TE Bvwg Beschluss 2018/9/27 W235 2122362-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.09.2018
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Entscheidungsdatum

27.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W235 2122362-1/10E

W235 2133242-1/6E

W235 2133239-1/6E

W235 2202349-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Sabine MEHLGARTEN-LINTNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX 3. mj. XXXX geb. XXXX und 4. mj. XXXX , geb. XXXX , 3. und 4. gesetzlich vertreten durch: XXXX , alle StA: Somalia, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.01.2016, Zl. 1074808701-150724656 (ad 1.), vom 04.02.2016, Zl. 1074807900-150726292 (ad 2.), vom 05.08.2016, Zl. 1123822408-161029228 (ad 3.) und vom 29.06.2018, Zl. 1195094606-180600061 (ad 4.) beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerden werden die bekämpften Bescheide in ihren Spruchpunkten I. behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind ein Ehepaar und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin. Alle vier Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Somalia. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin reisten gemeinsam in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 23.06.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

1.2. Am 24.06.2015 wurden der Erst- und die Zweibeschwerdeführerin jeweils einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei der Erstbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen angab, dass er seine Heimat verlassen habe, da er von den Al Shabaab Milizen verfolgt und mit dem Tod bedroht worden sei. Der Erstbeschwerdeführer habe sich jedoch geweigert, seine Arbeit als Kraftfahrer zu beenden und sich dem Kampf der Al Shaabab anzuschließen. Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zu ihren Fluchtgründen zusammengefasst vor, dass sie ihre Heimat verlassen habe, da sie ihr Onkel väterlicherseits zwangsverheiraten habe wollen. Da sie die Zwangsverheiratung abgelehnt habe, sei sie mit dem Tod bedroht worden.

1.3. Am 13.01.2016 wurden der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen und wiederholten im Wesentlichen ihr im Rahmen der Erstbefragung erstattetes Vorbringen. Zudem brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass sie und ihr Ehemann ihr erstes gemeinsames Kind erwarten würden.

2.1. Mit Bescheid vom 22.01.2016 im Fall des Erstbeschwerdeführers und mit Bescheid vom 04.02.2016 im Fall der Zweitbeschwerdeführerin wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkte I.). Unter den jeweiligen Spruchpunkten II. dieser Bescheide wurde dem Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und wurde dem Erstbeschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 22.01.2017 und der Zweitbeschwerdeführer bis zum 04.02.2017 erteilt (Spruchpunkte III.).

Mit Verfahrensanordnungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2016 (Erstbeschwerdeführer) bzw. vom 08.02.2016 (Zweitbeschwerdeführerin) wurde den Beschwerdeführern für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

2.2. Mit Schriftsätzen vom 22.02.2016 erhoben der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin fristgerecht jeweils eine Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. der oben angeführten Bescheide.

3.1. Am XXXX .2016 wurde der gemeinsame Sohn des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer, in Österreich geboren und stellte am 21.07.2016 im Wege seiner gesetzlichen Vertreter (Eltern) einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Antragstellung wurden folgende Unterlagen in Kopie vorgelegt:

* Geburtsurkunde des Drittbeschwerdeführers, ausgestellt am XXXX .2016, in welcher der Erstbeschwerdeführer als Vater und die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter des Drittbeschwerdeführers eingetragen sind;

* Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom XXXX .2016 betreffend den Drittbeschwerdeführer;

* Kopien der Aufenthaltsberechtigungskarten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und

* Auszug aus dem Mutter-Kind-Pass

3.2. Mit dem in seinem Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.08.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des minderjährigen Drittbeschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde dem Drittbeschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 leg. cit. zuerkannt, und es wurde ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 05.08.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.08.2016 wurde dem Drittbeschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

3.3. Gegen Spruchpunkt I. des oben angeführten Bescheides erhob der Drittbeschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertreterin (Mutter) fristgerecht Beschwerde.

4. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin brachten am 09.12.2016 Anträge auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen beim Bundesamt ein. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2016 wurden dem Erstbeschwerdeführer, Zl. 1074808701-150724656, und der Zweitbeschwerdeführerin, Zl. 1074807900-150726292, die befristeten Aufenthaltsberechtigungen, im Fall des Erstbeschwerdeführers bis zum 22.01.2019 und im Fall der Zweitbeschwerdeführerin bis zum 04.02.2019, verlängert.

