TE Bvwg Erkenntnis 2018/10/1 W159 2166489-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.10.2018
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Entscheidungsdatum

01.10.2018

Norm

BFA-VG §18 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W159 2166489-2/3E

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter in der Beschwerdesache XXXX , geb. XXXX , StA.: Somalia, über Spruchpunkt V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes V. (Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung) des Bescheides als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer gelangte illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 25.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2017, Zahl XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 25.11.2014 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). In Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Gegen diesen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.07.2017, Zahl XXXX , zugestellt am 18.07.2017, erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 31.07.2017 gegenständliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Am 27.06.2018 und 02.07.2018 wurde das Bundesverwaltungsgericht vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl von einer rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers informiert und ein Strafurteil übermittelt. Laut diesem Strafurteil eines österreichischen Landesgerichts vom 27.04.2018 wurde der Beschwerdeführer von einem Geschworenengericht wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach den §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 2. Fall und Abs. 2 Satz 2 1. Fall StGB und gemäß §§ 31, 40 StGB unter Bedachtnahme auf ein anderes Urteil des Landesgerichtes vom 21.02.2018, rechtskräftig seit 26.02.2018, zu einer Haftstrafe (einschließlich Zusatzstrafe) in der Dauer von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.07.2018 Zl. XXXX wurden die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Die Entscheidung wurde insbesondere damit begründet, dass diese oben erwähnte Verurteilung die Prüfung der Voraussetzungen für ein Einreiseverbot indiziere und wegen Behebung der Rückkehrentscheidung auch der Spruchpunkt über die Frist für die freiwillige Ausreise zu beheben gewesen sei.

Mit Schreiben vom 13.07.2018 wurde dem Beschwerdeführer im Rahmen einer "Verständigung von Ergebnis der Beweisaufnahme - Parteiengehör" eine Reihe von Fragen insbesondere zur Integration gestellt und weiters Länderfeststellungen zum Parteiengehör übermittelt.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 16.08.2018 Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, unter Spruchteil II. eine Rückkehrentscheidung erlassen, unter Spruchteil III. festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei, unter Spruchteil IV. eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt, unter Spruchteil V. eine Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt und unter Spruchteil VI. ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

In der Begründung des Bescheides wurde der Verfahrensgang einschließlich der Einvernahme wiedergegeben und Feststellungen zu Somalia getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass das Vorbringen zu den Fluchtgründen widersprüchlich gewesen sei und daher nicht glaubhaft wäre. Der Antragsteller habe aber glaubhaft angegeben, dass er an keiner lebensbedrohlichen oder chronischen Erkrankung leide. Weiters habe er glaubhaft angegeben, über keine Familienangehörigen in Österreich zu verfügen. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung wurde auf die bereits erlassene Rückkehrentscheidung verwiesen und ausgeführt, dass ein Einreiseverbot nur in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfe, weshalb abermals seine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei. Es liege keiner der drei Gründe für einen Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG vor (Spruchpunkt I.); weiters bestehe auch kein Familienleben in Österreich und sei dem Antragsteller auch seine Integration nicht gelungen, weil er illegal nach Österreich eingereist und in Österreich mehrfach straffällig und rechtskräftig verurteilt worden sei. Es sei ihm daher kein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK zu erteilen gewesen und die Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden gewesen (Spruchpunkt II.). Weder aus den Feststellungen zur Lage im Zielstaat, noch aus dem Vorbringen ergebe sich eine Gefährdung des § 50 FPG, sodass eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sein. Zu Spruchpunkt III. wurde unter Verweis auf die Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt, dass der Antragsteller keine persönlich gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen habe können. Er sei ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann und habe sich die Lage im Herkunftsstaat hinsichtlich der Nahrungsmittelversorgung verbessert, sodass eine Rückkehr nach Somalia nicht unmöglich wäre. Zu den Länderfeststellungen habe der Antragsteller keine Stellungnahme abgegeben. Es spreche auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gegen eine Abschiebung nach Somalia. Im Falle der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung seien die Voraussetzungen für eine Abschiebung nach Somalia daher gegeben. Da eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde aberkannt wurde, sei auch keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren gewesen (Spruchpunkt IV.). Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wurde mit der schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung insbesondere wegen der Verurteilung wegen eines Raubüberfalls begründet. Zur Begründung von Spruchpunkt VI. wurde die Verurteilung des Beschwerdeführers nach dem SMG unter Hinweis auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sowie den verübten Raubüberfall mit einer schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen als Mittäter angeführt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht durch die XXXX Beschwerde, verbunden mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. In der Beschwerdegründung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sich für seine Tat entschuldigen möchte und nunmehr unter gesundheitlichen Problemen in der Haft leide. Weiters wurde auf die Situation in Somalia insbesondere die Sicherheitssituation und die unzureichende Versorgung mit Nahrungsmittel hingewiesen. Wenn auch der Beschwerdeführer über kein Familienleben in Österreich verfüge, so verfüge er jedoch über ein schützenwertes Privatleben und habe versucht sich in Österreich zu integrieren. Außerdem könne nicht festgestellt werden, dass er in Somalia ein familiäres und soziales Netzwerk habe und sei eine mündliche Verhandlung im Lichte der Rechtsprechung des VfGH zu Art. 47 GRC unumgänglich. Es sei auch erforderlich im Rahmen einer öffentlichen mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer zu gewinnen, der bemüht sei, in Zukunft ein Leben fern jeglicher Straffälligkeit führen zu wollen und würde er an jenen Tag, an dem er hypothetisch ausreisen müsste, keine Gefahr mehr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellen. Da das das Einreiseverbot daher rechtswidrig sei, sei er aufzuheben, eventualiter zu reduzieren. Hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung wurde nochmals darauf hingewiesen, dass angesichts der geänderten Umstände beim Beschwerdeführer von diesem keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausgehe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

