TE Vfgh Erkenntnis 1997/9/29 B634/97

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Veröffentlicht am 29.09.1997
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art83 Abs2
ZustellG §17 Abs3
DSt 1990 §25

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung des Antrags der beschwerdeführenden Rechtsanwältin auf Übertragung der Durchführung des Disziplinarverfahrens auf einen anderen Disziplinarrat wegen Befangenheit als verspätet; Bezugnahme auf erst nach Fristablauf bekanntgewordene Tatsachen

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsanwaltes die mit S 15.390,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwältin. Mit Einleitungsbeschluß des Disziplinarrates der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 6.2.1996 wurde mit näherer Begründung ausgesprochen, daß "Grund zur Disziplinarbehandlung" vorhanden ist.

2. Mit Schriftsatz vom 29/30.4.1996 - die Eingabe ist auf Seite 1 mit "29.4.1996", auf Seite 4 mit "30.4.1996" datiert und wurde am 30.4.1996 zur Post aufgegeben - beantragte die Beschwerdeführerin, die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) möge die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat übertragen.

3. Mit Beschluß der OBDK vom 25.11.1996 wurde dieser Antrag zurückgewiesen. Dies wurde wie folgt begründet:

"Mit Einleitungsbeschluß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 6. Februar 1996, D 19/95, wurde ausgesprochen, daß Grund zur Disziplinarbehandlung der Beschuldigten vorhanden ist.

Dieser Einleitungsbeschluß wurde der Disziplinarbeschuldigten am 15. April 1996 zugestellt.

Mit Eingabe vom 29. April 1996 beantragte die Disziplinarbeschuldigte die Delegierung vorliegender Disziplinarsache an einen anderen Disziplinarrat; sie habe nunmehr ihren Kanzleisitz nach 3100 St. Pölten verlegt, sodaß aus Gründen der Verfahrensökonomie die Betrauung eines anderen Disziplinarrates mit der Durchführung des Disziplinarverfahrens sinnvoll sei.

Gemäß §25 (1) und (2) DSt 1990 kann der Disziplinarbeschuldigte binnen zwei Wochen nach Zustellung des Einleitungsbeschlusses beantragen, die Durchführung des Disziplinarverfahrens aus wichtigen Gründen einem anderen Disziplinarrat zu übertragen.

In vorliegender Disziplinarsache wurde der Einleitungsbeschluß vom 6. Februar 1996 der Beschuldigten am Montag dem 15. April 1996 zugestellt, sodaß die zweiwöchige Frist für Einbringung eines Delegierungsantrages am Montag, dem 29. April 1996 endete. Der laut Poststempel am 30. April 1996 in St. Pölten aufgegebene Delegierungsantrag ist daher verspätet. Aber auch bei rechtzeitiger Einbringung des Delegierungsantrages ist das Vorliegen wichtiger, die Übertragung der Disziplinarsache an einen anderen Disziplinarrat rechtfertigender Gründe nicht gegeben, im Gegenteil, wie die mehrfache Verlegung der Kanzlei der Beschuldigten zeigt, besteht die Gefahr, daß durch die Betrauung eines anderen Disziplinarrates das Verfahren durch neuerliche Anträge der Beschuldigten weiterhin verzögert wird. Auch wäre die Zureise der in der Steiermark ansässigen Zeugen mit unnötigem Aufwand verbunden und jedenfalls schwieriger und umständlicher als die Zureise der Beschuldigten zur Disziplinarverhandlung des Steiermärkischen Disziplinarrates in Graz, dessen Zuständigkeit gemäß §20 (1) DSt 1990 auch nach den Verlegungen des Sitzes der Kanzlei der Beschuldigten gegeben ist. Dem Delegierungsantrag der Beschuldigten konnte daher nicht entsprochen werden."

4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4.1. Die Beschwerdeführerin führt zur Rechtzeitigkeit des bei der OBDK gestellten Delegierungsantrages aus:

"Der Einleitungsbeschluß der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vom 6.2.1996, GZ.: D 19/95, wurde der Beschwerdeführerin am 12.4.1996 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellt. Die Behebung beim Postamt erfolgte erst am Montag den 15.4.1996.

Gemäß §25 Abs2 DSt 1990 kann der Disziplinarbeschludigte binnen 2 Wochen nach Zustellung des Einleitungsbeschlusses beantragen, daß die Durchführung des Disziplinarverfahrens aus wichtigen Gründen einem anderen Disziplinarrat übertragen wird. Die 2-wöchige Frist für die Einbringung eines Delegierungsantrages endete sohin am 26.4.1996.

