TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/4 W111 1424654-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.09.2018
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Entscheidungsdatum

04.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W111 1424654-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Russische Föderation, vertreten durch die XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, Zl. 568467210/1758556, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG iVm § 68 Abs. 1

AVG, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 FPG 2005, § 52 Abs. 9 FPG, § 46 FPG und § 55 Abs. 1a FPG, jeweils idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Erstes Verfahren auf internationalen Schutz:

1.1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, reiste am 19.08.2011 gemeinsam mit seinem Vater (AsylGH-Zl.: D12 424653-1), illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag durch seinen Vater als gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz.

Dazu wurde er am 19.08.2011 von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab an, er habe seinen Herkunftsstaat am 14.08.2011 gemeinsam mit seinem Vater mit einem Autobus in Richtung Moskau verlassen, wobei es sich - so der Beschwerdeführer - um eine legale Ausreise gehandelt habe. Er habe seinen russischen Auslandsreisepass bei sich gehabt. Sein Reisepass sei während der Reise mit seinem Gepäck verloren gegangen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, er sei mit seinem Vater gekommen, weil dieser zu Hause große Probleme gehabt habe. Es könne sein, dass auch er deswegen Probleme bekommen könnte. Er wisse nicht, was im Falle einer Rückkehr in seine Heimat geschehen könne. Er wisse nur, dass er zu Hause von seinem Vater nicht aus dem Haus gelassen worden sei, weil er in Gefahr gewesen sei.

Der Beschwerdeführer legte seinen russischen Inlandspass vor.

Der Beschwerdeführer wurde am 17.01.2012 vom Bundesasylamt im Beisein seines Vaters als gesetzlichen Vertreter und einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache von einer Organwalterin niederschriftlich einvernommen. Er bestätigte, bis jetzt die Wahrheit gesagt zu haben. Er könne, mit Ausnahme des Inlandspasses, keine weiteren Dokumente bzw. Beweismittel vorlegen. Er wisse nicht, wo er konkret geboren worden sei. Er wisse, dass er in XXXX aufgewachsen sei. Während des Krieges habe er nicht immer in XXXX gelebt, sondern sie seien zwischen XXXX und der Stadt XXXX hin und her gependelt. In XXXX habe er gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern gelebt. Bis Oktober 2010 habe er die Schule besucht. Danach sei er die ganze Zeit über zu Hause gewesen und habe gelesen und ferngesehen. Am 14.08.2011 habe er die Stadt XXXX verlassen. Während der Ausreise sei er immer in Begleitung seines Vaters gewesen.

Er sei - so der Beschwerdeführer - wegen der Blutrache ausgereist. Das Thema sei eigentlich nicht mit ihm besprochen worden, daher kenne er keine Details. Er habe seinen Vater zwar gefragt, aber er habe ihm nichts gesagt. Er habe nachgefragt, warum er nicht auf die Straße gehen könne. Aber er habe von seinem Vater keine Antwort bekommen.

Unter Blutrache werde verstanden, so der Beschwerdeführer, dass Rache an dem Tod eines Verwandten genommen werde. Er selbst habe im Heimatland niemals Probleme gehabt. Weder mit der Polizei oder anderen staatlichen Einrichtungen. Er wisse nicht, zwischen welchen Familien die Blutrache bestanden habe bzw. bestehe. Er könne zu seinen Fluchtgründen nichts mehr hinzufügen. Er hoffe, sein Vater habe alles angeführt. Er könne über die Probleme seines Vaters nicht berichten. Er habe weder seinen Vater noch seine Familie gefragt, weshalb er seit Oktober 2010 nicht mehr die Schule besuchen habe dürfen. Auch er selbst - so der Beschwerdeführer weiters - wäre von der Blutrache betroffen gewesen. Auch die Verwandten wären von der Blutrache betroffen. Er wisse, dass für den Vater Blutrache bestehe, deshalb würde auch für ihn Gefahr bestehen. Es habe ihn jedoch niemand konkret auf diese Gefahr hingewiesen. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland würde die Blutrache weiterhin bestehen.

Er wohne gemeinsam mit seinem Vater in einer betreuten Pension. Er sei gesund. Er habe keine sonstigen Bindungen (Verein, Kurse, Schule) zu Österreich. Abschließend gab der Beschwerdeführer an, dass er hier leben und lernen wolle.