Die obige Darstellung des Verfahrensganges wird zu Feststellungen erhoben.

Darüber hinaus wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des LG Linz vom 29.02.2018 Zl. XXXX wegen § 133 Abs. 1 StGB und § 27 Abs. 1, 2 und 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, sowie mit Urteil des LG Linz vom 27.04.2018 zur Zl. XXXX zu einer Freiheitstrafe wegen § 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe (einschließlich Zusatzstrafe) von zehn Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt wurde.

Diese Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verfahrensakt zur Zl. XXXX sowie aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Zu A) Abweisung der Beschwerde

Gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung vom Bundesamt aberkannt werden, wenn "schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt".

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG ist nicht zwingend, sondern setzt eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraus. Dabei ist das öffentliche Interesse an der raschen Aufenthaltsbeendigung den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen des Bescheidadressaten gegenüberzustellen (vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146, dessen Ausführungen zu dieser Norm zwar aus Anlass einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG ergangen sind, die aber in Bezug auf den Inhalt der "Kann-Bestimmung" des Einleitungssatzes dieser Bestimmung verallgemeinerbar und damit auch auf die anderen Ziffern dieses Absatzes zu übertragen sind).

Mit Bescheid vom 10.08.2018 hat die belangte Behörde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.), da schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht "der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde".

Der VwGH hat zu § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung vor dem FrÄG 2017 in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass dieser das BVwG dazu verpflichtet, über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bzw. gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheides des BFA binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde mit (Teil-)Erkenntnis zu entscheiden, und zwar sowohl über die Zuerkennung als auch die Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung (VwGH 13.09.2016, Fr 2016/01/0014;

19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 30.06.2917, Fr 2017/18/0026;

20.09.2017, Ra 2017/19/0284; 19.10.2017, Ra 2017/18/0278;

29.11.2017, Ro 2017/18/0002; 13.12.2017, Ro 2017/19/0003).

Das Bundesverwaltungsgericht deutet § 18 Abs. 5 BFA-VG in der Fassung des FrÄG 2017 so, dass es bei Vorliegen einer Beschwerde in der Hauptsache auch von einer Beschwerde gegen den Spruchpunkt über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auszugehen hat und dass es (im Sinne der vorzitierten Judikatur des VwGH) diese - sowohl im Fall der Bestätigung dieser Aberkennung als auch im Fall einer Abänderung iSd. Zuerkennung aufschiebender Wirkung - innerhalb der einwöchigen Entscheidungsfrist mit Erkenntnis zu erledigen hat (vgl. dazu näher BVwG 10.04.2018, W230 2190973-1, mwN).

Einer Auslegung, wonach nur mehr die Zuerkennung aufschiebender Wirkung innerhalb einer Woche erfolgen müsste, eine förmliche Bestätigung der Aberkennung hingegen durch formlosen Aktenvermerk ersetzt werden dürfte (und allenfalls erst mit Fristsetzungsantrag herbeigeführt werden müsste) kann hier nicht gefolgt werden (anderer Auffassung: Eberhard/Ranacher/Weinhandl, ZfV 2018, 99; Urban in Filzwieser/Taucher [Hrsg.], Asyl- und Fremdenrecht - Jahrbuch 2018, 138 ff. [in Druck]).

