Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des I in Hönigsberg, geboren 1950, vertreten durch Dr. Johannes Sammer, Rechtsanwalt in 8680 Mürzzuschlag, Königsbrunngasse 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 15. Juli 1997, Zl. Fr 812/96, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger von Afghanistan, der am 4. März 1996 in das Bundesgebiet eingereist war und am 6. März 1996 einen Asylantrag gestellt hatte, gab bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt im Wesentlichen Folgendes an: Er habe mit seiner Familie Afghanistan verlassen, da er unter dem Regime von Nadjibullah als Offizier tätig gewesen sei. Nach dem Umsturz 1992 und der Machtergreifung durch die Mudjaheddin habe er sich nur mehr versteckt aufhalten können. Bereits 1991 habe ihn ein - in der Folge namentlich genannter - Angehöriger der Mudjaheddin bedroht und erklärt, der Beschwerdeführer müsse seine Tätigkeiten für Nadjibullah einstellen, weil er sonst getötet werden würde. Er, der Beschwerdeführer, habe jedoch erst nach dem Umbruch die Tätigkeiten für Nadjibullah eingestellt, weshalb er befürchtet habe, dass die Drohung wahr gemacht werden könnte. Er sei daher Anfang 1993 aus Kabul geflüchtet, und zwar in den Grenzraum zwischen Afghanistan und Pakistan, wo er sich bis Anfang 1996 bei einem Freund aufgehalten habe. Da dieser Freund in Erfahrung habe bringen können, dass den Mudjaheddin nunmehr der derzeitige Aufenthaltsort des Beschwerdeführers bekannt geworden sei, habe er Afghanistan verlassen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers ab, eine dagegen erhobene Berufung an den Bundesminister für Inneres blieb erfolglos. Im Rahmen des in der Folge eingeleiteten Ausweisungsverfahrens stellte der Beschwerdeführer bezogen auf sein Heimatland einen Feststellungsantrag nach § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992. Zu diesem Antrag am 25. Februar 1997 befragt verwies er im Wesentlichen auf seine Aussage im Asylverfahren.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 15. Juli 1997 wurde gemäß § 54 Abs. 1 FrG festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan gemäß § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Afghanistan sei somit zulässig.
Dies begründete die belangte Behörde im Ergebnis damit, dass nicht ersichtlich sei, inwieweit eine 1991 abgegebene Drohung seitens einer Einzelperson zum nunmehrigen Zeitpunkt Verfolgungshandlungen gegen den Beschwerdeführer nach sich ziehen solle. Dies erscheine umso unwahrscheinlicher, als sowohl bis zur Abreise des Beschwerdeführers in die Grenzregion zu Pakistan 1993 als auch danach in keiner Weise von einer Verwirklichung dieser Drohung die Rede gewesen sei. Ebenso wenig sei den Ausführungen des Beschwerdeführers zu entnehmen, dass sich die - angeblich von einem Freund mitgeteilte - Kenntnis der Mudjaheddin bezüglich des Aufenthalts des Beschwerdeführers in konkreten, speziell gegen ihn ergriffenen Verfolgungsmaßnahmen geäußert hätte. Es sei daher davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan dort mit keinen Verfolgungen aus den im § 37 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG genannten Gründen zu rechnen habe. Der vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund geltend gemachte Sachverhalt erweise sich weder "unter dem Gesichtspunkt der Intensität der Maßnahme" noch unter jenem des Zusammenhanges mit den in § 54 FrG genannten Gründen als geeignet, wohl begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen. Hätten die Mudjaheddin tatsächlich ein Interesse an der Verfolgung des Beschwerdeführers gehabt, so hätten sie sich wohl nicht damit begnügt, ihm mit einer Festnahme oder Tötung zu drohen; es wären sicher "probatere Mittel" eingesetzt worden. Überdies sei die Drohung bereits 1991 erfolgt. Dass die Mudjaheddin ihre Drohung wahrmachen könnten, stütze sich nur auf Vermutungen, ohne dass diesbezüglich konkretere Aussagen gemacht werden könnten. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, dass die gegen ihn gerichteten Drohungen aus politischen Gründen erhoben worden seien, sei ihm entgegenzuhalten, dass selbst für den Fall des Zutreffens einer Furcht, von anders Denkenden getötet zu werden, nicht daraus geschlossen werden könne, dass die befürchtete Verfolgungshandlung staatlichen Stellen zuzurechnen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes "sowie" wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde, die von der Erstattung einer Gegenschrift absah, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte Kostenzuspruch.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 leg. cit. die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der im § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 96/21/0642, mwN).
Die Beschwerde macht zu Recht geltend, dass sich die belangte Behörde mit dem in der Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Feststellungsbescheid erstatteten Vorbringen nicht auseinander gesetzt hat. Dieses Vorbringen lautete dahin, dass der Beschwerdeführer aus Angst vor Verfolgung seitens der afghanischen Regierung geflüchtet sei. Er sei Offizier der afghanischen Armee gewesen. Im Fall der Abschiebung drohe ihm in Afghanistan eine sehr harte Strafe oder sogar die Todesstrafe wegen Desertion und Staatsverrat. In Afghanistan herrsche eine bürgerkriegsähnliche Situation. Unschuldige Menschen würden verschleppt, verfolgt und ermordet. Die Situation sei für ihn, den Beschwerdeführer, besonders kritisch, weil er als Offizier der afghanischen Armee und als Deserteur eine enorm harte Strafe bekommen werde.
