Entscheidungsdatum
08.10.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W256 2200554-1/6E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , alias XXXX , geboren am XXXX , alias XXXX , StA. Kenia, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1. Juni 2018, Zl. XXXX :
A) Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz
VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung von einem neuen Bescheid an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin, eine kenianische Staatsangehörige, stellte am 11. März 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
Im Zuge der am 12. März 2017 erfolgten Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes führte die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen aus, ihr drohe in Kenia Verfolgung durch ihren Vater, welcher sie u.a zwangsverheiraten und beschneiden lassen wolle.
Die Beschwerdeführerin wurde am 15. Februar 2018 von der belangten Behörde und zwar durch eine Person männlichen Geschlechts einvernommen. Dabei wiederholte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ihr bisherig erstattetes Fluchtvorbringen. Die anfänglich gestellte Frage, ob es in Ordnung sei, dass ein männlicher Referent die Einvernahme durchführe, wurde von der Beschwerdeführerin bejaht.
Aus dem im Akt erliegenden Einvernahmeprotokoll geht nicht hervor, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre behauptete Furcht vor einer Zwangsverheiratung und einer Genitalverstümmelung von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin hingewiesen worden ist. Die Beiziehung eines männlichen Einvernahmeleiters wurde von ihr nicht ausdrücklich verlangt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 1. Juni 2018 wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Kenia zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde - sofern hier wesentlich - aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin asylrechtlich irrelevant sowie völlig unglaubhaft sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde der Beschwerdeführerin. Darin wird - sofern hier wesentlich - vorgebracht, dass das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin zu Unrecht für unglaubhaft erklärt worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchpunkt A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt nach § 28 Abs. 2 Ziffer 2 voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. jüngst auch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2017, Zl. Ra 2016/12/0109, Rz 18ff.).
Der angefochtene Bescheid ist aus folgendem Grund mangelhaft:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein Asylwerber, wenn er seine Furcht vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen.
In seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2007, Zl. 2005/20/0321 hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf die diesbezüglich inhaltsgleiche Vorgängerbestimmung des § 27 Abs. 3 AsylG 1997 ausgesprochen, dass Zweck dieser Bestimmung der Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung sein soll, weshalb dementsprechend auch die Beiziehung eines Dolmetschers des gleichen Geschlechtes nach dieser Bestimmung geboten ist.
Wird ein Asylwerber dennoch von einer Person eines anderen Geschlechts bzw. unter Beiziehung eines Dolmetschers eines anderen Geschlechts einvernommen, [...] wird [das] vielfach als krasser Ermittlungsmangel zu qualifizieren sein, der eine Behebung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG rechtfertigt, sofern die beweiswürdigenden Erwägungen wesentlich auf der betreffenden Einvernahme aufbauen [...] (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht (2016) § 20 AsylG 2005, K3).
Im vorliegenden Fall hat sich die Beschwerdeführerin sowohl im Rahmen ihrer Erstbefragung, als auch im Rahmen ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde, auf ihre Furcht vor einer Zwangsverheiratung und vor einer Genitalverstümmelung und damit auf Gründe gestützt, die mit einem Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung in Zusammenhang stehen (siehe zum Eingriff in das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betreffend eine Zwangsverheiratung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 18. September 2015, E1003/2014, wonach bereits die Furcht vor einer Zwangsverheiratung ausreichend ist; siehe dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 2016, Ra 2014/18/0161 sowie in Bezug auf eine drohende Genitalverstümmelung das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 2005, 2005/01/0285 zu § 27 Abs. 3 AsylG 1997).
Dem dargestellten Zweck des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechend, wäre die belangte Behörde aber gehalten gewesen, die Einvernahme der Beschwerdeführerin von einer weiblichen Einvernahmeleiterin durchzuführen, bzw. die Beschwerdeführerin über ihr diesbezügliches Recht zumindest in Kenntnis zu setzen. Die Beschwerdeführerin hat die Beiziehung eines männlichen Einvernahmeleiters weder von der belangten Behörde verlangt, noch wurde sie vom Bestehen einer anderen Möglichkeit in der gesetzlichen normierten Form ausreichend in Kenntnis gesetzt. Allein die Frage, ob es für sie in Ordnung wäre, dass ein männlicher Referent die Einvernahme durchführe, kann den (oben dargestellten) gesetzlichen Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 jedenfalls nicht gerecht werden.
Durch die Nichtbeachtung des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 hat die belangte Behörde der Beschwerdeführerin aber die Möglichkeit genommen, über ihre Furcht vor einer Zwangsheirat und vor einer Genitalverstümmelung und über ihre in diesem Zusammenhang stehende Furcht vor Verfolgung ungezwungen und ohne Hemmungen zu erzählen. Es kann daher nicht zweifelsfrei festgestellt werden, ob die Beschwerdeführerin ausreichend Gelegenheit zur Darstellung der diesbezüglichen Gründe für ihren Aufenthalt außerhalb ihres Herkunftsstaates hatte, weshalb die gegenständliche Einvernahme zur Beurteilung des Sachverhaltes - wie von der belangten Behörde erfolgt - auch nicht herangezogen werden hätte dürfen. Die belangte Behörde hat daher völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt. Der maßgebliche Sachverhalt kann daher erst durch die (neuerliche) den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 entsprechende Einvernahme der Beschwerdeführerin sowie allenfalls durch die Vornahme weiterer, sich aus der neuen Einvernahme ergebenden, Ermittlungsschritte, wie Länderrecherchen, festgestellt werden.
Die belangte Behörde hat es daher - entgegen ihrer in § 18 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflicht - insgesamt unterlassen, sich mit den von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Fluchtgründen eingehend zu befassen. Der Sachverhalt ist somit in wesentlichen Punkten umfassend ergänzungsbedürftig geblieben, weshalb im Hinblick auf diese besonders gravierenden Ermittlungslücken eine Zurückverweisung erforderlich und auch gerechtfertigt ist (vgl. dazu den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Oktober 2015, Zl. Ra 2015/09/0088).
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren angehalten, sich mit den dargestellten Fluchtgründen der Beschwerdeführerin eingehend auseinanderzusetzen und dazu konkrete Ermittlungsschritte, sei es durch eine gezielte und den Anforderungen des § 20 Abs. 1 AsylG entsprechende Befragung, durch Einholung von entsprechenden Länderberichten oder durch weitere sich daraus ergebender Maßnahmen, zu setzen.
Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Denn die belangte Behörde ist als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig. Überdies soll eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - auch angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Folglich war das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.
Eine mündliche Verhandlung konnte im vorliegenden Fall gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass die angefochtenen Bescheide "aufzuheben" waren. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22).
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommt, wenn die Verwaltungsbehörde bloß ungeeignete Ermittlungen gesetzt hat, entspricht der oben zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W256.2200554.1.00Zuletzt aktualisiert am
21.11.2018