TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/12 W258 2198187-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.09.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

12.09.2018

Norm

B-VG Art.133 Abs4
B-VG Art.87 Abs2
B-VG Art.90a
DSG 2000 Art.2 §31 Abs1
DSG 2000 Art.2 §32 Abs1
StPO §190
StPO §191
StPO §193
StPO §76 Abs1
StPO §77
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W258 2198187-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerold PAWELKA-SCHMIDT als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Dr. Gerd TRÖTZMÜLLER und Gerhard RAUB als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX gegen den Bescheid der Datenschutzbehörde vom XXXX , GZ XXXX , in einer datenschutzrechtlichen Angelegenheit in nichtöffentlicher Sitzung

A1) zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird hinsichtlich des Antrags, das Bundesverwaltungsgericht möge den angefochtenen Bescheid ersatzlos aufheben, als unbegründet abgewiesen.

A2) beschlossen:

Das Mehrbegehren, das Bundesverwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden und der mitbeteiligten Partei im Wege einer Sofortmaßnahme die Löschung diverser - bestimmt bezeichneter - Datenträger auftragen, wird mangels Zuständigkeit zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgegenständlich ist die Frage, ob die Datenschutzbehörde (in Folge "belangte Behörde") den Antrag der Beschwerdeführerin erstens festzustellen, dass sie die Staatsanwaltschaft XXXX in ihrem Recht auf Datenschutz dadurch verletzt hat, dass sie Daten auf bestimmt bezeichneten Datenträgern, die Bestandteil eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakt sind, wobei das Ermittlungsverfahren rechtskräftig eingestellt worden ist, entgegen ihrem Löschbegehren vom XXXX nicht gelöscht hat und zweitens ihr die Verarbeitung dieser Daten zu untersagen und ihr die Löschung diese Daten aufzutragen, zu Recht mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hat.

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin (in Folge kurz "BF") stellte am XXXX einen Antrag an die Staatsanwaltschaft XXXX , bestimmte, im Zuge der Führung des Ermittlungsverfahrens zur GZ (offenbar gemeint AZ) XXXX verwendete, personenbezogene und vom Anwaltsgeheimnis geschützte Daten aus der Kanzlei der BF gemäß § 27 DSG 2000 zu löschen. Begründend führte die BF im Wesentlichen zusammengefasst aus, die Daten seien unter Umgehung des Anwaltsgeheimnisses rechtswidrig verarbeitet worden und der Zweck der Datenverwendung, nämlich die Führung eines Ermittlungsverfahrens, sei mit rechtskräftiger Einstellung des Ermittlungsverfahrens weggefallen.

Die Staatsanwaltschaft XXXX hat diesem Antrag nicht entsprochen.

Mit Schriftsatz vom 21.03.2018 beantragte die BF bei der belangten Behörde, erstens die Feststellung, die Staatsanwaltschaft XXXX habe sie durch die Unterlassung der Löschung bestimmter ihrer im Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft XXXX zu XXXX befindlichen personenbezogener Daten in ihrem Recht auf Datenschutz verletzt und zweitens, ihr die weitere Verwendung der Daten zu untersagen und ihr ihre Löschung aufzutragen. Begründend führte die BF zur Zuständigkeit der belangten Behörde sinngemäß aus, sie sei zwar für die Kontrolle des Datenschutzes im Bereich der Gerichtsbarkeit nicht zuständig, die Zuordnung der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft, einem Organ der Gerichtsbarkeit, zur Gerichtsbarkeit einerseits oder der Justizverwaltung andererseits habe aber nach funktionalen Gesichtspunkten zu erfolgen. Die Archivierung von Akten nach rechtskräftigem Abschluss des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft sei ein Akt der Justizverwaltung.

Mit Bescheid vom 26.03.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der BF mangels Zuständigkeit zurück und führte zusammengefasst begründend aus, Staatsanwaltschaften seien gemäß Art 90a B-VG Organe der Gerichtsbarkeit, deren Akte nicht der Kontrolle der belangten Behörde unterliegen würden. Handle die Staatsanwaltschaft - wie in diesem Fall - im Bezug zu einem strafprozessualen Ermittlungsakt, sei dies ein Akt der Gerichtsbarkeit. Die etwaige Verletzung der BF in ihrem Recht auf Löschung sei nicht bereits durch die Speicherung der Daten eingetreten, sondern erst durch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, dem Antrag der BF auf Löschung der Daten nicht zu entsprechen. Diese Entscheidung betreffe aber als staatsanwaltschaftlicher Akt im Zusammenhang mit der Führung eines Ermittlungsverfahrens den Kernbereich der Aufgaben der Gerichtbarkeit.

