TE Bvwg Erkenntnis 2018/8/20 G307 2190275-1

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Veröffentlicht am 20.08.2018
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Entscheidungsdatum

20.08.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

G307 2190275-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geb. am XXXX, StA. Serbien, vertreten durch RA Mag. Stefan ERRATH in 1030 Wien gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.02.2018, Zahl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

1. Mit Schreiben vom 16.08.2017 verständigte die Abteilung XXXX des Magistrats der Stadt XXXX (im Folgenden: XXXX) das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, RD Wien) darüber, dass bei der Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) die Anforderungen für einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet gemäß § 55 Abs. 3 NAG nicht mehr vorlägen. Zugleich wurde die Überprüfung der Voraussetzungen für eine möglichen Aufenthaltsbeendigung angeregt.

2. Am 16.02.2018 wurde die BF vor dem BFA zur beabsichtigen Erlassung einer Rückkehrentscheidung, ihren persönlichen Verhältnissen, Aufenthalt im Bundesgebiet und gesetzten Integrationsschritten einvernommen.

3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid des BFA, der BF persönlich zugestellt am 19.02.2018 wurde dieser ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen diese gemäß § 10 abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Serbien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.) sowie der BF gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine 14tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt III.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch den im Spruch genannten Rechtsvertreter (RV) Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde beantragt, gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen, in der Sache selbst zu entscheiden und den bekämpften Bescheid zu beheben, in eventu den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.

4. Die Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 22.03.2018 vorgelegt und langten dort am 26.03.2018 ein.

5. Am 07.06.2018 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher die BF teilnahm und ihre Tochter sowie ihr Exmann als Zeugen einvernommen wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist serbische Staatsbürgerin und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie ist Mutter eines erwachsenen 28jährigen Sohnes, welcher in Serben lebt und einer volljährigen Tochter namens XXXX, geb. am XXXX, welche mit ihr im gemeinsamen Haushalt wohnt. Die Tochter studiert Slawistik und arbeitet nebenbei im geringfügigen Ausmaß als Verkaufsassistentin bei der XXXX in Wien.

1.2. Die BF besuchte in ihrer Heimat 8 Jahre lang die Grundschule und erlernte keinen Beruf. Sie verließ Serbien zuletzt im November 2015, pflegt noch Kontakt zu ihrer dort lebenden Mutter und einigen Freundinnen. Dieser ist jedoch nicht intensiver Natur. Sie ist gesund, arbeitsfähig und derzeit als Reinigungskraft im Vollzeit-Arbeiterverhältnis bei der XXXX beschäftigt. Hiefür bezieht sie einen monatlichen Lohn in der Höhe von rund € 1.500,00 netto monatlich.

1.3. Die BF verfügt über Deutschkenntnisse des Niveaus "A2" und ist strafrechtlich unbescholten.

1.4. Die BF führte ab 2008 mit dem rumänischen Staatsangehörigen XXXX, geb. am XXXX eine Lebensgemeinschaft, schloss mit diesem am XXXX.2015 eine Ehe und war mit diesem bis XXXX.2017 verheiratet. Aufgrund dieser Ehe wurde der BF mit Bescheid der XXXX am 10.03.2016 der Aufenthaltstitel "Angehörige eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers" ausgestellt, welcher bis zum 07.12.2020 gültig ist.

1.5. Das Verhältnis zwischen der BF und ihrem Exmann verschlechterte sich beginnend mit Sommer 2016. Nach einem Zahnarztbesuch in Serbien Ende Juli/Anfang August 2016 begann der Exmann der BF an Wahnvorstellungen und Verfolgungsängsten zu leiden. Er befand sich aus diesem Anlass vom XXXX.2016 bis XXXX.2017 im XXXX in Wien in stationärer Behandlung. Dort wurden ihm (unter anderem) eine auffallend dichte Arteria basilaris, eine Hypodens im Bereich der der Vierhügelplatte, eine mäßige Gefäßsklerose bei sonst altersgemäßem computertomograhischen Gehirnbefund diagnostiziert. Da das daraus resultierende Verhalten des Exmannes gegenüber der BF und deren Tochter unerträglich wurde, begehrte erstere die Scheidung der Ehe, welche am XXXX.2017 rechtskräftig vollzogen wurde.

