Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Bleiweiss, über die Revision der S W (Apotheke "Z") in G, vertreten durch Dr. Karl Newole, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 30. Jänner 2018, Zl. LVwG-AV-1268/001-2017, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht:
Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf; mitbeteiligte Partei: M S in G, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH, in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 21A), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenersatzbegehren der belangten Behörde wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Erkenntnis vom 7. Juni 2016 hat das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) den Antrag der mitbeteiligten Partei vom 22. Dezember 2011 auf Erteilung einer Konzession zum Betrieb einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke in B mit dem Standort "Gemeindegebiet B" abgewiesen.
2 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass sich dem eingeholten Bedarfsgutachten der Apothekerkammer zufolge durch die beantragte neue Apotheke das Mindestversorgungspotenzial der bestehenden Apotheke der Revisionswerberin in G auf weniger als 5.500 (auf 4.439) Personen verringern würde. Die Entfernung der Betriebsstätte der neuen Apotheke zur nächstgelegenen Apotheke (jener der Revisionswerberin) betrage 2,382 Straßenkilometer. Es sei daher auszuschließen, dass die Errichtung der beantragten Apotheke erforderlich sei, um der Bevölkerung eines bestimmten abgelegenen ländlichen Gebietes einen zumutbaren Anfahrtsweg zu gewährleisten. Die Voraussetzungen für ein Unterschreiten des in § 10 Abs. 2 Z 3 ApG normierten Mindestversorgungspotenzials von 5.500 Personen gemäß § 10 Abs. 6a ApG (idF BGBl. I Nr. 30/2016) lägen daher nicht vor.
3 Die dagegen von der mitbeteiligten Partei eingebrachte Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Mai 2017, Ra 2016/10/0083, zurück.
4 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof - unter Hinweis auf sein Erkenntnis vom 29. März 2017, Zl. Ra 2016/10/0141 - aus, das Verwaltungsgericht sei in nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass im vorliegenden Fall keine solchen örtlichen Besonderheiten vorlägen, die eine Außerachtlassung von § 10 Abs. 2 Z 3 ApG gerechtfertigt hätten.
5 Mit Bescheid vom 14. September 2017 wies die belangte Behörde den (neuerlichen) Antrag der mitbeteiligten Partei vom 8. Juli 2016 auf Erteilung der Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in B mit dem Standort "Gemeindegebiet B" wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück. Begründend führte die belangte Behörde aus, der gegenständliche Konzessionsantrag decke sich vollinhaltlich mit dem ursprünglichen Antrag vom 22. Dezember 2011, über welchen rechtskräftig entschieden worden sei. Auf die von der Antragstellerin (im Hinblick auf den Beschluss des EuGH vom 30. Juni 2016, C 634/15) geltend gemachte Änderung der Rechtslage sei der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss Ra 2016/10/0083 eingegangen. Eine maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber dem rechtskräftigen Erkenntnis des LVwG vom 7. Juni 2016 liege somit nicht vor.
6 Infolge der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Beschwerde behob das LVwG mit dem vorliegenden Erkenntnis vom 30. Jänner 2018 den angefochtenen Bescheid der belangten Behörde und erklärte die Revision für nicht zulässig.
7 Begründend führte das LVwG aus, dass sich die maßgebliche Rechtslage, nämlich § 10 Abs. 6a ApG, seit der Entscheidung vom 7. Juni 2016 (durch den Entfall der Wortfolge "in ländlichen und abgelegenen Regionen") geändert habe. Eine gleiche Rechtslage liege somit nicht mehr vor, weshalb die formalen Voraussetzungen für die Anwendung des § 68 AVG nicht gegeben seien. Der inhaltlich rechtswidrige Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde sei ersatzlos zu beheben gewesen, um den Weg für eine Entscheidung der Verwaltungsbehörde in der Sache frei zu machen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die zur Zulässigkeit vorbringt, das LVwG sei von näher zitierter Rechtsprechung zur Identität der Sache nach § 68 Abs. 1 AVG abgewichen. Es habe verkannt, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht jede Änderung der Sach- und Rechtslage bewirke, dass eine neue "Sache" vorliege. Eine geänderte Rechtslage liege nur dann vor, wenn diese eine anders lautende Entscheidung ermöglicht hätte. Das LVwG habe nicht einmal implizit Feststellungen zur Frage getroffen, wie sich die Anwendung der neuen Rechtslage auf den in der rechtskräftigen Entscheidung vom 7. Juni 2016 angenommenen Sachverhalt ausgewirkt habe. Auch nach der neuen Rechtslage (§ 10 Abs. 6a ApG idF BGBl I Nr. 130/2016) sei nicht davon auszugehen, dass die beantragte Apotheke zur Versorgung der Bevölkerung erforderlich sei.
