Entscheidungsdatum
24.08.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
W227 2201621-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von XXXX, Erziehungsberechtigter seiner am XXXX geborenen Tochter XXXX, gegen den Bescheid des Landesschulrates für Oberösterreich vom 2. Juli 2018, Zl. 404-25/0628-2018, den Beschluss:
A)
Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Landesschulrat für Oberösterreich zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Am 12. April 2018 beantragte die Schulleiterin der Volksschule XXXX, den sonderpädagogischen Förderbedarf der Tochter des Beschwerdeführers festzustellen.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid sprach der Landesschulrat für Oberösterreich Folgendes aus:
"Für Ihr Kind XXXX, geboren am XXXX, wird der sonderpädagogische Förderbedarf festgestellt.
Die sonderpädagogische Förderung hat ab dem Schuljahr 2018/19 an der Volksschule XXXX zu erfolgen.
In den Pflichtgegenständen Deutsch/Lesen/Schreiben, Mathematik sowie in Sachunterricht ist Ihre Tochter ab sofort nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule zu unterrichten."
Begründend führte der Landesschulrat für Oberösterreich bloß Folgendes aus:
Aus dem Gutachten des Zentrums für Intensiv- und Sonderpädagogik XXXX vom 2. Juli 2018 gehe hervor, dass es der Tochter des Beschwerdeführers trotz intensiver Unterstützung nicht möglich gewesen sei, die Mindestanforderungen des Lehrplanes der Volksschule in den Pflichtgegenständen Deutsch/Lesen/Schreiben, Mathematik sowie in Sachunterricht zu erfüllen. In den betroffenen Pflichtgegenständen könne die Tochter des Beschwerdeführers trotz sehr großer Reduzierung des Stoffangebotes die stark verringerten Vorgaben nicht erfüllen.
3. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. In dieser führt der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er weder von der Zurückstufung seiner Tochter in die Vorschule noch von der Erstellung eines Gutachtens betreffend den Bedarf einer sonderpädagogischen Förderung benachrichtigt worden sei. Da er seine Tochter bloß in unregelmäßigen Abständen von etwa zwei Wochen sehe, sei es schwierig, dass er sie beim Erlernen des geforderten Stoffes unterstütze. Er sehe jedoch, dass seine Tochter kontinuierlich Lernstunden notwendig habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Zu Spruchpunkt A)
1.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.; vgl. auch VwGH 06.07.2016, Ra 2015/01/0123; 25.01.2017, Ra 2016/12/0109, jeweils m.w.H.).
1.2. Gemäß § 8 Abs. 1 Schulpflichtgesetz (SchPfIG) hat der Landesschulrat den sonderpädagogischen Förderbedarf für ein Kind auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes, auf Antrag des Leiters der Schule, dem das Kind zur Aufnahme vorgestellt worden ist oder dessen Schule es besucht oder sonst von Amts wegen festzustellen, sofern dieses infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule, Neuen Mittelschule oder Polytechnischen Schule ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu folgen vermag. Zuständig zur Entscheidung ist der Landesschulrat, in dessen Bereich das Kind seinen Wohnsitz hat; wenn das Kind bereits eine Schule besucht, ist der Landesschulrat, in dessen Bereich die Schule gelegen ist, zuständig. Der Landesschulrat hat zur Feststellung, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf besteht, ein sonderpädagogisches Gutachten sowie erforderlichenfalls ein schul- oder amtsärztliches Gutachten und mit Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten des Kindes ein schulpsychologisches Gutachten einzuholen. Ferner können Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte im Rahmen des Verfahrens Gutachten von Personen, welche das Kind bisher pädagogisch, therapeutisch oder ärztlich betreut haben, vorlegen. Auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten ist eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Der Landesschulrat hat die Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten auf die Möglichkeit der genannten Antragstellungen hinzuweisen.
Sobald bei einem Kind auf die sonderpädagogische Förderung verzichtet werden kann, hat der Landesschulrat gemäß § 8 Abs. 3 SchPflG die Feststellung gemäß Abs. 1 aufzuheben.
Für Kinder, bei denen gemäß § 8 Abs. 1 SchPflG ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt wurde, hat unter Bedachtnahme auf diese Feststellung der Landesschulrat gemäß § 17 Abs. 4 lit. a Schulunterrichtsgesetz (SchUG) zu entscheiden, ob und in welchem Ausmaß der Schüler nach dem Lehrplan einer anderen Schulart zu unterrichten ist. Bei dieser Entscheidung ist anzustreben, dass der Schüler die für ihn bestmögliche Förderung erhält.
