Entscheidungsdatum
10.09.2018Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W159 2127303-1/39E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. SOMALIA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2016, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19.07.2018 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, 8 Abs.1, 57 und 10 Abs. 1 Z3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG und 52 Abs. 2 und 9, 46 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, gelangte am 26.06.2014 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte am 27.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Noch am gleichen Tag wurde er vom XXXX, einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass die Al-Shabaab ihn habe rekrutieren wollen, er dies aber nicht gewollt habe. Da Leute, die sich geweigert hätten, getötet worden sein, habe er aus Angst das Land verlassen, seine Familie habe ihn dabei finanziell unterstützt.
Nach Zulassung zum Asylverfahren wurde die gesetzliche Vertretung des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers vom zuständigen Jugendwohlfahrtsträger an namentlich genannte Mitarbeiter der XXXX übertragen. Am 19.04.2016 erfolgte eine ausgiebige Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark. Eingangs der Befragung gab der Antragsteller an, dass er in Österreich wegen seiner Zähne operiert worden sei, sonst aber nicht in ärztlicher Behandlung sei und eine Deutschkursbestätigung vorlegen möchte. Er habe bis zur Ausreise in XXXX gelebt und zwar mit seiner Mutter und insgesamt sechs Geschwistern. Sein Vater lebe noch, er sei psychisch krank, seine Eltern hätten sich aber getrennt. Er habe am XXXX XXXX verlassen und sei dann über Äthiopien und den Sudan nach Libyen, dort habe er sich fünf Monate aufgehalten. Nach der Übersetzung des Mittelmeeres sei er von Italien nach Österreich gelangt. Mit seinen Angehörigen habe er ca. einmal im Monat telefonischen Kontakt. Sie wären arm, er habe als Frisör gearbeitet und die Familie versorgt, seine Mutter sei Diabetikerin. Von 2005 bis 2013 habe er eine normale Schule besucht. Er gehöre dem Clan Madhiban an, sie wären eine Minderheit. Für die Ausreise habe er behauptet, einem anderen Stamm anzugehören und sie hätten bezahlt. Mit staatlichen Behördenorganen habe er keine Probleme gehabt, auch nicht wegen seiner Religion. Wegen seiner Clanzugehörigkeit habe er aber schon Probleme gehabt und in der Schule hätten ihn die Mitschüler an den Haaren gerissen. Sie hätten auch gesagt, dass er seinen Mitschülern die Haare schneiden solle und sie ihn bezahlen würden. Nachdem er das getan habe, hätten sie nicht gezahlt. Dann hätte seine Mutter zu ihm gesagt, dass er das Land verlassen solle. Wegen der Verletzung sei er mit sieben Stichen genäht worden. Er habe den Vorfall nicht angezeigt, denn es gäbe keine Polizei in Somalia. Den Vorfall in der Schule habe er der Lehrerin gemeldet. Sie habe mit den Kindern geredet, aber als sie weggewesen sei, hätten sie ihn wieder geschlagen. Er habe jeden Tag Schläge erhalten. Zu Hause habe er in einem kleinen Geschäft gearbeitet, wo man auch Zigaretten verkauft habe. Manche hätten ihm etwas gezahlt, manche nicht und manche hätten ihn angespuckt, weil er einer Minderheit angehöre. Sonstige Vorfälle habe es nicht gegeben. Sie hätten ihm aber auch Brandwunden und eine Messerverletzung zugefügt. Am Vormittag sei er an der Schule gewesen und am Nachmittag habe er gearbeitet. Er könne auch nicht in XXXX leben, denn überall in Somalia würde er diskriminiert werden. Er habe auch noch nie in XXXX gelebt. Für die Ausreise habe er nicht gesagt, dass er ein Madhiban sei, sondern einen anderen Stamm angegeben, um Hilfe zu erhalten. Bei der Flucht frage man nicht so genau, aber sonst würde er überall aufgrund seines Berufes als Madhiban erkannt werden.
In Österreich erhalte er Grundversorgung, besuche einen Deutschkurs, zudem spiele er in XXXX Fußball.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.04.2016, Zl. XXXXwurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, unter Spruchteil II. dieser Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen und unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig sei sowie unter Spruchpunkt IV. die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen festgelegt.
