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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ApG 1907 §10 Abs2 Z1 idF 1984/502;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Killian, über die Beschwerde der Mag.pharm. H in Hörsching, vertreten durch Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nussdorferstraße 10-12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 5. Februar 1996, Zl. 262.200/5-II/A/4/95, betreffend Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke (mitbeteiligte Partei: Mag.pharm. I in Traun, vertreten durch Dr. Manfred Meyndt, Dr. Christian Ransmayr und Dr. Dominikus Schweiger, Rechtsanwalts-Partnerschaft OEG in 4020 Linz, Landstraße 42), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug erlassenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei (der Konzessionärin einer öffentlichen Apotheke in Traun) die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke in Traun/Oedt erteilt. Der Einspruch der Beschwerdeführerin (der Konzessionärin einer öffentlichen Apotheke in Hörsching) wurde als unbegründet abgewiesen. Begründend vertrat die belangte Behörde unter Hinweis auf das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1994, Zl. 93/10/0029, und auf Grund einer Stellungnahme des Stadtamtes Traun die Auffassung, dass es sich bei Oedt um eine "Ortschaft" im Sinne des § 24 Abs. 1 ApG handle. Auch die weiteren dort normierten Voraussetzungen, insbesondere jene des "Bedarfes", seien erfüllt. Zum Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, die Zahl der von ihrer Apotheke aus zu versorgenden Personen werde sich infolge der Neuerrichtung der Filialapotheke der Mitbeteiligten verringern und weniger als 5500 betragen, legte die belangte Behörde dar, bei der Bedarfsprüfung gemäß § 24 ApG sei nicht auf § 10 ApG Bedacht zu nehmen; auch aus § 27 ApG seien negative Bedarfsvoraussetzungen für die Bewilligung einer Filialapotheke nicht abzuleiten.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte mit Beschluss vom 11. Juni 1996, B 972/96, die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 24 Abs. 1 Apothekengesetz (ApG) idF der Apothekengesetz-Novelle 1984, BGBl. Nr. 502/1984, ist dem Inhaber einer öffentlichen Apotheke die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine Ortschaft, in der sich keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zu erteilen, wenn diese Ortschaft nicht mehr als vier Straßenkilometer von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke entfernt ist und der Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht.
Die belangte Behörde hält dem Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, infolge der Neuerrichtung der Filialapotheke der Mitbeteiligten werde sich die Zahl der von der öffentlichen Apotheke der Beschwerdeführerin aus zu versorgenden Personen verringern und weniger als 5500 betragen, im angefochtenen Bescheid entgegen, bei der Bedarfsprüfung gemäß § 24 ApG sei nicht auf § 10 ApG Bedacht zu nehmen. Damit bringt die belangte Behörde erkennbar die Auffassung zum Ausdruck, dass sich die Prüfung der Voraussetzungen für die Bewilligung zum Betriebe einer Filialapotheke nicht auf die Frage zu erstrecken habe, ob durch die Errichtung der Filialapotheke die negative Bedarfsvoraussetzung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG verwirklicht werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 24 Abs. 1 ApG idF der ApG Nov 1984 mehrfach ausgesprochen, die Vorschrift normiere die Existenzfähigkeit der bestehenden öffentlichen Nachbarapotheken nicht als Bewilligungsvoraussetzung für Filialapotheken (vgl. die Erkenntnisse vom 22. März 1991, Zl. 90/10/0020-0024, 0030, vom 22. Oktober 1991, Zl. 87/08/0278, und vom 21. November 1994, Zl. 91/10/0074); die Bedarfsprüfung stelle ein entsprechendes Korrektiv für ein unbeschränktes Heranrücken an die bestehende öffentliche Apotheke dar.
Diese Auffassung kann angesichts der Ausprägung, die der Begriff des "Bedarfs" im Apothekengesetz durch die Neufassung des § 10 durch die Apothekengesetznovelle 1990, BGBl. Nr. 362, erfahren hat, nicht aufrechterhalten werden. Nach Maßgabe des Art 140 Abs. 7 B-VG ist in diesem Zusammenhang auch die Aufhebung von Teilen dieser Vorschrift durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 1998, G 37/97, von Bedeutung.
