seien arm gewesen, hätten nicht viel gehabt und habe der Vater als Schneider gearbeitet. BF1 sei keinem Erwerb nachgegangen. Im Herkunftsstaat würde sich ihr Vater befinden, zu welchem sie ungefähr zwei Monate vor der Ausreise zuletzt Kontakt gehabt habe. Der Großvater mütterlicherseits sei bereits gestorben und hätten sie nur schlechten Kontakt zur Großmutter mütterlicherseits. BF2 habe überhaupt keinen Kontakt zu ihren Angehörigen in Somalia. Sie habe keine Strafrechtsdelikte begangen und habe im Herkunftsstaat auch keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt. Es sei kein gegen sie gerichtetes Gerichtsverfahren anhängig und sei sie auch niemals festgenommen worden. Auch sei sie nicht politisch tätig gewesen.

Zu den Fluchtgründen befragt gab BF2 an, dass es keine Sicherheit mehr in Somalia gebe. Es herrsche Clan-Zugehörigkeit und habe sie keine Ausbildungsmöglichkeiten und keine Zukunft gehabt. Sie selber sei niemals persönlich bedroht worden, doch habe BF1 nach dem Verschwinden ihres Ehemannes und dem Tod ihrer Tochter Probleme gehabt und sei von Al-Shabaab verfolgt worden. Sie hätten gewollt, dass BF1 mitarbeite, und zwar für sie kocht, oder ein Mitglied von Al-Shabaab heiratet. Mitglieder von Al-Shabaab seien oft zu ihnen nachhause gekommen, oder vor dem Haus gewesen und hätten an der Tür geklopft. Sie seien vermummt gewesen und hätten das Fenster mit Steinen beworfen. BF2 sei bei dem besagten Vorfall im Haus dabei gewesen und hätte selber gehört, wie sie ihrer Mutter gedroht hätten. Einige seien draußen geblieben und einige seien ins Haus gekommen. Konkret danach gefragt gab BF2 zu Protokoll, dass fünf Männer ins Haus gekommen seien. Das sei ungefähr ein Monat nach dem Tod ihrer Schwester und dem Verschwinden ihres Vaters gewesen und seien sie nach diesen zwei Ereignissen etwa zwei weitere Monate in Somalia verblieben. Nach weiteren Problemen in Somalia befragt gab BF2 zu Protokoll, dass sie keine Ausbildungsmöglichkeit gehabt habe; sie habe ein schweres Leben gehabt. Nach den Problemen wegen ihrer Clanzugehörigkeit gefragt führte BF2 weiters aus, dass sie beschimpft worden sei und nur ein oder zwei Freunde gehabt habe.

Zu den Lebensumständen im Bundesgebiet gab BF2 zu Protokoll, dass sie von der Grundversorgung lebe und Unterstützung bekomme. Sie besuche die Schule und Deutschkurse. Für die Zukunft stelle sie sich vor, als Krankenschwester zu arbeiten. In Österreich würden zwei Onkeln mütterlicherseits leben.

Am Ende der Einvernahme wurde BF1 und BF2 die Möglichkeit eingeräumt, in die von der Behörde herangezogenen Berichte zur Lage im Herkunftsstaat Einsicht zu nehmen und gegebenenfalls schriftlich Stellung zu nehmen. BF1 und BF2 gaben dazu an, dass sie keine Informationen bräuchten.

Vorgelegt wurden diverse Integrationsvorlagen, ärztliche Befunde, sowie die Geburtsurkunde des BF5.

3. Mit den im Spruch genannten Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde ihnen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG (BF1) iVm § 34 Abs. 3 AsylG (BF2 bis BF4) der Status subsidiär Schutzberechtigter zuerkannt und gleichzeitig jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Absatz 4 AsylG bis zum 06.12.2018 erteilt.