In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegeben Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Somalia getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere ausgeführt, dass es unlogisch sei, dass er einerseits Schikanen von Mitschülern ausgesetzt gewesen wäre, andererseits aber von fremden Clanmitgliedern bei der Ausreise unterstützt worden sei. Lediglich die Angaben zu den familiären Anknüpfungspunkten, der materiellen Lage und der Erwerbsfähigkeit seien nachvollziehbar und glaubhaft gewesen, die Ausreisegründe hingegen nicht. Zu Spruchteil I. wurde insbesondere ausgeführt, dass der Antragsteller keine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgung vor einer solchen im Sinne der GFK vorgebracht habe, sondern angegeben habe, dass er das Land wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage verlassen habe. Zu Spruchteil II. wurde ausgeführt, dass eine besondere Gefährdungslage weder vom Beschwerdeführer vorgebracht, noch aus den Länderfeststellungen ersichtlich sei. Es handle sich bei ihm um einen gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen mit familiären Anknüpfungspunkten, wodurch er keiner existenziellen Notlage ausgesetzt wäre, die eine unmenschliche Behandlung im Sinne der GFK darstellen würde. Zu Spruchteil III. wurde insbesondere ausgeführt, dass familiäre oder verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte in Österreich nicht bestehen würden. Was sein Privatleben betreffe, so halte er sich erst seit Juni 2014 in Österreich auf und beherrsche die deutsche Sprache nur sehr wenig, er sei auf Unterstützungen angewiesen und habe auch sonst keine Verwandten in Österreich. Seine Bindungen im Heimatstaat seien jedoch wesentlich stärker als jene zu Österreich und beherrsche er dort die dortige Sprache. Er sei in Österreich lediglich aufgrund des anhängigen Asylverfahrens zum Aufenthalt berechtigt gewesen, es sei insgesamt die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens als gering einzustufen. Bei einer Gesamtbetrachtung der Interessen unter Beachtung aller bekannten Umstände, ergebe sich daher, dass eine Rückkehrentscheidung gerechtfertigt sei, zumal ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht zu erteilen gewesen sei. Wie bereits dargelegt ergebe sich im vorliegenden Fall keine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG und sei daher die Abschiebung nach Somalia zulässig, zumal einer solchen auch keine Empfehlung des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entgegenstehe. Gründe für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise wären auch nicht hervorgekommen.
Gegen diesen Bescheid und zwar gegen alle Spruchteile erhob der Antragsteller, vertreten durch die XXXX, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser wurde der bisherige Verfahrensgang einschließlich des Vorbringens kursorisch wiedergegeben und ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren und mangelhafte Länderfeststellungen kritisiert. Insbesondere wurde unter Hinweis auf die diesbezügliche Judikatur kritisiert, dass sich das Ermittlungsverfahren zu wenig mit der Herkunftsregion und der Lage der Madhiban auseinandergesetzt habe. Es wurde aus diesbezüglichen Länderberichten ausgiebig zitiert. Auch mit XXXX und der dortigen Bedrohung durch die Al-Shabaab habe sich die Behörde zu wenig auseinandergesetzt und auch diesbezüglich wurde ausgiebig aus Länderberichten zitiert. Weiters wurde vorgebracht, dass dem Antragsteller eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht offenstehe und die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit durch die somalischen Behörden nicht gegeben sei. Auch die Beweiswürdigung sei mangelhaft gewesen, sie bestehe lediglich aus zwei kurzen Absätzen und Textbausteinen. Auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung wurde unter Anführung diesbezüglicher Judikatur moniert. Schließlich wurde auch auf die Verhandlungspflicht des BVwG verwiesen.
Es erfolgten Anzeigen gegen den Beschwerdeführer nach dem SMG sowie sexueller Belästigung einer rumänischen Staatsangehörigen. Die für den 31.10.2017 anberaumte mündliche Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes musste wegen Verhaftung des Beschwerdeführers abberaumt werden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 06.11.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 und Abs. 2a SMG und § 218 Abs. 1a STGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 5 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren rechtskräftig verurteilt. Eine weitere, für den 09.03.2018 anberaumte Beschwerdeverhandlung musste abberaumt werden, da die Zustellung an den Beschwerdeführer nicht möglich war und wurde das Beschwerdeverfahren mit Beschluss des BVwG vom 14.02.2018 zur Zahl XXXX eingestellt. Nachdem nunmehr (wieder) eine ladungsfähige Anschrift des Beschwerdeführers vorlag, wurde eine Beschwerdeverhandlung für den 19.07.2018 anberaumt, zu welcher der Beschwerdeführer in Begleitung eines Vertreters der XXXX erschien, während sich die belangte Behörde für die Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Das Verfahren wurde fortgesetzt.
Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht, er wollte nichts korrigieren oder ergänzen. Er sei somalischer Staatsangehöriger, habe darüber keine Dokumente und gehöre dem Clan Madhiban an sowie sei er Moslem/Sunnit. Auch den Subclan und Subsubclan nannte er. Er nannte auch mehrere Namen seines Clans und gab an, dass sie einen eigenen Dialekt und eigene Frisuren besitzen würden. Sie seien ein Minderheitenstamm und ganz ganz unten in der Hierarchie der traditionellen somalischen Gesellschaft. Sie wären in keiner Region Somalias in der Mehrheit und würden in ganz Somalia siedeln.
Er sei am XXXX in XXXX geboren und habe dort bis zur Ausreise im Bezirk XXXX gelebt. Dies sei ein Bezirk der Stadt XXXX. Sein Vater sei schon verstorben, seine Mutter lebe noch. Sein Vater sei vor 8 Monaten verstorben. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 131) gesagt habe, dass sein Vater physisch krank sei, gab er an, dass dieser total verrückt sei, er wisse aber auch nicht warum. Früher habe er gearbeitet, eines Tages habe er gesagt, dass er starke Kopfschmerzen habe und Medikamente dagegen brauche, auf einmal sei er dann verrückt geworden. In Somalia gebe es keine medizinische Versorgung, seine Mutter habe ihn in ein Zimmer eingesperrt, dort sei er dann bis zu seinem Tod geblieben. Seine Eltern hätten bis zu seinem Tod zusammengelebt. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 131) angegeben habe, dass seine Eltern getrennt gewesen wären, gab er an, dass sie früher getrennt gewesen wären, aber dann wieder zusammengekommen wären. Seine Mutter sei gesund, sei aber zuckerkrank. Er habe zwei Brüder und drei Schwestern. Eine seiner Schwestern sei 2016 eines natürlichen Todes gestorben. Über Vorhalt, dass er im Administrativverfahren eine unterschiedliche Anzahl von Geschwistern angegeben habe (7 (AS 73), 5 (AS 131)), nunmehr spreche er von 6 Geschwistern, gab er an, dass 6 noch am Leben wären. Er habe von 2005 bis 2013 eine Koranschule inXXXXbesucht, dort habe er auch somalisch schreiben und lesen gelernt. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung (AS 69) angegeben habe, dass er von 2004 bis 2013 die Grundschule besucht hätte, nicht aber eine Koranschule, obwohl dort Koranschulen extra angeführt werden, gab er an, dass er zuerst mit einer Koranschule angefangen habe. Dort hätten die Lehrer ihnen auch somalisch schreiben und lesen beigebracht. Es gäbe es keine öffentlichen Schulen in XXXX. 2010 habe er aufgehört, in diese normale Schule zu gehen, weil der Lehrer seinem Vater Geld haben wollte und er sich das nicht habe leisten können. Sein Vater habe sie versorgt, er habe mitgearbeitet. Manchmal habe er auch keine Arbeit gehabt. Er selbst habe manchmal als Frisör und Zigarettenverkäufer gearbeitet. Schon im Alter von 8 Jahren habe er zu arbeiten begonnen. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung angegeben habe, dass er Maler und Anstreicher sowie Händler gewesen sei (AS 71), gab er an, dass er wohl Maler und Anstreicher habe lernen wollen, aber nie als solcher gearbeitet habe. Seine Mutter habe nicht gearbeitet. Ihre wirtschaftliche Lage in Somalia sei sehr, sehr schlecht gewesen.
