Entscheidungsdatum
30.08.2018Norm
B-VG Art.133 Abs4Spruch
I404 2204271-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. am XXXX, Sta. Nigeria, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Steiermark (BAG) vom 25.07.2018, Zl. 1050245305-180072120, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Am 15.01.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 18.03.2015 wurde der Antrag gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass Italien für die Prüfung des Antrages zuständig ist. Weiters wurde die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gemäß § 61 Abs. 1 FPG angeordnet. Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 2 FPG ausgesprochen, dass die Abschiebung nach Italien zulässig ist. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 07.03.2016 zu GZ W205 2104954-1/4E als unbegründet abgewiesen. Am 08.05.2015 wurde der Beschwerdeführer nach Italien überstellt.
2. Am 10.04.2016 wurde der Beschwerdeführer in Österreich im Zuge einer Streifentätigkeit kontrolliert und konnte nur einen abgelaufenen italienischen Fremdenpass, einen abgelaufenen italienischen Aufenthaltstitel und eine Verlängerungsantragsbestätigung vorlegen. Er wurde daher mit einem Schreiben vom 10.04.2016 von der belangten Behörde zur unverzüglichen Ausreise gemäß § 52 Abs. 6 FPG aufgefordert.
3. Am 19.01.2018 wurde der Beschwerdeführer festgenommen und über ihn wegen des Verdachts gemäß § 28a Abs. 1 SMG die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil vom 19.01.2018 zu XXXX wurde der Beschwerdeführer nach § § 27 Abs. 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, unter einer Probezeit von drei Jahren bedingt, verurteilt. Weiters wurde der mit Urteil vom 25.05.2018 zu XXXX wegen des Verbrechens des Suchgifthandels gemäß § 28a Abs. 1 SMG zu einer Zusatzstrafe von 20 Monaten verurteilt.
4. Mit dem hier bekämpften Bescheid hat die belangte Behörde dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt I.). Sie erklärte seine Abschiebung nach Nigeria und Italien für zulässig (Spruchpunkt II.). Weiter verhängte sie über ihn ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 10 Jahren (Spruchpunkt III.). Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG aberkannt (Spruchpunkt IV.). Im Bescheid finden sich keine Feststellungen zur Situation in Nigeria. Es wurde angeführt, dass dem Beschwerdeführer die Länderfeststellungen übermittelt und von diesem nachweislich übernommen worden seien. Er habe von seinem Recht zur Stellungnahme nicht Gebrauch gemacht, und würde das übermittelte Länderinformationsblatt zum integrierenden Bestandteil dieses Bescheides erhoben. In der rechtlichen Begründung wird lediglich ausgeführt, dass eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien vorgesehen und die Abschiebung nach Italien zulässig sei. Eine Prüfung der Zulässigkeit bezüglich der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria ist nicht ersichtlich.
5. Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und begründete dies mit einer inhaltlich falschen Entscheidung sowie einer mangelhaften Verfahrensführung. Insbesondere wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich in einer Lebensgemeinschaft mit einer näher angeführten Frau lebe. Weiters wurde moniert, dass im Bescheid eine doppelte Abschiebung nach Nigeria und Italien ausgesprochen worden sei und außerdem in der englischen Übersetzung ein Einreiseverbot von 6 Jahren verhängt worden sei, während im deutschen Spruch von einem 10-jährigen Einreiseverbot gesprochen werde. Außerdem habe es die belangte Behörde verabsäumt vollständige aktuelle Länderberichte in den Bescheid aufzunehmen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt A) 1. Aufhebung und Zurückverweisung (Spruchpunkt I.):
1.1. Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:
Erkenntnisse und Beschlüsse
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
...
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.
(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, 2a, 2b, 4 und 5 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
1.2. § 50, § 52 Abs. 1, 6, 8 und Abs. 9 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), in der geltenden Fassung lauten wie folgt:
Verbot der Abschiebung
§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
(4) ...
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(6) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
(8) Die Rückkehrentscheidung wird im Fall des § 16 Abs. 4 BFA-VG oder mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar und verpflichtet den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde. Im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung ist § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
1.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Voraussetzungen, unter denen das Verwaltungsgericht von der in § 28 Abs. 3 VwGVG festgelegten Befugnis zur Aufhebung und Zurückverweisung Gebrauch machen darf, im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, näher präzisiert.
Danach hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichts Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung)".
1.4. Mit der bekämpften Entscheidung hat die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG erlassen und ausgesprochen, dass eine Abschiebung nach Nigeria und Italien zulässig ist.
Zunächst ist zum Ausspruch, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG eine Rückkehrentscheidung (auch) nach Italien ausgesprochen wurde, Folgendes klar zu stellen:
Wie aus § 52 Abs. 8 FPG hervorgeht, kann die aufenthaltsbeendende Maßnahme der Rückkehrentscheidung ausschließlich eine Ausreiseverpflichtung des Drittstaatsangehörigen in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland oder einen anderen Drittstaat zum Gegenstand haben. Eine Ausreiseverpflichtung in einen Mitgliedstaat kann auf Grundlage dieser Bestimmung hingegen nicht begründet werden (vgl. dazu u.a. Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, Anm. 30 zu § 52 Abs. 8 FPG; sowie das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. März 2015, Ra 2015/21/0004).
Daran ändert auch die in § 52 Abs. 6 FPG enthaltene Sonderregelung für Drittstaatsangehörige, welche im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedsstaates sind, nichts, weil diese Bestimmung lediglich eine freiwillige - und nicht auf Grundlage einer Rückkehrentscheidung basierende - Ausreiseverpflichtung des Betroffenen in den Mitgliedstaat vorsieht.
Die von der belangten Behörde im vorliegenden Fall herangezogenen § 52 Abs. 9 für eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien konnte daher schon allein aus diesem Grund keine taugliche Grundlage für die gegenständlichen Anordnungen bilden.
Eine andere von der belangten Behörde allenfalls heranzuziehende Rechtsgrundlage ist - anhand der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen - nicht erkennbar.
1.5. Gemäß § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Im Hinblick auf die Prüfung der Abschiebung in den Herkunftsstaat Nigeria ist es erforderlich, aktuelle Länderberichte nicht nur "in das Verfahren einzuführen", sondern in der Entscheidung inhaltlich wiederzugeben (VfGH vom 13.03.2013, U 2375/12).
In diesem Sinne ist es erforderlich, sich mit der persönlichen Situation des Beschwerdeführers im Hinblick auf die getroffenen Länderfeststellungen auseinanderzusetzen (VfGH vom 02.05.2011, U 1005/10).
Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den Asyl- (und Fremdenbehörden) zu erwarten, dass sie zur Feststellung zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und von Amts wegen aktuelles Berichtsmaterial heranziehen (z.B. VwGH vom 15.09.2010, 2008/23/0334 und viele andere mehr).
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde keinerlei Länderfeststellungen in den angefochtenen Bescheid aufgenommen und sich auch in keiner Weise mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers in Nigeria auseinandergesetzt. Sie hat den Beschwerdeführer auch nicht dazu befragt, ob er im Falle einer Rückkehr nach Nigeria der realen Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt sein könnte, oder ob die Rückkehr für ihn aktuell eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.
Sie hat sohin jede Ermittlungstätigkeit in Bezug auf die gemäß § 50 Abs. 1 FPG vorgesehene Prüfung nach Artikel 2 und 3 EMRK in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria unterlassen.
1.6. Außerdem verhängte die belangte Behörde ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 10 Jahren (Spruchpunkt III.).
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist weder im FrPolG 2005 noch in der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) vorgesehen, dass die Mitgliedsstaaten bei der Erlassung eines Einreiseverbotes dessen Geltung für ein bestimmtes Gebiet der Union aussetzen könnten. Aus der grundsätzlichen Geltung des Einreiseverbotes für das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten folgt vielmehr, dass die Frage nach dem Eingriff in das Privat- oder Familienleben des Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern es ist auch die Situation des Fremden in den anderen Mitgliedstaaten in den Blick zu nehmen (Hinweis E 15. Dezember 2011, 2011/21/0237).
Es ist im Hinblick darauf, dass die Maßnahme grundsätzlich auf das gesamte Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten bezogen sein soll, daher auch das allenfalls in Italien bzw. in anderen Mitgliedsstaaten geführte Familienleben zu prüfen, auch wenn das Einreiseverbot die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung durch Italien nicht absolut ausschließt (vgl. insbesondere Art. 11 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie).
Weder im Bescheid noch aus dem sonstigen Akteninhalt geht jedoch hervor, ob und welche privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführer in anderen Mitgliedstaaten insbesondere in Italien hat. Die belangte Behörde hat es unterlassen, den Beschwerdeführer dazu zu befragen. Insofern unterblieb auch eine Abwägung dieser Interessen bei der Verhängung des Einreiseverbotes.
1.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit hinsichtlich der Situation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat Nigeria und hinsichtlich seiner privaten und familiären Interessen im gesamten Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten unterlassen hat. Insofern hat die belangte Behörde nur ansatzweise ermittelt und liegen daher die Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des VwGH für ein Vorgehen nach § 28 Abs. 3 VwGVG vor.
Insbesondere ist in diesem Zusammenhang auch anzuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Notwenigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes aktuelle Länderbericht einzuholen und Feststellungen der belangten Behörde zu ergänzen, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung erforderlich macht (vgl. VwGH vom 26.04.2017, Zl. Ra 2016/19/0290). Auch unter Effizienzgesichtspunkten gebietet sich daher eine Heranziehung des § 28 Abs. 3 VwGVG, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit nicht höheren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Angesichts der oben angeführten Verhandlungspflicht des BVwG bei einer Sachentscheidung ist daher nicht anzunehmen, dass die zur Erforschung der materiellen Wahrheit ergänzenden Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs durch das Bundesverwaltungsgericht selbst mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wären. Wobei es bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung ankommt. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl Hengstschläger/Leeb, AVG, § 66 Rz 20 mwN).
Die belangte Behörde wird sich daher mit der Rückersituation des Beschwerdeführers in Nigeria auseinanderzusetzen haben und bei der Verhängung des Einreiseverbotes seine familiären und privaten Interessen sowohl in Österreich als auch in Italien (und allenfalls anderen Mitgliedsstaaten) zu prüfen und zu berücksichtigen zu haben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
2. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Einreiseverbot aufgehoben, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:I404.2204271.1.00Zuletzt aktualisiert am
16.11.2018