Entscheidungsdatum
10.09.2018Norm
AVG §58 Abs2Spruch
W183 2203469-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin MMag. Dr. Erika PIELER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch VertretungsNetz - Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, dieses vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien vom 03.07.2018, Zl. XXXX , betreffend den Nachlass von Gerichtsgebühren:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Lastschriftanzeige vom 24.05.2018, Zl. XXXX wurde dem Beschwerdeführer (BF) die Zahlung der Gebühr gemäß TP 7 Z I lit. c Z 1 Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984 (in Folge GGG), in Höhe von EUR 134,00 vorgeschrieben.
2. Mit Schriftsatz vom 06.06.2018 brachte BF durch seine Rechtsvertretung einen Antrag auf Nachlass der Gerichtsgebühren in Höhe von EUR 134,00 ein. Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der Anhaltung des BF sowohl die Grundversorgung als auch die bedarfsorientierte Mindestsicherung eingestellt worden seien und verfüge BF über keinerlei Einkommen. Auf seinem Konto würden sich EUR 367,71 befinden, welche benötigt würden, um die Räumung seiner Wohnung zu organisieren, sobald feststehe, wohin er nach der Hauptverhandlung kommen werde. Daher werde beantragt, die vorgeschriebenen Gebühren in Höhe von EUR 134,00 zu erlassen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid (zugestellt am 06.07.2018) wurde dem Antrag des BF auf Nachlass nicht stattgegeben. Als Begründung wurde der Wortlaut des Antrags auszugsweise wiederholt und festgehalten, dass BF laut Auskunft der Justizanstalt XXXX am 19.06.2018 entlassen worden sei. Da die behaupteten Nachlassgründe nicht mehr zutreffen würden, könne dem Antrag nicht stattgegeben werden.
4. Mit Schriftsatz vom 30.07.2018 (Poststempel 01.08.2018) erhob der BF durch seine Rechtsvertretung binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, dass die Einkommenssituation des BF unrichtig beurteilt worden sei. Zwar sei BF aus der Justizanstalt entlassen worden, jedoch seine Unterbringung angeordnet und unter Bestimmung einer Probezeit von fünf Jahren unter näher bestimmten Auflagen bedingt nachgesehen worden. BF befinde sich seit 19.06.2018 in einer vollbetreuten Wohnform. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung sei daher rückwirkend eingestellt worden, und BF erhalte auch keine Grundversorgung. Über den Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung sei noch nicht entschieden worden. Es sei maximal mit einem Sozialhilfetaschengeld in Höhe von ca. EUR 150,00 zu rechnen. BF verfüge derzeit über keinerlei Einkünfte und verfüge nach der Begleichung der Kosten für die Räumung seiner ehemaligen Wohnung über einen Kontostand von EUR 12,94.
5. Mit Schriftsatz vom 08.08.2018 (eingelangt am 14.08.2018) legte die belangte Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des BF stehen nicht fest.
Die belangte Behörde hat keine entsprechenden Ermittlungen durchgeführt sowie keine nachvollziehbaren Sachverhaltsfeststellungen getroffen.
BF wurde nicht zur Vorlage ergänzender Unterlagen aufgefordert.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (in Folge: B-VG), erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
3.2. Zu A)
3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2.2. Gemäß § 9 Abs. 2 Gerichtliches Einbringungsgesetz, BGBl. Nr. 288/1962 (in Folge: GEG), können Gebühren und Kosten auf Antrag nachgelassen werden, wenn die Einbringung mit besonderer Härte für den Zahlungspflichtigen verbunden wäre oder wenn der Nachlass im öffentlichen Interesse gelegen ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es in einem Verfahren über den Nachlass von Gerichtsgebühren Sache des Antragstellers, einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels das Vorliegen aller jener Umstände darzutun, auf die der Nachlass gestützt werden kann. Im Nachsichtverfahren trifft den Antragsteller somit eine erhöhte Mitwirkungspflicht (VwGH 29.06.2006, 2006/16/0021 mwN; vgl. auch VwGH 29.04.2013, 2010/16/0182).
Zwar hat ein Antragsteller nach dieser Judikatur alle jene Umstände, auf die er sein Ansuchen stützt, einwandfrei und unter Ausschluss jeglicher Zweifel darzulegen. Jedoch hat die Behörde über den Antrag ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einzuleiten und die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe zu prüfen. Dabei hat die Behörde in der Begründung ihres Bescheides Feststellungen über den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu treffen (vgl. VwGH 24.09.2009, Zl. 2008/16/0130, mwN). Insbesondere ist es Aufgabe der Behörde, im Einzelfall bezogen auf die persönlichen Verhältnisse des Nachsichtwerbers jene Feststellungen zu treffen, die es ermöglichen, die Entscheidung zu überprüfen, dass die Voraussetzungen für den Nachlass im gegebenen Fall nicht vorliegen (vgl. VwGH 09.09.1993, Zl. 92/16/0119; VwGH 16.10.2014, 2011/16/0232).
