TE Bvwg Beschluss 2018/9/11 W220 2106622-1

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Veröffentlicht am 11.09.2018
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Entscheidungsdatum

11.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

W220 2106622-1/6E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela UNTERER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren amXXXX, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2015, Zl. 1030373701-14929328, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste gemeinsam mit seinem Vater unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 01.09.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dabei gab er zusammengefasst an, er sei schlepperunterstützt zusammen mit seinem Vater nach Österreich eingereist. Sein Cousin habe ihn bedroht, weil er seine Schwester heiraten habe wollen. Sein Vater und er hätten seiner Schwester zu einer anderen Heirat und zur Flucht nach Kanada verholfen. Sein Cousin hätte daraufhin den Beschwerdeführer geschlagen und seinen Vater mit dem Umbringen bedroht.

Der Beschwerdeführer gab in der Erstbefragung auch an, dass seine Mutter und sein Bruder bereits in Österreich wohnhaft seien. Weiters führte er aus, dass er als Dolmetscher und sein Vater als Journalist gearbeitet hätte.

1.3. Am 08.10.2014 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Antrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen im Herkunftsstaat befragt, gab er unter anderem an, neben der Schule beim afghanischen Fernseher als Dolmetscher gearbeitet zu haben. Außerdem sei sein Vater 30 Jahre lang Journalist gewesen.

Hinsichtlich seines Fluchtgrundes hielt er im Wesentlichen an seinem Vorbringen aus der Erstbefragung fest und ergänzte dieses. So gab er zusammengefasst an, es sei in Afghanistan sehr schwierig für Frauen, sich zu bewegen und sein Cousin habe seine Schwester unbedingt heiraten wollen und deshalb ihn und seine Familie schon seit 2005/2006 bedroht. Er sei bewaffnet sowie sehr unhöflich gewesen und sei es sehr unangenehm, wenn jemand schlecht über die Mutter oder die Schwester rede. Sie hätten dann mitbekommen, dass der Cousin die Schwester entführen habe wollen und seien sie deshalb in den Iran gegangen. Seine Schwester habe einen Mann kennengelernt, diesen habe sie geheiratet und sei mit ihm nach Kanada gereist. Seine Mutter und sein Bruder seien in der Zwischenzeit nach Europa gereist, weil sie auch bedroht worden seien. Der Cousin habe sich zu diesem Zeitpunkt geschäftlich in Dubai oder Pakistan aufgehalten. Der Beschwerdeführer und sein Vater seien dann nach Kabul zurückgekommen. Der Cousin sei sehr zornig gewesen und habe gesagt, dass er den Beschwerdeführer, seine Schwester und deren Ehemann umbringen würde. Zuletzt sei er von seinem Cousin im Jahr 2010 geschlagen worden. 2011 bis 2013 sei sein Cousin nicht da gewesen.

Weiters sei sein Vater vor neun oder zehn Monaten von bewaffneten Männern bedroht und geschlagen worden. Dies sei im Jahr 2014 gewesen. Der Beschwerdeführer brachte außerdem vor, es sei für seine Familie immer gefährlich und so, wie er aussehe, könne er dort nicht leben. Damit meine er, dass er Probleme mit seiner Frisur oder seiner Bekleidung gehabt habe. Die Leute hätten sie auch immer als Kommunisten bezeichnet.

Nach weiteren Angaben zu den Bedrohungen durch seinen Cousin antwortete der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er noch andere Probleme im Heimatland gehabt hätte, dass sein Vater Journalist gewesen wäre, da sei man sowieso nicht sicher.

1.4. Mit dem gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.03.2015 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

1.4.1. Die Feststellungen zu Person und Fluchtgründen des Beschwerdeführers lauten:

"Der Entscheidung werden folgende Feststellungen zugrunde gelegt:

-

zu ihrer Person:

Ihre Identität steht nicht fest.

Sie sind Staatsangehöriger von Afghanistan.

Sie sind ledig.

Sie sind gesund.

-

zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftslandes und zur Situation im Falle der Rückkehr:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie in Ihrem Heimatland Afghanistan eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung zu gewärtigen hätten."

Weiters wurden Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat getroffen.

