TE Bvwg Beschluss 2018/7/23 W105 2169789-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.07.2018
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Entscheidungsdatum

23.07.2018

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §61

Spruch

W105 2169790-2/7E

W105 2169789-2/7E

W105 2169786-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BENDA als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.)

XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. der Russischen Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.02.2018, Zlen 1.) 1141838503/170138409,

2.) 1141839402/170138417, und 3.) 1141839707/170138425, beschlossen:

A)

Den Beschwerden wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-VG idgF stattgegeben, die Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz werden zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Die Erstbeschwerdeführerin ist die gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- bis Drittbeschwerdeführer; die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation. Die Erstbeschwerdeführerin beantragte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 31.01.2017 für sich selbst sowie für die weiteren Beschwerdeführer die Gewährung internationalen Schutzes. Die Erstbeschwerdeführerin verfügte über ein Visum der Kategorie C mit Gültigkeitszeitraum vom 15.12.2016 bis 15.06.2017, ausgestellt durch italienische Vertretungsbehörden.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.02.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie mit ihren Kindern ihren Herkunftsstaat am 27.01.2017 mit dem Zug verlassen hätte. Sie wäre über Moskau und Weißrussland durch unbekannte Länder hierher gereist. Aus unerklärlichen Gründen sei sie trotz des Besitzes eines italienischen Visums in Italien sofort mit dem nächsten Flugzeug nach Russland "zurückgeschickt" worden. Sie habe nach Österreich wollen, da ihre Schwester hier lebe und sie hoffe, dass ihre ältere Schwester ihren Kindern helfen könne, da diese krank wären. Die minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer wurden altersbedingt nicht einvernommen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA") richtete am 02.02.2017 ein auf Art. 12 Abs. 2 oder 3 der Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: "Dublin III-VO") gestütztes Aufnahmegesuch an Italien.

Mit Schreiben vom 21.04.2017 teilte die österreichische Dublin-Behörde Italien mit, dass auf Grund der nicht fristgerecht erfolgten Antwort gemäß Artikel 22 Absatz 7 der Dublin III-Verordnung eine Verfristung eingetreten und Italien nunmehr, beginnend mit 03.04.2017, zuständig für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens sei.

Im Rahmen der Einvernahme durch das Bundesamt vom 10.05.2017 gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass ihre Angaben auch für ihre Kinder gelten würden. Hinsichtlich ihres gesundheitlichen Zustandes gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie Schmerzen in der Brust hätte und aus diesem Grund einen Termin für eine Mammographie habe. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes ihrer Kinder gab sie an, dass ihre Tochter (Drittbeschwerdeführerin) ein neurologisches Problem habe und oft schreie. Ihr Sohn (Zweitbeschwerdeführer) sei taubstumm. Hinsichtlich etwaiger verwandtschaftlicher Anknüpfungspunkte im EU-Raum gab sie an, dass zwei Schwestern in Frankreich leben würden und eine Schwester in Österreich. Diese wäre anerkannter Flüchtling. Sie habe eine gute Beziehung zu ihrer Schwester in Österreich und könne ohne diese nicht leben. Ihre Schwester begleite sie zu allen ärztlichen Terminen. Als sie mit ihrer Tochter im Krankenhaus gewesen sei, habe ihre Schwester auf ihren Sohn aufgepasst. Ihre Schwester komme jeden Tag nach Traiskirchen. In das Lager dürfe diese nicht, sie würden sich immer draußen treffen. Ihre Schwester gebe ihr jede Woche € 40,00. Sie selbst sei aber vom österreichischen Staat abhängig. Bevor sie selbst nach Österreich gereist wäre, habe sie mit ihrer Schwester zwei bis drei Mal im Monat telefonischen Kontakt gehabt. Befragt, wie lange sie in Italien aufhältig gewesen sei, gab sie an, dass sie mit dem Flugzeug nach Italien gekommen sei, jedoch von den italienischen Behörden wieder nach Russland zurückgeschickt worden sei.