1.2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.01.2012, Fz. 11 09.165-BAT, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.) und der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die Behörde stellte die Identität und Nationalität des Beschwerdeführers fest und traf umfangreiche Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers. Er habe vorgebracht, dass er im Heimatland die gleichen Probleme wie der Vater hinzunehmen hätte. Jedoch seien die von seinem Vater angegebenen Gründe für das Verlassen des Heimatlandes, nämlich die Bedrohung bzw. Suche von Seiten einer näher genannten Familie nicht glaubwürdig. Eigene Probleme habe der Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland einer Bedrohung ausgesetzt wäre. Er befinde sich derzeit im Familienverband und wäre dies auch im Falle einer Rückkehr nach Serbien [wohl gemeint: Russische Föderation] so. Der Beschwerdeführer habe auch nach wie vor familiäre Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation. Es bestehen somit auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in der Russischen Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei.

Die Ausweisung stelle auch keinen unzulässigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 EMRK dar, da sämtliche Familienmitglieder des Beschwerdeführers gleichfalls ausgewiesen worden seien.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer bzw. sein gesetzlicher Vertreter mit für sämtliche Familienmitglieder gleichlautendem Schriftsatz vom 13.02.2012 fristgerecht Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhalts. Es sei aktenwidrig - so der Vater des Beschwerdeführers in seinen Ausführungen -, dass es gegen ihn bisher noch keine konkreten Bedrohungen gegeben habe, da er deutlich angegeben habe, dass bereits auf das Auto geschossen worden sei. Zudem sei er bereits mehrmals mündlich bedroht worden. Seine übrigen Verwandten versuchen ebenfalls zu flüchten, hätten aber derzeit kein Geld dafür.

Bei der Bedrohung durch Blutrache von nichtstaatlicher Seite liege nach der Judikatur ein Asylgrund vor, wenn der Staat entweder nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, den Betroffenen vor Übergriffen Privater zu schützen. Die Verfolgung finde hier zumeist aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe "Familie" statt und der Antragsteller müsse nicht selbst Handlungen gesetzt haben, die die Ursache zur Verfolgungshandlung darstellen. Nach der aktuellen Judikatur des VwGH sei bei der Beurteilung, ob der Staat ausreichenden Schutz gewähren könne, nicht darauf abzustellen, ob der Staat Bemühungen anstelle, um die Gefahr einzudämmen, sondern ob diesen Bemühungen auch ein Erfolg beschieden sei, der die Verfolgungshandlungen tatsächlich einzudämmen vermag. In Tschetschenien stelle sich die Sachlage jedenfalls so dar, dass nicht von effektivem staatlichem Schutz gesprochen werden könne. Dazu wurde auf einen Bericht des Danish Immigration Service verwiesen.

Zwar habe es bisher - so der Vater des Beschwerdeführers - noch keine konkreten Vorfälle gegeben, durch die er tatsächlich körperlich geschädigt worden sei, dies sei aber auch nicht erforderlich, um einen Verfolgungsgefahr geltend zu machen. Nachdem er bereits mehrmals bedroht und sogar auf sein Auto geschossen worden sei, drohe ihm aber jedenfalls eine Gefahr für Leib und Leben im Fall seiner Rückkehr. Jedenfalls seien die von ihm berichteten Handlungen, die dem Staat mangels Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit zuzurechnen seien vom Ausmaß als auch von der Art her als asylrelevant einzustufen. Diese Verfolgung sei wie oben ausgeführt unter die Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu subsumieren.

1.4. Mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 06.02.2013, Zln. D12 424654-1/2012 und D12 424653-1/2012, wurden die Beschwerden des Beschwerdeführers und seines Vaters jeweils gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 als unbegründet abgewiesen.

Der erkennendene Senat des Asylgerichtshofes hielt insbesondere fest, dass nicht festgestellt werden habe können, dass unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers, diesem in der Russischen Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde. Im gegenständlichen Fall seien die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine aktuelle Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund, nicht gegeben. Das Vorbringen des Beschwerdeführers respektive seines Vaters hätte sich aufgrund näher dargestellter beweiswürdigender Erwägungen (vgl. die Seiten 7 bis 14 des [erst]angeführten Erkenntnisses) als unglaubwürdig erwiesen. Ebenfalls nicht festgestellt werden könne, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes drohen würde. Es bestünde in Österreich kein schützenswertes Privat- oder Familienleben im Sinne des Artikels 8 EMRK.