Begründend führte die Behörde aus, dass das Vorbringen insgesamt nicht geeignet gewesen sei eine Verfolgung im Herkunftsland glaubhaft zu machen. Bereits das Vorbringen wonach BF1, welche ihre Kinder zur Schule gebracht habe, eine Woche nach dem Verschwinden ihres Ehemannes von einem unbekannten Mann dabei beobachtet und diese beim ersten Kontakt auf eine Heirat angesprochen habe, sei äußerst unglaubhaft gewesen. Weiters sei auch die Schilderung, wonach vermummte Männer nach dreitägiger Belagerung ihres Hauses dann am dritten Tag die Türe aufgebrochen hätten wenig lebensnah gewesen, zumal es zwischen den Schilderungen der BF1 und BF2 hinsichtlich der Anzahl der Männer widersprüchliche Angaben gegeben habe. Nicht nachvollziehbar seien auch deren Angaben wonach lediglich die BF1 der Gefahr einer Zwangsheirat ausgesetzt gewesen sei hingegen die im heiratsfähigen Alter anwesende BF2 nicht gefährdet gewesen sei, vielmehr BF1 eine solche Gefährdung ausgeschlossen habe. Schließlich sei es nicht plausibel gewesen, dass BF1 im Rahmen der Erstbefragung ihre Ausreisegründe auf Ereignisse beschränkt habe, die sich mehrere Jahre vor ihrer Ausreise ereignet hätten und darüber hinaus nur familiärer Natur gewesen seien hingegen die angeblich schwerwiegenden Vorfälle, die sich knapp vor der Ausreise ereignet hätten, überhaupt nicht erwähnt worden seien.

4. Gegen die im Spruch genannten Bescheide wurde von der rechtsfreundlichen Vertretung der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde erhoben und nach Wiedergabe des Sachverhaltes insbesondere ausgeführt, dass die Beschwerdeführer einer Minderheitengruppe angehören würden, welche überproportional Opfer von Gewalt und Ausgrenzungen sei. Schließlich befürchte BF1 für den Fall einer Rückkehr, dass BF3 und BF4, wie sie selbst und BF2, beschnitten werden würden. Beantragt wurde die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Mit Eingabe vom 17.05.2018 wurden BF2 betreffende Integrationsnachweise zur Vorlage gebracht.

5. Am 07.09.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin für die Sprache Somalisch statt, zu welcher die Beschwerdeführer und die belangte Behörde ordnungsgemäß geladen wurden. Im Rahmen dessen wurde BF1 und BF2 Gelegenheit geboten, ausführlich zu ihren Fluchtgründen Stellung zu nehmen. Die Behörde verzichtete in der Beschwerdevorlage vom 02.01.2018 auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung und ist ein Vertreter der Behörde nicht erschienen.

Mit Eingabe vom 10.09.2018 wurden zwei ärztliche Bestätigungen vorgelegt, welche nachweisen, dass bei BF3 und BF4 bisher keine Genitalverstümmelungsoperationen durchgeführt worden seien.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die BF1 bis BF5 sind Staatsangehörige Somalias. BF1 reiste gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern BF2 bis BF4 in das Bundesgebiet ein und stellte am 18.09.2015 für sich und als gesetzliche Vertreterin für BF2 bis BF4, sowie am 08.02.2016 für BF5 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF sind strafrechtlich unbescholten.

Die BF5 ist in Österreich geboren.

An den BF3 und BF4 wurde bisher keine Beschneidung durchgeführt.

1.2. Nicht festgestellt werden konnte das Vorbringen der BF1, wonach sie wegen der Stammeszugehörigkeit ihres Ehemannes und der Kinder bzw. wegen der vorgebrachten Zwangsheirat verfolgt worden sei.

1.3. Festgestellt wird, dass BF3 und BF4 in Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit landesweit eine an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität in Form der Gefahr einer Genitalverstümmelung droht, wogegen sie vom somalischen Staat keinen effektiven Schutz erwarten können. Aufgrund der landesweit üblichen Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung kommt der Beschwerdeführerin auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zu.

1.4. Relevante Länderberichte zur Situation in Somalia

Die aktuelle politische und menschenrechtliche Situation in Somalia stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bereits in den gegenständlich angefochtenen Bescheiden umfassend fest. Zur Situation von Frauen und Kindern, der weiblichen Genitalverstümmelung und dagegen bestehenden staatlichen Schutz wird zudem Folgendes festgestellt:

Frauen und Kinder/ Weibliche Genitalverstümmelung

(Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Somalia, 12.01.2018)

Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär. Frauen und Mädchen bleiben den besonderen Gefahren der Vergewaltigung, Verschleppung und der systematischen sexuellen Versklavung ausgesetzt. Wirksamer Schutz gegen solche Übergriffe - insbesondere in IDP-Lagern - ist mangels staatlicher Autorität bisher nicht gewährleistet (AA 1.1.2017).