9 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren legte das LVwG die Verfahrensakten vor. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses und Erstattung des Aufwandersatzes.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist nach dem erwähnten Vorbringen zulässig. Sie ist auch berechtigt.
12 Nach § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
13 Entschiedene Sache liegt nicht vor, wenn sich der Sachverhalt oder die Rechtslage maßgeblich geändert haben.
14 Eine Änderung der maßgeblichen Rechtslage, die es der Behörde verwehrt, das Neuansuchen wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, liegt dann vor, wenn sich nach Abweisung des ersten Ansuchens die gesetzlichen Vorschriften, die tragend für die frühere Entscheidung gewesen sind, so geändert haben, dass sie, hätten sie bereits früher bestanden, eine anderslautende Entscheidung ermöglicht hätten (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.6.1998, 98/10/0100; 22.2.2006, 2006/17/0015; vgl. nunmehr zur Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache durch die Verwaltungsgerichte etwa VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050, mwN).
15 Das LVwG hat das ursprüngliche Konzessionsansuchen der mitbeteiligten Partei mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 7. Juni 2016 im Grunde des damals geltenden § 10 Abs. 6a ApG (idF BGBl. I Nr. 30/2016) abgewiesen. Die belangte Behörde hat die Zurückweisung des neuerlichen Konzessionsansuchens mit Bescheid vom 14. September 2017 damit begründet, dass seither eine maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage nicht eingetreten sei.
16 Demgegenüber hat das LVwG das Vorliegen der Identität der gegenständlichen Sache allein mit dem Hinweis auf die im Zeitpunkt der Erlassung des Zurückweisungsbescheides bereits in Kraft getretene geänderte Fassung der tragenden Bestimmung des § 10 Abs. 6a ApG (BGBl. I Nr. 130/2016) verneint, ohne sich dabei aber mit der entscheidenden Frage auseinanderzusetzen, ob die Vorschrift in dieser Fassung - hätte sie bereits im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses vom 7. Juni 2016 bestanden - eine anderslautende Entscheidung (der belangten Behörde) über das Konzessionsansuchen der mitbeteiligten Partei ermöglicht hätte.
17 Indem das LVwG solcherart das Wesen der entschiedenen Sache (im Falle der Änderung der maßgeblichen Rechtslage) verkannt hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
18 Im fortgesetzten Verfahren wird das LVwG die Frage, ob die Bestimmung des § 10 Abs. 6a ApG idF BGBl. I Nr. 130/2016 eine (neuerliche) Entscheidung über das Konzessionsansuchen der mitbeteiligten Partei in der Sache erfordert, anhand der dazu vom Verwaltungsgerichtshof entwickelten Kriterien zum Vorliegen "besonderer örtlicher Verhältnisse" (vgl. dazu VwGH 8.8.2018, Ra 2017/10/0103; vgl. auch VwGH 27.9. 2017/10/0069) zu beurteilen haben.
19 Die Entscheidung über den Kostenersatz der Revisionswerberin gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
20 Nach § 48 Abs. 2 VwGG hat die belangte Behörde als Partei im Sinne des § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG (dh. wenn nicht von ihr selbst Revision erhoben wird) Anspruch auf Aufwandersatz lediglich im Fall der Abweisung der Revision (vgl. etwa VwGH 4.7.2018, Ra 2017/02/0240, mwN). Das Kostenersatzbegehren der belangten Behörde war daher abzuweisen.
Wien, am 24. Oktober 2018
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltAnzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Zurückweisung wegen entschiedener SacheIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018100061.L00Im RIS seit
22.11.2018Zuletzt aktualisiert am
18.01.2019