1.5. Das dargestellte Erkenntnis erwuchs infolge ordnungsgemäßer Zustellung an den damaligen gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers in Rechtskraft.

Am 28.19.2013 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr.

2. Zweites Verfahren auf internationalen Schutz:

2.1. Am 25.11.2013 brachte der zwischenzeitig volljährige Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz ein, den er im Zuge der am gleichen Tag abgehaltenen Erstbefragung im Wesentlichen damit begründete, Österreich seit rechtskräftigem Abschluss seines vorangegangenen Verfahrens nicht verlassen zu haben. Seine alten Gründe seien unverändert aufrecht, zudem habe er die folgenden neuen Gründe:

Er hätte damals bei seiner ersten Befragung nicht angegeben, dass er im Oktober 2010 von der tschetschenischen Polizei für einen Tag festgenommen worden wäre, da diese an Informationen über den Vater des Beschwerdeführers habe herankommen wollen, welcher in den 90er-Jahren angeblich für die russische Regierung gearbeitet hätte. Die Polizisten hätten dem Beschwerdeführer bei der Festnahme und anschließenden Befragung und Folterung die linke Hand gebrochen und ihn bedroht, dass sie - sollte er nicht alles über seinen Vater erzählen - wiederkommen und ihn weiter foltern und misshandeln würden. Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer, verhaftet, gefoltert und umgebracht zu werden. Die nunmehr vorgebrachten Gründe seien ihm bereits bei seinem ersten Asylantrag und seiner ersten Befragung im Jahr 2011 bekannt gewesen, doch habe er diese auf Anraten seines Vaters verschwiegen.

Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 05.12.2013 gab der Beschwerdeführer kurz zusammengefasst an, bis dato wahrheitsentsprechende Angaben erstattet zu haben und seine in Bezug auf den zweiten Antrag geltend gemachten Gründe, welche ihm bereits seit Oktober 2010 bekannt gewesen wären, in seinem ersten Verfahren deshalb nicht angeführt zu haben, da er in diesem Verfahren ausschließlich in Gegenwart seines Vaters als seinen gesetzlichen Vertreter einvernommen worden wäre und diesem nicht widersprechen habe wollen, zumal selbiger ihn angewiesen hätte, nur über den Fluchtgrund "Blutrache" Aussagen zu tätigen. Sein Vater habe nicht darüber reden wollen, deshalb hätte auch der damals erst 16 Jahre alte Beschwerdeführer - welcher unter dem Einfluss seines Vaters gestanden hätte - nicht darüber reden wollen. Er verfüge über keine Beweismittel für sein Vorbringen, das genaue Datum der Festnahme sei ihm nicht erinnerlich, er hätte weder eine Ladung noch eine sonstige schriftliche Bestätigung erhalten. Als Beweis könne er jedoch seine gebrochene linke Hand vorweisen. Man habe damals vom Beschwerdeführer wissen wollen, was sein Vater arbeite, wann dieser nach Hause komme, welche Freunde ihn öfters besuchen kämen und ob er Waffen besäße. In Österreich habe der Beschwerdeführer eine Tante und einen Cousin, welche anerkannte Flüchtlinge wären und mit denen er im gemeinsamen Haushalt leben würde sein Vater verstecke sich irgendwo in Russland. Der Beschwerdeführer spreche bereits Deutsch, verfüge über ein A2-Diplom, er sei in Österreich nicht berufstätig und in keinen Vereinen Mitglied. Ergänzend merkte der Beschwerdeführer an, vor etwa ein oder zwei Monaten von seiner Mutter telefonisch mitgeteilt bekommen zu haben, dass die Leute nach wie vor nach ihm suchen und nach seinem Aufenthaltsort fragen würden.

Nach Zulassung seines Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 26.09.2017 neuerlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und brachte anlässlich jener Befragung zusammengefasst vor, seine Mutter und seine beiden jüngeren Geschwister würden unverändert im familieneigenen Haus in XXXX leben. In der Russischen Föderation würden sich außerdem ein Onkel, zwei Tanten, Cousins und Cousinen aufhalten. Der Beschwerdeführer habe inXXXX neun Jahre lang die Schule besucht, in Österreich habe er 2015 den Hauptschulabschluss gemacht und eine B1-Deutschprüfung bestanden. 2016 habe er mit einer Abendschule begonnen und den Führerschein gemacht. In Österreich befänden sich eine Tante des Beschwerdeführers, sowie ein Cousin und dessen Kinder. Zudem habe der Beschwerdeführer hier Freunde und unterstütze seine behinderte Tante, bei welcher er regelmäßig übernachten würde. Der Beschwerdeführer plane, zu arbeiten und die Matura zu absolvieren, anschließend wolle er Informatik oder Medizin studieren.

In Bezug auf seinen Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass erste Interview hätte sein Vater gemacht und über Blutrache erzählt. Die Hauptsache sei etwas Anderes gewesen. Sein Vater sei ein hoher Beamter in einer Regierungsbehörde gewesen, er habe viele Informationen über Tschetschenien gehabt und sei dadurch gefährlich für Kadyrow gewesen. Der Hauptgrund sei Verfolgung durch Kadyrow. Der Beschwerdeführer sei wegen seines Vaters festgenommen worden, seitdem hätten sie sich in Tschetschenien versteckt gehalten und hätten Russland aus diesem Grund verlassen. Sie hätten negative Bescheide erhalten, der Vater des Beschwerdeführers sei wegen des Bruders des Beschwerdeführers, welcher ebenfalls festgenommen und verprügelt worden wäre, zurückgegangen. Dem Beschwerdeführer sei während seiner Festnahme der Arm gebrochen worden. In Tschetschenien sei bei seiner Mutter nach seinem Vater und ihm gefragt worden, dann hätten sie seien Bruder mitgenommen. Genaueres über die Arbeit seines Vaters sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt, er sei mit wichtigen Leuten um den Expräsidenten Dudajew zusammen gewesen. Der Beschwerdeführer sei im Oktober 2010 auf dem Heimweg von der Schule festgenommen und an einen unbekannten Ort gefahren worden, wo sie ihn über seinen Vater befragt hätten. Der Vater des Beschwerdeführers hätte sich versteckt gehalten, sie hätten diesen nicht finden können; der Beschwerdeführer sei im Anschluss zwei Wochen im Krankenhaus gewesen und operiert worden. Im Anschluss hätte er sich mit seinem Vater bis zur Ausreise im August 2011 in Inguschetien versteckt gehalten. Weshalb sein Vater diesen Sachverhalt im Rahmen seiner Einvernahmen nicht erwähnt hätte, sei dem Beschwerdeführer nicht bekannt; vielleicht hätte dieser Angst gehabt, erwischt zu werden. Für den Fall einer Rückkehr erwarte der Beschwerdeführer, entweder ermordet zu werden oder ins Gefängnis zu kommen. Tschetschenien sei fremd für ihn.

2.2. Der (Folge-) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 25.11.2013 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.11.2017, gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt I.); weiters wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Absatz 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde im Wesentlichen festgehalten, dass der Beschwerdeführer keinen neuen und entscheidungsrelevanten Sachverhalt dargelegt hätte, welcher sich nach rechtskräftigem Abschluss des Vorverfahrens ergeben hätte, auch habe sich die allgemeine Situation in seinem Herkunftsland seit rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens nicht geändert. Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines nunmehrigen Antrages ausschließlich Umstände geltend gemacht, welche schon zum Zeitpunkt seines vorangegangenen Verfahrens vorgelegen hätten und begründend ausgeführt, dass er von seinem Vater aufgefordert worden wäre, die tatsächlichen Gründe - nämlich eine Verfolgung durch den tschetschenischen Präsidenten aufgrund einer früheren Tätigkeit seines Vaters als Regierungsbeamter - nicht vorzubringen. Es lasse sich jedoch keinesfalls nachvollziehen, weshalb der Vater eine tatsächliche Verfolgung durch die tschetschenische Regierung hätte verschweigen sollen. Es hätten auch sonst keinerlei Anhaltspunkte festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, in dem er nach wie vor über enge familiäre Anknüpfungspunkte verfügen würde, einer Gefährdung ausgesetzt wäre. Eine Rückkehrentscheidung erweise sich als zulässig, da der Beschwerdeführer, welcher seinen nunmehrigen Aufenthalt lediglich durch Stellung eines Folgeantrags legitimiert hätte, über keine tiefgreifende Integration im Bundesgebiet verfügen würde - wohingegen er nach wie vor enge Bindungen zu seinem Herkunftsstaat aufweise.