Erst am 29.4.1996 anläßlich einer gerichtlichen Verhandlung zu GZ.: C1/96s des BG Mariazell erfuhr die Beschwerdeführerin, daß der gegnerische Rechtsanwalt Dr. Z. erneut, in voller Kenntnis der Bestreitung der von seiner Mandantin ausdrücklich zugestandenen Grunddienstbarkeiten durch Dritte, und im Widerspruch zum Inhalt des Kaufvertrages, die Fälligkeit des Restkaufpreises behauptete. Durch die Bemerkungen des RA Dr. Z. wurde der Eindruck erweckt, daß dies mit 'Genehmigung' der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer vorgenommen wird.

Erst aufgrund dieses Umstandes der erneuten Bestreitung am 29.4.1996 trotz eindeutig anderslautender Vertrags- und Gesetzeslage und unmittelbar vorher bekräftigter Behauptung von Rechten Dritter durch RA Dr. C., wurde erkannt, daß offensichtlich zureichende Gründe für die Annahme einer Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrates vorliegen. Durch die Zurücklegung der Anzeige gegen RA Dr. Z., obwohl dieser das vertragswidrige und somit auch gesetzwidrige Verhalten - somit mit defacto - 'Genehmigung' der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer - am 29.4.1996 fortsetzte, ergibt sich die Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrates. Erst ab diesem Zeitpunkt waren sohin für die Beschwerdeführerin insgesamt gesehen so gewichtige Gründe gegeben, die Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrates als gegeben zu betrachten. Innerhalb der 2-wöchigen Frist nach Bekanntwerden der neuen Tatsache am 29.4.1996 wurde der Delegierungsantrag fristgerecht am 30.4.1996 gestellt.

...

Gemäß §17 Zustellgesetz gilt mit dem ersten Tag der Abholfrist das Poststück als zugestellt. Am 12.4.1996 wurde der Beschluß mit der Mitteilung, daß die Abholung ab 12.4.1996 erfolgen kann, hinterlegt. Die Annahme des Fristenlaufes ab 15.4.1996 ist daher ohne sachliche Rechtfertigung ... ."

4.2. In der Sache selbst wird mit näherer Begründung die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung sowie der Freizügigkeit der Person und des Vermögens behauptet. Schließlich wird die Verfassungsmäßigkeit des §25 DSt mit dem Argument in Zweifel gezogen, daß "ohne sachlich gerechtfertigte Begründung die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte der Beschwerdeführerin (ge)schmälert" werden.

5. Die OBDK als belangte Behörde hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Verwaltungsakten - unvollständig (vgl. Punkt 6.3.1.3.) - vorgelegt.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

6.1. Die Abs1 und 2 des §25 DSt lauten wie folgt:

"§25. (1) Die Durchführung des Disziplinarverfahrens kann wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen auf Antrag des Beschuldigten, des Kammeranwalts oder des Disziplinarrats selbst einem anderen Disziplinarrat übertragen werden. Über den Antrag entscheidet die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission ohne mündliche Verhandlung.

(2) Der Beschuldigte und der Kammeranwalt müssen einen solchen Antrag spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Einleitungsbeschlusses beim Disziplinarrat einbringen. Wird im Antrag jedoch glaubhaft gemacht, daß die Tatsachen, auf die der Antrag gestützt wird, erst nach Ablauf dieser Frist eingetreten oder dem Antragsteller bekannt geworden sind, so kann der Antrag auch noch nachher, spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntwerden, eingebracht werden. In diesem Fall ist auch der Zeitpunkt des Bekanntwerdens im Antrag glaubhaft zu machen."

§25 Abs2 DSt regelt somit zwei Fallgruppen: Im ersten Satz dieser Bestimmung werden - wie sich im Zusammenhalt mit dem nachfolgenden Satz ergibt - die Fälle geregelt, daß dem Beschuldigten (oder dem Kammeranwalt) die Tatsachen, auf denen der Antrag, die Durchführung des Disziplinarverfahrens einem anderen Disziplinarrat zu übertragen, gründet, bereits im Zeitpunkt der Zustellung des Einleitungsbeschlusses bekannt gewesen sind oder innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses bekannt werden. In solchen Fällen ist der Delegierungsantrag innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Einleitungsbeschlusses zu stellen. In den Sätzen zwei und drei dieser Bestimmung sind die Fälle geregelt, in denen solche Tatsachen erst nach Ablauf dieser Frist eintreten oder dem Antragsteller bekannt werden. In einem solchen Fall kann ein Delegierungsantrag innerhalb von zwei Wochen ab Bekanntwerden dieser Tatsachen eingebracht werden, wobei der Zeitpunkt des Bekanntwerdens dieser Tatsachen im Antrag glaubhaft zu machen ist.