5.1. Die Viertbeschwerdeführerin wurde am XXXX .2018 im österreichischen Bundesgebiet geboren und stellte im Wege ihres gesetzlichen Vertreters (Vater) am 14.06.2018 anhand eines vorgedruckten Formulars den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Antragstellung wurden folgende Unterlagen in Kopie vorgelegt:

* Geburtsurkunde der Viertbeschwerdeführerin, ausgestellt am XXXX .2018, in welcher der Erstbeschwerdeführer als Vater und die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter der Viertbeschwerdeführerin eingetragen sind;

* Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom XXXX 2018 betreffend die Viertbeschwerdeführerin;

* Kopien der Aufenthaltsberechtigungskarten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin und

* Auszug aus dem Mutter-Kind-Pass

5.2. Mit dem in seinem Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2018 wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Viertbeschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Viertbeschwerdeführerin der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 leg. cit. zuerkannt und es wurde ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.02.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

In seiner Begründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, dass die minderjährige Viertbeschwerdeführerin somalische Staatsangehörige sei. Sie sei in Österreich geboren und lebe mit ihren Eltern in Österreich im gemeinsamen Haushalt. Nicht festgestellt werden könne, dass die Eltern der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin Somalia aufgrund oder aus Furcht vor einer Verfolgung verlassen hätten, weshalb auch im Fall der Viertbeschwerdeführerin nicht von einer Gefährdung ausgegangen werden könne. Die diesbezüglichen Ausführungen ihrer Eltern zu einer Gefährdungslage hätten nicht als glaubhaft festgestellt werden können und werde der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin, so wie ihren Eltern, im Familienverfahren subsidiärer Schutz gewährt.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf auf den Seiten 3 bis 47 Länderfeststellungen zur Situation in Somalia, darunter auch zur Lage von Kindern, inkl. FGM (vgl. Seite 33 bis 37 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend führte die Behörde zu den Feststellungen zur Person der Viertbeschwerdeführerin, den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaats und der Situation im Fall ihrer Rückkehr aus, dass in einem Asylverfahren die niederschriftliche Aussage eines Asylwerbers unzweifelhaft die zentrale Erkenntnisquelle sei. Deshalb obliege es dem Asylwerber alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen und müssten diese Angaben von der Behörde auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden. Ferner folgerte die Behörde, dass die Identität der Viertbeschwerdeführerin aufgrund der in Vorlage gebrachten Geburtsurkunde feststehe. Hinsichtlich der Herkunft der Viertbeschwerdeführerin werde den Angaben ihrer Eltern Glauben geschenkt. So hätten die Eltern glaubhaft gemacht, dass die Viertbeschwerdeführerin aus Somalia stamme und es gebe keinen Zweifel daran, dass die Viertbeschwerdeführerin als Kind ihrer Eltern ebenfalls somalischer Herkunft sei. Die Feststellung, dass die Viertbeschwerdeführerin mit ihren Eltern in Österreich im gemeinsamen Haushalt lebe, gründe sich auf den Auszügen aus dem Zentralen Melderegister. Des Weiteren führte das Bundesamt aus, dass die Eltern der Viertbeschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen seien, glaubhaft zu machen, dass sie [gemeint: der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin] in Somalia eine Furcht vor Verfolgung zu gewärtigen gehabt oder zukünftig mit solcher zu rechnen hätten, weshalb davon auszugehen sei, dass selbiges auch für die Viertbeschwerdeführerin angenommen werden könne. Den Angaben der gesetzlichen Vertreter der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin sei in Bezug auf die Gründe für eine Ausreise aus Somalia jegliche Glaubwürdigkeit abgesprochen worden. Zudem habe der Vater der Viertbeschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung auf internationalen Schutz für die Viertbeschwerdeführerin angegeben, dass sie keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen habe und würde sich dieser Antrag ausschließlich auf die Gründe ihrer Eltern beziehen. Da den Eltern der Viertbeschwerdeführerin der Status von subsidiär Schutzberechtigen zuerkannt worden sei, würde sich die Frage einer Rückkehr der Viertbeschwerdeführerin [nach Somalia] nicht stellen. Die Feststellungen zu den Asylverfahren der Familiengehörigen der Viertbeschwerdeführerin würden auf den jeweiligen Akteninhalten gründen. Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsland der Viertbeschwerdeführerin würden auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation basieren.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die Behörde zu Spruchpunkt I., dass es den Eltern der minderjährige Viertbeschwerdeführerin nicht gelungen sei, ihre Fluchtgründe glaubhaft zu machen. Mit Hinweis auf die Beweiswürdigung folgerte die Behörde, dass dem Vorbringen der Eltern der Viertbeschwerdeführerin keine Glaubwürdigkeit zukomme und sei aus deren Gesamtangaben nicht glaubhaft ableitbar, dass sie in Somalia konkrete Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten, weshalb selbiges auch für die Viertbeschwerdeführerin angenommen werden könne. Demnach habe sich keine glaubwürdige individuelle Verfolgung der Viertbeschwerdeführerin ergeben. Auch aus den persönlichen Merkmalen der Viertbeschwerdeführerin, wie beispielsweise die Glaubenszugehörigkeit, sowie aus der allgemeinen Lage in Somalia, könne keine Verfolgung oder Verfolgungsgefahr abgeleitet werden. Insbesondere sei den aktuellen Länderdokumentationsunterlagen bei detaillierter Betrachtung nicht zu entnehmen, dass die Viertbeschwerdeführerin aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Clanzugehörigkeit einer systematischen Verfolgung aus einem der Schutzgründe ausgesetzt wäre. Mangels Vorliegen einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention könne der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten nicht zuerkannt werden. Des Weiteren folgerte die belangte Behörde, dass im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vorliege. Da im Fall der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin keinem anderen Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für die Viertbeschwerdeführerin die Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. Zu Spruchpunkt II. wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Mutter der Viertbeschwerdeführerin, der Zweitbeschwerdeführerin, der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, sodass auch die minderjährige Viertbeschwerdeführerin den gleichen Schutz erhalte. Letztlich wurde der Viertbeschwerdeführerin unter Spruchpunkt III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.02.2019 erteilt.

Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.06.2018 wurde der Viertbeschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5.3. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob die minderjährige Viertbeschwerdeführerin durch ihre gesetzliche Vertreterin (Mutter) am 27.07.2018 fristgerecht Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin der subsidiäre Schutz ausschließlich in Bezug auf die Familieneigenschaft zuerkannt worden sei. Demnach sei eine Einzelfallprüfung unterblieben, was sich einerseits daraus ergebe, dass festgehalten worden sei, dass eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nicht feststellbar sei, andererseits die Akten der Eltern in das Verfahren miteinbezogen worden seien. In Anbetracht der Tatsache, dass die Eltern aufgrund der sie im Fall der Rückkehr betreffenden Situation unabhängig voneinander die Voraussetzung zur Gewährung von subsidiären Schutz erfüllen würden, sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Kind in keine entsprechende ausweglose Lage geraten solle. Die Umstände, die den Eltern eine Rückkehr unzumutbar machen würden, würden umso mehr einen Säugling treffen. Der Antrag auf internationalen Schutz der Viertbeschwerdeführerin sei gesondert zu prüfen. Erst wenn sich keinerlei eigene Gründe für die Schutzgewährung ergeben würden, sei im Rahmen des Familienverfahrens der höchste erteilte Schutz zu gewähren.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides sei trotz entsprechender Länderinformationen - über FGM, Gewalt gegenüber Frauen und Kindern und ähnliche Themenbereiche - festgestellt worden, dass der Viertbeschwerdeführerin mangels eigenen Fluchtvorbingens derselbe Schutz zu gewähren sei wie den übrigen Familienmitgliedern. Konkrete Ermittlungsschritte oder Nachfragen von Seiten der Behörde seien unterblieben und weder die Mutter noch der Vater sei zu diesen Problemstellungen befragt worden. Gemäß dem Amtswegigkeitsprinzip hätten diese aufgrund der zur Entscheidung herangezogenen Länderinformationen allerdings von Amts wegen aufgegriffen und entsprechend beurteilt werden müssen. Das Formblatt zur Beantragung von internationalem Schutz in Bezug auf ein nachgeborenes Kind entbinde die Behörde nicht von weitergehenden Ermittlungsschritten, wenngleich im Vordruck angegeben sei, dass sich der gesetzliche Vertreter lediglich auf die eigenen Fluchtgründe berufe. Im vorliegenden Fall wäre vor dem Hintergrund der Länderinformationen zumindest eine Befragung der Eltern zu Themen wie FGM erforderlich gewesen, um abzuklären, ob eine reale Gefahr der Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention bestehe, zumal es sich bei der Viertbeschwerdeführerin um ein Mädchen handle. Zudem werde auf das bisher in den Verfahren der Eltern sowie Geschwister Vorgebrachte, insbesondere auf die eingebrachten Beschwerden vom 22.02.2016, verwiesen, die inhaltlich volleinzubeziehen seien. Die Mutter der Viertbeschwerdeführerin sei selbst beschnitten und spreche sich gegen eine Beschneidung aus. Demgegenüber seien die Großeltern beider Seiten aus traditionellen Grünen für FGM. Trotz der von Seiten der Eltern bestehenden Ablehnung einer Beschneidung wäre im Fall einer hypothetischen Rückkehr der familiäre und soziale Druck auf Durchführung von FGM sehr groß, da das Kind (die Viertbeschwerdeführerin) ansonsten als unrein gelten würde. Vor dem Hintergrund der Länderinformationen sei eine Furcht vor Eingriffen im Sinne des Kindeswohls wohlbegründet. Zudem sei im erstinstanzlichen Bescheid zum Thema FGM ausgeführt worden, dass man bei Zusammenzählung der angeführten Beschneidungen bei Mädchen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen könne, dass ein Mädchen - wie im Fall der Viertbeschwerdeführerin - spätestens bis zum Eintritt der Pubertät beschnitten werden würde. Fraglich sei nur wann, wobei eine sofortige Beschneidung genauso in Frage komme wie zu einem späteren Zeitpunkt. Sollten sich die Eltern erfolgreich gegen eine Beschneidung zur Wehr setzen und diese schädliche Praxis verhindern, würde die Tochter in der Gesellschaft wegen ihrer Unreinheit stigmatisiert werden und hätte, abgesehen von den zu erwartenden Diskriminierungen wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen, noch einmal zusätzlich mit Ausgrenzungen und Übergriffen zu rechnen. Dabei sei denkbar, dass nicht beschnittene Frauen, zumal sie als unrein und nicht konform gelten würden, öfter von sexueller Gewalt betroffen seien als beschnittene Frauen.

