TE Vwgh Erkenntnis 1999/10/15 96/21/0185

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Veröffentlicht am 15.10.1999
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

ABGB §1332;
AVG §63 Abs1;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §71 Abs3;
FrG 1993 §71;
RAO 1868 §8 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der F in Rottenegg, geboren am 15. November 1979, vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt Linz, beide vertreten durch Dr. Herbert Veit, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Coulinstraße 20, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 10. Jänner 1996, Zl. St 406/95, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung in einer Angelegenheit des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Juli 1995 wurde die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsbürgerin, die damals das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, gemäß § 17 Abs. 1 iVm § 15 Abs. 1 Z. 1 sowie § 19 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei am 26. Juni 1994 vermutlich aus Slowenien ohne gültiges Reisedokument und ohne Sichtvermerk nach Österreich gelangt. Eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung komme ihr nicht zu, da sie ihren Asylantrag nicht binnen einer Woche nach ihrer Einreise gestellt habe und nicht direkt aus dem Gebiet, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht gewesen sei, eingereist sei. Sie befände sich erst relativ kurze Zeit in Österreich und habe hier keine nennenswerten Bindungen.

Dieser Bescheid wurde ihrem gesetzlichen Vertreter, dem Magistrat der Landeshauptstadt Linz als zuständigem Jugendwohlfahrtsträger, am 10. Juli 1995 zugestellt, der ihn der Beschwerdeführerin mit RSa-Brief mit dem Bemerken übermittelte, dass im Hinblick auf den in der Begründung dargestellten Sachverhalt und aufgrund der geltenden Rechtslage seitens des Jugendwohlfahrtsträgers keine Berufung erhoben werde. Die Beschwerdeführerin erhielt den Bescheid am 13. Juli 1995 (nach ihrer Ansicht am 12. Juli 1995).

Der nunmehrige Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin brachte unter Berufung auf eine ihm gemäß § 8 Abs. 1 RAO erteilte Vollmacht mit am 25. Juli 1995 zur Post gegebenem, an die Bundespolizeidirektion Linz gerichtetem Schriftsatz eine Berufung gegen den Ausweisungsbescheid ein. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich forderte ihn mit Schreiben vom 3. August 1995 (zugestellt am 8. August 1995) auf, dazu Stellung zu nehmen, dass die Berufung verspätet eingebracht worden sei.

Mit am 22. August 1995 zur Post gegebenem Antrag begehrte die Beschwerdeführerin bei der Bundespolizeidirektion Linz die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Juli 1995. Dieser Antrag wurde damit begründet, dass die Beschwerdeführerin als Rechtsunkundige davon ausgegangen sei, dass es sich bei der Zustellung des Bescheides durch den Magistrat der Landeshauptstadt Linz an sie am 12. Juli 1995 um jene gehandelt habe, welche den Beginn der Berufungsfrist auslöse. Sie habe den 12. Juli 1995 daher ihrem ausgewiesenen Vertreter als Tag der Zustellung mitgeteilt, das Zustellkuvert habe sie ihm nicht übergeben können, weil sie es nicht mehr gehabt habe. Erst aufgrund des - ihrem Rechtsbeistand am 8. August 1995 zugestellten - Schreibens der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. August 1995 habe die Beschwerdeführerin erfahren, dass nicht die Zustellung an sie persönlich, sondern die vorangegangene Zustellung an die Landeshauptstadt Linz maßgeblich gewesen sei. Dieser Umstand sei der Beschwerdeführerin als Ausländerin und rechtsunkundiger Person nicht bewusst gewesen. Dieser Irrtum sei unverschuldet und könne ihr schlechtestenfalls als minderer Grad des Versehens zur Last gelegt werden. Dem Antrag ist eine eidesstättige Erklärung des Rechtsbeistandes der Beschwerdeführerin angeschlossen, in welcher dieser deren Angaben bestätigt.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 12. September 1995 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Juli 1995 mit der Begründung als verspätet zurückgewiesen, dass der Bescheid der Behörde erster Instanz dem Vertreter der Beschwerdeführerin am 10. Juli 1995 zugestellt, die Berufung jedoch erst am 25. Juli 1995 zur Post gegeben worden sei.

Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 1995 berief sich der Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin ausdrücklich auch auf eine ihm durch den Magistrat der Landeshauptstadt Linz als Jugendwohlfahrtsträger und gesetzlicher Vetreter der Beschwerdeführerin erteilte Vollmacht.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 21. November 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass sich aus dem Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Juli 1995 ersehen lasse, dass die bescheiderlassende Behörde die Bundespolizeidirektion Linz sei und dass dieser Bescheid zu Handen des Jugendwohlfahrtsträgers der Landeshauptstadt Linz und nicht an die Beschwerdeführerin persönlich zugestellt worden sei. Schon aufgrund der verschiedenen Aktenzahlen am Ausweisungsbescheid und am Begleitschreiben des Magistrates Linz hätte der Beschwerdeführerin auffallen müssen, dass die bescheiderlassende Behörde nicht der Magistrat der Landeshauptstadt Linz sei. Ihrem rechtsfreundlichen Vertreter hätte auffallen müssen, dass eine direkte Zustellung eines Bescheides an die Beschwerdeführerin als minderjährige Fremde im Sinn des § 71 Abs. 3 FrG rechtlich gar nicht möglich gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe daher die Rechtsmittelfrist aufgrund eines Verschuldens, das nicht als ein minderer Grad des Versehens zu betrachten sei, versäumt; sie sei mit dem Zeitpunkt der Zustellung sorglos umgegangen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, die sie damit begründete, dass von einer auffallenden Sorglosigkeit im gegenständlichen Fall keine Rede sein könne; ein minderer Grad des Versehens hindere die Bewilligung der Wiedereinsetzung aber nicht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 und § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass grundsätzlich mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 71 AVG gewertet werden könne. Der Behörde erster Instanz sei insofern Recht zu geben, als zumindest dem rechtsfreundlichen Vertreter der Beschwerdeführerin hätte auffallen müssen, dass die Zustellung des Ausweisungsbescheides an sie persönlich als minderjährige Fremde im Sinn des § 71 Abs. 3 FrG rechtlich gar nicht möglich gewesen sei. Aufgrund der anwaltlichen Sorgfaltspflicht wäre es nötig gewesen zu überprüfen, ob überhaupt eine rechtsgültige Zustellung vorgelegen sei, bzw. wann der Ausweisungsbescheid dem Magistrat der Landeshauptstadt Linz als gesetzlichem Vertreter der Beschwerdeführerin zugestellt worden sei. Dies alles hätte sich durch Akteneinsicht oder durch eine kurze telefonische Anfrage bei der zuständigen Behörde leicht klären lassen. Das Unterlassen derartiger Erhebungen stelle somit sehr wohl eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung dar und sei nicht mehr nur als leichte Fahrlässigkeit zu werten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens - unter Abstandnahme von der Erstattung einer Gegenschrift - vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 71 FrG lautet:

"§ 71. (1) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, sind in Verfahren nach dem 3., 4. und 5. Teil handlungsfähig. Sie können zu einer mündlichen Verhandlung einen gesetzlichen Vertreter und eine an der Sache nicht beteiligte Person ihres Vertrauens beiziehen. Verfahrensfrei zu setzende Maßnahmen bleiben unberührt.

(2) Der gesetzliche Vertreter eines solchen Fremden hat das Recht,

1. auch gegen den Willen des Minderjährigen Akteneinsicht zu nehmen und zu dessen Gunsten Beweisanträge zu stellen und

2. innerhalb der einer Partei offen stehenden Frist Rechtsmittel einzulegen, Beschwerden einzubringen und Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens zu stellen.