2. Beweiswürdigung

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Der oben festgestellte Sachverhalt beruht auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht und auf Grund der vorliegenden Akten und einer mündlichen Verhandlung durchgeführten Ermittlungsverfahrens und wird in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität und Staatsbürgerschaft der BF getroffen wurden, ergeben sich diese aus dem unstrittigen Akteninhalt. Die BF legte zum Beweis ihrer Identität einen auf ihren Namen ausgestellten serbischen Reisepass vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Die familiären und persönlichen Umstände der BF, ihr Familienstand, der Schulbesuch in Serbien, der Verbleib der Mutter im Herkunftsstaat, der Kontakt zu dieser und einigen dort noch lebenden Freundinnen, die Existenz eines Sohnes in der Heimat, die Unterkunftnahme der Tochter in der gemeinsamen Wohnung sowie der Beginn der vormaligen Beziehung mit dem Exmann ergeben sich aus den Angaben der BF in deren Einvernahme vor dem BFA, dem Beschwerdeinhalt und dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht. Ferner ist die gemeinsame Haushaltsführung von Mutter und Tochter mit dem Inhalt des jeweiligen Auszuges aus dem Zentralen Melderegisters (im Folgenden: ZMR) in Einklang zu bringen.

Die Ausübung der aktuellen Erwerbstätigkeit der BF und ihrer Tochter folgen dem Inhalt des auf ihren Namen jeweils lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges. Die Höhe des von der BF ins Verdienen gebrachten monatlichen Nettoentgelts ergibt sich aus dem vorgelegten Lohnzettel. Dass die Tochter das Studium der Slawistik belegt wurde von dieser wie von der BF unabhängig voneinander glaubwürdig bestätigt.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF ergibt sich aus dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Deutschkenntnisse des oben angeführten Niveaus wurden durch Vorlage des diesbezüglichen Zertifikats bestätigt.

Der Besitz der unter II.1.4. erwähnten, noch nicht erloschenen Aufenthaltsberechtigung folgt dem Inhalt des auf den Namen der BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Fremdenregister (ZFR).

Beginn und Auslöser der Eheprobleme zwischen dem Exmann der BF und ihr selbst sowie das abnorme Verhalten wurden von ihr in der mündlichen Verhandlung ausführlich geschildert und deckt sich mit den Aussagen der Tochter der BF. Auch der vom XXXX vorgelegte Befund samt Aufenthaltsbestätigung - wodurch dieser als festgestellt gilt - ist damit in Einklang zu bringen. Der Zeitpunkt der Ehescheidung ergibt sich aus dem Inhalt des von der XXXX an das BFA am 16.08.2017 gerichteten Schreiben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zur Stattgabe der Beschwerde:

3.1.1. Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.

Gemäß § 54 Abs. 5 Z 4 NAG bleibt das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllen und es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann.

Gemäß § 51. Abs. 1 NAG sind EWR-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

Der mit "Rückkehrentscheidung" betitelte § 52 FPG lautet:

"§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

(3) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

1. nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,

1a. nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,

2. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

3. ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,

4. der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder

5. das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" verfügt, hat das Bundesamt eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

(7) Von der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 ist abzusehen, wenn ein Fall des § 45 Abs. 1 vorliegt und ein Rückübernahmeabkommen mit jenem Mitgliedstaat besteht, in den der Drittstaatsangehörige zurückgeschoben werden soll.

(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.

(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

(10) Die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 kann auch über andere als in Abs. 9 festgestellte Staaten erfolgen.

(11) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung deren Unzulässigkeit gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigen würde"

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, es sei denn, eine der Voraussetzungen für die Erlassung eines Einreiseverbotes von mehr als fünf Jahren gemäß § 53 Abs. 3 Z 6, 7 oder 8 FPG liegt vor, oder

2. er von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist.

