TE Bvwg Beschluss 2018/9/28 W150 2133779-2

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Veröffentlicht am 28.09.2018
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Entscheidungsdatum

28.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W150 2133779-2/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX .1996, syrische Staatsangehörige, vertreten durch die Diakonie - Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH, Wattgasse 48, 3. Stock, FN 272779 x, und die Volkshilfe Flüchtlings- und Migrant-Innenbetreuung GmbH, Stockhofstraße 40, 4020 Linz, FN 444937 w, gegen Spruchteil I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.07.2017, Verfahrens Zl. XXXX , den Beschluss:

A)

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Spruchteiles I. aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin stellte am 27.02.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Noch am selben Tag wurde die Beschwerdeführerin durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Erstbefragung unterzogen. Zusammengefasst gab sie an, dass sie in XXXX geboren worden und seit dem XXXX .2014 verheiratet sei. Sie bekenne sich zur islamischen Religion (genauer: sie sei Sunnitin) und gehöre der Volksgruppe der Kurden an. Sie habe neun Jahre lang die Grundschule in XXXX besucht und nachfolgend drei Jahre lang eine allgemeinbildende höhere Schule ebendort. Ihr Ehemann sei in Österreich asylberechtigt und lebe in Salzburg. Die Beschwerdeführerin habe im August 2016 den Entschluss gefasst illegal nach Österreich zu reisen, da eine Familienzusammenführung abgelehnt worden sei. Sie habe am 20.02.2017 Syrien illegal Richtung Türkei verlassen. Die Reise nach Österreich sei, teilweise schlepperunterstützt, erfolgt. Syrien verlassen habe sie wegen des Krieges und um ihrem Ehemann zu folgen. Vorgelegt wurde von ihr ein syrischer Personalausweis sowie eine Heiratsurkunde, aus der hervorgeht, dass die Ehe am XXXX .2015 in Syrien registriert wurde. Ihren Reisepass habe sie auf dem Weg nach Österreich verloren.

2. Am 22.06.2017 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. In dieser Einvernahme gab sie an, in der 15. Woche schwanger zu sein. Vorgelegt wurde ein Mutter-Kind-Pass (errechneter Geburtstermin 26.11.2017). Ihre Eltern würden beide in Syrien leben, genauso wie zwei Brüder. Ein weiterer Bruder lebe in der Türkei, zwei Schwestern im Irak, eine im Libanon. Ihr Ehemann lebe mit der Beschwerdeführerin in Graz zusammen. Die Ehe sei am XXXX .2014 registriert worden, die traditionelle Hochzeit habe zehn Tage davor stattgefunden. Ihr Ehemann sei der leibliche Vater des - noch ungeborenen - Kindes. Befragt zu ihrem Fluchtgrund gab die Beschwerdeführerin an, dass sie wegen des Krieges aus Syrien geflohen sei. XXXX sei durch Milizen regiert worden, nachfolgend durch die Freie Syrische Armee, dann durch Jabhat al-Nusra und dann durch den IS. Ihr Haus sei zerstört worden, weswegen sie das Gebiet verlassen hätten. Im Rahmen dieser Befragung wurde die Beschwerdeführerin aufgeklärt, dass aufgrund des kurzen gemeinsamen Lebens mit ihrem Ehemann kein Familienverfahren möglich sei, woraufhin sie angab, dass sie mit ihrem Ehemann sehr wohl zusammengelebt habe. Befragt dazu, wieso sie erst so kurz vor der Ausreise ihres Ehemannes geheiratet habe, gab sie an, dass ihr Mann zum Militärdienst einberufen worden und deswegen ausgereist sei. Er habe aus finanziellen Gründen Syrien alleine verlassen. Nach der Ausreise des Ehemannes habe sie bei jeder Gelegenheit mit ihm telefoniert. Die Ehe sei von der Familie arrangiert worden, ihr Ehemann sei der Sohn der Tante des Vaters.

3. Mit Bescheid vom 14.07.2017 - zugestellt am 18.07.2017 - wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde der Beschwerdeführerin der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Festgestellt wurde, dass die Beschwerdeführerin ihren Gatten am 01.04.2014 geheiratet habe, dieser habe Syrien Ende April 2014 verlassen. Die Beschwerdeführerin und ihr Gatte hätten nur ein paar Tage zusammengelebt. Es habe kein Ehe- oder Familienleben in Syrien bestanden und die Ehe sei von Familienangehörigen arrangiert worden.