Die Viertbeschwerdeführerin sei in Österreich geboren. Trotz Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten sei sie im Fall der Rückkehr unweigerlich von der Unterstützung durch ein familiäres oder soziales Netzwerk abhängig, weshalb die hypothetische Situation im Fall einer Rückkehr der Viertbeschwerdeführerin zu prüfen sei. Wenngleich sich die Eltern gegen eine Genitalverstümmelung aussprechen würden, sei nicht auszuschließen, dass sie aufgrund des sozialen Drucks und des familiären Umfelds der Tradition folgen und eine Beschneidung vornehmen würden, zumal trotz Verbots von FGM fast alle Mädchen [in Somalia] davon betroffen seien. Demnach wäre die Viertbeschwerdeführerin abgesehen von der allgemein prekären Lage von Mädchen und Frauen einer noch weiteren Ausgrenzung mangels Beschneidung ausgesetzt. Eine Verweigerung der Beschneidung der Viertbeschwerdeführerin hätte vermutlich eine weitreichende Ausgrenzung ihrer Familie zufolge. Eine Aussicht auf Erfolg, sich als Eltern des Mädchens in wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeit von anderen selbstbewusst und bestimmt gegen die Beschneidung der Viertbeschwerdeführerin auszusprechen und sich damit der tief verankerten, nach wie vor fast sämtliche Mädchen betreffende Tradition zu widersetzen, sei nicht gegeben. Wenngleich Frauen- und Kinderrechte in der aktuellen Verfassung hervorgehoben würden und FGM inzwischen verboten worden sei, könne in der Realität mangels staatlicher Autorität keinerlei Schutz geboten werden. Es sei keine Schutzfähigkeit der somalischen Regierung gegeben und würden die Täter von Straflosigkeit, mangelnder Strafverfolgung und der Unfähigkeit der Justiz, profitieren.