Die Feststellung, ob die Voraussetzungen für den Gebührennachlass gegeben sind, hängt einerseits von der Ermittlung des Sachverhalts, andererseits von der Auslegung der unbestimmten Gesetzesbegriffe "besondere Härte" und "öffentliches Interesse" ab, weshalb ein über ein Nachlassansuchen ergangener Bescheid Verfahrensvorschriften verletzt, wenn Feststellungen über den entscheidungswesentlichen Sachverhalt unterlassen wurden (VwGH 13.12.1984, 84/15/0032). Die Behörde ist somit verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, die geltend gemachten Gründe zu prüfen und in der Begründung entsprechende Feststellungen über den entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu treffen (vgl. Wais/Dokalik, Gerichtsgebühren13 § 9 GEG E 23, 24, 25, 26).
Auch aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen ist es erforderlich, ein ordnungsgemäßes, behördliches Verfahren zu führen. So sind nach ständiger Rechtsprechung im Nachsichtsverfahren nach § 9 Abs. 2 GEG die allgemeinen Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens zu beachten, wozu unter anderem die nachprüfbare Begründung der Entscheidung gehört; insbesondere ist es Aufgabe der Behörde, im Einzelfall bezogen auf die persönlichen Verhältnisse des Nachsichtswerbers jene Feststellungen zu treffen, die es ermöglichen, die Entscheidung zu überprüfen (VwGH 09.09.1993, 92/16/0119).
Gemäß § 58 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (in Folge: AVG), sind Bescheide u.a. dann zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen wird. Gemäß § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Bescheide, in denen die Behörde nicht in eindeutiger Weise aufzeigt, von welcher konkreten Sachverhaltsannahme sie ausgegangen ist und worauf sich die getroffenen Tatsachenfeststellungen in Einzelnen stützen, sind mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet (vgl. Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, AVG § 60, insb. Rz 35ff mwN).
Beim Verstoß gegen die Begründungspflicht gem. §§ 58 Abs. 2 und 60 iVm § 67 AVG 1950 liegt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften dann vor, wenn die belangte Behörde bei Einhaltung derselben einem anderen Bescheid hätte kommen können (Hinweis E 14.11.1980, 753/78, VwGH 19.03.1991, 87/05/0196).
Begründungslücken sind dann wesentlich, wenn sie zur Folge haben, dass der BF und auch das nachprüfende Verwaltungsgericht über die von der Behörde getroffenen Erwägungen nicht ausreichend unterrichtet und die Überprüfung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich der Rechtmäßigkeit seines Inhaltes dadurch verunmöglicht wird. Das trifft hier zu.
Den Anforderungen an die Begründung eines Bescheides wird die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht gerecht.
3.2.3. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen sowie den angeführten Rechtsgrundlagen und der entsprechenden Judikatur gelangt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde die für die Entscheidung erforderlichen Feststellungen unterlassen hat. Als "Begründung", warum kein Nachlass zu gewähren ist, wird lediglich behauptet, dass die "behaupteten Nachlassgründe" nicht mehr zutreffen würden, jedoch nicht ausgeführt, wie die belangte Behörde zu diesem Schluss gelangt. Auch dem Akt sind keine weiteren Ermittlungen zu entnehmen. Dies entspricht jedoch keinem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren wie vom Verwaltungsgerichtshof gefordert und wären - ausgehend vom Vorbringen des BF - Ermittlungen und schließlich hinreichende und begründete Sachverhaltsfeststellungen seitens der belangten Behörde durchzuführen und zu treffen gewesen.
Die aufgezeigten fehlenden Feststellungen zur Einkommens- und Vermögenslage können nicht ohne Durchführung von ergänzenden Ermittlungen getroffen werden. Aufgrund des völligen Unterbleibens der oben genannten Ermittlungen und Feststellungen im behördlichen Verfahren zu diesen hier bedeutsamen Fragen im Tatsachenbereich, steht der für eine Entscheidung des BVwG in der Sache erforderliche Sachverhalt fallbezogen nicht fest.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG kommt bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken in Betracht, insbesondere dann, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Fallbezogen liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes im diesem Sinne vor.
Es kann nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht bei einer Gesamtbetrachtung zu einer - erheblichen - Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
Die genannten Ermittlungen sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts für eine Beurteilung der Frage, ob die Einbringung mit besonderer Härte verbunden wäre oder der Nachlass im öffentlichen Interesse gelegen ist, notwendig. Da zu den offenen Fragestellungen umfassende Sachverhaltsermittlungen erforderlich sind, macht das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch. Der angefochtene Bescheid ist daher gem. § 28 Abs. 3 VwGVG zu beheben und die Angelegenheit an den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien zur Durchführung der genannten Ermittlungen und Erlassung eines neuen Bescheides zurückzuverweisen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand genommen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter Punkt 3.2. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Begründungsmangel, besondere Härte, Einkommen, Ermittlungspflicht,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2018:W183.2203469.1.00Zuletzt aktualisiert am
16.11.2018