Es habe weiters nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführerin in Syrien eine asylrelevante Verfolgung drohe.

Die Feststellung, dass kein Ehe- und Familienleben bestanden habe ergäbe sich daraus, dass die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann weniger als ein Monat vor dessen Ausreise geheiratet und nur ein paar Tage zusammengelebt hätten. Deswegen sei auch der Antrag auf Einreise im Rahmen einer Familienzusammenführung abgelehnt worden. Die Ehe sei nach Ansicht der Behörde nur geschlossen worden um der Beschwerdeführerin einen Nachzug zu ermöglichen. Das Ehe- und Familienleben finde seit der illegalen Einreise der Beschwerdeführerin in Österreich statt.

Rechtlich wurde ausgeführt, dass die entscheidungsrelevanten Tatbestandsmerkmale im Familienverfahren "die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK" und der Umstand, dass dieses Familienleben mit dem Angehörigen in einem anderen Staat nicht zumutbar ist seien. Aufgrund des kurzen Zusammenlebens habe in Syrien kein relevantes Familienleben zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten bestanden. Eigene asylrelevante Fluchtgründe habe die Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.

4. Am 16.08.2017 erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und begründete diese damit, dass sie rechtsgültig und registriert mit ihrem Ehemann verheiratet sei. Ihrem Ehemann sei bereits rechtskräftig der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden. Am XXXX .11.2015 habe die Beschwerdeführerin beim österreichischen Generalkonsulat in Istanbul einen Antrag auf einen Einreisetitel gemäß § 35 AsylG 2005 eingebracht. Mit Schreiben vom

XXXX .07.2016 sei der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden, dass ihr Antrag abgelehnt werden würde. Begründet wurde dies damit, dass Zweifel am tatsächlichen Bestehen eines Familienlebens vorlägen. Die Beschwerdeführerin sei nachfolgend ein paar Monate in der Türkei bei ihrer Schwester geblieben, habe dann aber nach Syrien zurückkehren müssen. Aufgrund der Machtübernahme durch den IS sei die Beschwerdeführerin in Gefahr gewesen entführt und zwangsverheiratet zu werden. Deshalb habe sie mit ihren Eltern beschlossen erneut in die Türkei zu fliehen. Von dort aus habe sich die Beschwerdeführerin auf den Weg nach Österreich zu ihrem Ehemann gemacht. Die Behörde hätte auf jeden Fall ein Familienverfahren durchführen müssen, da dem Ehegatten der Beschwerdeführerin in Österreich Asyl zuerkannt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe eine Heiratsurkunde vorgelegt und sie sei schon vor der Eheschließung ein Jahr lang mit ihrem Ehemann in Kontakt gestanden, sie hätten heiraten wollen, sobald ihr Mann sein Studium abgeschlossen habe. Nach der Eheschließung sei der Einberufungsbefehl für ihren Mann gekommen und aufgrund diesem Einberufungsbefehl habe ihr Ehemann das Land verlassen müssen. Weiters habe die Beschwerdeführerin sehr wohl maßgebliche Verfolgungsgründe angegeben.

Mit der Beschwerde wurde eine Stellungnahme des Österreichischen Roten Kreuzes - datiert mit 20.07.2016 - die Beschwerdeführerin betreffend vorgelegt. Dieser Stellungnahme ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin die Heiratsurkunde, die Eintragung der Hochzeit und ein Familienbuch bei der Behörde nachgereicht hätte. Die Ehe sei am 01.04.2014 in Syrien geschlossen worden und die Beschwerdeführerin entspreche somit der Definition des § 35 Abs. 5 AsylG 2005 und sei als Familienangehörige zu betrachten. Ihr komme sowohl das Recht auf Einreise, als auch auf die Gewährung desselben Schutzes zu. Es sei nicht klar, wieso der Beschwerdeführerin nicht die Eigenschaft einer Familienangehörigen zuerkannt worden sei.

5. Die belangte Behörde legte, datiert mit 21.08.2017 und eingelangt am 24.08.2017, die Beschwerde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Zu Spruchpunkt A):

1.1. Gemäß § 28 Abs. 2 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

1.2. In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Schritte gesetzt hat oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand in: Holoubek/Lang [Hrsg.], Die Verwatlunsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137 bzw. vgl. auch VwGH 25.01.2017, 2016/12/0109, Rz 18ff).