Dazu komme die Problematik von Kinderehen und Zwangsverheiratungen von Mädchen, wogegen die Familie die Viertbeschwerdeführerin nicht schützen könne. Frauen hätten de facto keine Rechte und werde zum Themenkreis FGM ausgeführt, dass nach Schätzungen 63% der weitreichendsten Form der Beschneidung unterzogen würden, wobei die Beschneidung über 90% der Mädchen betreffe und seien nicht beschnittene Frauen in Somalia nach wie vor stigmatisiert. Zudem seien Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern, die in vielen Fällen die Opfer sexueller Gewalt seien, ernste Probleme. Die Behörde habe bei einem Antrag eines Familienangehörigen in jedem Fall die Bestimmungen des Familienverfahrens anzuwenden, was jedoch nichts daran ändere, dass jeder Antrag eines Familienangehörigen gesondert zu prüfen sei. Unabhängig von der konkreten Formulierung sei jeder Antrag eines Familienangehörigen überdies in erster Line auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gerichtet. Demnach seien für die minderjährige Viertbeschwerdeführerin allfällige eigenen Fluchtgründe zu ermitteln. Nur wenn keine eigenen Fluchtgründe hervorkämen, sei der Viertbeschwerdeführerin jener Schutz zu gewähren, der bereits einem anderen Familienangehörigen gewährt worden sei. Im Fall einer Rückkehr der Viertbeschwerdeführerin nach Somalia sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, als unbeschnittenes Mädchen Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden, gegeben. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der unbeschnittenen Mädchen stelle dies eine drohende Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG iVm. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK dar und werde diesbezüglich auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes verwiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG durch Beschluss.

2. Zu A)

2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

2.2. Wie oben ausgeführt, sind - zufolge § 17 VwGVG - nach Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des IV. Teiles des AVG nicht (mehr) auf das Verfahren über Beschwerden vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes ergeht in Beschlussform (vgl. Fister/Fuchs/Sachs: "Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren, Taschenkommentar", Seiten 153, 154, Anmerkungen 11) und 12)).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12.11.2014, Zl. Ra 2014/20/0029 (unter Verweis auf sein Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063) zur Anwendung des § 28 Abs. 3 VwGVG ausgeführt:

"Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dort mit dieser Frage auseinandergesetzt und dargelegt, dass ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsgerichte gesetzlich festgelegt ist. Die nach § 28 VwGVG von der meritorischen Entscheidungspflicht verbleibenden Ausnahmen sind strikt auf den ihnen gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem genannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden kann. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof mehrfach ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 mwN sowie VfSlg. 14.421/1996 und 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. VwGH vom 10.04.2013, Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel:

"Verwaltungsverfahren Band I2", E 84 zu § 39 AVG).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde (hier: das Bundesverwaltungsgericht) Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid (hier: Beschluss). Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

2.3. In den gegenständlichen Fällen liegt eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aus nachfolgenden Erwägungen vor:

Vorab ist im gegenständlichen Verfahren darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungszeitpunkte in den Verfahren der Beschwerdeführer zeitlich auseinanderfallen. Der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin (Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers und der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin) reisten zeitgleich in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 23.06.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Für den minderjährigen Drittbeschwerdeführer und die minderjährige Viertbeschwerdeführerin wurden durch ihre gesetzlichen Vertreter als nachgeborene Kinder am 21.07.2016 (Drittbeschwerdeführer) und am 14.06.2018 (Viertbeschwerdeführerin) Anträge auf internationalen Schutz eingebracht. Daraus folgt, dass die gegenständlichen Verfahren aufgrund des durchzuführenden Familienverfahrens gemäß § 34 AsylG untrennbar miteinander verbunden sind.

