TE Vwgh Beschluss 2018/10/25 Ra 2018/07/0352

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Veröffentlicht am 25.10.2018
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Index

L66107 Einforstung Wald- und Weideservituten Felddienstbarkeit Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
80/06 Bodenreform;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs2;
B-VG Art133 Abs4;
VwGG §34 Abs1;
VwGVG 2014 §17;
VwRallg;
WWSGG §33 Abs1;
WWSGG §33 Abs2;
WWSGG §34 Abs1;
WWSLG Tir 1952 §38 Abs1;
WWSLG Tir 1952 §38 Abs2;
WWSLG Tir 1952 §42;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck und die Hofräte Dr. Hinterwirth und Dr. Lukasser als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision der N in I, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. Dezember 2017, Zl. LVwG-2017/37/1800-5, betreffend die Zurückweisung eines Antrages in einer Angelegenheit des Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes (Partei gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Zur Vorgeschichte:

2 Mit Servitutenregulierungsurkunde vom 1. März 1890 (im Folgenden: SRU) stellte die k.k. Grundlasten-Ablösungs- und Regulierungs-Local-Kommission für das Ober- und Unterinntal über Anmeldung der Gemeinde Hötting fest, dass auf 980 privaten Waldparzellen im Ausmaß von 845,92 ha ein Weiderecht zugunsten dieser Gemeinde als solcher und zugunsten der Stadtgemeinde Innsbruck (in weiterer Folge: Stadtgemeinde), zugunsten letzterer jedoch nur rücksichtlich der am linken Inn-Ufer gelegenen Stadtteile, bestehe. Laut dieser SRU durfte die Weide nur gemeinsam ausgeübt werden.

3 Mit Bescheid vom 18. Juli 1925 leitete die Agrarbehörde über Antrag der Gemeinde Hötting ein Servitutenverfahren in Bezug auf diese Weiderechte ein; dieses Verfahren ist bis heute nicht abgeschlossen.

4 Im Jahr 1938 wurde die Stadtgemeinde zur Rechtsnachfolgerin der eingemeindeten Gemeinde Hötting bestimmt.

5 Mit Bescheid vom 5. Mai 1967 erließ das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz auf der Grundlage des § 42 Tiroler Wald- und Weideservitutengesetzes (WWSG) für die Ausübung der den Viehbesitzern von in Innsbruck und im Stadtteil zwischen dem Inn und Hötting liegenden Gütern nach der SRU zustehenden Weiderechte in den Höttinger Waldungen mehrere Bestimmungen:

6 In Spruchpunkt 1. wurden gemäß § 9 Abs 2 WWSG die 89 weideberechtigten Güter festgestellt. In Spruchpunkt 2. fasste die Agrarbehörde die jeweiligen Eigentümer der festgestellten berechtigten Liegenschaften gemäß § 50 Abs. 2 und 3 WWSG zur "Weideinteressentschaft Hötting" als "Servitutengemeinschaft" zusammen. Die Vertretung und Verwaltung in allen die Ausübung der Weiderechte betreffenden Angelegenheiten wurde mit einem eigenen Vertretungsstatut geregelt.

7 In Spruchpunkt 3. verfügte die Agrarbehörde, dass das Weiderecht mit Bezahlung eines Ablösebetrages an die Weideinteressentschaft Hötting von ATS 1,00/m2 erlischt, soweit auf Grundparzellen, die im Baugebiet liegen, eine Baubewilligung erteilt wird. Auf Parzellen, die öffentlichen, sozialen oder kirchlichen Einrichtungen dienten, sowie auf Bauflächen, die vor Ende des Zweiten Weltkrieges verbaut wurden, wurde das entschädigungslose Erlöschen der Dienstbarkeit der Weide verfügt.

8 Dieser Bescheid wurde der Stadtgemeinde sowie - im Wege der Auflage und Verständigung durch Kundmachung - den Eigentümern der berechtigten Liegenschaften zugestellt.

9 Die Agrarbehörde verfügte mit Bescheid vom 5. Februar 1997 Folgendes:

"Das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde I. Instanz stellt hiermit gemäß § 38 Abs. 2 des Wald- und Weideservitutengesetzes, LGBl. Nr. 21/1952, fest, daß die mit der zitierten Servitutenurkunde regulierten Weiderechte der mit Bescheid vom 03.07.1995, ..., körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft Hötting zustehen. Gemäß § 42 leg. cit. werden die Spruchpunkte 1 und 2 des Bescheides vom 5.5.1967 aufgehoben und die Weideinteressentschaft Hötting aufgelöst. Deren Rechtsnachfolgerin ist die Agrargemeinschaft Hötting, auf die auch das Vermögen der Weideinteressentschaft übergeht."