Gegen eine solche Auslegung spräche gegen die in Art. 47 GRC grundgelegte Waffengleichheit zwischen der Behörde und dem Beschwerdeführer (dazu mwN bereits BVwG 26.11.2014, I402 2014142-1 sowie die ausdrückliche Betonung der Waffengleichheit [égalité des armes] in Rn 61 des zu einschlägigen Fragen der Asylverfahrensrichtlinie ergangenen Urteils des EuGH vom 19.06.2018, Rs. C-181/16, Gnandi). Es besteht keine Waffengleichheit, wenn im Kontext des Streits um die aufschiebende Wirkung - also bei für beide Seiten herrschender Gefahr im Verzug - eine Partei im Unterliegensfall sofort eine Entscheidung erhält, die sie mit Revision beim VwGH anfechten kann, während die andere Partei im Unterliegensfall erst einen Fristsetzungsantrag einlegen müsste, um allenfalls eine Entscheidung zu erlangen, die sie mit Revision anfechten könnte.

Im Beschwerdefall kann nicht der Auffassung gefolgt werden, dass eine Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bereits generell auf Grund des Urteils des EuGH vom 19.06.2018, Rs. C-181/16, Gnandi, unzulässig wäre.

Der EuGH hat in diesem Urteil zwar ausgesprochen, dass die Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85/EG (Verfahrensrichtlinie; nunmehr Richtlinie 2013/32/EU) die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig mit der erstbehördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz zulässt, sofern die Wirkungen der Rückkehrentscheidung während des Verfahrens über das Rechtsmittel gegen die Abweisung des internationalen Schutzes gehemmt werden.

Diese Auslegung traf der EuGH aber zu einem Ausgangsverfahren, in dem er jene Bestimmungen auszulegen hatte, die Vorschriften für den Regelfall eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz treffen. Dies ergibt sich bereits aus der im Urteil getroffenen Auswahl bei der Wiedergabe anwendbarer Rechtsvorschriften (aaO Rn 10-12), wo der EuGH zwar Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU zitierte, den Abs. 6 dieses Artikels aber ausließ. Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie 2013/32/EU normiert Folgendes:

"RECHTSBEHELFE

Artikel 46

Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf

(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen

a) eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz

...,

...

(5) Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf."

Schon angesichts des Sachverhalts des damaligen Ausgangsverfahrens war für den EuGH die Bestimmung des Abs. 6 des Art. 46 der Richtlinie 2013/32/EU nicht relevant. Dementsprechend hat der EuGH diese Bestimmung in seiner Wiedergabe der relevanten Vorschriften des Unionsrechts (Rn 4-22 des Urteils) auch nicht erwähnt. Das Urteil kann daher nicht so interpretiert werden, dass es zur Auslegung auch des Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU ergangen wäre.

Das Urteil Gnandi ist daher für die Auslegung von Art. 46 Abs. 6 der Richtlinie 2013/32/EU nicht einschlägig. Diese Vorschrift lautet wie folgt:

"(6) Im Fall einer Entscheidung,

a) einen Antrag im Einklang mit Artikel 32 Absatz 2 als offensichtlich unbegründet oder nach Prüfung gemäß Artikel 31 Absatz 8 als unbegründet zu betrachten, es sei denn, diese Entscheidungen sind auf die in Artikel 31 Absatz 8 Buchstabe h aufgeführten Umstände gestützt,

b) einen Antrag gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstaben a, b oder d als unzulässig zu betrachten,

c) die Wiedereröffnung des nach Artikel 28 eingestellten Verfahrens des Antragstellers abzulehnen oder

d) gemäß Artikel 39 den Antrag nicht oder nicht umfassend zu prüfen,

ist das Gericht befugt, entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist."

Der in Art. 46 Abs. 6 Buchst. a letzter Fall verwiesene Art. 31 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU lautet auszugsweise wie folgt:

"ERSTINSTANZLICHE VERFAHREN

ABSCHNITT I

Artikel 31

Prüfungsverfahren

(1) - (7) ...

(8) Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass das Prüfungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen und Garantien nach Kapitel II beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen nach Maßgabe von Artikel 43 durchgeführt wird, wenn

a) - i) ...

j) es schwerwiegende Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Mitgliedstaats darstellt oder er aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde."

Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten unter anderem in Fällen, in denen "schwerwiegende Gründe für die Annahme" sprechen, dass der Asylwerber "eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung" darstellt oder er "aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung nach nationalem Recht zwangsausgewiesen wurde", eine "beschleunigte" Prüfung des Asylantrags vorsehen dürfen. Aus der Zusammenschau mit Art. 46 Abs. 6 Richtlinie 2013/32/EU ist zu lesen, dass der europäische Gesetzgeber (unter anderem) in einem solchen Fall von dem in Art. 46 Abs. 5 der Richtlinie verankerten generellen Grundsatz des suspensiven Effekts des gerichtlichen Rechtsmittels eine Ausnahme vorgesehen hat (siehe auch jüngst EuGH vom 26.09.2018, Rs C-175/17, X).

Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht sehen, dass das System des § 18 BFA-VG, soweit es im Beschwerdefall zum Tragen kommt (Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, wenn "schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt" - § 18 Abs. 1 Z 2 leg.cit. bei gleichzeitiger beschleunigter Korrekturverpflichtung des mit Beschwerde angerufenen Gerichts), in den oben dargestellten Richtlinienbestimmungen keine Deckung fände. Es ist aus der Rechtsprechung auch sonst nicht abzuleiten, dass die Unionsrechtslage den gebotenen Suspensiveffekt von asylrechtlichen Rechtsmitteln als "absolut" einstuft.

Das Bundesverwaltungsgericht sieht sich daher nicht veranlasst, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung schon wegen "absoluter" Unzulässigkeit aus Gründen des Unionsrechts aufzuheben (a.M. offenbar z.B. BVwG vom 26.07.2018, W237 2201315-1/3E u.a.) und hat sich daher inhaltlich mit den Voraussetzungen der Aberkennung zu befassen.

Das Bundesverwaltungsgericht darf sich bei dieser Entscheidung nach § 18 B-VG nicht auf die Frage beschränken, ob eine Außerlandesschaffung die reale Gefahr der in § 18 Abs. 5 BFA-VG genannten Rechte mit sich bringen würde, sondern hat vielmehr - wie das BFA - nachprüfend auch die erwähnte Interessenabwägung vorzunehmen (VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146). Vorgelagert ist zu untersuchen, ob die Behörde zu Recht einen Tatbestand der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung in Anspruch nahm.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Verhinderung des Suchtgifthandels (VwGH 22.11.2012, Zl. 2011/23/0556), allgemein ist nach jüngster Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Suchtgiftkriminalität eine strenge Beurteilung vorzunehmen (siehe auch VwGH 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233, VwGH 05.10.2017, Zl. Ra 2017/21/0033 u.v.a.m.; hg. Erkenntnis vom 04.08.2017, Zl. W159 1267497-1/97E).

Der VwGH hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, Zl. 2011/23/0556; 20.12.2012, Zl. 2011/23/0554).

Bereits zwei Monate nach der Verurteilung nach § 27 SMG begang der Beschwerdeführer (wohl als Mittäter) einen schweren Raub, wobei die Täter mit äußerster Brutalität vorgingen und die Täter im bewussten und gewollten arbeitsteiligen Zusammenwirken dem Opfer eine schwere Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen, die insbesondere zu einer starken Schädigung des Sehvermögens geführt hat, zugefügt haben. Der Beschwerdeführer hat somit ein "besonders schweres Verbrechen" verübt und stellt damit ohne Zweifel eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar.

Andererseits kann nicht nachvollzogen werden, warum im vorliegenden Fall besondere Eile (insbesondere im Hinblick auf die Effektuierung einer Rückkehrentscheidung) geboten wäre, zumal der Beschwerdeführer seine zehneinhalb jährige Haftstrafe erst angetreten hat und diese wohl - zumindest zu einem überwiegenden Teil - zu verbüßen hat, bevor überhaupt an eine Außerlandesbringung zu denken ist, zumal vorweg auch über die Frage von Asyl und subsidiären Schutz durch das Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden ist. Daher ist im vorliegenden Fall auch der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zur Durchführung einer allfälligen mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht erforderlich.

Zum derzeitigen Zeitpunkt drohen daher die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Umstände (potentielle Verletzung von Rechten im Fall der Rückführung) nicht in absehbarer Zeit; schon aus diesem Grund kommt eine Abänderung des Abspruchs über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung aus dem Titel einer von der Effektuierung der Rückkehrentscheidung ausgehenden Gefährdung insb. der in Art. 2, 3 und 8 EMRK verankerten Rechte derzeit nicht in Betracht. Andere Nachteile wurden in der Beschwerde nicht behauptet, eine Unverhältnismäßigkeit ist daher auch insofern nicht erkennbar (siehe auch BVwG vom 21.08.2018 W230 2203544-1/5E).

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung erfolgte zu Recht.

Eine mündliche Verhandlung entfiel, weil über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres Verfahren und unverzüglich zu entscheiden ist (VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil - soweit ersichtlich - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 18 BFA-VG idF des FrÄG 2017 fehlt (offen lassend zB VwGH 30.04.2018, Fr 2018/01/0006).

Schlagworte

aufschiebende Wirkung, EuGH, öffentliche Sicherheit, strafrechtliche
Verurteilung, Unionsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W159.2166489.2.00

Zuletzt aktualisiert am

22.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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