TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/7 W237 2175112-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2018
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Entscheidungsdatum

07.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2175112-1 /11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX (alias XXXX alias XXXX), geb. XXXX (alias XXXX), StA. Somalia, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2017, Zl. 1111038908-160507202, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.05.2018 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: AsylG 2005), § 57 und § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: FPG), und § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (im Folgenden: BFA-VG), sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 10.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er an, Staatsangehöriger von Somalia und am XXXX geboren worden zu sein.

1.1. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. In dieser gab er an, muslimischen Glaubens zu sein sowie dem Clan der Abgal anzugehören; in seinem Heimatland habe er als Tischler gearbeitet. Er leide unter einer unbekannten Hautkrankheit, nehme dagegen jedoch keine Medikamente. Aus Somalia sei er Ende des Jahres 2015 weggegangen, weil er von der Terrormiliz Al Shabaab bedroht worden sei; sein Vater sei seinetwegen ermordet worden. Bei einer Rückkehr nach Somalia befürchte der Beschwerdeführer, von dieser Gruppierung getötet zu werden.

1.2. Nach mehreren ärztlichen Untersuchungen erging am 26.06.2016 durch einen Sachverständigen der Medizinischen Universität Wien, Zentrum für Anatomie und Zellbiologie, ein Gutachten zur Volljährigkeitsbeurteilung des Beschwerdeführers. Aus dem Gutachten geht hervor, dass eine Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nicht mit dem höchstmöglichen Beweismaß ausgeschlossen werden könne. Es könne zum Untersuchungszeitpunkt (04.06.2016) nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Vollendung des 18. Lebensjahres festgestellt werden; das fiktive Geburtsdatum laute XXXX. Zum Zeitpunkt der Asylantragstellung des Beschwerdeführers sei von einem Mindestalter von XXXX Jahren auszugehen.

1.3. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer am 29.09.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, somalischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Abgal, muslimischen Glaubens und in Mogadischu geboren worden zu sein. Er sei gesund und nehme keine Medikamente. Bis zu seiner Flucht habe er in einem Haus in Mogadischu gelebt, seine Geschwister und seine Mutter lebten dort noch immer, sein Vater sei aber ermordet worden. Er habe Kontakt zu seiner Mutter, die sich um ihn sorge; sie arbeite am Markt und verkaufe Möbel, zu Hause gehe es allen gut. Der Beschwerdeführer sei von Mitgliegdern der Terrororganisation Al Shabaab aufgefordert worden, sich ihnen anzuschließen, andernfalls sie ihn töten würden. Als der Beschwerdeführer abgelehnt habe, seien sie zu seinem Vater gegangen, der auch bedroht und am 25.12.2015 ermordet worden sei. Nachdem der Beschwerdeführer von dessen Tod erfahren habe, sei er in einen anderen Bezirk gegangen und schließlich mit einem PKW aus dem Land geflohen. Es gebe in Somalia noch immer Anschläge. Die Nachfrage, ob der Beschwerdeführer nach Mogadischu zurückkehren würde, wenn die Al Shabaab dort nicht mehr aktiv wäre, bejahte er. Befragt, wohin er gehen würde, wenn er heute am Flughafen in Mogadischu ankäme, meinte er, dass er zu seiner Familie zurückgehen würde. Es würden ihn bei einer Rückkehr nach Somalia aber die gleichen Probleme wie bei seiner Ausreise erwarten. Er sei in seiner Familie der jüngste Sohn und die Al Shabaab suche immer nach jungen Burschen. Über Vorhalt, dass die Al Shabaab den nächsten Bruder nehme, wenn der vorherige nicht beitreten wolle, führte der Beschwerdeführer aus, dass er nicht wisse, ob seine Brüder auch angesprochen worden seien.