Die somalische Regierung hat 2014 einen Aktionsplan zur Bekämpfung sexueller Übergriffe verabschiedet. Die Implementierung geschieht jedoch sehr langsam (ÖB 9.2016). Außerdem wurde im Mai 2016 ein Nationaler Gender Policy Plan verabschiedet. Dieser Plan wurde von der Somali Islamic Scholars Union verurteilt; der Somali Religious Council hat die vorgesehene 30%-Quote für Abgeordnete im somalischen Parlament als gefährlich bezeichnet (USDOS 3.3.2017).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen in der Verfassung verboten ist (USDOS 3.3.2017), bleiben häusliche (USDOS 3.3.2017; vgl. AA 1.1.2017, ÖB 9.2016) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem (UNSC 5.9.2017). Generell grassiert sexuelle Gewalt ungebremst. Im Zeitraum September 2016 bis März 2017 wurden von UNSOM alleine in den von der Dürre betroffenen Gebieten 3.200 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert (UNHRC 6.9.2017). Besonders betroffen sind davon IDPs in Flüchtlingslagern (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, UNSC 5.9.2017). Im Jahr 2015 waren 75% der Opfer sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs (ÖB 9.2016). Die IDP-Lager bieten kaum physischen oder Polizeischutz (UNSC 5.9.2017). Auch Frauen und Mädchen von Minderheiten sind häufig unter den Opfern von Vergewaltigungen. Dabei gibt es aufgrund der mit einer Vergewaltigung verbundenen Stigmatisierung der Opfer eine hohe Dunkelziffer (USDOS 3.3.2017). Die Täter sind bewaffnete Männer, darunter auch Regierungssoldaten und Milizionäre (HRW 12.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, ÖB 9.2016). Im ersten Trimester 2017 wurden 28 Fälle von konfliktbezogener sexueller Gewalt dokumentiert, im letzten Trimester 2016 waren es 13. Dieser Anstieg kann vermutlich mit der wachsenden Zahl an Dürre-bedingten IDPs erklärt werden (UNSC 9.5.2017). Von staatlichem Schutz kann - zumindest für die am meisten vulnerablen Fälle - nicht ausgegangen werden (HRW 12.1.2017; vgl. ÖB 9.2016).

Auch unter der neuen Verfassung gilt in Somalia weiterhin das islamische Scharia-Recht, auf dessen Grundlage auch die Eheschließung erfolgt. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 9.2016). Laut Übergangsverfassung sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen. Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet. In ländlichen Gebieten verheiraten Eltern ihre Töchter manchmal schon im Alter von zwölf Jahren. Insgesamt wurden 45% der Frauen im Alter von 20-24 Jahren bereits mit 18 Jahren, 8% bereits im Alter von 15 Jahren verheiratet (USDOS 3.3.2017).

Zu von der al Shabaab herbeigeführten Zwangsehen kommt es auch weiterhin (SEMG 8.11.2017), allerdings nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (DIS 3.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Das Ausmaß ist unklar. Manchmal werden die Eltern der Braut bedroht. Zwangsehen der al Shabaab in städtischen Zentren sind nicht bekannt (DIS 3.2017). Die Gruppe nutzt zusätzlich das System der Madrassen (Religionsschulen), um potentielle Bräute für die eigenen Kämpfer zu identifizieren (SEMG 8.11.2017). Immer mehr junge Frauen werden radikalisiert und davon angezogen, eine "Jihadi-Braut" werden zu können (SEMG 8.11.2017; vgl. BFA 8.2017).

Al Shabaab setzt Frauen - manchmal auch Mädchen - zunehmend operativ ein, etwa für den Waffentransport in und aus Operationsgebieten; für die Aufklärung und zur Überwachung (SEMG 8.11.2017); oder als Selbstmordattentäterinnen (DIS 3.2017).

Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden (USDOS 3.3.2017). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivilrechts und Strafrechts, die Frauen tendenziell benachteiligen bzw. einem (übersteigerten) paternalistischen Ansatz folgen. Für Frauen gelten entsprechend andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer. So erhalten beispielsweise Frauen nur 50% der männlichen Erbquote. Bei der Tötung einer Frau ist im Vergleich zur Tötung eines Mannes nur die Hälfte des an die Familie des Opfers zu zahlenden "Blutgeldes" vorgesehen (AA 1.1.2017; vgl. USDOS 3.3.2017). Erwachsene Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 1.1.2017). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts gelten auch in Puntland und Somaliland. Gleichwohl gibt es politische Ansätze, die mittel- bis langfristig eine Annäherung des Status von Mann und Frau anstreben. In den von der al Shabaab kontrollierten Gebieten werden die Regeln der Scharia in extremer Weise angewandt - mit der entsprechenden weitergehenden Diskriminierung von Frauen als Folge (AA 1.1.2017).

Eigentlich wären für das Parlament 30% Sitze für Frauen vorgesehen. Bis zur Neuwahl des Parlaments stellten diese aber nur 14% von 275 Abgeordneten (USDOS 3.3.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Im neuen Unterhaus und im Oberhaus des Parlaments stellen Frauen nunmehr 24% der Abgeordneten. 23% der Mitglieder des Ministerkabinetts sind Frauen (UNSC 9.5.2017; vgl. UNHRC 6.9.2017). 13 von 54 Abgeordneten im Oberhaus sind Frauen (NLMBZ 11.2017). Im Ältestenrat von Puntland war noch nie eine Frau vertreten, im 66sitzigen Repräsentantenhaus sind es zwei, es gibt auch zwei Ministerinnen (USDOS 3.3.2017).

Generell haben Frauen nicht die gleichen Rechte, wie Männer, und sie werden systematisch benachteiligt (USDOS 3.3.2017). Frauen leiden unter schwerer Ausgrenzung und Ungleichheit in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten (ÖB 9.2016), und unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung und Unterbringung. Laut einem Bericht einer somaliländischen Frauenorganisation aus dem Jahr 2010 besaßen dort nur 25% der Frauen Vieh, Land oder anderes Eigentum. Allerdings werden Frauen beim Besitz und beim Führen von Unternehmen nicht diskriminiert - außer in den Gebieten der al Shabaab (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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A - Sicherheitsanalyseabteilung (2.2017): Sicherheitsbericht im Februar 2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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DIS - Danish Immigration Service/Danish Refugee Council (3.2017):

South and Central Somalia Security Situation, al-Shabaab Presence, and Target Groups. Report based on interviews in Nairobi, Kenya, 3 to 10 December 2016,

https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/57D4CD96-E97D-4003-A42A-C119BE069792/0/South_and_Central_Somalia_Report_March_2017.pdf, Zugriff 21.11.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018 - ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016):

Asylländerbericht Somalia

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SEM - Staatssekretariat für Migration (Schweiz) (31.5.2017): Focus Somalia - Clans und Minderheiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SOM-clans-d.pdf, Zugriff 22.11.2017

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SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,

https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

Weibliche Genitalverstümmelung (FGM)

Die Übergangsverfassung verbietet zwar weibliche Genitalverstümmelung (FGM) (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, CEDOCA 9.6.2016), diese ist in Somalia aber weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017, AA 1.1.2017). Nach einer Angabe sind 98% aller Frauen und Mädchen beschnitten (USDOS 3.3.2017), eine andere Quelle nennt eine FGM-Rate (alle Formen von FGM) von 99% in der Altersgruppe von 15-49 Jahren. Dabei ist die hohe Prävalenz nicht auf Somalia beschränkt, sondern betrifft auch ethnische Somali in Kenia und Äthiopien (CEDOCA 9.6.2016).

Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Quelle nennt ein Alter von zehn bis dreizehn Jahren (AA 1.1.2017); nach anderen Angaben findet die Verstümmelung bei mehr als 80% im Alter zwischen fünf und neun Jahren statt; bei 10% zwischen neun und vierzehn Jahren; und bei 7% zwischen null und vier Jahren (EASO 8.2014). Nach wieder anderen Angaben wird die Verstümmelung bei 80% der Mädchen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren vorgenommen (USDOS 3.3.2017). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016). Quellen im Bericht des Danish Immigration Service erklären wiederum, dass die große Mehrheit vor dem achten Geburtstag einer Verstümmelung unterzogen wird. Eine Quelle gab an, dass Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr beschnitten werden. Dies wäre gesundheitlich zu riskant. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016).

Dabei ist vor allem die extremste Form der weiblichen Beschneidung (Infibulation; auch pharaonische Beschneidung/ WHO Typ III) weit verbreitet (ÖB 9.2016; vgl. USDOS 3.3.2017). Berichtet wird ein Anteil von rund 63% (EASO 8.2014). Eine andere Quelle schätzt die Zahl von Infibulationen auf 80% (DIS 1.2016). Verbreitet sind die hieraus resultierenden Gesundheitsprobleme der Betroffenen. Viele überleben die Verstümmelung nicht (AA 1.1.2017).

Bei den Benadiri und den arabischen Gemeinden in Somalia ist nicht die Infibulation sondern die Sunna (WHO Typen I und II) verbreitet. Bei diesen Gruppen scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt. Auch in anderen Teilen Somalias wird zunehmend die Sunna verwendet (DIS 1.2016).

Landesweit bemühen sich die Regierungen, die FGM-Praxis einzuschränken (AA 1.1.2017). Internationale und lokale NGOs führen Sensibilisierungsprogramme durch (USDOS 3.3.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Auch Medien, Prominente und religiöse Persönlichkeiten werden in die Kampagnen eingebunden. Bei einer Studie im Jahr 2015 wendete sich die Mehrheit der Befragten gegen die Fortführung der Infibulation (CEDOCA 9.6.2016). Es gibt allerdings keine Behörden oder Organisationen für Mütter, die hinsichtlich der Verhinderung einer FGM Unterstützung oder Schutz bieten (DIS 1.2016).

In den Gebieten der al Shabaab ist FGM verboten (LIFOS 24.1.2014).

Die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet, liegt in erster Linie bei der Mutter, in geringerem Maße bei der Großmutter. Der Vater spielt bei dieser Entscheidung kaum eine Rolle (CEDOCA 9.6.2016). Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es also auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Auch der Bildungshintergrund, der soziale Status sowie die kulturelle und geographische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Es gibt sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen. Leichter ist dies aber in Städten, wo die Anonymität eher gegeben bzw. die enge soziale Interaktion geringer ist (DIS 1.2016).

Es kann zu psychischem Druck kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Dieser Druck kann auch extreme Formen annehmen, derartige Fälle sind aber außergewöhnlich. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck standzuhalten (DIS 1.2016). Aufklärungskampagnen versuchen, Väter mehr in die Sensibilisierung einzubinden, da sie Einfluss auf Mutter und Großmutter ausüben können (CEDOCA 9.6.2016).

Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten. Ohne das Wissen der Mutter kann eine FGM aufgrund der gesundheitlichen Folgen nicht von statten gehen (DIS 1.2016).

Mädchen, die nicht beschnitten sind, werden in der somalischen Gesellschaft immer noch stigmatisiert. Auch hier gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land. Laut Edna Adan ist es in der Stadt kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land aber würden Eltern dies nicht wagen. Mädchen, die anstatt einer Infibulation mittels Sunna beschnitten wurden, werden oftmals als nicht so rein wie infibulierte Mädchen erachtet (CEDOCA 9.6.2016). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Mutter vorgibt, dass ihre Tochter einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016).

Im Jahr 2011 erhobene Zahlen für Puntland zeigen eine rückläufige FGM-Rate. In der Altersgruppe 45-49 waren 2011 97,8% der Frauen von irgendeiner Form von FGM betroffen, in jener von 15 bis 19 Jahren waren es 97,3%, in der Gruppe 10-14 waren es 82,3% (CEDOCA 9.6.2016).