Politisch betätigt habe er sich in Somalia nicht, er habe aber Probleme mit der Al-Shabaab gehabt, dies seien Teil seiner Ausreisegründe, denn sein Koranlehrer sei ein Mitglied der Al-Shabaab gewesen. Näher gefragt gab er an, dass dieser XXXX geheißen habe und dieser ihm oft gesagt habe, dass die Al-Shabaab richtig wäre und er mit dieser Gruppe zusammenarbeiten solle. Das erste Mal habe er mit ihm 2007 oder 2008 gesprochen. Er habe versprochen, darüber mit seinen Eltern zu sprechen, er meinte jedoch, er solle darüber nicht mit seinen Eltern sprechen. Ein paar Tage später habe er wieder angefangen, mit ihm über die Al-Shabaab zu sprechen. Das letzte Mal sei es 2009 gewewesen, dann habe er seine Koranschule zugesperrt und sei verschwunden. Gefragt, ob er persönlich von der Al-Shabaab bedroht worden sei, gab er an, dass er eines Tages im Jahre 2010 einige Mitglieder der Al-Shabaab zu ihm nach Hause gekommen wären und versucht hätten, ihn mitzunehmen, da er sich geweigert und geweint habe, hätten sie ihn losgelassen. Sie hätten dann an seiner statt Nahrungsmittel mitgenommen und wären weggegangen. Von der Al-Shabaab sei er niemals mitgenommen worden, der Besuch der Al-Shabaab Mitglieder 2010 bei ihnen zu Hause sei der letzte Kontakt mit der Al-Shabaab gewesen. Über Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung als Fluchtgrund eine versuchte Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab erwähnt habe (AS 39), während er beim BFA von Problemen mit der Al-Shabaab nichts erwähnt habe, gab er an, dass er mit der versuchten Zwangsrekrutierung gemeint habe, dass sein damaliger Lehrer ihn oft auf eine Mitgliedschaft bei der Al-Shabaab angesprochen habe und aufgefordert habe, darüber nichts zu erzählen.
Gefragt, ob er persönlich konkrete Probleme wegen seiner Clanzugehörigkeit gehabt habe, bejahte er dies. Aufgefordert, dies näher zu erzählen, gab er an, dass er auf seiner Stirn eine Narbe habe und er auch auf seinem Brustkorb eine Narbe habe, er sei mit einem Messer attackiert worden. Aufgefordert die Vorfälle, bei denen diese Verletzungen entstanden sind, näher zu schildern, gab er an, dass man ihm diese bei mehreren Vorfällen zugefügt habe, er wäre ohne Grund auf der Straße angegriffen worden. Die Verletzung im Brustbereich sei ihm in der Schule zugefügt worden, die auf der Stirn und die anderen Verletzungen auf der Straße. Die Verletzung im Brustbereich sei 2005 gewesen, die Stirnverletzung 2010 und die Verletzung am Hals und an der Hand 2012. Die Vorfälle in der Schule hätte er seinen Lehrern gemeldet, aber diese hätten ihm auch nicht geholfen. Die Schüler hätten ihn auch auf dem Nachhauseweg geschlagen.
Gefragt nach dem unmittelbaren Anlass der Ausreise, gab er an, dass in Somalia schon längere Zeit Bürgerkrieg herrsche und es keine Zukunft für ihn gebe, weil er ein Angehöriger der Madhiban sei. Er hätte auch Angst, getötet zu werden, deshalb habe er sich entschieden, das Land zu verlassen. Er sei am XXXX mit dem LKW nach Äthiopien gefahren, dann sei er über den Sudan nach Libyen und über das Mittelmeer nach Italien gereist. Gefragt, wie er seine Ausreise habe finanzieren können, zuweil er angegeben habe, arm gewesen zu sein, gab er an, dass ein paar Landsleute für ihn Geld gesammelt hätten, weil er sie gebeten habe, ihm zu helfen. Über Vorhalt, dass er beim BFA (AS 133) behauptet habe, dass die Angehörigen anderer Clans die Ausreise finanziert hätten, was seinem Vorbringen widerspreche, dass Madhibans von den anderen Clans diskriminiert und verfolgt werden, gab er an, dass jeder wisse, dass die Madhiban in Somalia diskriminiert würden. Sie hätten so lange ein normales Leben führen können, bis die Bewohner nicht dahintergekommen wären, dass er einer Minderheit angehöre.
Seine Mutter und seine Geschwister seien noch in XXXX aufhältig, er telefoniere einmal im Monat mit ihnen. Es gehe ihnen finanziell und wirtschaftlich sehr schlecht, seine Mutter sei zuckerkrank, aber sie müsse noch arbeiten, um seine Geschwister zur ernähren.