10 Dieser Bescheid wurde der Stadtgemeinde, der Weideinteressentschaft Hötting und der Agrargemeinschaft Hötting zugestellt.

11 Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2011 beantragte die Revisionswerberin die Zustellung des Bescheides vom 5. Februar 1997. Die Agrarbehörde verfügte die beantragte Zustellung mit Schriftsatz vom 8. August 2011.

12 Die Revisionswerberin erhob daraufhin gegen die Bescheide der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 und vom 5. Mai 1967 Berufung. Sie führte aus, dass die Einforstungsrechte laut SRU mit den angefochtenen Bescheiden neu geordnet worden seien. Obwohl sie Eigentümerin der mit den Servitutsweiderechten belasteten Liegenschaft EZ 1541 sei, sei sie keinem der beiden agrarbehördlichen Verfahren beigezogen worden. Die Weiderechte hätten ohne Zustimmung aller privaten Eigentümer weder auf die Weideinteressentschaft Hötting noch auf die Agrargemeinschaft Hötting übertragen werden dürfen. Durch die beiden angeführten Bescheide sei daher in ihre Eigentümerrechte eingegriffen worden.

13 Der Landesagrarsenat beim Amt der Tiroler Landesregierung wies mit Erkenntnis vom 23. Mai 2012 die Berufung der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom 5. Mai 1967 als unzulässig zurück (Spruchteil A) bzw. die Berufung der Revisionswerberin gegen den Bescheid vom 5. Februar 1997 als unbegründet ab (Spruchteil B).

14 Mit hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2015, 2012/07/0153, hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid im Umfang seines bekämpften Spruchpunktes B) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

15 Mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Tirol (LVwG) vom 28. April 2016 wurde der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Tiroler Landesregierung als gemäß § 38 Abs. 1 WWSG zuständiger Agrarbehörde zurückverwiesen.

16 Zum vorliegenden Verfahren:

17 Mit Schriftsatz vom 11. August 2016 beantragte die Stadtgemeinde bei der Agrarbehörde, die Spruchpunkte 1. und 2. des Bescheides vom 5. Mai 1967 sowie in Spruchpunkt 3. dieses Bescheides die Worte "an die Weideinteressentschaft Hötting" aufzuheben.

18 Die Revisionswerberin schloss sich mit Schriftsatz vom 15. November 2016 den Anträgen und Ausführungen der Stadtgemeinde an.

19 Mit Schriftsatz vom 8. März 2017 erhob die Revisionswerberin, mit Schriftsatz vom 2. Mai 2017 die Stadtgemeinde jeweils Säumnisbeschwerde.

20 Mit Bescheid vom 7. Juni 2017 wies die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde gemäß § 38 Abs. 1 WWSG in Verbindung mit § 68 AVG und mit § 16 VwGVG den Antrag der Stadtgemeinde vom 11. August 2016 und den Antrag der Revisionswerberin vom 15. November 2016 zurück (Spruchpunkt I.) und stellte fest, dass der Beschwerde gegen diesen Bescheid keine aufschiebende Wirkung zukomme (Spruchpunk  II.).

21 Dagegen erhoben sowohl die Revisionswerberin als auch die Stadtgemeinde jeweils Beschwerde an das LVwG.

22 Das LVwG führte am 14. November 2017 eine mündliche Verhandlung durch.

23 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 5. Dezember 2017 wurden die Beschwerden als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen.

24 Das LVwG stellte zum Prüfungsumfang fest, die Agrarbehörde habe mit Bescheid vom 7. Juni 2017 die Anträge der Revisionswerberin und der Stadtgemeinde als unzulässig zurückgewiesen. Es sei daher zu prüfen, ob diese Zurückweisungen, also formale Entscheidungen, zu Recht ergangen seien. Dabei habe sich das LVwG auch mit der Rechtsfrage auseinanderzusetzen, ob die belangte Behörde zu Recht § 68 Abs. 7 AVG angewendet habe.

25 Das LVwG ging davon aus, dass mit seinem Beschluss vom 28. April 2016 der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 - und damit die in diesem Bescheid getroffene Feststellung der "körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft Hötting" als Servitutsberechtigte und als Rechtsnachfolgerin der aufgelösten Weideinteressentschaft Hötting sowie die Aufhebung der Spruchpunkte 1. und 2. des Bescheides vom 5. Mai 1967 - aufgehoben worden sei. Der letztgenannte Bescheid der Agrarbehörde sei daher wieder in seinem vollen Umfang wirksam. Servitutsberechtigte seien folglich die in diesem Bescheid festgestellten 89 weideberechtigten Güter und nicht mehr die Agrargemeinschaft Hötting.