1.4.2. Beweiswürdigend wurde zum vorgebrachten Fluchtgrund im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer das Bedrohungsszenario sehr unkonkret und oberflächlich geschildert habe. Wesentliche Punkte seien nicht nachvollziehbar erschienen und hätten die Angaben des Beschwerdeführers Widersprüche aufgezeigt. Weiters habe der Beschwerdeführer behauptet, er würde schon alleine wegen seines Aussehens im Heimatland Probleme bekommen und erklärt, es sei wegen der kommunistischen Gesinnung, welche seine ganze Familie hätte. Auf Nachfrage, ob er im Heimatland jemals wegen seiner kommunistischen Gesinnung Probleme gehabt hätte, habe er erklärt, die Leute wüssten ja nicht einmal, was das Wort Kommunismus bedeute.

Auch habe er nicht erklären können, weshalb er nach einer behaupteten Misshandlung im Jahr 2010 durch Leibwächter seines Cousins nicht die Polizei gerufen habe und habe er widersprüchliche Angaben dahingehend gemacht, ob die Polizei Angst vor seinem Cousin habe oder mit diesem verbündet sei. Dem Vorhalt einer innerstaatlichen Fluchtalternative habe er nur lapidar entgegentreten können.

Zusammenfassend gelange die belangte Behörde im Rahmen der von ihr vorzunehmenden Beweiswürdigung zu einem den Denksetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, indem sie aufgrund der getroffenen Feststellungen und aufgrund der Widersprüche zu dem Schluss komme, dass das Fluchtvorbringen und die Angaben zu seiner Person nicht den Tatsachen entspreche und seine Vorgaben daher unglaubwürdig seien.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 21.04.2015 fristgerecht Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, bei deren Einhaltung ein für den Beschwerdeführer günstigerer Bescheid erzielt worden wäre. In der Beschwerde wurde im Wesentlichen moniert, dass das Ermittlungsverfahren aufgrund mangelhafter Länderfeststellungen zur Blutrache und zur Sippenhaftung sowie zur Situation von Journalisten und in der Medienbranche tätigen Personen mangelhaft sei. Weiters sei der Grundsatz des Parteiengehörs verletzt worden, weil dem Beschwerdeführer zwar die länderkundlichen Feststellungen angeboten worden seien, er allerdings nicht über eine mögliche Stellungnahmefrist aufgeklärt worden sei. Damit habe die belangte Behörde den Grundsatz des Parteiengehörs sowie ihre Manuduktionspflicht verletzt.

Weiters wurde ausgeführt, die belangte Behörde habe das Verfahren auch dahingehend schwer verletzt, indem sie, obwohl der Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Vater nach Österreich eingereist sei und seine Mutter und sein jüngerer Bruder sich bereits in Österreich befunden hätten, deren Verfahren nicht hinzugezogen habe. Die Fluchtgründe, welche der Beschwerdeführer angegeben habe, würden auch seine Eltern betreffen und seien auch von seinen Eltern geschildert worden. Zudem habe der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme mehrfach Bezug auf seine Eltern genommen. Es wäre die Pflicht der belangten Behörde gewesen, die Verfahren der Eltern des Beschwerdeführers einzubeziehen und wäre diese so zu dem Schluss gekommen, dass dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten zu gewähren sei. Beiden Elternteilen sei der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2. Feststellungen:

2.1. Der unter Punkt 1. dargestellte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt.

2.2. Festgestellt wird, dass dem Vater des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 07.11.2014 der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 zuerkannt wurde. Ebenso wurden der Mutter und dem Bruder des Beschwerdeführers mit Bescheiden vom 02.03.2011 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

2.3. Im gegenständlichen Bescheid finden sich keine Feststellungen zur Familie des Beschwerdeführers. Die belangte Behörde hat die Verfahren der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren nicht einbezogen. Der Beschwerdeführer hat im Verfahren mehrfach auf seine Eltern Bezug genommen, insbesondere auf diese betreffenden Drohungen sowie die berufliche Tätigkeit seines Vaters.

3. Beweiswürdigung:

3.1. Der oben angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen zum Bescheid ergeben sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und der Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichts.

3.2. Die Feststellungen zu den Eltern und dem Bruder des Beschwerdeführers können aufgrund von amtswegig eingeholten Auszügen aus dem IZR getroffen werden.

4. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

4.1. Zur Zurückverweisen der Angelegenheit an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl:

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenen des § 66 Absatz 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung der mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Absatz 3 2. Satz VwVGV ([vgl. VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167: Tatsachenbereich], Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsverfahren, Manz, Anmerkung 2 und 11, Seiten 150 und 153f).