Nach § 10 ApG idF der Novelle 1984 setzte die Konzessionserteilung einer öffentlichen Apotheke u.a. "Bedarf für eine Apotheke" (Abs. 1 Z. 2) voraus; weiters durfte "durch die Neuerrichtung die Existenzfähigkeit bestehender öffentlicher Apotheken nicht gefährdet" werden (Abs. 1 Z. 3). Die Vorschrift unterschied somit begrifflich zwischen dem "Bedarf für eine Apotheke" und dem Existenzschutz der bestehenden Apotheken.
Hingegen umscheibt § 10 ApG idF der Novelle 1990 den "Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke" mit Hilfe negativer Voraussetzungen, zu denen unter anderem - ohne diesen oder einen sinngleichen Begriff zu nennen - die Existenzgefährdung bestehender öffentlicher Apotheken zählt, die anhand formalisierter Merkmale umschrieben wird (§ 10 Abs. 2 Z. 3 ApG idF der Nov 1990). Angesichts dieser Begriffsbildung kann von einer klaren begrifflichen Unterscheidung zwischen "Bedarf" und "Existenzgefährdung", wie sie vor der Novelle 1990 bestand und der oben wiedergegebenen Rechtsprechung zu Grunde lag, nicht mehr ausgegangen werden.
Nach § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG besteht ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke unter anderem dann nicht, wenn die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5500 betragen wird.
Für den vorliegenden Fall ist zu beachten, dass die soeben zitierte Vorschrift ein Element der Umschreibung des "Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke" darstellt, während im Beschwerdefall der "Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln" in Rede steht. Diese Begriffe sind nach dem System des Gesetzes nicht deckungsgleich. Bei der Ermittlung des Inhaltes des unbestimmten Gesetzesbegriffes "Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln" ist jedoch anhand der Einordnung der Einrichtung öffentlicher Apotheken einerseits und der Filialapotheken andererseits im System des Apothekengesetzes zu untersuchen, ob Elemente des durch "negative Voraussetzungen" geprägten Bedarfsbegriffes des § 10 ApG bei der Auslegung des § 24 ApG heranzuziehen sind, um dem Gleichheitsgebot widersprechende Ergebnisse zu vermeiden; denn es wäre nicht ohne weiteres die sachliche Rechtfertigung einer Regelung zu erkennen, die öffentlichen Apotheken zwar einen Schutz vor Existenzgefährdung durch die Konkurrenz anderer öffentlicher Apotheken, nicht aber gegenüber Filialapotheken einräumte.
Die Lösung der Frage, ob - wie dies im Anwendungsbereich des § 10 ApG kraft ausdrücklicher Anordnung der Fall ist - die Gefährdung der Existenz bestehender Apotheken auch im Anwendungsbereich des § 24 ApG als negatives Merkmal des Bedarfsbegriffes anzusehen ist, hat - unter Gesichtspunkten gleichheitskonformer Auslegung - bei der Bedeutung des Existenzschutzes einerseits und bei der Einstufung der Einrichtung öffentlicher Apotheken bzw. von Filialapotheken im System des Apothekengesetzes andererseits anzusetzen.
Was die Bedeutung des Existenzschutzes angeht, ist auf die Darlegungen des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 2. März 1998, G 37/97, zu verweisen, wonach dieser auf Grund näher dargelegter Umstände im öffentlichen Interesse an der klaglosen Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln liege, dem nur Betriebe mit einer gewissen Mindestgröße entsprechen könnten. Dieses Interesse rechtfertige es, den Unternehmen Schutz vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten auch in Form von weit gehenden Zugangsbeschränkungen zu gewähren.
Von dieser Auffassung ausgehend könnte vom Existenzschutz in Form des negativen Bedarfsmerkmales im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG im Fall der Errichtung einer Filialapotheke nur dann abgesehen werden, wenn (entweder) der Existenzschutz - wenigstens bei Durchschnittsbetrachtung - auf andere Weise gewährleistet wäre, oder eine Konstellation gegeben wäre, bei der - bezogen auf die klaglose Versorgung der Bevölkerung mit Heilmitteln - ein öffentliches Interesse an der Errichtung der Filialapotheke bestünde, das das Interesse an der Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke am selben Ort überstiege; denn im Verhältnis zu einer neuen öffentlichen Apotheke am selben Standort käme der bestehenden öffentlichen Apotheke der Existenzschutz jedenfalls zu.
Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben.