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

3.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 20.10.2016, Zahl Ra 2016/21/0224 betont, dass dann, wenn sich im Zuge einer Vorgangsweise nach § 25 NAG 2005 die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - aus welchem Grund bzw. auf welche Dauer auch immer - als unzulässig erweist, die Niederlassungsbehörde gemäß § 25 Abs. 2 dritter Satz NAG 2005 "einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen", das heißt dem Verlängerungsantrag stattzugeben und den bisherigen Aufenthaltstitel erneut (allenfalls aber auch einen anderen nunmehr in Betracht kommenden Titel nach dem NAG 2005) auszustellen habe. Damit bleibt aber weder Platz für eine Duldung, die einen titellosen Aufenthalt voraussetzt, noch für einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005, der nicht neben einen bereits bestehenden Aufenthaltstitel treten kann (vgl. auch § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005, wonach ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn der Drittstaatsangehörige bereits über ein Aufenthaltsrecht - ua - nach dem NAG 2005 verfügt). Davon ausgehend - und weil dem Gesetz nicht unterstellt werden kann, es ordne Überflüssiges an - ist § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass (jedenfalls) im Rückkehrentscheidungsverfahren nach § 52 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 die entbehrlichen Aussprüche über die nur vorübergehende oder dauernde Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben haben. Vor dem Hintergrund der gebotenen (eingeschränkten) Lesart des § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 iVm der Anordnung des § 25 Abs. 2 dritter Satz NAG 2005, wonach die Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels nach dem NAG 2005 jedenfalls zu erfolgen hat, aus welchem Grund auch immer die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FrPolG 2005 nicht in Betracht kommt, spricht nichts dagegen, das etwa strittige Vorliegen einer Erteilungsvoraussetzung dahinstehen zu lassen, wenn klar ersichtlich ist, die Interessenabwägung habe ohnehin zu Gunsten des Fremden auszufallen.

3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Wie den Feststellungen entnehmbar ist, war es der BF nicht (mehr) zumutbar, die Ehe mit ihrem Exmann vor dem Hintergrund seines geistig abnormen Verhaltens fortzusetzen. Eine Weiterführung der Ehe hätte wohl auf Seiten der BF (und auch ihrer Tochter) zu massiven, weiteren Beeinträchtigungen ihrer Psyche geführt. Es ist daher davon auszugehen, dass ein ursprüngliches Festhalten an der Ehe eine grobe Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Interessen (hier: ihres Gesundheitszustandes) mit sich gebracht hätte.

Die BF erfüllt damit nicht nur die Voraussetzung des § 54 Abs. 54 Z 4 NAG, sondern auch jene des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG. Sie ist berufstätig, kann sich selbst erhalten und verfügt ferner über Deutschkenntnisse des Niveaus "A1". Im Hinblick auf den Aufenthalt in Österreich seit nahezu 3 Jahren ist zudem - im Zusammenhalt mit ihren beruflichen und sprachlichen Ingegrationsbemühungen - von einem schützenswerten Privat- und Familienleben auszugehen.

Das Bundesamt hat seine Rückkehrentscheidung unzulässiger Weise auf § 52 Abs. 1 Z 1 FPG gestützt. Die BF hielt und hält sich bis dato jedoch rechtmäßig im Bundesgebiet auf, weil sie mit einem EU-Bürger verheiratet war. Vermittelt durch die Rechtswohltat des § 54 Abs. 5 Z 4 FPG blieb ihr auch deren Aufenthaltsrecht erhalten, weshalb der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung nicht angezeigt war.

Der bekämpfte Bescheid war daher - insbesondere unter Heranziehung der vom VwGH unter 3.1.2. geäußerten Rechtsansicht - aufzuheben und spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, ersatzlose Behebung, Gesamtbetrachtung,
psychische Erkrankung, Rückkehrentscheidung behoben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:G307.2190275.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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