TE Bvwg Beschluss 2018/10/9 W176 2171206-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.10.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

09.10.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

W176 2171202-1/4E

W176 2171206-1/4E

W176 2171210-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. NEWALD über die Beschwerde von (1.) XXXX , geboren am XXXX , syrische Staatsangehörige, (2.) XXXX , geboren am XXXX , staatenlos, und (3.) XXXX , geboren am XXXX , staatenlos, minderjährige Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen vertreten durch die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin, gegen die Spruchpunkte I. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 17.08.2017, Zlen. (1.) 10940039907-151731847, (2.) 1094040102-151731880 bzw. (3.) 1094040004-151731944, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde werden die Bescheide gemäß § 28 Abs. 3

2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), jeweils im bekämpften Spruchpunkt behoben und die Angelegenheiten zur Erlassung von neuen Bescheiden an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Die Beschwerdeführerinnen, eine Frau und ihre beiden minderjährigen Töchter, brachten am XXXX .2015 Anträge auf internationalen Schutz ein.

2. Bei ihrer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gleichen Tag sowie bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am XXXX .2017 gab die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes an:

Sie sei in zweiter Ehe mit XXXX , einem (weiterhin in Syrien aufhältigen) staatenlosen Palästinenser, verheiratet; die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen entstammten dieser Ehe. Diese seien staatenlos, die Erstbeschwerdeführerin selbst sei syrische Staatsangehörige. Dabei legte sie u.a. ihren (vom "Damas-Center" ausgestellten) syrischen Reisepass, die (jeweils vom "Pals-Center" ausgestellten) syrischen Reisepässe der Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen betreffende, vom "Generalkomitee der arabischen Palästinenser" ausgestellte Auszüge aus dem Zivilregister, in denen jeweils XXXX als Vater und die Erstbeschwerdeführerin als Mutter angeführt ist, sowie ein von UNRWA ausgestelltes "Familiy Record" vor, in dem " XXXX " als "Main HOF" und "Husband", die Erstbeschwerdeführerin als "Wife" und die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen jeweils als "Daughter" aufscheinen.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, dass ihr Verfolgung durch die syrischen Behörden drohe, da diese davon ausgingen, dass sie ihren Bruder, der fahnenflüchtig sei und von dem die Behörden annähmen, er sei Oppositioneller, unterstützt habe.

3. Mit den im Spruch genannten Bescheiden wies das BFA die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), ab (jeweils Spruchpunkt I.), erkannte ihnen gemäß § 8 AsylG 2005 den Status von subsidiär Schutzberechtigten zu (jeweils Spruchpunkt II.) und erteilte ihnen gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 befristete Aufenthaltsberechtigungen (jeweils Spruchpunkt III.).

Nach Wiedergabe des jeweiligen Verfahrensganges stellte das BFA fest, dass die Identität der Beschwerdeführerinnen feststehe; die Erstbeschwerdeführerin sei syrische Staatsangehörige, die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen seien staatenlose Palästinenserinnen. Die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen unglaubwürdig sei und für die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen eigene Fluchtgründe nicht geltend gemacht worden seien.

3. Jeweils gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführerinnen fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde.

4. In der Folge legte das BFA die Beschwerde samt den Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels einfachgesetzlicher materienspezifischer Sonderregelung liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

2. Zu Spruchpunkt A):

2.1. Gemäß § 15 Abs. 1 AsylG 2005 hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

2.2. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend insbesondere Folgendes festgehalten (VwGH v. 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063):

"Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. (...)

Der Rechtsanspruch eines von einer Entscheidung Betroffenen auf die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit erfasst angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems auch die Frage, ob das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst dem § 28 VwGVG konform wahrnimmt. Das Verwaltungsgericht hat daher insbesondere nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht. (...)"

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG, welche zu einer meritorischen Entscheidungspflicht führen, nicht gegeben sind. Weder steht, wie anhand der darzustellenden Ermittlungsmängel zu zeigen ist, der maßgebliche Sachverhalt fest, noch ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Dies vor allem, weil die aufzuzeigenden Ermittlungslücken derart erheblich sind, dass zu deren Beseitigung über eine der Feststellung des Sachverhalts dienende mündliche Verhandlung hinausgehende weitere Ermittlungsschritte zu setzen wären, welche durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welches - anders als das Bundesverwaltungsgericht - eine asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde ist (so ist die sog. Staatendokumentation beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingerichtet, vgl. § 5 BFA-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012), rascher und effizienter durchgeführt werden können.