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet, welche er seitdem in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat (vgl. VwGH 12.11.2014, Ra 2014/20/0019; 06.07.2016, Ra 2015/01/0123):

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststehe. Dies werde jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergebe.

Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen sei.

Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlange das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck finde, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werde. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen komme daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen habe, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt habe. Gleiches gelte, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen würden, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen habe, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen würden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Die verwaltungsgerichtliche meritorische Entscheidungszuständigkeit hält grundsätzlich hintan, dass die Erledigung eines von einer Verwaltungsbehörde eingeleiteten Verfahrens erst nach einem längeren Zeitraum hinweg in einer Art eines "Pingpongspiels" erfolgenden Wechsels zwischen verwaltungsgerichtlichen und verwaltungsbehördlichen Entscheidungen erfolgen kann. Zudem wird nur ein solches Verständnis der mit der Etablierung der Verwaltungsgerichte erfolgenden Zielsetzung gerecht, den Anforderungen der EMRK sowie denen des Rechts der Europäischen Union im Bereich des Verwaltungsrechtsschutzes zu entsprechen. Zum einen ist aufgrund dieser Anforderungen bei der Interpretation der sich aus § 28 Abs 3 VwGVG für die meritorische Entscheidungskompetenz ergebenden Ausnahmen ohnehin auch das grundsätzlich zu einer restriktiven Sicht dieser Ausnahmen führende Gebot einer angemessenen Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass auf dem Boden der meritorischen Entscheidungskompetenz getroffene Entscheidungen der Verwaltungsgerichte grundsätzlich eine verlässliche Gewähr dafür bieten, dass den von diesen Vorgaben an die behördliche Entscheidungskompetenz gerichteten Anforderungen entsprochen wird (vgl. VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründungen hinwegsetzen (vgl. VwGH 10.04.2013, 2011/08/0169).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof, etwa in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008, Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens ist im gegenständlichen Fall unterblieben und ist die belangte Behörde nach dem Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichts ihrer Pflicht zur Durchführung notwendiger Ermittlungen des Sachverhalts nicht nachgekommen. Im vorliegenden Fall sind die seitens der Höchstgerichte gestellten Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

Zunächst ist anzuführen, dass es die belangte Behörde dabei belassen hat, die unter 1.4.1. zitierten Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu dessen Fluchtgrund zu treffen. Gleichfalls hat sie es unterlassen, Feststellungen zur Familie des Beschwerdeführers zu treffen. Weiters beschränken sich die Feststellungen zum Fluchtgrund auf den Satz, dass nicht festgestellt werden habe können, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung zu gewärtigen gehabt hätte.

Aus den beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesamtes ergibt sich, dass dieses die vorgebrachte Verfolgung des Beschwerdeführers durch seinen Cousin aufgrund von dort angeführten angeblichen Widersprüchlichkeiten als unglaubwürdig qualifiziert hat, ohne die Verfahren der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers einzubeziehen.

Dies ist insbesondere in Hinblick auf die Tatsache bemerkenswert, als die Verfahren aller dreier Verwandten bereits vor Erlass des gegenständlichen Bescheides vom Bundesasylamt bzw. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl positiv entschieden wurden und als der Vater des Beschwerdeführers gemeinsam mit diesem in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist.

Die vom Beschwerdeführer im Verfahren geschilderten Fluchtgründe betreffen - seinen Angaben nach - in gleichem Ausmaß seine Eltern und hat der Beschwerdeführer, wie in der Beschwerde richtigerweise ausgeführt, in seiner Einvernahme mehrfach auf seine Eltern Bezug genommen.

Weiters wurde das Vorbringen des Beschwerdeführers, sein Vater sei Journalist gewesen, da sei man sowieso nicht sicher, in keinster Weise gewürdigt. Schon in der Befragung selbst wurde nicht nachgefragt oder auf eine Konkretisierung dieses Vorbringens hingewirkt. Vielmehr wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt: "Aber wir sprechen nicht über Ihren Vater sondern über Sie." Schon zuvor hatte der Beschwerdeführer angegeben, sein Vater habe jahrelang als Journalist gearbeitet und man hätte ihn gekannt.