Der angeführte Bescheid wurde per 06.12.2017 durch Hinterlegung zugestellt. Laut Rückschein wurde eine "Verständigung über die Hinterlegung" an der Abgabestelle zurückgelassen (vgl. AS 115).

2.3. Mit per 19.02.2018 datiertem und am selben Tag eingelangten Schriftsatz erhob die beschwerdeführende Partei unter anderem Beschwerde (Punkt III des Schriftsatzes) und beantragte, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen (Punkt IV des Schriftsatzes). Desweiteren wurden ein "Antrag auf ordnungsgemäße Zustellung" (Punkt I des Schriftsatzes) sowie "in eventu der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. §71 AVG sowie diesem die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen" (Punkt II des Schriftsatzes) gestellt.

Die Beschwerde wurde zusammengefasst im Wesentlichen damit begründet, dass sich der vom Beschwerdeführer nunmehr vorgebrachte Sachverhalt vom im Vorverfahren dargestellten Grund unterscheiden würde; im Sommer 2014 sei der Bruder des Beschwerdeführers durch die örtliche Polizei in Tschetschenien festgenommen worden, seither setze die Polizei den Genannten immer wieder unter Druck, um den Beschwerdeführer zur Rückkehr zu bewegen. Zudem habe er von seiner Mutter erfahren, dass russisches Militär an deiner Wohnadresse nach ihm gesucht hätte. Desweiteren habe der Beschwerdeführer von einer Festnahme seiner Person im Oktober 2010 berichtet, welche sich zeitlich betrachtet zwar schon vor seiner ersten Asylantragstellung ereignet hätte, jedoch hätte der damals noch minderjährige Beschwerdeführer dies im ersten Verfahren nicht vorgebracht, da sein Vater dies nicht gewollt hätte. Der Beschwerdeführer lebe mittlerweile seit mehr als sechs Jahren in Österreich und sei bestens integriert; dieser verfüge über herausragende Deutschkenntnisse (B1) und würde gerne in Österreich arbeiten. Die Tante des Beschwerdeführers sei in Österreich schutzberechtigt und auf die Unterstützung des Beschwerdeführers angewiesen, da sie an Gonarthropathie leiden würde; es erginge daher der Antrag, die Tante des Beschwerdeführers als Zeugin für das bestehende Privat- und Familienleben einzuvernehmen. Die lange Dauer seines zweiten Verfahrens könne dem Beschwerdeführer nicht angelastet werden, weshalb ihm sein unsicherer Verfahrensstatus nicht zum Vorwurf gemacht werden könne. Die Behörde habe es verabsäumt, den neuen Sachverhalt in ihre Entscheidung miteinfließen zu lassen und dadurch ihre Ermittlungspflichten verletzt. Verwiesen wurde auf näher angeführtes Berichtsmaterial, welches das Risiko von Inhaftierung, Folter und Ermordung von Rückkehrenden sowie die unzureichenden Haftbedingungen in der Russischen Föderation, und damit ein dem Beschwerdeführer nach einer Rückkehr in den Herkunftsstaat real drohendes Risiko einer Verletzung von Artikel 3 EMRK, implizieren würde. Beantragt wurde, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 17 BFA-VG zuzuerkennen und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

2.4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 16.04.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

2.5. Mit hg. Beschluss vom 19.04.2018, Zl. W111 1424654-2/2E, wurde die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG idgF als verspätet zurückgewiesen.

2.6. Mit Bescheid vom 06.04.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19.02.2018 gemäß § 33 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. Nr 33/2013 idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.) und dem Antrag auf Wiedereinsetzung gemäß § 33 Absatz 4 VwGVG die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.).

2.7. Mit hg. Erkenntnis vom heutigen Datum wurde einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1 und 2 iVm 33 Abs. 1 VwGVG stattgegeben, der angefochtene Bescheid behoben und dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19.02.2018 stattgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Auf Grundlage des Verwaltungsakts der belangten Behörde und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation (Tschetschenien) wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, er gehört der tschetschenischen Volksgruppe an und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste im August 2011 gemeinsam mit seinem Vater in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Gewährung subsidiären Schutzes unter gleichzeitiger Verfügung einer Ausweisung in die Russische Föderation rechtskräftig abgewiesen wurde (vgl. das verfahrensabschließende Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.02.2013, Zl. D12 424654-1/2012). Eine inhaltlich gleichlautende Entscheidung erging im Verfahren seines Vaters (Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 06.02.2013, Zl. D12 424653-1/2012), welcher in der Folge in den Herkunftsstaat zurückkehrte. Der (zwischenzeitig volljährige) Beschwerdeführer kam seiner rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung nicht nach und stellte am 25.11.2013 den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag.