6.2. Die Beschwerdeführerin behauptet zunächst in völlig unsubstantiierter Weise die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen. Der Verfassungsgerichtshof hegte demgegenüber in seiner bisherigen Judikatur keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §25 Abs1 DSt (vgl. hiezu ausführlich VfSlg. 13460/1993 mwN, weiters VfSlg. 13488/1993). Er sieht sich auch durch das Beschwerdevorbringen nicht veranlaßt, in eine Prüfung dieser Bestimmung einzutreten. Der Verfassungsgerichtshof hegt aus dem Blickwinkel des vorliegenden Beschwerdefalles auch keine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des Abs2 des §25 DSt.

Eine Verletzung der Beschwerdeführerin in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen hat sohin nicht stattgefunden.

6.3. Die Beschwerdeführerin wurde durch den angefochtenen Bescheid jedoch in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

6.3.1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).

Ein derartiger Vollzugsfehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall tatsächlich anzulasten:

6.3.1.1. Die belangte Behörde ist in der Begründung ihres Zurückweisungsbeschlusses davon ausgegangen, daß der Einleitungsbeschluß der Beschwerdeführerin am 15.4.1996 zugestellt worden ist und die zweiwöchige Frist für die Einbringung des Antrages - der sich (ausschließlich) auf Tatsachen stützt, die der Beschwerdeführerin bis einschließlich 29.4.1996 bekannt geworden sind - am 29.4.1996 geendet habe. Der am 30.4.1996 zur Post gegebene Antrag erweise sich daher als verspätet.

6.3.1.2. Die Beschwerdeführerin hat sowohl in ihrem Delegierungsantrag vom 30.4.1996 als auch in der verfahrensgegenständlichen Verfassungsgerichtshofsbeschwerde die Auffassung vertreten, daß ihr der Einleitungsbeschluß bereits am 12.4.1996 zugestellt worden ist. Die Frist zur Einbringung eines auf den ersten Satz des §25 Abs2 DSt gestützten Delegierungsantrages habe daher bereits am 26.4.1996 geendet. Ihr Antrag stütze sich jedoch auf Tatsachen, die ihr erst am 29.4.1996 bekannt geworden seien. Der an die OBDK gerichtete Antrag sei daher fristgerecht gestellt worden.

6.3.1.3. Ausgehend von diesem Beschwerdevorbringen ist es entscheidungswesentlich, wann der Einleitungsbeschluß der Beschwerdeführerin zugestellt wurde. In den dem Verfassungsgerichtshof von der OBDK übermittelten Verwaltungsakten fehlt der Zustellnachweis des Einleitungsbeschlusses an die Beschwerdeführerin. Der Verfassungsgerichtshof hat daher das Postamt 3100 St. Pölten diesbezüglich um Mitteilung ersucht. Mit Fax vom 21.5.1997 teilte das genannte Postamt dem Verfassungsgerichtshof mit, daß der Einleitungsbeschluß am 12.4.1996 hinterlegt und am 15.4.1996 behoben wurde, wobei die Sendung ab 12.4.1996 zur Abholung bereitgelegen sei.

Gemäß §17 Abs3 ZustellG, BGBl. Nr. 200/1982, gelten hinterlegte Sendungen mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt. Dieser Tag war der 12.4.1996.

Ausgehend von dieser Sachlage ist die Frist zur Stellung eines Delegierungsantrages gemäß §25 Abs2 erster Satz DSt am 26.4.1996 abgelaufen. Der am 30.4.1996 zur Post gegebene Delegierungsantrag der Beschwerdeführerin stützt sich jedoch auch auf Tatsachen, die ihr erst am 29.4.1996, also nach Ablauf dieser Frist, bekannt geworden sind. Er nimmt nämlich auf Tatsachen Bezug, die der Beschwerdeführerin am 29.4.1996 anläßlich einer Verhandlung vor dem BG Mariazell bekannt geworden sind. Damit kommt die in §25 Abs2 zweiter Satz DSt festgelegte Frist zur Anwendung; der Delegierungsantrag wurde am 30.4.1996, sohin innerhalb der durch diese Bestimmung festgelegten Zwei-Wochen Frist eingebracht. Die OBDK hätte daher in der Sache entscheiden müssen.

Indem die OBDK dies verkannt und den fristgerecht eingebrachten Antrag zurückgewiesen hat, hat sie eine Sachentscheidung verweigert und damit die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Der bekämpfte Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß auf das übrige Beschwerdevorbringen weiter einzugehen war.

6.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

6.5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.565,-- enthalten.

Schlagworte

Befangenheit, Behördenzuständigkeit, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Fristen (Disziplinarverfahren)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B634.1997

Dokumentnummer

JFT_10029071_97B00634_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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