Nach dem Vorhalt, dass mit Italien ein Konsultationsverfahren eingeleitet worden wäre und Italien in ihrem Fall ihrer Übernahme zugestimmt habe und der Frage, was ihrer Überstellung sowie der ihrer Kinder nach Italien entgegenstünde, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie gern in Österreich bleiben würde, da sie zwei kranke Kinder habe und ihre Schwester hier lebe und ihr immer helfe. Ohne ihre Schwester könne sie nicht zurechtkommen. Sie habe Angst, dass man sie im Falle einer Abschiebung nach Italien nach Russland abschiebe.

Vorgelegt wurde ein Konvolut an ärztlichen Befunden betreffend die Erstbeschwerdeführerin.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in weiterer Folge einer ärztlichen Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und psychosomatische und psychotherapeutische Medizin zugeführt und kam die medizinische Sachverständige in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 26.07.2017 zum Ergebnis, dass anhand der vorliegenden ärztlichen Befunde kein Hinweis auf eine bösartige oder sonstige akut behandelbare Krankheit bei der Erstbeschwerdeführerin vorliege. Mastodynie seien Schmerzen, meist durch hormonelle Dysbalance bedingt oder hätten diese ihre Ursache in psychischen Belastungen.

Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer wurde ebenso einer ärztlichen Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und psychosomatische und psychotherapeutische Medizin zugeführt und kam die medizinische Sachverständige in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 26.07.2017 aufgrund der vorliegenden Befunde betreffend den Zweitbeschwerdeführer zusammenfassend zum Ergebnis, dass bei diesem eine Schwerhörigkeit und eine Sprachentwicklungsverzögerung größeren Ausmaßes gegeben sei. Aufgrund des Einnässens werde der Zweitbeschwerdeführer mit Minirin medikamentös behandelt.

Mit Bescheiden vom 16.08.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 12 Abs. 3 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht durch den bevollmächtigen Vertreter der Beschwerdeführer Beschwerde erhoben. Begründend wurde im Wesentlichen sinngemäß geltend gemacht, dass die Feststellung in den angefochtenen Bescheiden, wonach die Erstbeschwerdeführerin an keiner schweren körperlichen Krankheit oder schweren psychischen Störung leide, insofern verfehlt wäre, als ihr behandelnder Psychiater in einem psychotherapeutischen Befundbericht vom 30.08.2017 sehr wohl festgestellt habe, dass sie an einer schweren depressiven Verstimmung, Echoerinnerungen, Überempfindlichkeit, Schreckhaftigkeit, Antriebsverschiebungen, Tagesschwankungen, Ein- und Durchschlafstörungen, Wahnphänomenen, Todesgedanken, Selbstmordgedanken, seriellen Panikattacken, Grübeln und Zweifeln leide. Die Tochter der Erstbeschwerdeführerin leide an einer Intelligenzminderung mit autistischen Zügen, an veritablen Sehstörungen und werde diese aktuell an der Augenabteilung XXXX behandelt. Ähnlich seien auch die Probleme des Sohnes. Beantragt werde daher, die angefochtenen Bescheide zu beheben und die Anträge auf internationalen Schutz zuzulassen.

Vorgelegt wurde ein fachpsychotherapeutischer Befundbericht vom 30.08.2017 betreffend die Erstbeschwerdeführerin.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.09.2017, Zlen. W 2169790-1/2Z, W243 2169789-1/2Z, W243 2169786-1/2Z, wurde den Beschwerden gemäß § 17 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.10.2017, Zlen. W 2169790-1/3E, W243 2169789-1/3E, W243 2169786-1/3E, wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 2. Satz BFA-VG stattgegeben und wurden die bekämpften Bescheide wurden behoben.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich die belangte Behörde nur oberflächlich mit dem aktuellen Gesundheitszustand des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers sowie der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin auseinandergesetzt habe und zu prüfen wäre, ob eine Einzelfallprüfung in den gegenständlichen Verfahren nicht einen Selbsteintritt gebieten würde.

In weiterer Folgen wurden zwei weitere fachpsychotherapeutische Befundberichte vom 24.11.2017 sowie vom 06.12.2017 betreffend die Erstbeschwerdeführerin sowie diverse Befundberichte betreffend den mj. Zweitbeschwerdeführer sowie die mj. Drittbeschwerdeführerin vorgelegt.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in weiterer Folge erneut einer ärztlichen Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und psychosomatische und psychotherapeutische Medizin zugeführt und führte die medizinische Sachverständige in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 17.01.2018 zusammenfassend aus, dass wohl bei der Erstbeschwerdeführerin eine große Belastung aufgrund der beiden kranken Kinder vorliege, jedoch keine Hinweise auf eine bei ihr vorliegende posttraumatische Belastungsstörung gegeben seien. Die Symptome der Anpassungsstörung seien als depressive Reaktion auf diese Belastung interpretierbar. Es wären therapeutische und medizinische Maßnahmen anzuraten.

Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer wurde in weiterer Folge erneut einer ärztlichen Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und psychosomatische und psychotherapeutische Medizin zugeführt und führte die medizinische Sachverständige in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 17.01.2018 zusammenfassend aus, dass mit diesem aufgrund dessen Schwerhörigkeit bzw. bei der einseitigen gänzlichen Taubheit eine Kommunikation nicht möglich sei, sodass nicht gesagt werden könne, ob bei ihm eine Entwicklungsstörung oder Intelligenzeinbuße gegeben sei.

Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin wurde am 25.01.2018 einer ärztlichen Untersuchung durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und psychosomatische und psychotherapeutische Medizin zugeführt und führte die medizinische Sachverständige in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 31.01.2018 unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde betreffend die minderjährige Drittbeschwerdeführerin zusammenfassend aus, dass es sich um ein früh geborenes Mädchen (28. SSW) mit Untergewicht und Sauerstoffmangel während der Geburt handle, welches sich in weiterer Folge verzögert entwickelt habe und bleibende Schäden des Gehirns davongetragen habe. Die aus den Befunden erkennbaren Symptome würden sowohl starke kognitive und motorische Einbußen, aber auch Auffälligkeiten im Verhalten und in der Interaktion (Autistische Züge) umfassen. Es sei eine mannigfache Förderung auf ergo-, physio- und logopädischem Sektor notwendig. Weiters benötige die Mutter vermutlich auf Dauer Unterstützung bei der Betreuung des Kindes. Das Kind benötige vermutlich lebenslange Betreuung. Eine Überstellung sei nur dann möglich, wenn alle diese Maßnahmen im Zielland angeboten und von der Familie niederschwellig erreicht werden könnten.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 11.01.2018 gab die Erstbeschwerdeführerin auf die Frage nach dem Gesundheitszustand ihrer Kinder an, dass ihre Kinder psychische Probleme hätten. Ihre Tochter habe neurologische Probleme und schreie oft. Ihr Sohn sei taubstumm, höre jedoch jetzt ein bisschen, da er operiert worden sei. Er mache ins Bett. Ihre Tochter leide unter einer Intelligenzminderung und habe autistische Züge und habe diese Flüssigkeit im Gehirn. Obwohl ihre Tochter Medikamente nehme, sei sie nervös und aggressiv. In Bezug auf etwaige in Österreich lebende Angehörige gab die Erstbeschwerdeführerin erneut an, dass eine ihrer Schwestern in Österreich lebe. Sie habe jeden Tag telefonischen Kontakt zu ihrer Schwester (wie auch zu ihren in Frankreich lebenden Schwestern). Ihre in Österreich wohnhafte Schwester begleite sie zu allen Terminen, übersetze für sie bei Arztterminen und unterstütze sie bei der Betreuung ihrer Kinder. Ihre Schwester komme jeden Tag nach Traiskirchen.

Nach Vorhalt, dass Italien im Rahmen des Konsultationsverfahrens ihrer Übernahme bzw. jener ihrer Kinder zugestimmt habe und der Frage, was ihrer Überstellung nach Italien entgegenstünde, gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie gerne in Österreich bleiben würde, weil sie zwei kranke Kinder habe. Sie habe selbst psychische Probleme. Hier in Österreich bekomme sie große Unterstützung ihrer Schwester, diese helfe ihr mit ihren Kindern, helfe ihr mental und gehe mit ihr zu den ärztlichen Untersuchungen. Ohne Unterstützung ihrer Schwester schaffe sie es nicht. Sie habe überhaupt Angst, da sie schon einmal von Italien abgeschoben worden sei.