1.3. Im Verfahren nach § 8 Abs. 1 SchPflG ist die (zunächst) ausschlaggebende Frage, ob der Schüler infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volks- oder Hauptschule, Neuen Mittelschule oder in der Polytechnischen Schule ohne sonderpädagogische Förderung (weiterhin) nicht zu folgen vermag (vgl. in diesem Sinne Jonak/Kövesi, Das Österreichische Schulrecht, 14. Auflage, Anm. 5a zu § 8 SchPflG).
Beim Wort "Behinderung" im § 8 Abs. 1 SchPflG handelt es sich nicht um einen medizinisch-diagnostischen Begriff, sondern um einen Rechtsbegriff. Das SchPflG selbst enthält dazu keine klarstellende Legaldefinition. Eine solche findet sich jedoch in § 3 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) und der gleich lautenden Bestimmung in § 1 der Einschätzungsverordnung. Demnach ist eine Behinderung die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben (hier Schulleben) zu erschweren. Dabei gilt als nicht nur vorübergehend ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. Aus der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 2 lit. a BEinstG, wonach behinderte Personen, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden nicht als begünstigte Behinderte gelten, ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber grundsätzlich schon davon ausgeht, dass auch dieser Personenkreis von der Legaldefinition im § 3 leg.cit. umfasst ist. Dafür, dass der Gesetzgeber im § 8 Abs. 1 SchPflG von einer anderen Definition des Begriffs "Behinderung" als in § 3 BEinstG auszugehen beabsichtigt, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte, zumal die Teilhabe am Unterrichtsgeschehen mit jener am Arbeitsleben vergleichbar ist (vgl. BVwG 11.05.2015, W128 2008793-1).
Bevor ein Antrag auf Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes durch die Schule zulässig ist, müssen vorerst alle pädagogischen Möglichkeiten des allgemeinen Schulwesens (wie zum Beispiel Förderwesen, Beratung, Wiederholung von Schulstufen) voll ausgeschöpft werden (vgl. Jonak/Kövesi, Das österreichische Schulrecht, 14. Auflage, Anm. 3 zu § 8 SchPflG mit Verweis auf RV 1045, Blg.NR, XVIII. GP).
1.4. Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:
Der Landesschulrat für Oberösterreich stützte sich ausschließlich auf das sonderpädagogische Gutachten vom 2. Juli 2018. Dieses enthält zwar Ausführungen über Lernrückstände und "Problemfelder" der Tochter des Beschwerdeführers in verschiedenen Bereichen, jedoch keine Schlussfolgerungen, ob diese auf Grund einer physischen oder psychischen Behinderung der Tochter des Beschwerdeführers bestehen. Damit wird die im Verfahren nach § 8 Abs. 1 SchPflG ausschlaggebende Frage, ob die Tochter des Beschwerdeführers infolge physischer oder psychischer Behinderung dem Unterricht in der Volksschule ohne sonderpädagogische Förderung nicht zu folgen vermag, nicht geklärt.
Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer, dem die geteilte Obsorge über seine Tochter zusteht (siehe OZl. 9), nicht in das Verfahren betreffend die Einholung eines sonderpädagogischen Gutachtens eingebunden, obwohl hierzu die Zustimmung der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten gemäß § 8 SchPflG erforderlich ist.
Zwar wurden - wie aus den vorliegenden Unterlagen ersichtlich ist - im verfahrensgegenständlichen Fall vorweg inner- und außerschulische Fördermaßnahmen, wie der Besuch der Vorschulstufe, die Differenzierung und Reduzierung hinsichtlich der Aufgabenstellung, ein außerschulisches Aufmerksamkeits- und Lerntraining, Pferdetherapie und Ergotherapie gesetzt (vgl. OZlen. 11 und 16). Es finden sich im angefochtenen Bescheid jedoch keinerlei Ausführungen dahingehend, ob damit auch alle pädagogischen Möglichkeiten - als solche kämen z.B. die Beistellung einer Förderlehrerin, die (freiwillige) Wiederholung der Schulstufe sowie eine schulpsychologische Beratung in Frage - ausgeschöpft wurden bzw. warum diese zusätzlichen Fördermaßnahmen verfahrensgegenständlich nicht zur Anwendung gelangt sind.
1.5. Da somit die erforderlichen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, ist der Sachverhalt in zentralen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Folglich ist das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an den Landesschulrat für Oberösterreich zurückzuverweisen.
2. Zu Spruchpunkt B)
2.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
2.2. Die Revision ist unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt: Dass hier eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG in Betracht kommt, entspricht der oben unter Punkt 1.1. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
3. Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Eltern, Ermittlungspflicht, Fördermaßnahmen, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W227.2201621.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.11.2018