In seinem angefochtenen Bescheid der Viertbeschwerdeführerin begründet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Spruchpunkt I. die (Negativ)feststellung, dass der Viertbeschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten nicht zukomme mit dem Umstand, dass sich aus den Gesamtangeben der Eltern der Viertbeschwerdeführerin im Zuge ihrer Verfahren nicht ergeben habe, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweibeschwerdeführerin, die Eltern, aus Somalia aufgrund einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgereist seien bzw. in Zukunft eine solche zu befürchten hätten, weshalb selbiges auch für die Viertbeschwerdeführerin angenommen werde (vgl. Seite 17 im Bescheid der Viertbeschwerdeführerin).

Allerdings hat es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Fall der Viertbeschwerdeführerin unterlassen, die Viertbeschwerdeführerin bzw. ihre gesetzliche Vertreter über die individuellen und konkreten Fluchtgründe der Viertbeschwerdeführerin zu befragen und konnten diese sohin mangels Gelegenheit bzw. mangels eingeräumter Möglichkeit kein Vorbringen erstatten, welches unter Umständen im Hinblick auf § 3 AsylG asylrelevant wäre.

In der Beschwerde wurde vollkommen zu Recht moniert, dass es das Bundesamt unterlassen habe, eine gesonderte Einzelfallprüfung im Verfahren der Viertbeschwerdeführerin durchzuführen, weshalb die belangte Behörde verabsäumt hat, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln und das Verfahren sohin mit Mangelhaftigkeit belastet wurde.

Insoweit das Bundesamt mit dem Verweis, die gesetzlichen Vertreter hätten keine Fluchtgründe vorgebracht, auf das Antragsformular (vgl. AS 1 im Akt der Viertbeschwerdeführerin) hinweist, ist dem entgegenzuhalten, dass es sich dabei offensichtlich um einen Vordruck des Bundesamtes selbst handelt, bei dem die beiden Sätze "Ich beantrage daher gem. § 34 AsylG 2005 die Gewährung desselben Schutzes wie in meinem Falle. Eigene Fluchtgründe habe ich für mein Kind nicht vorzubringen." bereits vorgedruckt sind, weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Angaben die Behörde von der amtswegigen Ermittlung eventueller Schutzgründe von vornherein zu befreien in der Lage sind.

Hinzu kommt, dass dem vorgedruckten Formular nicht zu entnehmen ist, ob die gesetzlichen Vertreter der Viertbeschwerdeführerin beraten wurden bzw. ob bei der Antragstellung ein Dolmetscher beigezogen worden war. Dem Akt ist zu entnehmen, dass der Erstbeschwerdeführer - sohin der Vater der minderjährigen Viertbeschwerdeführerin - den "Antrag nachgeborenes Kind" persönlich bei der Behörde gestellt hat. Dass dem Erstbeschwerdeführer als gesetzlichem Vertreter die Bedeutung des vorgedruckten Formulars bewusst war bzw. er dessen Inhalt tatsächlich auch verstanden hat, lässt sich dem Verwaltungsakt, nicht zweifelsfrei entnehmen. Ferner ist anzumerken, dass auch im Verfahren des Drittbeschwerdeführers das gleiche vorgedruckte Formular verwendet wurde.

Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass seitens der Behörde keine Feststellungen getroffen wurden, ob der Viertbeschwerdeführerin im Fall einer (hypothetischen) Rückkehr nach Somalia FGM droht, obwohl dieses Themengebiet in den vom Bundesamt ins Verfahren und im Bescheid einbezogenen Länderfeststellungen enthalten ist. Die Behörde stützte sich im Wesentlichen auf das (ihrer Ansicht nach) nicht glaubwürdige Vorbringen der Eltern der Viertbeschwerdeführerin im Rahmen derer Asylverfahren und stellte keinen persönlichen Bezug zur Person der Viertbeschwerdeführerin her, sondern verwies lediglich darauf, dass die Eltern der Viertbeschwerdeführerin keine konkreten Verfolgungsmaßnahmen in Somalia zu gewärtigen hätten, woraus das Bundesamt den Schluss zog, dass auch im Fall der Viertbeschwerdeführerin angenommen werden könne, dass sich keine glaubwürdigen individuellen Fluchtgründe ihrer Person ergeben hätten. Allerdings ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Viertbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Einvernahme ihrer gesetzlichen Vertreter noch gar nicht geboren war und es den Eltern bzw. gesetzlichen Vertretern sohin nicht möglich war, etwaige Fluchtgründe der Viertbeschwerdeführerin in der eigenen Einvernahme vorzubringen.