26 Das LVwG befasste sich in weiterer Folge unter Hinweis auf die Rechtsprechung allgemein mit der Abänderung und Behebung von Bescheiden nach § 68 AVG. Die einer Behörde nach § 68 Abs. 2 bis 4 AVG eingeräumte Befugnis, von einem bereits rechtskräftigen Bescheid wieder abzugehen, solle ihr im Interesse der Rechtssicherheit nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen zustehen. Das Vorhandensein der Voraussetzungen für die Abänderung oder Behebung des Bescheides nach den zitierten Bestimmungen müsse, da es sich um eine Ausnahme von der grundsätzlich bestehenden materiellen Rechtskraft handle, immer streng geprüft werden.

27 § 68 Abs. 2 AVG diene der (ex nunc erfolgenden) Beseitigung der Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Bescheides. Der Anwendungsbereich des § 68 Abs. 2 AVG beziehe sich auf Fälle, in denen der Bescheid zum Zeitpunkt seiner Abänderung oder Behebung Bindungswirkungen entfalte und der Bescheid der Erlassung eines neuen Bescheides "wegen entschiedener Sache" entgegenstünde.

28 Gemäß § 68 Abs. 7 AVG stehe aber auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungs- und Behebungsrechts niemandem ein Anspruch zu. Durch die Nichtausübung könne somit eine Rechtsverletzung nicht stattfinden.

29 Zur Beschwerde der Revisionswerberin heißt es zusätzlich, sofern diese eine Säumnis der Agrarbehörde im Hinblick auf das anhängige Servituten-Regulierungsverfahren geltend mache, sei dazu festzuhalten, dass es Aufgabe der Agrarbehörde sei, das anhängige Servituten-Regulierungsverfahren mit einer Servitutenurkunde abzuschließen. Die von der Revisionswerberin eingebrachten Anträge seien fristgerecht erledigt worden. Sonstige Umstände, die eine die Revisionswerberin in ihren Rechten verletzende Säumnis der Agrarbehörde begründeten, vermöge das LVwG daher nicht zu erkennen. Darüber hinaus gelte es, die Vorschrift des § 8 Abs. 2 lit. b und Abs. 3 WWSG zu berücksichtigen. Gehörten die verpflichteten Grundstücke mehreren Eigentümern, so bedürfe nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs. 3 WWSG der Antrag eines Eigentümers der Zustimmung mindestens der Hälfte der Verpflichteten.

30 Unter der Überschrift "Ergänzende Ausführungen" verwies das LVwG darauf, dass die Vorschrift des § 42 WWSG die Agrarbehörde zu sogenannten "Provisorien" ermächtigte. Ein solches Provisorium diene einer kurzfristigen Regelung. Im Gegensatz zu den ebenfalls im § 42 WWSG vorgesehenen Überleitungsverfügungen dienten Provisorien nicht der Transformation von einem alten Stand in einen neuen Stand, sondern der einstweiligen Regelung der Ausübung der Einforstungsrechte. Diese einstweilige Regelung bilde vorderhand den Ersatz für eine nach Abschluss des Verfahrens notwendige Dauerlösung. Dadurch unterscheide sie sich auch von den Sicherungsverfahren nach § 31 WWSG, bei denen die Ausübbarkeit der Einforstungsrechte im Mittelpunkt stehe (Lang, Tiroler Agrarrecht II, S 134f). Ausgehend vom Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde vom 5. Mai 1967 bestehe nunmehr seit mehreren Jahrzehnten ein solches "Provisorium". Es sei daher dringend notwendig, die Verhältnisse - Weideberechtigungen - endgültig zu klären.

31 Als Ergebnis hielt das LVwG fest, dass gemäß § 68 Abs. 7 AVG auf die Ausübung des der Behörde gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG zustehenden Abänderungsrechts niemandem ein Anspruch zustehe. Die Zurückweisung des von der Stadtgemeinde und der Revisionswerberin auf Wahrnehmung des Abänderungs- und Aufhebungsrechtes gerichteten Antrages verletzte somit keine Rechte der Revisionswerberin. Die Beschwerde (auch) der Revisionswerberin sei daher als unbegründet abzuweisen gewesen.