1.3. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

Zunächst ließ das BFA nur den Personalausweis der Beschwerdeführerin kriminaltechnisch untersuchen, nicht aber die weiteren Dokumente, insbesondere jene, die die behauptete Eheschließung betreffen, obwohl das BFA selbst in seiner Stellungnahme vom 08.07.2016 an die österreichische Botschaft in Istanbul (Behördenakt S. 77, Anmerkung:

der dem Gericht vorgelegte Akt besteht aus zwei Aktenkonvoluten gleichen Aktenzeichens) darauf hinwies, dass sich im Zuge der Prüfung des bestehenden Familienverhältnisses der Beschwerdeführerin "bei einer Gegenüberstellung der Angaben (Antrag, Zeugeneinvernahme, Angaben im Bezugsakt der Bezugsperson, etc.) gravierende Widersprüche" ergeben hätten und "mangels vorgelegter, relevanter und unbedenklicher Beweismittel" nicht vom Nachweis eines Familienverhältnisses auszugehen sei.

Bereits bei erster Durchsicht der bezughabenden Kopien der Dokumente ergeben sich erhebliche Zweifel an deren Echtheit und/oder der Richtigkeit, der von der Beschwerdeführerin bzw. ihrer Bezugsperson gemachten Angaben. Zunächst fällt auf, dass entgegen der Behauptungen der Beschwerdeführerin vor der Österreichischen Botschaft in Istanbul vom 10.11.2015 (Behördenakt S. 7 vso.), dass die Ehe am 01.04.2014 vor dem "kamishli legal.court" geschlossen worden sei, das diesbezüglich von ihr vorgelegte Dokument gemäß beiliegender lokaler Übersetzung in das Englische (Behördenakt S. 21) beinhaltet, dass die Eheleute am 25.02.2015 (sic!) vor dem dortigen Richter erschienen seien, hingegen der Ehevertrag, der auch eine Mitgift betrifft, am 01.04.2014 errichtet worden sei. Auf der beiliegenden Kopie des bezughabenden Dokumentes (Behördenakt S. 23) befinden sich die Unterschriften der Eheleute und ein Fingerabdruck. Ein oberflächlicher Vergleich mit den Unterschriften der Beschwerdeführerin (Niederschrift vom 22.06.2017, Behördenakt S. 89) und ihrer Bezugsperson (Vollmacht vom 13.07.2016, Behördenakt S. 271) lässt berechtigte Zweifel aufkommen, dass die Eheleute seinerzeit selbst vor dem Gericht erschienen sind. Diesbezüglich, allenfalls auch hinsichtlich des Fingerabdruckes (es befinden sich z. B. zwei Ausweise der Beschwerdeführerin, die einen Fingerabdruck als Identifikationsmerkmal enthalten, in Kopie im Behördenakt) wären genauere Ermittlungen, das Erheben von Sachbeweisen und Einvernahmen der betreffenden Personen erforderlich, um sie mit den Ermittlungsergebnissen zu konfrontieren, insbesondere wer zu den behaupteten bzw. dokumentierten Zeitpunkten (01.04.2014, der Tag, an dem angeblich die standesamtliche Hochzeit stattgefunden haben soll, laut Beschwerdevorbringen Behördenakt S. 243) wo tatsächlich anwesend war. Laut Behördenakt S. 25 fand die zivilbehördliche Registrierung am 26.02.2015 statt. Belege für die traditionelle Eheschließung angeblich "zehn Tage davor" (laut Beschwerdevorbringen müsste dies ca. der 22.03.2014 sein) und für den Ehevertrag sind in dem vom BFA dem Gericht vorgelegten Akt nicht enthalten, obwohl die Bezugsperson der Beschwerdeführerin zumindest zwei diesbezügliche Dokumente laut Niederschrift vom 11.02.2015 vorgelegt haben soll (Behördenakt S.319); diese wären jedenfalls beizuschaffen, auf Echtheit zu prüfen und zu übersetzen. Zum damaligen Zeitpunkt konnte von der Bezugsperson logischerweise noch keine standesamtliche Registrierung vorgelegt werden, da diese anscheinend erst fast 11 Monate nach dessen Flucht in Syrien erfolgte; dies steht im Widerspruch zum Beschwerdevorbringen (Behördenakt S. 239), demzufolge die Bezugsperson bei ihrer Einvernahme am 11.02.2015 "sämtliche Unterlagen" nachgereicht hätte. Sollte allerdings diese Bezugsperson tatsächlich zwei Wochen danach am 25.02.2015 vor dem obengenannten Gericht in Quamischli zwecks Eheschließung erschienen sein, so könnte das auch wichtige Fragen des BFA bezüglich deren Asylstatus erforderlich machen, weshalb eine zeugenschaftliche Einvernahme dieser Bezugsperson durch das BFA selbst erforderlich erscheint.