Der Beschwerdeführer legte nach seiner Einvernahme ein Bestätigungsschreiben eines Fußballvereins vom 03.07.2017 vor, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer bereits einige Male im Verein unentgeltlich ausgeholfen habe und regelmäßig in der zweiten Mannschaft trainiere.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 30.09.2017 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. (Spruchpunkt II.) ab, erkannte ihm einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit. nicht zu, erließ im Sinne des § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.); schließlich hielt die Behörde fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht glaubhaft beurteilt und davon ausgegangen werde, der Beschwerdeführer habe Somalia aus persönlichen Gründen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft verlassen. Seine Angehörigen würden nach wie vor in Mogadischu leben. Der Beschwerdeführer habe in Österreich keine Familienangehörigen, eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich habe nicht festgestellt werden können. Sein Vorbingen zum Fluchtgrund sei widersprüchlich, nicht plausibel, wenig detailreich und nicht lebensnah gewesen, weshalb ihm die Glaubwürdigkeit insgesamt abzusprechen sei. Er habe nicht schlüssig erklären können, weshalb er über sein Alter unterschiedliche Angaben gemacht habe. Auch habe er nicht erklären können, weshalb seine Brüder unbehelligt in Mogadischu leben könnten, der Beschwerdeführer jedoch habe fliehen müssen. Selbst wenn man den Angaben des Beschwerdeführers Glauben schentke, sei durch die geänderte Sicherheitslage und auch die geänderte allgemeine Situation in Mogadischu keine Bedrohung für den Beschwerdeführer in der Zukunft zu erkennen. Die Al Shabaab sei aus Mogadischu vertrieben worden; den Länderfeststellungen sei zudem zu entnehmen, dass es viele freiwillige Rückkehrer nach Somalia gebe, vor allem nach Mogadischu. Somalische und internationale Medien würden ein verhalten optimistisches Bild von Mogadischu zeichnen. Die Familie des Beschwerdeführers lebe dort in einem Haus, wo er sofort wieder aufgenommen werden könnte. Es würden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Mogadischu Gefahr laufe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Zu seiner Integration in Österreich sei anzuführen, dass der Beschwerdeführer zwar Deutsch lerne und in einem Sportverein aktiv sei, er jedoch von der Grundversorgung lebe und in einer Betreuungsstelle untergebracht sei. Eine Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich habe nicht festgestellt werden können. Seine Bindungen zum Heimatstaat wären wesentlich stärker als zu Österreich, da er erst seit April 2016 im Bundesgebiet sei, seine Familie hingegen - unter relativ guten Verhältnissen - noch in Mogadischu lebe. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers sei ob dieser Umstände jedenfalls zulässig.