Mit Bescheiden vom 20.02.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 12 Abs. 2 oder 12 Abs. 3 iVm Art. 22 Abs. 7 der Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführer gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde festgestellt, dass nicht festgestellt werden könne, dass im Falle der Beschwerdeführer schwere psychische Störungen und/oder ansteckende Krankheiten bestünden. Es sei gewährleistet, dass eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien dies nicht zulassen würde. Italien habe der Übernahme der Beschwerdeführer zugestimmt und könne ein zuständigkeitsbeendendes Sachverhaltsmerkmal nicht festgestellt werden. Ein Abhängigkeitsverhältnis zu der in Österreich lebenden Angehörigen der Beschwerdeführer habe nicht festgestellt werden können. Es stehe fest, dass die Beschwerdeführer von der in Österreich lebenden Schwester der Erstbeschwerdeführerin über einen langen Zeitraum getrennt gewesen seien. Es sei nicht vorgebracht worden, dass zwischenzeitig ein Familienleben neu begründet worden wäre. Es handle sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine volljährige Frau und könne im Einzelfall nicht von einer entsprechenden Notwendigkeit ihrer Person, in Österreich zu verbleiben, ausgegangen werden. Eine Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien würde keinen schwerwiegenden Eingriff nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen, zumal auch keine Integrationsverfestigung der Beschwerdeführer gegeben sei. Es würden keine Gründe dafür vorliegen, dass die Beschwerdeführer Gefahr laufen würden, in Italien Folter oder unmenschlicher Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihre Rechte gemäß Art. 3 EMRK verletzt würden.

In der gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerde brachten die Beschwerdeführer vor, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, Italien über die psychische Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin sowie die schweren Erkrankungen bzw. Behinderung des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin zu informieren. Aufgrund der besonderen Vulnerabilität der Beschwerdeführer hätte die belangte Behörde eine Einzelfallzusicherung bezüglich einer adäquaten Unterbringung und (medizinischen) Versorgung der Beschwerdeführer einholen müssen. Da im gegenständlichen Fall keine derartigen individuellen Garantien seitens der italienischen Behörden für ihre Unterbringung und Versorgung vorliegen würden, sei das Verfahren mit Mangelhaftigkeit belastet. Ihre Überstellung würde die Beschwerdeführer in ihren Rechten gemäß Art. 3 EMRK verletzen. Zudem ignoriere die belangte Behörde, dass die Beschwerdeführer in Österreich eine intensive familiäre Bindung zu der in Österreich lebenden Schwester der Erstbeschwerdeführerin hätten, zu welcher ein Abhängigkeitsverhältnis vorliege. Die von der belangten Behörde durchgeführte Beweiswürdigung entspreche nicht den Erfordernissen einer schlüssigen Beweiswürdigung und sei die daraus folgende rechtliche Beurteilung unrichtig.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und reiste die Erstbeschwerdeführerin mit ihren zwei minderjährigen Kindern über Weißrussland über unbekannte Länder schließlich nach Österreich, wo sie am 31.01.2017 für sich und als gesetzliche Vertreterin für ihre Kinder Asyl beantragte.

Das BFA führte ein Konsultationsverfahren mit Italien und stimmte Italien durch Unterlassen einer fristgerechten Antwort der Aufnahme der Beschwerdeführer gem. Art. 22 Abs. 7 iVm Art. 12 Abs. 2 oder 3 Dublin III-VO stillschweigend zu.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Einreise in Italien in die Russische Föderation abgeschoben wurden.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode und wird aktuell mit Saroten sowie Truxal medikamentös behandelt und steht sie diesbezüglich in regelmäßiger fachärztlicher Betreuung. Der minderjährige Zweitbeschwerdeführer leidet an Enuresis nocturna (Bettnässen) sowie Enkopresis (nächtliches Einkoten) sowie an einer Innenohrschwerhörigkeit und Sprachentwicklungsverzögerungen bei einer Cochlea Implantation (Implantation eines Sprachprozessors). Er wird in Bezug auf das nächtliche Einnässen medikamentös mit Minirin behandelt. Die minderjährige Drittbeschwerdeführerin leidet an Hydrocephalus internus (Wasserkopf), einer Intelligenzminderung mit autistischen Zügen und wird medikamentös mit Risperdal behandelt. Die bei der Drittbeschwerdeführerin vorliegende schwere geistige Behinderung manifestiert sich in häufigen und lang andauernden Schreianfällen, Unruhezuständen und Unberechenbarkeit im Verhalten. Die Drittbeschwerdeführerin zeigt sich weiters auto- und fremdaggressiv und leidet an wiederkehrenden Krampfanfällen.