Gesundheitlich gehe es ihm gut, manchmal habe er aber starke Kopfschmerzen, er nehme dagegen nur Medikamente. Seit gut vier Monaten besuche er einen Deutschkurs, er habe die A1 Prüfung schon absolviert, sie sei positiv gewesen, aber bevor er ein Diplom erhalten habe, sei er in ein anderes Quartier überstellt worden. In einer Ehe oder Lebensgemeinschaft lebe er nicht, er habe schon Freunde aus verschiedenen Ländern, mit denen er Fußball spielen würde. Er habe im Jahre 2014 auch schon in XXXX bei einem Verein Fußball gespielt, habe aber keinen aktuellen Spielerpass. Auch ehrenamtliche Arbeiten habe er schon verrichtet, meistens als Straßenkehrer. Über Vorhalt des aktuellen Strafregisterauszuges, indem eine Verurteilung aufscheint, wobei es noch weitere Anzeigen wegen Urkundenfälschung, Suchtmittelverkauf und sexueller Belästigung gäbe, gab er an, dass er sich an die sexuelle Belästigung nicht mehr erinnern könne und, dass er glaube, wegen der Drogendelikte freigesprochen zu sein. Der vorsitzende Richter verwies auf das Strafurteil (AS 443 ff.).
Gefragt, was mit ihm geschehen würde, wenn er nach Somalia zurückkehren würde, gab er an, dass die Lage in Somalia noch immer sehr schlecht wäre und er Angst habe, entführt oder getötet zu werden. Über Vorhalt, dass sein Heimatort XXXX relativ ruhig und sicher sei, die Nahrungsmittelsituation dort nicht so dramatisch sei und es wenig Clanprobleme gäbe, führte er aus, dass dies stimme, aber er gehöre einer Minderheit an und werde in Somalia diskriminiert. In Mogadischu sei er noch nicht gewesen. Es sei wohl seine Cousine dort gewesen, aber er habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Die anderen, die ihm bei der Ausreise Geld gegeben hätten, hätten nicht gewusst, welchem Clan er angehöre, sie hätten auch nicht nachgefragt. Er habe auch eine andere Clanzugehörigkeit angegeben. Länger könne er seine Clanzugehörigkeit aber nicht verbergen. Ein weiteres Vorbringen habe er nicht.
Am Schluss der Verhandlung wurden den Verfahrensparteien folgende Dokumente zur Kenntnis gebracht und eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme von drei Wochen eingeräumt:
* Aktuelles Länderinformationsblatt der Staatendokumentation von Somalia (aktualisiert am 03.05.2018)
* Anfrage Beantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage in Mogadischu vom 11.05.2018
* Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Minderheiten in Somalia, Juli 2010, S. 18-19
* ÖIF-Länderinfo Die Parias Somalias: Ständische Berufskasten als Basis sozialer Diskriminierung (Autor: Mag. Andreas Tiwald) S. 21-24 und
* Akkord Anfragebeantwortung zur Situation des Clans der Gaboye (a-8956 v. 27.11.2014)
Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Vertretung Gebrauch. Darin wurde auf die allgemeine schlechte Versorgungslage in Somalia, welche sich durch die schweren Regenfälle noch verschlechtert habe, hingewiesen, wobei auch die Ausbreitung von Krankheiten möglich sei. Auch in Mogadischu sei die Versorgungslage und die Sicherheitslage schlecht und bestehe eine konstante Bedrohung durch die Al-Shabaab und stelle daher Mogadischu keine innerstaatliche Fluchtalternative für Rückkehrer dar.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:
1. Feststellungen:
Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Somalia und gehört dem Clan Madhiban an. Er wurde am XXXX in XXXXgeboren. Er hat von seiner Geburt bis zur Ausreise im Bezirk XXXX in XXXX gelebt. Sein Vater ist vor ca. 10 Monaten verstorben, seine Mutter lebt noch. Zu seiner Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit können mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden. Der Beschwerdeführer hatte in Somalia wirtschaftliche Probleme. Er hat sich nicht politisch betätigt und hatte auch keine Probleme mit staatlichen Behördenorganen. In den Jahren 2008 bis 2009 wurde versucht, den Beschwerdeführer dazu zu überreden, der Al-Shabaab beizutreten. 2010 wollte die Al-Shabaab den Beschwerdeführer mitnehmen, da er sich weigerte nahm diese anstatt dessen Nahrungsmittel mit. Über die sonstigen Ausreisegründe könne mangels glaubhafter Angaben keine Feststellungen getroffen werden.