3. Der Beschwerdeführer erhob durch seinen zur weiteren Vertretung bevollmächtigten Rechtsberater gegen den angeführten Bescheid vollinhaltlich Beschwerde, welche am 23.10.2017 per Fax beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wiederholte er im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen und führte aus, die Behörde habe dieses nicht vor dem Hintergrund einschlägiger Länderberichte gewürdigt und auch sonst keine ihr zumutbaren Ermittlungen zum Fluchtvorbringen durchgeführt. Es werde auszugsweise auf eine Passage im Bescheid verwiesen, welche die prekäre humanitäre Situation in Somalia anführe. Die Behörde ziehe Schlussfolgerungen zur Lage in Somalia aus unvollständigen, teilweise unrichtigen bzw. unrichtig ausgewerteten und für den Fall des Beschwerdeführers nicht relevanten Länderfeststellungen. Insoweit sich die Länderberichte auf einen Zeitraum beziehen, der im Entscheidungszeitpunkt mehr als ein Jahr zurückliege, seien diese jedenfalls als veraltet anzusehen. Die Al Shabaab sei eine komplexe Terrororganisation, die das ganze somalische Territorium abdecke, Regierungskräfte infiltiert habe und sich konstant mit bestimmten Clans und Subclans vereinige, um ihre Kontrolle über ihr Territorium aufrechtzuerhalten. Dem Bericht der österreichisch-schweizerischen Fact Finding Mission von August 2017 sei zu entnehmen, dass es zwischen den Jahren 2012 und 2017 kaum relevante Änderungen in den "Areas of Influence" gegeben habe; sobald ein Ort von AMISOM geräumt werde, etabliere die Al Shabaab binnen weniger Stunden eine Verwaltung. Die Organisation habe vor, weitere Teile des Territoriums wieder zu kontrollieren; die Al Shabaab verfüge über ausreichend Kapazitäten, um in Städten unter Kontrolle von AMISOM und der Regierung asymmetrische Kriegsführung anzuwenden. Die Präsenz Al Shabaabs in Somalia sei schwierig präzise zu definieren, weshalb sich die Sicherheitslage in Somalia als unbeständig beschreiben lasse. Jugendliche und junge Männer seien das Hauptziel ihrer Rekrutierungsstrategie. Dem Beschwerdeführer drohe durch die Al Shabaab im gesamten Staatsgebiet asylrelevante Verfolgung wegen einer möglichen Zwangsrekrutierung. Außer in Mogadischu, wohin er aufgrund der geschilderten Verfolgung durch die Terrormiliz nicht zurückkehren könne, verfüge der Beschwerdeführer in Somalia über kein familiäres Netzwerk, es stehe somit keine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die Behörde stelle im Bescheid einerseits fest, dass der Beschwerdeführer ledig sei, während sie an anderer Stelle anführe, dass er seine Ehefrau nachholen bzw. diese unterstützen wolle. Dem Beschwerdeführer fehle in Somalia insbesondere aufgrund der dort herrschenden prekären humanitären Lage jegliche Existenzgrundlage.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.05.2017 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die somalische Sprache und im Beisein seiner Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

3.1.1. In dieser gab er im Wesentlichen an, gesund zu sein und im bisherigen Verfahren stets die Wahrheit gesagt zu haben. Seine Famile sei nunmehr nicht mehr in Somalia, sondern unbekannten Aufenthalts; zuletzt habe er mit seiner Mutter im August 2017 telefoniert, wobei sie ihm Drohungen durch die Al Shabaab berichtet habe. Ob seine Mutter überhaupt noch am Leben sei, wisse er nicht. Er führte über Fragen nach seinem persönlichen Hintergrund aus, dass er in Mogadischu geboren und im Bezirk Shibis mit seinen Eltern und sieben Geschwistern aufgewachsen sei; er habe vier Jahre die Schule besucht und anschließend als Tischler gearbeitet. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er - beginnend mit September 2015 - zwei Mal von Jugendlichen aufgefordert worden sei, für die Al Shabaab tätig zu werden. Schließlich habe ihn auch ein älterer Mann bedroht. Am nächsten Tag sei sein Vater am Markt ermordet worden. Der Beschwerdeführer habe sich anschließend fünf Tage versteckt gehalten und dann Somalia schlepperunterstützt verlassen. In Österrech wohne der Beschwerdeführer nunmehr alleine in einem Flüchtlingsheim in Kärnten. Er habe im Bundesgebiet noch nicht gearbeitet und auch keine Ausbildungen absolviert. Im Fall der Erteilung eines Aufenthaltstitels wolle er aber arbeiten gehen und sich weiterbilden.

3.1.2. Der Beschwerdeführer legte in der Verhandlung eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Werte- und Orientierungskurs vom 29.03.2018 vor.