Die Schwester der Erstbeschwerdeführerin, XXXX , geb. XXXX , genießt den Flüchtlingsstatus in Österreich und unterstützt die Erstbeschwerdeführerin bei der Bewältigung des Alltags und insbesondere bei der Betreuung ihrer minderjährigen Kinder, während diese ihre ärztlichen Behandlungs- bzw. Untersuchungstermine wahrnimmt. Ein gemeinsamer Haushalt zwischen den Beschwerdeführern und der in Österreich lebenden Schwester der Erstbeschwerdeführerin liegt nicht vor.

Die Beschwerdeführer sind seit spätestens 12.03.2018 unbekannten Aufenthaltes und nicht mehr im Bundesgebiet aufrecht gemeldet.

Mit Schreiben vom 13.03.2018 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegenüber der italienischen Partnerbehörde das Untertauchen der Antragsteller und sohin die Fristerstreckung im Einklang mit Art. 29 Absatz 2 der Dublin - III - Verordnung mit.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Reiseweg ergeben sich aus dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin. Die Feststellungen zum Konsultationsverfahren mit Italien ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Feststellung bezüglich der den Beschwerdeführern ausgestellten italienischen Schengenvisa ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt der Erstbeschwerdeführerin einliegenden Abgleichsbericht des VIS-Systems des Bundesministeriums für Inneres vom 01.02.2017, wonach die Erstbeschwerdeführerin im Besitz eines von 15.12.2016 bis 15.06.2017 gültigen italienischen Schengen-Visums, ausgestellt von der konsularischen Vertretungsbehörde in Moskau, gewesen ist.

Soweit die Erstbeschwerdeführerin angegeben hat, dass sie und ihre Kinder nach ihrer Ankunft in Italien von dort trotz eines gültigen italienischen Visums in die russische Föderation abgeschoben worden seien, erscheinen diese völlig unsubstantiierten Angaben nicht glaubwürdig und angesichts des nachweislich zum behaupteten Einreisezeitpunkt noch gültigen Visums objektiv nicht nachvollziehbar.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführer ergeben sich aus den im Akt einliegenden medizinischen Unterlagen.

Die Feststellung, dass der Schwester der Erstbeschwerdeführerin in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, entspricht dem Amtswissen (Einsichtnahme in das zentrale Informationssystem) und den damit übereinstimmenden Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

Ebenfalls aus dem glaubwürdigen Vorbringen der Beschwerdeführer ergeben sich die Feststellungen zu dem Umstand, dass die in Österreich lebende Schwester der Erstbeschwerdeführerin diese bei der Betreuung ihrer minderjährigen Kinder und der Bewältigung des Alltags unterstützt.

Die Feststellung, dass zwischen den Beschwerdeführern und der Schwester der Erstbeschwerdeführerin kein gemeinsamer Haushalt besteht, entspricht dem Amtswissen Einsichtnahme in das zentrale Melderegister) und ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer seit 12.03.2018 unbekannten Aufenthaltes sind, entspricht dem Amtswissen (Einsichtnahme in das zentrale Melderegister). Die Feststellung, dass die italienischen Behörden vom BFA am 13.03.2018 von diesem Umstand in Kenntnis gesetzt wurden und deshalb um eine Ausdehnung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO Dublin III-VO auf 18 Monate ersuchten, ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Schreiben der österreichischen Dublin-Behörde vom 13.03.2018.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 144/2013 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Im vorliegenden Fall ist gemäß ihres Art. 49 (Inkrafttreten und Anwendbarkeit) die Dublin III-VO anzuwenden:

Art. 49

Inkrafttreten und Anwendbarkeit

Diese Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Die Verordnung ist auf Anträge auf internationalen Schutz anwendbar, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten gestellt werden und gilt ab diesem Zeitpunkt - ungeachtet des Zeitpunkts der Antragstellung - für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern. Für einen Antrag auf internationalen Schutz, der vor diesem Datum eingereicht wird, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach den Kriterien der Verordnung (EG) Nr. 343/2003.