Der Beschwerdeführer verließ am XXXX mit einem LKW Somalia und gelangte über den Sudan, Libyen und das Mittelmeer nach Italien und von dort nach Österreich, wo er unter Umgehung der Grenzkontrolle am 27.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Beschwerdeführer führt in Österreich kein Familienleben, er hat bereits mehrere Deutschkurse absolviert, aber kein Deutschdiplom vorgelegt. Die Mutter und die Geschwister des Beschwerdeführers sind nach wie vor in XXXX aufhältig, der Beschwerdeführer hat auch zu ihnen Kontakt. Er hat auch schon bei einem Verein Fußball gespielt, derzeit spielt er nur hobbymäßig. Er hat auch mehrfach ehrenamtlich gearbeitet, meistens als Straßenkehrer. Er wurde mit Urteil des Landesgerichtes Graz vom 06.11.2017 wegen § 218 Abs. 1a, § 27 Abs. 2 und 2a SMG zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten, davon 5 Monate bedingt auf 3 Jahre verurteilt. Darüber hinaus liegen Anzeigen wegen Urkundenfälschung im Akt.
Zu Somalia wird folgendes festestellt:
1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 3.5.2018: Überdurchschnittliche Niederschläge, bessere Versorgungssicherheit prognostiziert
Schon in den vor der Gu-Regenzeit gemachten Prognosen zeichnete sich eine Entspannung der Situation ab, obwohl damals nur unterdurchschnittliche Regenmengen prognostiziert wurden. Anfang 2018 wurde für Februar-Juni 2018 prognostiziert, dass die Bevölkerung in folgende IPC-Stufen (Klassifizierung zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung) einzuordnen sein wird: 56% Stufe 1 (minimal); 22% Stufe 2 (stressed); 18% Stufe 3 (crisis); 4% Stufe 4 (emergency); 0% Stufe 5 (famine). IDP-Lager in Südsomalia wurden durchwegs mit Stufe 3 IPC prognostiziert; Städte in Lower und Middle Shabelle, Bay und Jubaland mit Stufe 2; Mogadischu mit Stufe 1. Landesweit zeigt sich, dass die Bevölkerung in den Städten besser versorgt ist, als jene auf dem Lande (FAO 2018).
Verbesserungen bei Nahrungsmittelsicherheit und Ernährung sind auf die höhere Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus der Deyr-Ernte und aus der gestiegenen Milchproduktion zurückzuführen. Gleichzeitig wird die humanitäre Hilfe aufrechterhalten. Viele Haushalte können Nahrungsmittel mit von humanitären Akteuren zur Verfügung gestellten Geldmitteln oder Gutscheinen erwerben (FEWS 3.2018). Im ersten Quartal 2018 bezogen monatlich 1,84 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Im letzten Quartal 2017 waren es noch 2,5 Millionen gewesen. Insgesamt erreicht die Unterstützung rund 70% der Menschen die sich auf oder über Stufe 3 IPC befinden (FEWS 4.2018a). Auch im Jahr 2018 wird humanitäre Hilfe weiterhin in großem Ausmaß erforderlich sein (FEWS 3.2018).
Der bereits eingetretene Rückgang an Hunger ist auch im Vergleich der Daten der beiden Deyr-Regenzeiten 2016/17 und 2017/18 zu erkennen (FEWS 3.2018):
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(FEWS 3.2018)
Nunmehr ist es im April 2018 in fast allen Landesteilen zu mittleren bis starken Regenfällen gekommen (FAO 27.4.2018). In fast ganz Somalia lag die Niederschlagsmenge der Gu-Regenzeit bis zum 20.4.2018 bei 200% des mehrjährigen Durchschnitts. Nur im Nordosten blieben die Niederschläge unterdurchschnittlich (FEWS 4.2018a). Allerdings werden die Niederschläge bis Juni weiter anhalten (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018), auch wenn mit einem Rückgang der Niederschlagsmengen gerechnet wird (FEWS 4.2018a).
Für den Zeitraum Juni-September 2018 wurde eine deutliche Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung angekündigt. Nur noch für Hilfsorganisationen leicht zugängliche Gebiete im Nordwesten werden unter Stufe 4 IPC (emergency) eingestuft, der große Rest des Landes fällt in die Stufen 1-3, Süd-/Zentralsomalia gänzlich (bis auf IDP-Konzentrationen) in die Stufen 1-2 (FEWS 4.2018b).