Der Beschwerdeführer hat auch zu seiner eigenen beruflichen Tätigkeit ausgeführt, er hätte neben der Schule als Übersetzer für das Fernsehen gearbeitet.

Die belangte Behörde hat es demnach trotz eindeutiger Angaben seitens des Beschwerdeführers unterlassen, die Verfahren der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers in dessen Verfahren einzubeziehen.

Die fehlende Einbeziehung der Verfahren der Eltern des Beschwerdeführers erscheint insbesondere deshalb gravierend, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die von den Eltern geltend gemachten Fluchtgründe - welche offensichtlich zu einer Asylgewährung durch das Bundesasylamt bzw. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geführt haben - auch für den Beschwerdeführer von Relevanz sind.

Die belangte Behörde hat es darüber hinaus unterlassen, Ermittlungsschritte zu der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers und seines Vaters zu tätigen und diese auf eine allfällige Asylrelevanz zu prüfen.

Ohne derartige Ermittlungsschritte erscheint aber eine sachgerechte Beurteilung des Antrags des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Beschwerde bereits von vornherein ausgeschlossen, wobei im Hinblick auf die Beurteilung ein vom bekämpften Bescheid abweichendes Ergebnis nicht auszuschließen ist.

Insgesamt hat es die belangte Behörde verabsäumt, das Vorbringen des Beschwerdeführers umfassend, unter Einbeziehung aller amtsbekannter Tatsachen, zu würdigen und lässt die Beweiswürdigung keine nachvollziehbare und schlüssige Begründung für eine negative Beurteilung erkennen.

Der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass sich auch für das Bundesverwaltungsgericht die angeblichen, in der Beweiswürdigung angeführten Widersprüche nicht zwangsläufig als solche erweisen. So wird dem Beschwerdeführer etwa unterstellt, er habe gesagt, dass seine gesamte Familie kommunistischer Gesinnung sei, während sich aus dem Protokoll der Einvernahme vom 08.10.2014 (AS 47) ergibt, dass der Beschwerdeführer gesagt hat, seine Familie sei als "Kommunisten" bezeichnet worden.

Auch in den Angaben des Beschwerdeführers, die Polizei habe vor seinem Cousin Angst gehabt und die Polizei sei mit seinem Cousin verbündet gewesen, kann per se kein Widerspruch gesehen werden.

Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich die seitens der belangten Behörde erwähnten, angeblichen Widersprüche nach Einsichtnahme in die Verfahren der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers nicht als solche erwiesen hätten.

Die Behörde hat somit im konkreten Fall gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG determinierten Ermittlungspflichten verstoßen. § 18 Abs. 1 AsylG 2005 verpflichtet das Bundesamt, in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, 99/20/0599).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren unter Heranziehung der Verwaltungsakten der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers mit den Fluchtgründen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden mit dem Beschwerdeführer zu erörtern und einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der belangten Behörde zugrunde zu legen sein.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Beurteilung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 AVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen.

Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal die Verwaltungsbehörde bereits über die Verwaltungsakte der Eltern und des Bruders des Beschwerdeführers verfügt und somit die notwendigen Ermittlungen wesentlich rascher und effizienter nachholen kann.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben, der angefochtene Bescheid des Bundesamtes gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Verwaltungsbehörde (lediglich) an die rechtliche Beurteilung des gemäß § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG aufhebenden und zurückverweisenden Beschlusses des Verwaltungsgerichtes gebunden ist (§ 28 Abs. 3, 3. Satz VwGVG; vgl. auch z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141 zu § 66 Abs. 2 AVG); durch eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3, 2. Satz VwGVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befunden hatte (Wirkung der Aufhebung ex tunc, s. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) Anm. 14 zu § 28 VwGVG; vgl. auch 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass die belangte Behörde das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen (insbesondere die Ausführungen in der Beschwerdeergänzung vom 29.04.2013) zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird (vgl. BVwG 28.01.2014, W108 1433990-1/4E).

Von der in § 28 VwGVG eingeräumten Möglichkeit, die unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht als Mehrparteienverfahren darstellt, sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ - manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen hingewiesen.

Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall das dem Bundesverwaltungsgericht im Sinne des § 28 VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben.

4.2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit den Beschwerden angefochtenen Bescheide aufzuheben sind.

Zu Spruchteil B):

Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar teilweise zur früheren Rechtslage ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleich lautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, Fluchtgründe,
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W220.2106622.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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