Da die Dublin III-VO am 29.06.2013 im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde, trat sie am 19.07.2013 in Kraft und gilt jedenfalls für Anträge wie die vorliegenden, die nach dem 01.01.2014 (nach dem ersten Tag des sechsten Monats nach Inkrafttreten der VO) gestellt wurden.

"KAPITEL II

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN

Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

[...]

KAPITEL III

KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

[...]

Artikel 12

Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

[...]

KAPITEL IV

ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN

Art. 16

Abhängige Personen

(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.

(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.

(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.

(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.

Art. 17

Ermessensklauseln

(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.

Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.

(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.

Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.

Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Vorab ist auszuführen, dass in Bezug auf die Beschwerdeführer untereinander ein Familienverfahren gem. § 34 AsylG 2005 zu führen ist.

Es ist zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat zur inhaltlichen Prüfung eines Asylantrages zuständig ist. In materieller Hinsicht wäre die Zuständigkeit Italiens zur Prüfung der Asylanträge der Beschwerdeführer in Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO begründet, da die Beschwerdeführer mittels seitens italienischer Vertretungsbehörden ausgestellter Schengen-Visa in das Schengengebiet eingereist sind und diese Visa zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung gültig waren.

Zur Frage eines allenfalls gebotenen Selbsteintritts Österreichs wird Folgendes ausgeführt: Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Dublin III-VO wird ein Antrag auf internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 7 bis 15) der Dublin III-VO bestimmt wird. Ungeachtet dessen sieht Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Möglichkeit des Selbsteintritts eines Mitgliedstaates vor, auch wenn dieser nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht für die Prüfung zuständig ist.

Da Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keine inhaltlichen Vorgaben beinhaltet, liegt es primär an den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und im Ermessen des einzelnen Mitgliedstaates, unter welchen Voraussetzungen ein solcher Selbsteintritt erfolgt (aus jüngster Zeit: VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua, mit Hinweis auf Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 17 K2).

Auch der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 10. Dezember 2013, Rechtssache C-394/12, Abdullahi, festgehalten, dass Art. 3 Abs. 2 (sogenannte Souveränitätsklausel) und Art. 15 Abs. 1 (humanitäre Klausel) der Verordnung Nr. 343/2003 (diese entsprechen nunmehr Art. 17 Abs. 1 und Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 1 der Dublin III-VO) "die Prärogativen der Mitgliedstaaten wahren" sollen, "das Recht auf Asylgewährung unabhängig von dem Mitgliedstaat auszuüben, der nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien für die Prüfung eines Antrags zuständig ist. Da es sich dabei um fakultative Bestimmungen handelt, räumen sie den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein" (vgl. Rn. 57, mwN).

Nach der Rechtsprechung des VfGH (zB VfGH 17.06.2005, B 336/05; 15.10.2004, G 237/03) und des VwGH (zB VwGH 18.11.2015, Ra 2014/18/0139; 17.11.2015, Ra 2015/01/0114, 2.12.2014, Ra 2014/18/0100, 15.12.2015, Ra 2015/18/0192ua) macht die grundrechtskonforme Interpretation des AsylG 2005 eine Bedachtnahme auf die - in Österreich in Verfassungsrang stehenden - Bestimmungen der EMRK notwendig und es ist aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Selbsteintrittsrecht zwingend auszuüben, sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen einer Überstellung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers bedroht wären.

Die humanitäre Klausel soll va dazu dienen, eine Trennung von Familienangehörigen zu verhindern, die sich aus einer buchstabengetreuen Anwendung der Zuständigkeitsbestimmungen ergeben könnte. Art 17 Abs 2 leg cit ist dabei auf Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung anzuwenden; es ist ein weiter Familien- und Verwandtschaftsbegriff anzuwenden.

Art 17 Abs 2 Dublin III-VO soll ua verhindern, dass bei Anwendung der zwingenden Zuständigkeitskriterien im Einzelfall eine Verletzung des Art 8 EMRK eintritt. Diese wäre in casu aus den nachfolgenden dargestellten Erwägungen der Fall:

Zunächst ist auszuführen, dass die im Verfahren geltend gemachten Umstände jeweils für sich allein betrachtet bei einer Überstellung der Beschwerdeführer nach Italien vor dem Hintergrund der strengen Judikatur des EGMR zu Art. 3 und 8 EMRK und der grundsätzlichen medizinischen Versorgung von Asylwerbern in Italien auf zumindest durchschnittlichem EU-Niveau noch keine Verletzung der diesbezüglichen Rechte der Beschwerdeführer indizieren, zumal die Beschwerdeführer auch nicht geltend gemacht haben, welche konkreten Behandlungen in Österreich möglich sind, die sie aber in Italien nicht erhalten könnten.

In gegenständlichem Fall, dem bei einer Gesamtschau zweifellos ein ganz besonders außergewöhnliches, belastendes Schicksal der Beschwerdeführer zugrunde liegt, greift jedoch eine bloße Einzelbetrachtung der im Verfahren geltend gemachten Umstände zu kurz:

Unstrittig ist, dass die Erstbeschwerdeführerin selbst an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer schweren depressiven Episode leidet. Sie befindet sich diesbezüglich in medikamentöser und regelmäßiger fachärztlicher Behandlung. Unstrittig weisen auch beide Kinder der Erstbeschwerdeführerin, dh. sowohl der siebenjährige Zweitbeschwerdeführer als auch die sechsjährige Drittbeschwerdeführerin einen stark erhöhten Betreuungsbedarf auf, der beim Zweitbeschwerdeführer aus häufigem nächtlichen Einnässen und bei der Drittbeschwerdeführerin aus ihrer schweren geistigen Behinderung mit (u. a.) damit einhergehenden Schreianfällen, auto- und fremdaggressiven Verhalten und Unruhezuständen resultiert. Vor dem Hintergrund der bei allen Beschwerdeführern erforderlichen teils engmaschigen Arztbesuche und dem Umstand, dass die selbst psychisch kranke Erstbeschwerdeführerin Mutter zweier minderjährige Kinder ist, die beide - teilweise schwer - krank sind, erscheint auch für die beiden minderjährigen Zweit- bis Drittbeschwerdeführer nicht zumutbar, ohne eine weitere verwandtschaftliche Bezugsperson ihr Leben in Italien neu zu organisieren, während in Österreich jedenfalls eine Schwester der Erstbeschwerdeführerin aufhältig ist, die die Erstbeschwerdeführerin bei der Bewältigung des Alltags und insbesondere der Betreuung der beiden Kinder unterstützt. Nicht zuletzt indiziert auch der Umstand, dass die Schwester der durch ihre eigene Krankheit sowie die Erkrankungen ihrer beiden minderjährigen Kinder zweifellos stark belasteten Erstbeschwerdeführerin für diese auch eine psychische Stütze ist, eine Abhängigkeit zu der in Österreich befindlichen Angehörigen. Anhaltspunkte dafür, dass die Schwester der Erstbeschwerdeführerin selbst nicht bereit oder in der Lage wäre, ihre in Österreich aufhältigen Angehörigen zu unterstützen, liegen jedoch keine vor.

Umstände, die einer Zusammenführung iSd Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO entgegenstehen könnten, sind nicht aktenkundig.

Es ist nach dem Gesagten in casu jedenfalls vom Vorliegen einer besonderen, über die üblichen Beziehungen zwischen Verwandten hinausgehenden Beziehungsintensität auszugehen.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass in Dublin-Verfahren, in welchen es lediglich um die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfahrens, nicht aber um den geordneten, endgültigen Vollzug fremdenpolizeilicher Bestimmungen geht, die von Art. 8 EMRK geschützten Interessen der Beschwerdeführer "leichter" die öffentlichen Interessen überwiegen können, liegen insgesamt betrachtet Fälle vor, die den Selbsteintritt Österreichs zur Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz der Beschwerdeführer gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO geboten erscheinen lassen und waren die angefochtenen Bescheide daher zu beheben.

Auf das Vorbringen einer möglichen Verletzung von Art 3 EMRK bei Überstellung der Beschwerdeführer nach Polen war daher nicht mehr einzugehen.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im Übrigen trifft § 21 Abs. 3 BFA-VG eine klare, im Sinne einer eindeutigen, Regelung (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.

Schlagworte

gesundheitliche Beeinträchtigung, Selbsteintrittsrecht,
Überstellungsrisiko, Zulassungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W105.2169789.2.00

Zuletzt aktualisiert am

14.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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