3.2. In einer nachgereichten Stellungnahme vom 11.06.2018 zum Länderinformationsblatt der BFA-Staatendokumentation vom 03.05.2018 und zur Anfragebeantwortung der BFA- Staatendokumentation vom 11.05.2018 führte die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers aus, dass dem Beschwerdeführer in ganz Somalia Verfolgung durch die Al Shabaab drohe. Er würde insbesondere in ganz Mogadischu von der Al Shabaab aufgespürt und getötet werden und es stehe ihm keine relevante interne Fluchtalternative offen. Der Beschwerdeführer habe sich nur in Mogadischu aufgehalten und in anderen Landesteilen Somalias keine Ortskenntnis oder ein soziales Netzwerk, worauf der Beschwerdeführer jedoch angesichts der angespannten humanitären Lage im Fall seiner Rückkehr angewiesen wäre. Der Vater des Beschwerdeführers habe sich an die Polizei gewandt, die folglich untätig geblieben sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags auf internationalen Schutz vom 10.04.2016, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 30.09.2017, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.05.2018, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Strafregister, Fremden- und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, gehört dem Clan der Hawiye, Subclan Abgaal, Subsubclan XXXX, an und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Er wurde in der somalischen Hauptstadt Mogadischu geboren, wo er im Bezirk Shibis mit seinen Eltern, seinen beiden Brüdern und vier Schwestern im gemeinsamen Haushalt aufwuchs. Er besuchte vier Jahre die Schule, arbeitete darauf als Schreiner und half am Markt mit Verkaufstätigkeiten aus. In Mogadischu leben nach wie vor zumindest seine Mutter und einige seiner sieben Geschwister in einem Haus in Shibis; der Lebensunterhalt der Familie wird zumindest teilweise durch den Marktverkauf von Möbeln gesichert. Darüber hinaus leben auch Onkeln und Tanten des Beschwerdeführers weiterhin in Somalia.

Im Dezember 2015 reiste er schlepperunterstützt aus Somalia über Äthiopien und den Sudan nach Libyen, von wo er mit einem Boot nach Italien übersetzte. Von dort reiste der Beschwerdeführer illegal nach Österreich weiter und stellte am 10.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seitdem befindet er sich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung durchgängig im Bundesgebiet, lebt in einer Flüchtlingsunterkunft und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer geht derzeit keiner legalen Arbeit nach und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten. Er leidet an keiner schweren Krankheit und bezeichnete sich selbst im Rahmen der Verhandlung als gesund. In Österreich leben keine Familienangehörige des Beschwerdeführers. In seiner Freizeit spielt er Fußball und hat zumindest in diesem Rahmen soziale Kontakte geknüpft. Er beherrscht einige Grundvokabel der deutschen Sprache, ist jedoch nicht in der Lage, eine einfache Konversation in deutscher Sprache zu führen. Weiters besuchte er einen Werte- und Orientierungskurs.

1.1.2. Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen konnte nicht festgestellt werden. Ebenso konnte nicht festgestellt werden, dass die Familie des Beschwerdeführers nicht mehr in Mogadischu leben würde.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Politische Lage

Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).

Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).

Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).

Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).

Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).

Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).

Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).

Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)

Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).

Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).

Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).

Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.

Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).

Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).

Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017

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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,

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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,

http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017

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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):

Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018

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ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia

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UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017

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UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,

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UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):

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USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017

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WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update,

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Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).

Quellen:

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018

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ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

Süd-/Zentralsomalia

Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).

AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).

Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).

Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).

Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).

Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).

Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf.

Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).

Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).

Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).

Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).

Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).

Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).

UNSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (NHRC 10.12.2017a).

Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).

Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten: Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.

Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).

Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).

Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

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AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017

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BBC (22.12.2017): Who are Somalia's al-Shabab?

http://www.bbc.com/news/world-africa-15336689, Zugriff 5.1.2018

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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017

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BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,

https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (6.11.2017): The World Factbook

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Somalia,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html, Zugriff 10.11.2017

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DS - Der Standard (2.12.2017): Neue Bilanz: Mehr als 500 Tote bei verheerendem Anschlag in Mogadischu, http://derstandard.at/2000068930378/Neue-Bilanz-Mehr-als-500-Tote-bei-verheerendem-Anschlag-in?ref=rec, Zugriff 21.12.2017

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HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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