32 Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen, weil im gegenständlichen Beschwerdeverfahren die von der belangten Behörde auf § 68 Abs. 7 AVG gestützte Zurückweisung von Anträgen der Beschwerdeführerinnen zu beurteilen gewesen sei. Das Landesverwaltungsgericht Tirol habe sich dabei auf den eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung sowie auf die dazu ergangene einheitliche Judikatur stützen können. Eine Rechtsfrage von "erheblicher Bedeutung" sei daher nicht zu klären gewesen.

33 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 27. Februar 2018, E 252/2018-5, ablehnte und sie mit Beschluss vom 19. März 2018, E 252/2018-7, dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

34 In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision macht die Revisionswerberin Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend.

35 Die Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erstattete mit Schriftsatz vom 23. Juli 2018 eine Stellungnahme, in der sie die Zurück-, in eventu die Abweisung der außerordentlichen Revision beantragte.

36 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

37 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

38 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

39 In den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG bei einer außerordentlichen Revision gesondert vorzubringenden Gründen ist konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (VwGH 21.11.2014, Ra 2014/02/0114, mwN).

40 Die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung (VwGH 18.1.2018, Ra 2017/07/0134, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen (VwGH 14.12.2017, Ra 2017/07/0124, mwN), noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (VwGH 23.5.2017, Ra 2017/05/0062, mwN).

41 In den Zulässigkeitsgründen der außerordentlichen Revision heißt es zum einen, entgegen der Auffassung des LVwG sei keine für die konkrete anstehende Rechtsfrage bestehende Rechtsprechung auffindbar; auch der Gesetzeswortlaut des § 42 WWSG lasse mehrere Interpretationen offen. Das Provisorium habe mit der Erlassung des Bescheides vom 5. Februar 1997 geendet und es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für die Annahme, dass es wieder aufleben solle, wenn der dieses Provisorium ersetzende Bescheid seinerseits aufgehoben werde. Die Revision sei daher zulässig, weil die Frage des Wiederauflebens des Provisorialbescheides nicht geklärt sei.

42 Zum anderen heißt es, es sei eine Aufhebung des Provisorialbescheides angezeigt, und zwar aus Gründen der Gleichbehandlung und des Verbotes der übermäßigen Belastung. Der Provisorialbescheid sei nur der Stadtgemeinde und den Eigentümern der berechtigten Grundstücke, nicht aber den Grundeigentümern der belasteten Grundstücke zugestellt und daher auch diesen gegenüber nicht wirksam geworden. Dadurch sei die Stadtgemeinde bzw. die Revisionswerberin als Rechtsnachfolgerin aber übermäßig belastet, weil dann offenbar alle Berechtigten ihr Recht nur auf dem Grundstück der Revisionswerberin ausüben könnten, weil dieser belastende Bescheid eben nur für die Eigentümer dieses Grundstückes wirksam geworden sei.

43 Zur Aufhebung des Provisoriums wäre die Agrarbehörde schließlich nicht nur nach § 68 AVG berufen, sondern auch durch Einstellung eines Regulierungsverfahrens nach § 38 Abs. 2 WWSG. Auch zu der Frage, ob ein Provisorialbescheid aufzuheben sei, wenn das Regulierungsverfahren beendet sei, fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung.

44 Mit diesem Vorbringen zeigt die Revisionswerberin aus nachstehenden Gründen keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf:

45 Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (VwGH 18.1.2018, Ra 2017/07/0088, mwN). Entfernt sich der Revisionswerber bei der Zulässigkeitsbegründung aber vom - durch die Aktenlage bestätigten - Sachverhalt, kann schon deshalb keine fallbezogene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegen (VwGH 14.3.2016, Ra 2016/02/0011, mwN).

46 Soweit die Revisionswerberin die Frage aufwirft, ob bei Beendigung eines Regulierungsverfahrens ein Provisorialbescheid aufzuheben sei, geht sie am entscheidungswesentlichen Sachverhalt vorbei. Unstrittig ist das Regulierungsverfahren noch offen und weder durch eine Sachentscheidung der Agrarbehörde noch durch Einstellung beendet worden. Die Lösung der zuletzt aufgeworfenen Frage hätte daher nur theoretische Bedeutung; das Schicksal der Revision hängt nicht von ihrer Lösung ab. Schon deshalb wird diesem Vorbringen daher die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

47 Nicht verständlich ist das Vorbringen, wonach die Revisionswerberin durch den Provisorialbescheid deshalb übermäßig belastet werde, weil der Provisorialbescheid nur ihr, nicht aber anderen verpflichteten Grundeigentümern, zugestellt worden sei. Der Provisorialbescheid beinhaltet keine Festlegungen darüber, auf welchen belasteten Grundflächen den Berechtigten die Weiderechte zustehen; diesbezüglich wird allgemein auf die "Ausübung der Weiderechte nach der SRU" verwiesen. Die SRU wird diesbezüglich nicht verändert. Mit diesem Vorbringen wird daher ebenfalls keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dargetan.