Wenn das BFA in seinem verfahrensgegenständlichen Bescheid zur Begründung des Nichtvorliegens eines Familienverfahrens bloß vermeint, dass in Syrien kein aufrechtes Familienleben bestanden habe, da die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehegatten nur wenige Tage lang zusammengelebt habe, so ist dem entgegen zu halten, dass - eine rechtsgültige Hochzeit selbstverständlich vorausgesetzt - sehr wohl ein Familienleben bestanden haben könnte und selbst wenn man aufgrund der kurzen Dauer dieses nicht von einem solchen ausgehen könnte, wäre weiters auszuführen, dass schon die in der Eheschließung enthaltene Absichtserklärung das faktische Zusammenleben ersetzen kann, mit der Folge, dass die eheliche Beziehung, auch wenn sie noch nicht voll zur Entfaltung gekommen ist, als Familienleben geschützt ist (Abdulaziz, Cabales und Balkandali v. Vereinigtes Königreich, EGMR 28.05.1985). Wurde das Zusammenleben durch die Flucht oder diese auslösende Ereignisse vereitelt, so müsse dennoch davon ausgegangen werden, dass ein Familienleben existiert. Das Familienleben umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (Kroon und andere v. Niederlande, EGMR 20.09.1994).

Eine Ehe wird dadurch geschlossen, dass beide Verlobten vor dem Standesbeamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären, aus freiem Wille die Ehe miteinander eingehen zu wollen (§ 17 Abs. 1 Ehegesetz). Laut Art. 38 des syrischen Zivilrechts (Nr. 376 aus 1975) muss jede Eheschließung behördlich registriert werden. Muslime erhalten ihre Heiratspapiere vom Scharia-Gericht, Christen von der Kirche. Danach müssen die Ehepaare ihre Heiratspapiere an die Zivilstandsbehörde (Meldeamt) senden, um die Ehe offiziell zu registrieren. Erst mit der Registrierung bei der Zivilbehörde ist die Ehe rechtsgültig. Traditionelle Eheschließungen (z.B. nur vor einem Scheich) werden nicht anerkannt (ÖB Amman, 05.10.2009, Antwort eines polizeilichen Verbindungsbeamten für den Mittleren Osten, per E-Mail). Es erscheint daher insbesondere erforderlich, zu klären, wo sich der Ehegatte bzw. die Bezugsperson der Beschwerdeführerin bei der endgültigen Registrierung und somit Rechtsgültigkeit dieser Ehe tatsächlich aufgehalten hat bzw. welche Personen seinerzeit vor Gericht ihre Unterschriften als Ehegatten geleistet haben.

Aus dem von der Beschwerdeführerin selbst vorgelegten Dokument, das mit 25.02.2015 datiert ist (Behördenakt S. 21) geht übrigens auch hervor, dass die Beschwerdeführerin auch zum damaligen Zeitpunkt schwanger gewesen sein soll. Diesbezüglich wurden aber in weiterer Folge weder von der Beschwerdeführerin weitere Angaben gemacht, noch vom BFA in irgendeiner Form eine Befragung durchgeführt, ob es damals tatsächlich eine Schwangerschaft gegeben hat, ob diese nur zur sehr späten Eintragung der "traditionellen" Ehe vor der Zivilbehörde angegeben wurde, oder ob allenfalls tatsächlich ein Kind geboren wurde und wie dessen weiterer Lebensweg war bzw. ist. Überhaupt beschränkte sich das BFA bei der Einvernahme der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens fast zur Gänze auf Fragen zum Familienleben mit der Bezugsperson. Insoferne hat das BFA tatsächlich nicht in der gebotenen Tiefe ermittelt. Es wurde die Beschwerdeführerin auch sonst nicht näher zu ihrer Situation als kurdische Frau in ihrem Herkunftsland befragt, was aber jedenfalls erforderlich erscheint.

1.4. Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben (damit unterscheidet sich auch das gegenständliche Verfahren von jenem, das der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. 06.2017, Ro 2017/20/0011, zu Grunde lag). Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Es ist auch nicht der Fall, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

1.5. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben und war daher das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

1.6. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Punkten bei Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

1.7. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W150.2133779.2.00

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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