(3) Minderjährige Fremde, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden können, können im eigenen Namen nur Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil setzen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung eines solchen Verfahrens der Jugendwohlfahrtsträger der Hauptstadt des Bundeslandes, in dem sich der Minderjährige aufhält. Wäre demnach dieselbe Behörde für das fremdenpolizeiliche Verfahren und die Vertretung zuständig, so wird der sonst örtlich nächstgelegene Jugendwohlfahrtsträger gesetzlicher Vertreter.

(4) Die Mitteilung des Inhaltes von Erledigungen an den gesetzlichen Vertreter gemäß Abs. 3 in einer durch Verordnung gemäß § 18 Abs. 3 AVG festgelegten Weise ist zulässig, wenn der Empfänger dem generell zugestimmt hat; hiebei hat er die Zeiten genau festzulegen, innerhalb welcher die Mitteilungen erfolgen dürfen."

(Das Rechtsinstitut der Ausweisung ist im 3. Teil des Fremdengesetzes geregelt.)

Die Beschwerdeführerin war zum Zeitpunkt der Erlassung des Ausweisungsbescheides vom 4. Juli 1995 und der Stellung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unbestritten eine Minderjährige im Sinn des § 71 Abs. 3 FrG, deren Interessen von ihrem gesetzlichen Vertreter nicht wahrgenommen werden konnten, zumal ihr Vater nach der Aktenlage im Jahr 1992 verstorben ist und sich ihre Mutter in der Türkei aufhielt. Die Auffassung der belangten Behörde trifft daher zu, dass die Zustellung des genannten Ausweisungsbescheides rechtswirksam an den Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 71 Abs. 3 zweiter Satz FrG erfolgte, und die Berufungsfrist mit dieser Zustellung begann. Die Beschwerdeführerin war aber im Grunde des § 71 Abs. 3 erster Satz FrG berechtigt, gegen diesen Bescheid im eigenen Namen sowohl eine Berufung als auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist einzubringen (oder mit deren Einbringung einen Rechtsanwalt zu betrauen), handelte es sich doch hiebei um Verfahrenshandlungen zu ihrem Vorteil.

Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Verschuldens trifft.

Gemäß § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Zwar trifft die Rechtsauffassung der belangten Behörde nicht zu, dass grundsätzlich mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 AVG gewertet werden können (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 (1996), 673 dargestellte hg. Rechtsprechung).

Dennoch ist der Beschwerde kein Erfolg beschieden:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Ein dem Rechtsanwalt widerfahrendes Ereignis stellt somit einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens gehandelt hat. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche, und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nicht an behördlichen Verfahren beteiligte Personen. (Vgl. etwa den hg. Beschluss vom 20. Oktober 1998, Zl. 98/21/0149.) Auf dem Boden dieser Rechtslage ist das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, einen tauglichen Wiedereinsetzungsgrund darzutun.

Der Beschwerdevertreter hätte nämlich auf Grund der Tatsache, dass die Beschwerdeführerin erst 16 Jahre alt war und im angefochtenen Bescheid der Magistrat der Landeshauptstadt Linz als Bescheidadressat genannt wurde, erkennen müssen, dass die Berufungsfrist mit Zustellung an den Magistrat zu laufen begonnen hat. Er hätte daher eine unverzügliche Überprüfung bezüglich des tatsächlichen Zustellzeitpunktes vornehmen müssen. Da er dies offensichtlich nicht getan hat, fällt ihm grobe Fahrlässigkeit an der Versäumung der Berufungsfrist zur Last, weshalb der Wiedereinsetzungsantrag abzuweisen war.

Sollte die gebotene Überprüfung aber innerhalb der tatsächlich offen stehenden Berufungsfrist nicht möglich gewesen sein (etwa wenn die Betrauung des Beschwerdevertreters erst am 25. Juli 1995 erfolgte), so hätte jedenfalls die Wiedereinsetzungsfrist sofort zu laufen begonnen, weshalb sich der erst am 22. August 1995 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag als verspätet erwiese.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 15. Oktober 1999

Schlagworte

Voraussetzungen des Berufungsrechtes Berufungslegitimation Person des Berufungswerbers

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1999:1996210185.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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