Dieses Vorbringen ist im Zusammenhang mit der - von der belangten Behörde nicht als unglaubwürdig qualifizierten - Aussage vor dem Bundesasylamt zu sehen, wonach der Beschwerdeführer bis zum "Umsturz" im Jahr 1992 Offizier im Regime des Nadjibullah gewesen sei. Es kann daher nur so verstanden werden, dass ihm im Hinblick auf seine vormalige Tätigkeit für dieses Regime seitens der neuen Machthaber in Afghanistan Verfolgung - die sich mithin als solche aus Gründen seiner politischen Ansichten manifestiert (§ 37 Abs. 2 FrG) - drohe. Dass eine etwaige Verfolgung ehemaliger Amtsträger, ihrer Intensität nach als bis zur Todesstrafe reichend umschrieben, gemäß seinem Vorbringen gerade für den Beschwerdeführer nicht bloß als hypothetische Möglichkeit, sondern als Befürchtung mit realem Hintergrund zu betrachten wäre, folgert aus der seitens der Mudjaheddin dem Beschwerdeführer gegenüber abgegebenen Todesdrohung. Sie war eindeutig - so das von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogene Vorbringen des Beschwerdeführers - auf seine Tätigkeit als Offizier in der Armee Nadjibullahs bezogen und dokumentierte, dass der Beschwerdeführer den seinerzeitigen politischen bzw. militärischen Gegnern und späteren Machthabern namentlich bekannt war. Dass dem Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan Anfang 1996 keine Verfolgungshandlungen widerfahren sind, spricht nicht gegen die von ihm behauptete Gefährdung oder die Ernsthaftigkeit der schon 1991 geäußerten Drohung. Der Beschwerdeführer hat nämlich auch angegeben, sich nach dem Umsturz 1992 versteckt gehalten und Anfang 1993 mit seiner Familie bei einem Freund im afghanisch/pakistanischen Grenzgebiet untergekommen zu sein. Als ihm von seinem Freund mitgeteilt worden sei, dass die Mudjaheddin über seinen Aufenthaltsort Kenntnis erlangt hätten - was im Übrigen eine Suche nach dem Beschwerdeführer indiziert -, sei er ins Ausland geflohen. Im Hinblick auf diesen Ablauf bleibt aber für die von der belangten Behörde vermisste "Verwirklichung" der dem Beschwerdeführer gegenüber abgegebenen Drohung kein Raum, hätte eine derartige "Verwirklichung" bzw. das Setzen speziell gegen den Beschwerdeführer gerichteter Verfolgungsmaßnahmen doch jedenfalls das Wissen um seinen Aufenthalt vorausgesetzt. Dass er aber auch vor seinem Untertauchen (von 1991 bis zum Umsturz 1992) unbehelligt geblieben ist, lässt sich ohne weiteres durch seine Stellung als Offizier in der damals noch regulären Armee des Nadjibullah erklären und sagt nichts über das Bedrohungsszenario nach dem Machtwechsel aus. Aus denselben Gründen lässt sich dem Beschwerdeführer auch nicht entgegenhalten, die Mudjaheddin hätten bei tatsächlich bestehendem Verfolgungswillen "sicher probatere Mittel" gegen den Beschwerdeführer eingesetzt.
Wenn die belangte Behörde damit argumentiert, dass der "als Fluchtgrund genannte Sachverhalt" nicht ausreichend intensiv sei, um "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft zu machen", so ist dies im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer angedrohte Tötung nicht nachvollziehbar. Gleichfalls nicht nachvollziehbar ist angesichts des 1992 erfolgten Umsturzes die Überlegung, dass die vom Beschwerdeführer befürchtete Verfolgungshandlung nicht von staatlichen Stellen ihren Ausgangspunkt nehme. Im Übrigen ist an die eingangs genannte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu erinnern, wonach eine maßgebliche Gefährdung und/oder Bedrohung im Sinn des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG auch dann vorliegt, wenn die Gefahr zwar nicht vom Staat ausgeht, aber von diesem gebilligt wird oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbar ist (vgl. etwa auch das gleichfalls Afghanistan betreffende hg. Erkenntnis vom 12. Februar 1999, Zl. 95/21/0920).
Nach dem Gesagten hat der Beschwerdeführer eine maßgebliche Gefährdung im Sinn des § 37 FrG dargetan. Da er unbestritten bislang noch keine Verfolgung erdulden musste und daher insoweit keinen konkreten Geschehensablauf darzustellen vermochte, kann von ihm nicht verlangt werden, er müsse eine ihm drohende, Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung oder Bestrafung belegen. Hingegen ist vor dem Hintergrund der die Behörde treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht von dieser zu fordern, dass sie das Vorbringen des Beschwerdeführers durch Nachforschungen über die Behandlung von Personen in Afghanistan, die sich in einer seiner Lage vergleichbaren Situation befinden, einer Überprüfung unterzieht. Als mögliche Informationsquellen kämen z.B. Anfragen an österreichische Vertretungsbehörden in der Region in Betracht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1998, Zl. 97/21/0867).
Indem die belangte Behörde unter Außerachtlassung des Berufungsvorbringens des Beschwerdeführers von einem Ermittlungsverfahren absah, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 15. Oktober 1999
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1997210719.X00Im RIS seit
20.11.2000