Prüft man den "Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Heilmitteln" allein anhand der in der Rechtsprechung zum Bedarfsbegriff des Apothekengesetzes in der Fassung vor der Novelle 1990 entwickelten Kriterien, nämlich einer Erleichterung der Heilmittelversorgung insbesondere unter dem Gesichtspunkt einer Wegersparnis für die Kunden (vgl. hiezu etwa die Zusammenfassung der Rechtsprechung im Erkenntnis vom 22. Oktober 1991, Zl. 87/08/0278), so ergibt sich, dass ein "Heranrücken" an eine bestehende Apotheke in den Bereich des in § 10 Abs. 2 Z. 1 ApG als Mindestentfernung genannten Abstandes durchaus in Betracht zu ziehen ist (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 31. August 1978, Zl. 2014/77, und vom 16. April 1982, Zl. 81/08/0067). Bei einer solchen Konstellation kann nicht davon die Rede sein, dass der Existenzschutz bestehender Apotheken allein durch die Prüfung des "Bedarfes im engeren Sinn" gewährleistet wäre. Anderweitige Regelungen, durch die ein Existenzschutz gewährleistet wäre, wie etwa den formalisierten, auf Entfernungen von 4 bzw. 6 Straßenkilometer zwischen Apotheke und Arztordination abstellenden Existenzschutz öffentlicher Apotheken gegenüber ärztlichen Hausapotheken in § 29 Abs. 1 und 2 ApG (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 1985, Slg. 10.692, und des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. April 1985, Zl. 85/08/0048) bestehen im Anwendungsbereich des § 24 ApG nicht. Es kann auch nicht gesagt werden, dass eine Filialapotheke strukturell nicht geeignet wäre, in die Marktposition einer benachbarten öffentlichen Apotheke in gleicher Weise einzugreifen wie eine öffentliche Apotheke am selben Standort. Der Betreiber der Filialapotheke ist in Ansehung des Warenangebotes und der Ausstattung der Apotheke keinen gesetzlichen Beschränkungen unterworfen; es kann daher nicht generell gesagt werden, dass der Betrieb einer benachbarten Filialapotheke von vornherein nicht geeignet wäre, die Marktposition einer öffentlichen Apotheke in existenzgefährdender Weise zu schwächen.
Die Einordnung der Filialapotheke in das System des Apothekengesetzes zeigt nicht, dass ihr unter Gesichtspunkten des öffentlichen Interesses ein solches Gewicht zukäme, dass - anders als bei der Errichtung einer öffentlichen Apotheke - vom Existenzschutz bestehender öffentlicher Apotheken abgesehen werden könnte. Vielmehr räumt das Gesetz der Filialapotheke (beispielsweise) unter Gesichtspunkten der Beständigkeit (§ 27 ApG), den Anforderungen an die räumliche Mindestausstattung (§ 24 Abs. 5) und der verpflichtend vorgeschriebenen Betriebszeiten (§ 24 Abs. 4) einen geringeren Stellenwert ein.
Eine Regelung, die bei der Errichtung öffentlicher Apotheken auf den Schutz der Existenz bestehender Apotheken in Form der Normierung eines negativen Bedarfsmerkmals Bedacht nimmt, der bestehenden öffentlichen Apotheke bei der Errichtung einer Filialapotheke ( etwa am selben Standort) hingegen den Schutz vor Existenzgefährdung versagte, müsste somit Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes begegnen. Die Einbeziehung des negativen Bedarfsmerkmales des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG in den Bedarfsbegriff des § 24 ApG vermeidet dieses zu Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 24 Abs. 1 ApG Anlass gebende Ergebnis.
Bei der Erteilung einer Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke ist somit unter anderem zu prüfen, ob die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich infolge der Errichtung der Filialapotheke verringert und weniger als 5500 betragen wird.
Diese Prüfung hat die belangte Behörde - ungeachtet der dahingehenden Behauptungen der Beschwerdeführerin - auf Grund ihrer gegenteiligen Rechtsauffassung nicht vorgenommen. Ihr Bescheid ist daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Zur Klarstellung ist zu bemerken, dass die negativen Bedarfsmerkmale nach § 10 Abs. 2 Z. 1 und 3 ApG weitere Elemente des in § 24 Abs. 1 ApG normierten Bedarfsbegriffes darstellen; darüber hinaus sind die weiteren dort festgelegten Voraussetzungen, insbesondere der "Bedarf im engeren Sinn", maßgeblich.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Vorlage der angeschlossenen Beilagen für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung nicht erforderlich war.
Wien, am 18. Oktober 1999
Schlagworte
Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1999:1996100113.X00Im RIS seit
21.02.2002