Zwei Studien von UNICEF zeigen, dass in Puntland die Infibulationsrate von 93,2% im Jahr 2005 auf 86,7% im Jahr 2011 zurückgegangen ist. Im Jahr 2011 waren ca. 90% der über 25jährigen, 85,4% der 20-24jährigen und 79,9% der 15-19jährigen von einer Infibulation betroffen. Auch eine Studie aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Infibulationsrate in Puntland zurückgeht. Die Sunna (im Sinne einer moderaten Beschneidung der Klitoris) hingegen ist auf dem Vormarsch (CEDOCA 9.6.2016).

Puntländische Behörden erklären, dass sie gegen FGM ankämpfen würden (CEDOCA 9.6.2016). Im Jahr 2013 bzw. 2014 wurde dort von religiösen Führern eine Fatwa ausgesprochen, wonach FGM als nicht mit islamischem Recht konform erklärt wird (UNHRC 6.9.2017; vgl. CEDOCA 9.6.2016). Daraufhin hat Puntland im März 2014 FGM per Dekret generell verboten. Das puntländische Ministerium für Justiz und religiöse Angelegenheiten betreibt Aktivitäten zur vollständigen Ausrottung von FGM und wird dabei von UNICEF unterstützt (UNHRC 6.9.2017). So wird etwa auch versucht, Beschneiderinnen ein alternatives Einkommen zu verschaffen. Bei einer Studie von UNICEF im Jahr 2011 gaben 37% der Befragten in Puntland an, dass die Praxis von FGM eingestellt werden sollte (CEDOCA 9.6.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (13.6.2016): Somalië - Defibulatie en herinfibulatie bij geïnfibuleerde vrouwen in Zuid- en Centraal-Somalië

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CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS, Belgien (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland

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DIS - Danish Immigration Service (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting, https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/D011EB99-7FB6-4693-921A-8F912F4079CB/0/FGMnotat2016.pdf, Zugriff 21.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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LI - Landinfo (14.9.2011): Somalia - Kjønnslemlestelse av kvinner, https://landinfo.no/asset/1747/1/1747_1.pdf, Zugriff 21.11.2017

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LIFOS - Lifos/Migrationsverket (24.1.2014): Kvinnor i Somalia. Rapport från utredningsresa till Nairobi, Kenya i oktober 2013, http://lifos.migrationsverket.se/dokument?documentSummaryId=31539, Zugriff 22.11.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WHO - World Health Organization (2017b): Female genital mutilation and other harmful practices,

http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/fgm_infibulated_women_norway/en/, Zugriff 21.11.2017

United Kingdom Home Office: Country Information and Guidance,

Somalia: Women fearing gender-based harm and violence, 2. August 2016

In den Policy Summeries des Berichts wird zusammengefasst ausgeführt, dass es eine sehr weite Verbreitung von FGM in ganz Somalia gebe und einen starken kulturellen Rückhalt dieser Praxis. Unverheiratete Frauen jünger als 39 Jahre, die nicht beschnitten sind, die ein Risiko nachweisen können, Opfer dieser Praxis zu werden und die der Bedrohung nicht durch eine innerstaatliche Fluchtalternative entfliehen können, soll auf der Basis ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Asyl gewährt werden. Die Praxis der FGM ist in Somaliland und Puntland rückläufig; eine Frau könnte dort einem weniger großen Risiko ausgesetzt sein, einer solchen Praxis ausgesetzt zu werden.

Laut einer UNICEF Studie über die weltweite Praxis von FGM, ist FGM allgemein gültig in Somalia; es kann keine signifikante Veränderung dieser Praxis erkannt werden. Eine andere UNICEF Studie strich hervor, dass FGM in der somalischen Gesellschaft eine anerkannte Tradition sei. Jene, die sich dieser Tradition entgegenstellen, tun dies gegen den Strom der öffentlichen Meinung. Aktuelle Statistiken zeigen eine Verbreitung von FGM in Somalia von ca. 97,9% für Frauen zwischen 15 bis 49 Jahren. Die in Somaliland, Puntland sowie Süd- und Zentralsomalia befragten Gemeinden hätten angegeben, dass in nahezu allen Haushalten Frauen und Mädchen FGM unterzogen worden seien (siehe Seite 24).