1.2. Der Beschwerdeführer begründete seinen gegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz mit einer Gefährdungslage, welche ihm bereits zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich bekannt gewesen sei und machte keinen seit rechtskräftigem Abschluss seines vorangegangenen Verfahrens neu entstandenen Sachverhalt geltend.

Im gegenständlichen Fall ergab sich weder eine maßgebliche Änderung in Bezug auf die den Beschwerdeführer betreffende asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Herkunftsstaat, noch in sonstigen in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umständen.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und ist zu einer uneingeschränkten Teilnahme am Erwerbsleben fähig. Er hat in Tschetschenien die Schule besucht, spricht russisch und tschetschenisch und ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut. An seiner früheren Wohnadresse halten sich unverändert seine Mutter und seine jüngeren Geschwister auf, zudem leben ein Onkel, Tanten und Cousins des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat.

Eine entscheidungswesentliche Änderung der Ländersituation ist nicht eingetreten.

Der Beschwerdeführer hält sich seit August 2011 durchgehend im Bundegebiet auf, ist nicht selbsterhaltungsfähig und bestritt seinen Lebensunterhalt durchgehend im Rahmen der Grundversorgung sowie durch Unterstützung seiner im Bundesgebiet aufhältigen Angehörigen. Der Beschwerdeführer ging während seines Aufenthalts keiner Erwerbstätigkeit nach, engagierte sich nicht durch ehrenamtliche Tätigkeit und ist in keinem Verein Mitglied. In Österreich leben eine Tante und ein Cousin des Beschwerdeführers aufgrund eines Schutzstatus; der Beschwerdeführer lebte mit den genannten Angehörigen zeitweilig im gemeinsamen Haushalt und unterstützt seine Tante, welche eine Behinderung aufweist, im Alltagsleben. Ein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und den genannten Angehörigen liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer hat sich Deutschkenntnisse (Niveau B1) angeeignet, er hat im Jahr 2015 die Hauptschule absolviert und im Jahr 2016 mit dem Besuch einer Abendschule begonnen. Der unbescholtene Beschwerdeführer hat sich einen Bekanntenkreis im Bundesgebiet aufgebaut, über enge soziale Bindungen verfügt er (mit Ausnahme der oben erwähnten Angehörigen) in Österreich nicht.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.1. Tschetschenien

Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens zurücktreten, nachdem er von Kadyrow kritisiert worden war, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter in die föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen im September 2016, wenn auch das Republikoberhaupt gewählt wird, durchzuführen. Die Entscheidung erklärte man mit potentiellen Einsparungen durch das Zusammenlegen der beiden Wahlgänge, Experten gehen jedoch davon aus, dass Kadyrow einen Teil der Abgeordneten durch jüngere, aus seinem Umfeld stammende Politiker ersetzen möchte. Bei den Wahlen vom 18. September 2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Den offiziellen Angaben zufolge wurde Kadyrow mit über 97% der Stimmen im Amt des Oberhauptes der Republik bestätigt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld HRW über Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte (ÖB Moskau 12.2016). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 24.1.2017).

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die darauf aus wären, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtlern, aber auch von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert. Im März ernannte Präsident Putin Kadyrow im Zusammenhang mit dessen im April auslaufender Amtszeit zum Interims-Oberhaupt der Republik und drückte seine Unterstützung für Kadyrows erneute Kandidatur aus. Bei den Wahlen im September 2016 wurde Kadyrow laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt, wohingegen unabhängige Medien von krassen Regelverstößen bei der Wahl berichteten (ÖB Moskau 12.2016). Im Vorfeld dieser Wahlen zielten lokale Behörden auf Kritiker und Personen, die als nicht loyal zu Kadyrow gelten ab, z.B. mittels Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen, Todesdrohungen und Androhung von Gewalt gegenüber Verwandten (HRW 12.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):

Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/334746/476500_de.html, Zugriff 28.6.2017)

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html, Zugriff 21.6.2017

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Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,

http://www.integrationsfonds.at/themen/publikationen/oeif-laenderinformation/, Zugriff 21.6.2017

2. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015).

Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).

Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien solle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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