48 Dies gelingt der Revision auch mit der zuerst aufgeworfenen Frage nach den Wirkungen einer (ersatzlosen) Aufhebung eines Bescheides (wie des Bescheides vom 5. Februar 1997) auf einen Bescheid, der durch den aufgehobenen Bescheid verändert oder beseitigt worden war (wie der Bescheid vom 5. Mai 1967), nicht.

49 Die Revisionswerberin ist in diesem Zusammenhang zuerst darauf hinzuweisen, dass die Stadtgemeinde mit ihrem verfahrenseinleitenden Antrag vom 11. August 2016, dem sich die Revisionswerberin angeschlossen hatte, die Abänderung (Teilaufhebung) des Provisorialbescheides vom 5. Mai 1967 begehrte. Ein solcher Antrag setzt aber die rechtliche Existenz des Provisorialbescheides vom 5. Mai 1967 voraus, wäre doch sonst ein auf seine Abänderung gerichtetes Begehren nicht verständlich.

50 Wenn die Revisionswerberin nun als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung ins Treffen führt, das Provisorium habe mit der Erlassung des Bescheides vom 5. Februar 1997 geendet und es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für die Annahme, dass es wieder aufleben solle, wenn der dieses Provisorium ersetzende Bescheid seinerseits aufgehoben werde, so entfernt sie sich von den Sachverhaltsannahmen und dem Inhalt ihres eigenen Antrages. Träfe diese Annahme zu, wäre die gegenständliche Antragstellung gar nicht notwendig gewesen.

51 Diese Annahme erweist sich allerdings auch als rechtlich nicht haltbar. Der Bescheid vom 5. Mai 1967 (Provisorium nach § 42 WWSG) wurde durch den Bescheid vom 5. Februar 1997 (eine Entscheidung nach § 38 Abs. 2 WWSG) in mehreren Punkten materiell verändert und ihm somit inhaltlich derogiert (siehe dazu die Feststellungen und die rechtlichen Überlegungen im hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2015, 2012/07/0153).

52 Mit Erkenntnis des LVwG vom 28. April 2016 wurde der Bescheid der Agrarbehörde vom 5. Februar 1997 - in Stattgebung der Berufung der Revisionswerberin - aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Tiroler Landesregierung als gemäß § 38 Abs. 1 WWSG zuständiger Agrarbehörde zurückverwiesen. Diese Aufhebung stellt die Aufhebung eines rechtswidrig ergangenen Bescheides dar, dessen derogative Rechtswirkungen sich vorliegendenfalls auch auf den Provisorialbescheid erstreckt hatten. Die Beseitigung dieses Bescheides stellt daher jenen Rechtszustand her, der vor Erlassung des rechtswidrigen "Derogationsbescheides" bestanden hatte; dh es tritt der ursprüngliche bereits in Rechtskraft erwachsene Bescheid, welcher rechtswidrigerweise aufgehoben oder abgeändert worden war, mit der Behebung des ihn aufhebenden oder abändernden Bescheides rückwirkend wieder in Kraft (vgl. in diesem Zusammenhang VwGH 24.1.1995, 93/04/0203; 31.1.1989, 87/07/0040).

53 Die nach der Aufhebung des Bescheides vom 5. Februar 1997 vorliegende Sach- und Rechtslage gestaltete sich daher so, als ob dieser Bescheid nie existiert hätte. Mit seiner Aufhebung gelangte der Bescheid vom 5. Mai 1967 daher wieder in seiner ursprünglichen Fassung zur vollen Rechtswirksamkeit. Diese vom LVwG vertretene und den weiteren rechtlichen Überlegungen zu Grunde gelegte Ansicht steht in Übereinstimmung mit der Rechtslage.

54 Mit den im Zulässigkeitsvorbringen der Revision genannten Fragestellungen werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

55 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 25. Oktober 2018

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender SachverhaltEintritt und Umfang der Rechtswirkungen von Entscheidungen nach AVG §68Rechtsnatur und Rechtswirkung der BerufungsentscheidungRechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018070352.L00

Im RIS seit

22.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

11.12.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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