Ferner ist anzumerken, dass wenn sich das Bundesamt in seiner rechtlichen Beurteilung darauf stützt, dass aus den persönlichen Merkmalen der Viertbeschwerdeführerin - wie ihre Glaubens-, Volksgruppen- und Clanzugehörigkeit sowie bei detaillierter Betrachtung der Länderunterlagen - keine systematische Verfolgung- oder Verfolgungsgefahr abgeleitet werden könne (vgl. Seite 49 im Bescheid der Viertbeschwerdeführerin), es das Bundesamt unterlassen hat, sich mit der Problematik der weiblichen Genitalverstümmelung im Besonderen sowie mit der Lage von Kindern in Somalia im Allgemeinen auseinanderzusetzen.

Weiters führte das Bundesamt aus, dass der Erstbeschwerdeführer als Vater der Viertbeschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung angegeben habe, dass die Viertbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe bzw. Rückkehrbefürchtungen habe. Hierzu ist anzumerken, dass auf dem vorgedruckten Formular die Frage nach etwaigen Rückkehrbefürchtungen nicht aufscheint und auch dem sonstigen Akteninhalt nicht zu entnehmen ist, dass sich der gesetzliche Vertreter der Viertbeschwerdeführerin zu etwaigen Rückkehrbefürchtungen im Rahmen der Antragstellung geäußert hat.

Betreffend das in der Beschwerde erstattete Vorbringen, dass im Fall der Rückkehr der Viertbeschwerdeführerin nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr gegeben sei, als unbeschnittenes Mädchen Opfer eines Eingriffs von massiver Intensität in ihre körperliche und sexuelle Integrität, nämlich einer weiblichen Genitalverstümmelung, zu werden, gegeben sei und ihr aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der unbeschnittenen Mädchen in Somalia Verfolgung drohe, ist zunächst darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen nicht dem in § 20 Abs. 1 BFA-VG normierten Neuerungsverbot widerspricht, da die Viertbeschwerdeführerin bzw. ihre gesetzlichen Vertreter im Verfahren vor dem Bundesamt keine Gelegenheit hatten, dieses Vorbringen zu erstatten, weil - wie erwähnt - eine Einvernahme der gesetzlichen Vertreter zu etwaigen individuellen Fluchtgründen der Viertbeschwerdeführerin unterblieben ist.

Insbesondere hat es das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl unterlassen, die gesetzlichen Vertreter der Viertbeschwerdeführerin nach einer zu erwartenden Genitalverstümmelung zu befragen. Dem Bundesamt müsste es aufgrund seines Amtswissens bekannt sein bzw. lässt sich auch den eigenen Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid entnehmen (vgl. insbesondere Seiten 33 und 37 des Bescheides der Viertbeschwerdeführerin), dass die weibliche Genitalverstümmelung in Somalia weit verbreitet ist und nicht beschnittenen Mädchen und Frauen eine solche bei einer Rückkehr drohen könnte, was unter Umständen als asylrelevante Verfolgung zu qualifizieren wäre. Daher hätten die Eltern als gesetzliche Vertreter der Viertbeschwerdeführerin (ungeachtet eines diesbezüglichen Vorbringens) zu diesem Themenbereich einvernommen werden müssen.

Aufgrund des zu behandelnden Themenbereichs der weiblichen Genitalverstümmelung wird insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter der Viertbeschwerdeführerin einzuvernehmen sein, zumal - wie auch aus den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid der Viertbeschwerdeführerin hervorgeht - die Hauptrolle bei der Entscheidung, ob eine Beschneidung stattfindet in erster Linie bei der Mutter liegt (vgl. Seite 35 des Bescheides der Viertbeschwerdeführerin). Unter diesem Aspekt und aufgrund des zu behandelnden Themenbereiches der weiblichen Genitalverstümmelung wird die Einvernahme von einer weiblichen Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchzuführen sein, wobei das Beschwerdevorbringen zur Gänze zu berücksichtigen sein wird. Im Zuge der Einvernahme werden der Viertbeschwerdeführerin bzw. ihren gesetzlichen Vertretern auch die aktuellen Länderfeststellungen des Bundesamtes zur Situation in Somalia (unter Einbeziehung des Themenkomplexes "weibliche Genitalverstümmelung" sowie zur Lage von (weiblichen) Kindern in Somalia zur Kenntnis zu bringen und ihnen im Rahmen eines Parteiengehörs die Möglichkeit zur Stellungnahme einzuräumen sein.

Zusammengefasst ist sohin festzuhalten, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den entscheidungswesentlichen Sachverhalt nicht ermittelt hat. Aufgrund der Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in Bezug auf etwaige Flucht- und Verfolgungsgründe der Viertbeschwerdeführerin hat das Bundesamt willkürlich gehandelt und daher den in seinem Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird demnach im fortgesetzten Verfahren die oben angeführten Ermittlungen durchzuführen haben, um den entscheidungswesentlichen Sachverhalt festzustellen und eine schlüssige und nachvollziehbare Entscheidung treffen zu können.

Erst auf der Basis von diesbezüglich getätigten Erhebungen und aufgrund der nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens getroffenen Feststellungen kann eine abschließende Beurteilung der Asylrelevanz des Gesamtvorbringens der Viertbeschwerdeführerin erfolgen.

Da im konkreten Fall sohin das Verfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl so mangelhaft durchgeführt wurde, dass weitere Ermittlungsschritte unter Einbeziehung der Viertbeschwerdeführerin bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter notwendig sind, war der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt I. zu beheben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen. Wenn diese Verfahrensmängel nicht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl saniert werden, würde das diesbezügliche Ermittlungsverfahren vor die Beschwerdeinstanz verlagert und somit der zweitinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen werden. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, ist nicht ersichtlich, sodass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben sind.

Aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens sind auch die Bescheide der Erst- bis Drittbeschwerdeführer gemäß § 34 AsylG zu beheben und die Angelegenheiten an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen, da mit dem gegenständlichen Beschluss das Verfahren der Viertbeschwerdeführerin wieder vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anhängig wird. Damit wird sichergestellt, dass die Verfahren aller Familienangehörigen "unter einem" geführt werden können.

Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, waren die angefochtenen Bescheide in ihren Spruchpunkten I. gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass die Verwaltungsbehörde an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (siehe § 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH vom 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010 sowie VwGH vom 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG), auch wenn durch eine derartige Zurückverweisung die Verfahren in die Lage zurücktreten, in der sie sich vor Erlassung der aufgehobenen Spruchpunkte der Bescheide befunden haben.

2.4. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerden geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit Beschwerde angefochtenen Bescheide aufzuheben (und zurückzuverweisen) sind. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S 389, entgegen.

3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die vorliegende Entscheidung betrifft die Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die Zurückverweisung der Angelegenheiten an die Behörde wegen mangelnder Sachverhaltsfeststellungen infolge fehlender bzw. mangelnder behördlicher Ermittlungstätigkeit und folgt den in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jüngst ausgesprochenen Vorgaben zu der Bestimmung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (siehe die unter II.2.2. zitierte Judikatur). Es kann daher nicht gesagt werden, dass die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht oder es an einer Rechtsprechung fehlt; die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Schließlich liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Wie oben dargelegt, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl insbesondere im Fall der Viertbeschwerdeführerin die erforderliche Ermittlungstätigkeit zur wesentlichen Frage der individuellen, konkret die Viertbeschwerdeführerin betreffenden Fluchtgründe völlig unterlassen. Bei der hier vorliegenden, besonders krassen Ermittlungslücke war es aus den oben dargelegten Gründen, aber auch aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten notwendig, eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG auszusprechen.

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Familienangehöriger,
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W235.2122362.1.00

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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