2.4. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass die belangte Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt hat:

2.4.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 Nr. L 337/9 [Statusrichtlinie - Neufassung] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Gemäß Art. 1 Abschnitt D GFK ist die GFK nicht auf Personen anzuwenden, die "derzeit" von anderen Organen oder Organisationen der Vereinten Nationen als dem Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge Schutz oder Hilfe erhalten. "Wenn dieser Schutz oder diese Hilfe aus irgendeinem Grunde wegfällt, ohne daß die Stellung dieser Personen gemäß den bezüglichen Beschlüssen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geregelt ist, so werden diese Personen ipso facto der Vorteile dieses Abkommens teilhaftig."

Gemäß Art. 12 Abs. 1 lit. a Statusrichtlinie - Neufassung ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn er "den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Institution der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge gemäß Artikel 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt. Wird ein solcher Schutz oder Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig geklärt worden ist, genießt er ipso facto den Schutz dieser Richtlinie.

2.4.2. In seinem Urteil vom 19.12.2012, Rs. C-364/11, Mostafa Abed El Karem El Kott ua., Rz 52, entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass Art. 12 Abs. 1 lit. a erster Satz Status-RL so auszulegen ist, dass der Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling in dieser Bestimmung nicht nur bei den Personen vorliegt, die zur Zeit den Beistand der UNRWA genießen, sondern auch bei denjenigen, die diesen Beistand kurz vor Einreichung eines Asylantrags in einem Mitgliedstaat tatsächlich in Anspruch genommen haben. In dieser Entscheidung ist der Gerichtshof der Europäischen Union nicht davon ausgegangen, dass der ‚ipso facto'-Schutz infolge des Wegfalls des Beistandes ‚aus irgendeinem Grund' ausschließlich im Fall individueller Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A der GFK eintritt; er hat vielmehr ausgeführt, dass die nationalen Behörden für ‚die Feststellung, ob der Beistand oder der Schutz im Sinne dieser Bestimmung [...] tatsächlich nicht länger gewährt wird, [...] zu prüfen [haben], ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen' (vgl. VfGH 29.06.2013, U 674/2012).

2.4.3. Im Verfahren vor dem BFA legte die Erstbeschwerdeführerin mit dem "Family Record" ein Dokument vor, welches nahelegt, dass die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen, aber auch (ungeachtet ihrer syrischen Staatsangehörigkeit) sie selbst noch vor Kurzem den Beistand von UNRWA tatsächlich in Anspruch genommen haben.

2.4.4. Gleichwohl hat es die belangte Behörde unterlassen, den Antrag Beschwerdeführerinnen auf internationalen Schutz auf Basis von Art. 12 Abs. 1 lit. a QualifikationsRL sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu prüfen.

2.4.5. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde somit Feststellungen zu treffen haben, aufgrund derer beurteilt werden kann, ob die Beschwerdeführerinnen bzw. welche von ihnen den Schutz von UNRWA in der Vergangenheit tatsächlich in Anspruch genommen haben sowie ob sie gezwungen waren, das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, was dann der Fall wäre, wenn sie sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden haben und es UNRWA unmöglich war, ihnen in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der von UNRWA obliegenden Aufgabe im Einklang stehen, und ob es den Beschwerdeführerinnen zumutbar ist, in das Einsatzgebiet von UNRWA zurückzukehren. Hinzuweisen ist dabei darauf, dass die rechtskräftige Zuerkennung von subsidiärem Schutz der Annahme, ein Asylwerber könne weiterhin den Schutz durch UNRWA genießen, entgegensteht (vgl. etwa VfGH 29.06.2013, U 674/2012; 22.9.2017, E 1965/2017 sowie VwGH 01.03.2018, Ra 2017/19/0273).

2.5. Die genannten Ermittlungen sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für eine abschließende Beurteilung der - hier gerade nicht ausschließlich mit Blick auf das Vorliegen einer individuellen Verfolgung iSd Art 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu beurteilenden (vgl. VfGH 18.09.2014, U 73/2014) - Frage, ob den Beschwerdeführerinnen der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 zu gewähren ist, notwendig. Da zu den offenen Fragestellungen umfassende Ermittlungen erforderlich sind, macht das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch, zumal das BFA - wie bereits unter Punkt 2.3. ausgeführt - eine Staatendokumentation zu führen hat, in der für das Verfahren vor dem Bundesamt relevante Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen festzuhalten sind.

2.6. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3. Zu Spruchpunkt B):

3.2. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

3.3. Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde
Sachverhaltsfeststellung, UNRWA

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W176.2171206.1.00

Zuletzt aktualisiert am

21.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten