TE Vfgh Erkenntnis 1997/9/29 B2699/96

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Veröffentlicht am 29.09.1997
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

AufenthaltsG §5 Abs1
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
FremdenG §10 Abs1 Z4
EheG §23

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen Eingehens einer Scheinehe aufgrund willkürlicher Nichtberücksichtigung der gerichtlichen Abweisung des Antrags auf Nichtigerklärung der Ehe

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung) verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Bundesminister für Inneres versagte dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 30. Juli 1996 gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. 466/1992 idF BGBl. 201/1996 (AufG), in Verbindung mit §10 Abs1 Z4 des Fremdengesetzes, BGBl. 838/1992 idF BGBl. 505/1994, die beantragte Aufenthaltsbewilligung.

Dieser Bescheid wurde damit begründet, daß die rechtsmißbräuchliche Eingehung einer Ehe durch einen Fremden zwecks Beschaffung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen ein Verhalten darstelle, welches dazu führe, daß die öffentliche Ordnung durch den weiteren Aufenthalt des Fremden in Österreich gefährdet wäre. Die belangte Behörde verweist zur Begründung dafür, daß der Beschwerdeführer eine Scheinehe eingegangen sei, auf eine niederschriftliche Einvernahme der Gattin des Beschwerdeführers vom 26. Jänner 1995 und darauf, daß "von der Staatsanwaltschaft Wien zu Zl. 82 Nst 811/95 eine Ehenichtigkeitsklage beim BG-Innere Stadt eingebracht" worden sei.

2. In den dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Verwaltungsakten befindet sich das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. März 1996, 4 C166/95 k - 4, mit dem das Klagebegehren, die zwischen I K und E K geschlossene Ehe gemäß §23 Ehegesetz für nichtig zu erklären, abgewiesen wird. In der Begründung dieses Urteils wird ausgeführt, aufgrund der Beweisergebnisse und der Beweiswürdigung könne nicht als erwiesen angenommen werden, daß die zwischen den beklagten Parteien geschlossene Ehe primär aus dem Zweck geschlossen wurde, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen, und die Aufnahme einer ehelichen Lebensgemeinschaft nie beabsichtigt gewesen sei.

3. Gegen den unter Punkt 1. dargestellten Bescheid richtet sich die gemäß Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer der Sache nach die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 RassDiskrBVG) sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 Abs1 EMRK) geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt.

4. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -Beschwerde erwogen:

Gemäß §5 Abs1 AufG darf Fremden eine Aufenthaltsbewilligung nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund vorliegt. Gemäß §10 Abs1 Z4 FrG ist die Erteilung eines Sichtvermerks zu versagen, wenn der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die belangte Behörde hat ihre den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung abweisende Entscheidung ausschließlich auf die von ihr angenommene Tatsache gestützt, daß der Beschwerdeführer eine Scheinehe eingegangen sei.

Der Verfassungsgerichtshof vertritt in seiner neueren Judikatur (VfSlg. 13836/1994, VfGH 29.6.1995 B2318/94, 30.11.1995 B1691/95, 13.12.1995 B434/94) die Meinung, daß ArtI Abs1 des BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, (auch) das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot enthält, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Eine Verletzung des durch dieses BVG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander liegt auch dann vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides nur die für die Versagung der Aufenthaltsbewilligung maßgeblichen Gründe aufgezählt und hat auf das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. März 1996, 4 C166/95 k - 4, nicht Bedacht genommen, das ihr zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung bekannt war. Dadurch hat die belangte Behörde Willkür geübt.

Der angefochtene Bescheid ist sohin aufzuheben, weil er den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

III. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Fremdenrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B2699.1996

Dokumentnummer

JFT_10029071_96B02699_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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