TE OGH 2018/9/13 10ObS81/18m

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Veröffentlicht am 13.09.2018
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.

 Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Dr. Georg Lugert, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Pflegegeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Mai 2018, GZ 7 Rs 38/17k-18, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die am 25. 4. 2003 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige und lebt seit 2011 in Österreich. Ihr Asylantrag wurde rechtskräftig abgewiesen. Sie erhielt eine auf 12 Monate bis 1. 9. 2016 befristete „Aufenthaltsberechtigung plus“ nach § 56 AsylG und nach Ablauf der Frist eine Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs 3 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Die Vorinstanzen haben ihr Begehren auf Gewährung von Pflegegeld abgewiesen.

In der außerordentlichen Revision der Klägerin wird keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 § 3a Abs 1 BPGG gewährt österreichischen Staatsbürgern mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland auch ohne Grundleistung Anspruch auf Pflegegeld, sofern nicht ein anderer Mitgliedstaat für Pflegeleistungen zuständig ist.

1.2 § 3a Abs 2 BPGG stellt österreichischen Staatsbürgern gleich:

1. Fremde, die nicht unter eine der folgenden Ziffern fallen, insoweit sich eine Gleichstellung aus Staatsverträgen oder Unionsrecht ergibt, oder

2. Fremde, denen gemäß § 3 des AsylG 2005, BGBl I Nr 2005/100 Asyl gewährt wurde, oder

3. Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht gemäß §§ 15a und 15b des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I Nr 2005/100, oder gemäß §§ 51 bis 54a und 57 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl I 2005/100, verfügen, oder

4. Personen, die über einen Aufenthaltstitel

a) „Blaue Karte EU“ gemäß § 42 NAG,

b) „Daueraufenthalt-EG“ gemäß § 45 NAG,

c) „Daueraufenthalt-Familienangehöriger“ gemäß § 48 NAG,

d) „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs 2 NAG oder

e) gemäß § 49 NAG verfügen.

1.3 Nach § 3a Abs 3 BPGG haben keinen Anspruch auf Pflegegeld gemäß Abs 1 insbesondere

1. Personen, die gemäß § 3 Abs 3 und 4 in den anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 3 Abs 1 einbezogen werden können, aber noch nicht einbezogen worden sind;

2. nicht erwerbstätige EWR-Bürger, Schweizer Staatsangehörige und deren Angehörige jeweils in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts;

3. Personen während ihres visumsfreien oder visumspflichtigen Aufenthalts im Inland;

4. Personen, die nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gemäß § 13 Abs 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl I 2005/100, haben.

2.1 Die Revisionswerberin zählt sich weder zum Kreis der subsidiär Schutzberechtigten mit Anspruch auf österreichisches Pflegegeld (RIS-Justiz RS0129314) noch beruft sie sich auf die Gleichstellung durch einen bilateralen Staatsvertrag mit der Russischen Föderation (Russland). Sie rechtfertigte die gewünschte Gleichstellung (iSd § 3a Abs 2 Z 1 BPGG) mit dem besonderen Schutz, den der EuGH „Behinderten“ zubilligt, sowie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen 1998 über die Rechte des Kindes (KRK, BGBl 1993/4).

2.2 Beide – nicht näher begründete – Argumente nutzen ihrem Standpunkt nichts. Die Pflegebedürftigkeit ist nur eine Voraussetzung für die Gewährung des Pflegegeldes. Die KRK enthält programmatische Anordnungen über die Verpflichtung der Vertragsstaaten, in verschiedenen Bereichen geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Interessen von Kindern unter vorrangiger Berücksichtigung des Kindeswohls (vgl Art 3 Abs 1 KRK) zu schützen. Eine Gleichstellung durch Staatsvertrag im Sinn des § 3a Abs 2 Z 1 BPGG ergibt sich daraus eindeutig nicht.

3.1 Die Klägerin verfügt über keinen der in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG genannten Aufenthaltstitel. Ihrer Auffassung nach ist die Aufzählung in dieser Bestimmung nicht taxativ, weshalb auch die Aufenthaltsberechtigung nach § 43 Abs 3 NAG sowie der (angeblich nunmehr vorliegende) Aufenthaltstitel nach § 41a NAG („Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“) eine Gleichstellung bewirke.

3.2 Eine Analogie setzt eine Gesetzeslücke im Sinn einer „planwidrigen Unvollständigkeit“ voraus (RIS-Justiz RS0098756 [T1]). Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung nicht erfüllt, wenn der Gesetzgeber eine bestimmte Rechtsfolge für einen bestimmten Sachverhalt bewusst nicht angeordnet hat (RIS-Justiz RS0008866 [T8, T13]). Nach den bereits vom Berufungsgericht zitierten Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1208 BlgNR 24. GP 9 f) sollten die in § 3a Abs 2 Z 2 bis 4 BPGG genannten Fälle nur jene zusätzlichen Fälle betreffen, die nicht bereits durch das unmittelbar anwendbare Staatsvertragsrecht bzw Unionsrecht nach § 3a Abs 2 Z 1 BPGG erfasst werden. Gleichgestellt werden daher nur Personengruppen, die bestimmte einen privilegierten Status einräumende Aufenthaltstitel vorweisen können. Angesichts der ausdrücklichen Aufzählung der privilegierten Aufenthaltstitel in Gesetz und Materialien kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, auf weitere Aufenthaltstitel wie jene nach § 43 Abs 3 NAG und § 41a NAG vergessen zu haben (vgl RIS-Justiz RS0132088).

3.3 § 3a Abs 3 BPGG spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Es werden nur insbesondere Personengruppen aufgezählt, bei denen der Gesetzgeber klarstellen wollte, dass sie ausdrücklich vom Bezug von Pflegegeld ausgeschlossen sind (Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld4 Rz 3.64 f).

4. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur taxativen Aufzählung der privilegierten Aufenthaltstitel in § 3a Abs 2 Z 4 BPGG entspricht dem klaren Wortlaut und den Gesetzesmaterialien.

Textnummer

E123211

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00081.18M.0913.000

Im RIS seit

22.11.2018

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2019
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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