Aufgrund der überdurchschnittlichen Niederschläge in der Gu-Regenzeit Anfang 2018 wird erwartet, dass sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln in einigen Teilen Südsomalias noch weiter verbessern wird, als zu Jahresbeginn bereits prognostiziert. Zwar wurden in von Überflutungen betroffenen Gebieten Teile der Ernte vernichtet, jedoch sind die Bedingungen insgesamt so günstig, dass mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen ist (FEWS 4.2018b). Die Felder befinden sich in gutem Zustand. In der Landwirtschaft gibt es Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau (FEWS 4.2018a).
In den meisten Gebieten haben sich Weidegründe und Wasserverfügbarkeit verbessert (FEWS 4.2018a; vgl. FEWS 4.2018b), der Zustand der Tiere hat sich normalisiert. Allerdings bleibt die durchschnittliche Herdengröße noch hinter dem Normalzustand zurück. Arme Nomaden in Nord- und Zentralsomalia werden weiterhin über zu wenig Vieh verfügen. Dort wird Stufe 3 IPC (crisis) vermutlich weiter vorherrschen (FEWS 4.2018b).
Die Entspannung wird auf Karten dokumentiert:
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(FEWS 4.2018b)
Der Handelspreis für 1kg Sorghum ist in Baidoa im ersten Quartal 2018 um 37% eingebrochen, jener für 1kg Mais in Qoryooley um 32%. Auch bei armen Haushalten verbessert sich die Versorgungssicherheit mit Nahrungsmitteln, sie haben nun auf normalem Niveau Zugang zu Arbeit in der Landwirtschaft und die Nahrungsmittelpreise haben sich ebenfalls normalisiert. Mit dem Tageseinkommen können nunmehr 10-18kg lokalen Getreides erstanden werden - 20%-60% mehr als noch vor einem Jahr (FEWS 4.2018a).
Untenstehend findet sich die detaillierte Prognosekarte der Agentur FSNAU der FAO für die Monate 2-6/2018:
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(FAO 2018)
Zusätzlich zu den Niederschlägen fließen aus dem äthiopischen Hochland beträchtliche Mengen Wasser zu (FEWS 4.2018a; vgl. FAO 27.4.2018). Dadurch kam es in einigen Gebieten zu Überschwemmungen. Belet Weyne war besonders stark betroffen, 70% der Haushalte mussten ihre Häuser verlassen. In Qoryooley waren es 250 Haushalte. Außerdem betroffen waren einige Dörfer in Middle Juba und im Bezirk Wanla Weyne. Auch einige landwirtschaftlich genutzte Gebiete in Bay, Lower Juba, Togdheer und Hiiraan wurden überflutet (FEWS 4.2018a). Die Pegel der Flüsse werden vermutlich weiter steigen. Bisher sind rund 630.000 Menschen von Sturzfluten oder Überschwemmung betroffen, ca. 215.000 haben ihre Häuser verlassen müssen (davon 180.000 im Gebiet Belet Weyne). Andererseits verlassen manche IDPs die Lager, um von den Niederschlägen in ihrer ursprünglichen Heimat zu profitieren (UN OCHA 2.5.2018).
Quellen:
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018a): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook-update/april-2018, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (4.2018b): Somalia
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Food Security Outlook Update, http://fews.net/east-africa/somalia, Zugriff 2.5.2018
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FEWS NET - Famine Early Warning Systems Network (3.2018): Somalia
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Food Security Outlook February to September 2018, http://fews.net/east-africa/somalia/food-security-outlook/february-2018, Zugriff 2.5.2018
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FAO FSNAU - Agentur der Food and Agriculture Organisation der UN (2018): IPC Map, http://www.fsnau.org/ipc/ipc-map, Zugriff 2.5.2018
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FAO SWALIM (27.4.2018): Somalia Rainfall Forecast - Issued: 27 April 2018,
https://reliefweb.int/map/somalia/somalia-rainfall-forecast-issued-27-april-2018, Zugriff 2.5.2018
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UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (2.5.2018): OCHA Somalia Flash Update #3 - Humanitarian impact of heavy rains | 2 May 2018,
https://reliefweb.int/report/somalia/ocha-somalia-flash-update-3-humanitarian-impact-heavy-rains-2-may-2018, Zugriff 3.5.2018
2. Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
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AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
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BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
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https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
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DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
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EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
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EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
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NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
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UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
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3. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die
Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurück