Entscheidungsdatum
03.09.2018Norm
AsylG 2005 §3Spruch
L508 2193602-1/4E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. HERZOG über die Beschwerde des XXXX, StA: Libanon, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Helmut BLU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.03.2018, Zl: XXXX, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend BF) reiste gemeinsam mit seiner Familie (Mutter, Bruder, Schwester und deren Kinder) illegal in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 09.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Im Rahmen der verschiedenen Befragungen gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen zu Protokoll, dass er im Libanon geboren wurde. Er sei aber nur im Libanon geboren, habe jedoch stets in Syrien gelebt und sei dort aufgewachsen. Der Grund hierfür war, dass sein Vater in Syrien gearbeitet habe. Sein Vater sei vor drei Monaten verschwunden und wüsste er nicht was mit ihm geschehen sei. Syrien habe er verlassen, da dort Krieg herrsche. In den Libanon könne er nicht, da er dort niemanden habe. In Syrien wäre er in Lebensgefahr.
3. Mit Bescheid vom 29.01.2015, Zl: 1032829601-140055528, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libanon gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) Weiters stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass dem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVM § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Das Vorbringen wurde für glaubwürdig erachtet. Festgestellt wurde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen libanesischen Staatsangehörigen handle und eine Gefährdung im Libanon nicht vorgebracht worden sei. Verfolgungshandlungen betreffend dem Libanon seien nicht vorgebracht worden, weswegen weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren sei und sei der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger des Libanon in diesen Staat abzuschieben.
4. Einer dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Beschluss des BVwG vom 03.09.2015 Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Dies im wesentlichen mit der Begründung, dass das BFA nur unzureichende Ermittlungen hinsichtlich der Gefährdungslage und der Lebenssituation des BF im Libanon geführt habe.
5. Das BFA führte mit dem BF in weiterer Folge am 20.01.2016 eine Einvernahme durch.
6. In der Folge wurden zahlreiche Unterlagen zur Integration des BF in Vorlage gebracht.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.03.2018, Zl:
1032829601-140055528, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libanon gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.) Weiters stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl fest, dass dem Asylwerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt werde. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVM § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen. Gemäß § 52 Absatz 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Libanon zulässig sei. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Das Vorbringen wurde für glaubwürdig erachtet. Festgestellt wurde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen libanesischen Staatsangehörigen handle und eine Gefährdung im Libanon nicht vorgebracht worden sei. Verfolgungshandlungen betreffend dem Libanon seien nicht vorgebracht worden, weswegen weder Asyl noch subsidiärer Schutz zu gewähren sei und sei der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger des Libanon in diesen Staat abzuschieben.
8. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde an das BVwG erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.
9. Hinsichtlich des Verfahrensganges und des Parteivorbringens im Detail wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu Spruchpunkt A)
1. Verfahrensbestimmungen
1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt
Gemäß §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
2. Zur Entscheidungsbegründung:
2.1. Obwohl gem. § 17 iVm § 58 VwGVG seit 01.01.2014 der § 66 Abs. 2 AVG in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht mehr anzuwenden ist und gem. § 58 VwGVG stattdessen § 28 Abs. 3 VwGVG mit genanntem Datum in Kraft trat, womit das Erfordernis des § 66 Abs. 2 leg.cit, wonach die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, weggefallen ist, und sich die Regelungsgehalte beider Normen nicht somit gänzlich decken, findet die einschlägige höchstgerichtliche Judikatur zu § 66 Abs. 2 AVG grundsätzlich weiterhin Anwendung.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG. (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm. 11).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:
* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.
* Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.
* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 die im Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 angeführten Grundsätze im Hinblick auf Aufhebungs- und Zurückweisungsbeschlüsse des Verwaltungsgerichtes gemäß § 28 Abs 3 VwGVG nochmals bekräftigt und führte ergänzend aus, dass selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, keine Zurückverweisung der Sache rechtfertigen, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinn des § 24 VwGVG zu vervollständigen sind (vgl hierzu auch VwGH Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016).
Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung auch eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389).
Im Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Absatz 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.
Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9 ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).
2.2. Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Begründungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden.
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG, welche zu einer meritorischen Entscheidungspflicht führen, nicht gegeben sind. Weder steht, wie anhand der darzustellenden Ermittlungsmängel zu zeigen ist, der maßgebliche Sachverhalt fest, noch ist die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden. Dies vor allem, weil die aufzuzeigenden Ermittlungslücken derart erheblich sind, dass zu deren Beseitigung über eine der Feststellung des Sachverhalts dienende mündliche Verhandlung hinausgehende weitere Ermittlungsschritte zu setzen wären, welche durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, welches - anders als das Bundesverwaltungsgericht - eine asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde ist (so ist die sog. Staatendokumentation beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingerichtet, vgl. § 5 BFA-Einrichtungsgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012), rascher und effizienter durchgeführt werden können.
2.2.1. Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass das BFA den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nur ansatzweise ermittelt hat:
2.2.1.1. Die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens resultiert im vorliegenden Fall insbesondere daraus, dass der gegenständliche Bescheid bereits zum Entscheidungszeitpunkt veraltete Feststellungen zur Situation im Libanon enthält. Das Bundesamt hielt im wesentlichen in seiner Prognose fest, dass vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen und aufgrund der individuellen Situation keine sonstige, entscheidungsrelevante reale Gefährdung der BF im Libanon gegeben sei und würde im Falle einer Abschiebung
Artikel 3 EMRK nicht verletzt werden.
Bei der Beurteilung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Libanon stützte sich die Behörde zum Entscheidungszeitpunkt des 22.03.2018 auf Berichte, die überwiegend aus den Jahren 2014, 2015 und vereinzelt aus 2016 stammen. Naturgemäß enthalten diese Geschehnisse, die zeitlich wesentlich vor dem Erscheinungstermin liegen.
Bereits vom Bundesamt ist zu erwarten, dass es insoweit, als es um Feststellungen zur fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern und der Rückkehrsituation geht, von den ihr, insbesondere durch die eigene Staatendokumention, zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch macht und aktuelle Berichte in die Entscheidung einbeziehen (Hinweis E vom 15. September 2010, 2008/23/0334, mwN). Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben [vgl. in diesem Sinn auch VfGH vom 22. November 2013, U 2612/2012-17, und vom 20. Februar 2014, U 1919/2013 u.a.] VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0141.
Soweit das Bundesamt beweiswürdigend im Bescheid zu den Berichten anführt, dass sich seither die Verhältnisse nicht geändert hätten und nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können, ist weder aus dem Bescheid noch aus der Aktenlage ersichtlich auf welche Erkenntnisquellen sie sich dabei im Konkreten stützte.
Es kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat gegenständlich ohnedies quasi "allgemein bekannt" wäre.
Soweit sich das Bundesamt nur auf das "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" stützt ist anzumerken, dass die nunmehr gängige Praxis der Staatendokumentation, dieses "LIB" durch Kurzinformationen zu "aktualisieren" - hier konkret die nicht sachverhaltsbezogene punktuelle Information über die Wahl von Michel Aoun zum Präsidenten (Quelle vom 31.10.2016) - nicht generell geeignet ist bzw. bedeutet, eine Aktualisierung auch hinsichtlich der anderen Punkte darzustellen. So führt auch der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 27.02.2018, E2124/2017, zu diesen "integrierten Kurzinformationen" Folgendes aus: "[...] Zwar führt das Bundesverwaltungsgericht zu Beginn seiner Ausführungen bezüglich der Länderfeststellungen eine Aktualisierung aus dem Jahr 2016 betreffend Friedensabkommen, Sicherheitslage und Verkehrsverbindungen hinsichtlich des gesamten Staates Afghanistan an, jedoch unterlässt das Bundesverwaltungsgericht die Erhebung aktueller und einschlägiger Länderberichte betreffend die Sicherheits-, Gefährdungs-, und Versorgungslage in der Stadt Kabul. Darüber hinaus beruhen auch die Länderberichte betreffend Rechtsschutz- und Justizwesen, Sicherheitsbehörden, die allgemeine Menschenrechtslage, Religionsfreiheit (Schiiten), ethnische Minderheiten (Hazara), Kinder, Bewegungsfreiheit, Grundversorgung und Wirtschaft, Behandlung nach Rückkehr usw auf Informationen aus dem Jahr 2015 oder noch älteren Quellen.[...]".
Gegenständlich liegt es nicht an der Dauer des Beschwerdeverfahrens die eine Aktualisierung der Länderberichte notwendig macht, was grds. keine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG 2014 rechtfertigen würde, sondern das alleinige Versäumnis des Bundesamtes (vgl. VwGH vom 14. Dezember 2016, Ro 2016/19/0005).
Es kann im konkreten Fall nicht behauptet werden, dass die auf Grund der veralteten Länderberichte getroffenen Feststellungen zum Herkunftsstaat einen Verfahrensmangel darstellen, der nicht von Entscheidungsrelevanz wäre.
Angesichts der notorisch sich ständig ändernden Lage, die es auch nicht ausschließen lässt, dass Libanesen in einem bestimmten Gebiet zu einer bestimmten Zeit allgemein Opfer von Verfolgungsmaßnahmen werden können, was auch unter dem Gesichtspunkt der Asylgewährung nicht von vornherein als unmaßgeblich erkannt werden kann, wäre die belangte Behörde weiterhin zwingend gehalten gewesen, aktuelle und nachvollziehbare Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu treffen. Ferner ist festzuhalten, dass auch bei unglaubwürdigem oder nicht asylrelevantem Fluchtvorbringen jedenfalls aktuelle Erhebungen zur allgemeinen Lage, zu den humanitären Lebensumstände und zur Rückkehrsituation nach erfolgloser Asylantragstellung zu treffen sind; dies umsomehr unter dem Gesichtspunkt der notorisch bekannten problematischen Situation im Libanon.
Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, ihrem Bescheid die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zugrunde zu legen. Dem wird die belangte Behörde nicht gerecht, wenn die herangezogenen Berichte, wie im vorliegenden Fall, im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung durchwegs schon älter als ein Jahr waren (vgl. dazu die hg. Erk. v. 22.10.2002, 2001/01/0197, v. 03.07.2003, 2001/20/0040 und v. 17.09.2003, 2001/20/0177). Ferner ist festzuhalten, dass bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. in diesem Sinn auch VfGH vom 22. November 2013, U 2612/2012-17, und vom 20. Februar 2014, U 1919/2013 u.a.).
Im gegenständlichen Fall stammen die Berichte jedoch überwiegend aus den Jahren 2014, 2015 und vereinzelt aus 2016 und sind sohin zum überwiegenden Teil schon älter als 3 Jahre, und kann diesen sohin, insbesondere unter Hinweis auf die höchstgerichtliche Judikatur, keine Aktualität mehr zukommen.
Im gegenständlichen Fall wurde somit der maßgebliche Sachverhalt dermaßen qualifiziert mangelhaft bzw. gar nicht ermittelt, dass von einem gänzlichen Ausbleiben der zur Entscheidungsfindung notwendigen Ermittlungen über weite Strecken iSd Erk. d. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 gesprochen werden muss. Ebenso hätte das ho. Gericht iSd Urteils des EuGH vom 14.6.2017, C-685 EU:C:2017:452 in einem wesentlichen Punkt des Ermittlungsverfahrens an die Stelle der zuständigen belangten Behörde zu treten, der es grundlegend obliegt, selbst dem Gericht die erforderlichen Beweise, iSv Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts, vorzulegen.
Eine Weiterführung des Verfahrens durch das BVwG im Sinne des § 28 Abs. 2 u 3 VwGVG wäre auch nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden bzw. würde zu keiner wesentlichen Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens führen. So ergäbe sich etwa für das BVwG nach der stRsp des VwGH im Falle der Einbringung neuer Berichte - und damit eine sich daraus ergebende Ergänzung des Sachverhaltes - grds. die Verpflichtung eine an sich aufwändige Verhandlung in einem Mehrparteienverfahren, mit insgesamt erheblich höheren Kosten und Inanspruchnahme großer zeitlicher und personeller Ressourcen, durchzuführen, woraus sich schon dadurch ein wesentlicher Mehraufwand gegenüber einem Verfahren vor dem Bundesamt in einem Einparteienverfahren ergibt, in dem grds. die schriftliche Stellungnahmemöglichkeit zu diesen Berichten zur Wahrung des Parteiengehörs alleine genügt.
Das Bundesamt hat somit einer folgenden Entscheidung aktuelle, fallbezogene Berichte zugrunde zu legen.
2.2.1.2. Ferner ist festzuhalten, dass sich das BFA auch mit der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung nicht in gehöriger Weise auseinandergesetzt hat, keine individuelle Interessensabwägung vorgenommen wurde und wurden auch die zahlreich in Vorlage gebrachten Unterlagen zur Integration größtenteils negiert respektive hat sich das BFA damit nur äußerst unzureichend auseinandergesetzt. Letztlich ist noch zu konstatieren, dass auch aus dem Akt nicht ersichtlich ist, warum zwischen der Einvernahme des BF durch das BFA am 20.01.2016 bis zur Ausfertigung des Bescheides ein Zeitraum von mehr als zwei Jahren verstrichen ist und wäre es schon hinsichtlich der Prüfung der Rückkehrentscheidung geboten gewesen, den BF abermals zu befragen; dies umsomehr als der BF zahlreiche Unterlagen zu seiner Integration in Österreich in Vorlage brachte.
2.3. Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl als Spezialbehörde im Rahmen der Staatendokumentation gemäß § 5 BFA-Einrichtungsgesetz für die Sammlung relevanter Tatsachen zur Situation in den betreffenden Staaten samt den Quellen zuständig ist.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich.
Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.
2.4. Im vorliegenden Fall konnte die Verhandlung im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG entfallen, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 26.06.2014, Ra 2014/03/0063 sowie VwGH 10.09.2014, Ra 2014/08/0005 und VwGH Ra 2015/01/0123 vom 06.07.2016) ab. Durch das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes fehlt es auch nicht an einer Rechtsprechung und die zu lösende Rechtsfrage wird in der Rechtsprechung auch nicht uneinheitlich beantwortet.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen, Begründungspflicht, Beweiswürdigung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:L508.2193602.1.00Zuletzt aktualisiert am
20.11.2018