EASO, Country of Origin Information Report, South and Central Somalia, Country Overview, August 2014, online abrufbar:

Somalia sei einer der schlimmsten Orte der Welt für Frauen (178. Stelle). Während die vorläufige Verfassung gleiche Rechte von Männern und Frauen vorsähe, würden Frauen schwerwiegende Ungleichheiten und Diskriminierung erfahren. Nach traditionellem Somali Recht bleibe sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt häufig unbestraft.

Auch dieser Bericht führt aus, dass die weibliche Beschneidung in der Verfassung verboten sei. Dennoch werde diese Bestimmung nicht umgesetzt. Nach UNICEF Daten aus 2013 seien 98% der Frauen und Mädchen in Somalia beschnitten, wobei eine Mehrheit von 63% der Infibulation unterworfen gewesen seien, die die weitreichendste Form der FGM (Female Genital Mutilation) darstelle. In 80% der Fälle werde die Beschneidung bei Mädchen zwischen fünf und neun Jahren vorgenommen, in 10% der Fälle im Alter zwischen 9 und 14 und bei 7% der Mädchen, wenn sie 0 bis 4 Jahre alt seien. (Seiten 110, 111).

Staatlicher Schutz:

United Kingdom Home Office: Country Information and Guidance,

Somalia: Women fearing gender-based harm and violence, 2. August 2016

In Süd- und Zentralsomalia, einschließlich Mogadischu, ist effektiver staatlicher Schutz für Frauen, die geschlechtsspezifische und/oder sexuelle Gewalt fürchten, nicht zugänglich .

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den Beschwerdeführern ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der BF1 im Verfahren, der vorgelegten (österreichischen) Geburtsurkunde und aus den vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakten. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zur Antragstellung und zum bisherigen Asylverfahren zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.

Nicht festgestellt werden konnte das Vorbringen der BF1, wonach sie wegen der Stammeszugehörigkeit ihres Ehemannes und der Kinder bzw. wegen der vorgebrachten Zwangsheirat verfolgt worden sei, zumal BF1 und BF2 im Rahmen der Beschwerdeverhandlung zu den ursprünglich vorgebrachten angeblichen Problemen im Herkunftsland keine Angaben mehr tätigen wollten und die Gefahr einer Genitalverstümmelung ihrer Töchter bzw. Schwestern als zentralen Punkt einer Rückkehrgefahr stellten.

Die Feststellung, dass an den BF3 und BF4 noch keine Beschneidung durchgeführt wurde, ergibt sich aus der am 10.09.2018 vorgelegten ärztlichen Bestätigung.

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Rechtliche Beurteilung:

1.1. Allgemeine Rechtsgrundlagen

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen, weswegen gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vorliegt.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl.I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG § 58 VwGVG - 18.01.2017 bis 15.09.2017§ 58 VwGVG - 01.01.2014 bis 17.01.2017bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG Art 130 B-VG - 01.01.2019 bis ...Art 130 B-VG - 25.05.2018 bis 31.12.2018Art 130 B-VG - 01.01.2015 bis 24.05.2018Art 130 B-VG - 01.01.2014 bis 31.12.2014Art 130 B-VG - 01.01.2004 bis 31.12.2013Art 130 B-VG - 01.01.1998 bis 31.12.2003Art 130 B-VG - 01.01.1991 bis 31.12.1997Art 130 B-VG - 01.07.1976 bis 31.12.1990Art 130 B-VG - 18.07.1962 bis 30.06.1976Art 130 B-VG - 25.12.1946 bis 17.07.1962Art 130 B-VG - 19.12.1945 bis 24.12.1946Art 130 B-VG - 03.01.1930 bis 30.06.1934Art 130 B-VG - 01.01.1930 bis 02.01.1930Art 130 B-VG - 10.11.1920 bis 31.12.1929die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

1.2. Zu A) Asylgewährung:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 § 3 AsylG 2005 - 01.06.2016 bis ...§ 3 AsylG 2005 - 20.07.2015 bis 31.05.2016§ 3 AsylG 2005 - 01.01.2014 bis 19.07.2015§ 3 AsylG 2005 - 01.01.2006 bis 31.12.2013ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status der Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt mithin nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspru

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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