Dagegen wendet sich die gegenständliche Beschwerde der BF, in der sie die Verletzung ihrer subjektiven Rechte auf Wahrung des rechtlichen Gehörs gemäß Art 6 EMRK, ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art 83 Abs 2 B-VG und Löschung personenbezogener Daten gemäß § 27 DSG 2000 behauptet, beantragt, das erkennende Gericht möge in der Sache selbst entscheiden, allenfalls den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG aufheben und zur Erlassung eines neuen Bescheids an die belangte Behörde zurückzuverweisen, und auf das Wesentlichste zusammengefasst vorbringt, die belangte Behörde könne in Angelegenheiten der Justizverwaltung entscheiden. Ob ein Akt der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung vorliege, sei nach funktionalen Gesichtspunkten zu klären. Aus Art 90a 2. Satz B-VG ergebe sich, dass Staatsanwaltschaften nur als Ermittlungs- und Anklagebehörde im Dienste der Gerichtsbarkeit tätig seien. Ein bloßer Bezug eines staatsanwaltschaftlichen Handelns zu einem Ermittlungsverfahren sei nicht hinreichend; andernfalls sei jedes Handeln der Staatsanwaltschaft, wie Personalangelegenheiten oder die Büroorganisation, der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Die bloße Aufbewahrung von Daten, die nichts mit einem aktiven oder potentiellen zukünftigen Ermittlungsverfahren zu tun haben würde, gehöre daher als Aktenverwaltung zu Archivzwecken nicht zum Bereich der Gerichtsbarkeit. Die Entscheidung über die Löschung der Daten durch die Staatsanwaltschaft sei im strafprozessualen Wegen auch nicht mehr bekämpfbar. Auch die Archivierung von Akten im Staatsarchiv sei ja kein Akt der Gerichtsbarkeit. Indem die belangte Behörde zu Unrecht ihre Zuständigkeit verneint habe, habe sie die BF auch in ihrem Recht auf rechtliches Gehör und den gesetzlichen Richter verletzt.

Mit Schriftsatz vom 10.06.2018 legte die belangte Behörde die Bescheidbeschwerde unter Anschluss des Verwaltungsaktes dem erkennenden Gericht vor, brachte im Wesentlichen vor, dass die Annahme, Akten gerichtlicher Verfahren seien mit Verfahrensabschluss der Justizverwaltung zuzurechnen, bei teleologischer Interpretation von Art 90a B-VG und § 31 Abs 2 DSG 2000 nicht gedeckt sei. Die BF könne ihre Rechte auch gemäß § 83 ff GOG durchsetzen. Der Vergleich mit dem Archivwesen des Staatsarchivs vermöge ebenfalls nicht zu überzeugen, weil die Übergabe von Akten erst nach in der Regel 30 Jahren auf gesetzlich näher festgelegte Weise erfolge. Die belangte Behörde verwies darüber hinaus auf die Begründung des angefochtenen Bescheids, verzichtete auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Mit Beschluss vom 14.08.2018 wurde der BF vom erkennenden Gericht aufgetragen, die Beschwerde dahingehend schlüssig zu stellen, ob eine Entscheidung über die Zuständigkeit der belangten Behörde oder tatsächlich eine Sachentscheidung begehrt werde.

Mit Schriftsatz vom 24.08.2018 stellte die BF unter detaillierter Wiederholung ihres Vorbringens klar, dass sie eine inhaltliche Entscheidung begehre, weil der Sachverhalt geklärt sei und das erkennende Gericht daher gemäß § 28 Abs 2 VwGVG inhaltlich zu entscheiden habe. Aus anwaltlicher Vorsicht stelle die BF aber dennoch den Eventualantrag auf ersatzlose Behebung des gegenständlichen Bescheids.

Beweise wurden erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt und in die Stellungnahme der BF vom 24.08.2018.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Der folgende Sachverhalt steht fest:

Die Staatsanwaltschaft XXXX führte zur AZ XXXX ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. XXXX , XXXX , und andere wegen des Verdachts nach § 256 StGB und weiteren strafbaren Handlungen. Sie stellte das Ermittlungsverfahren gegen Dr. XXXX am XXXX nach § 190 Z 2 StPO rechtskräftig ein.

Im Ermittlungsakt befinden sich USB-Sticks, auf denen diverse personenbezogene Daten aus der Kanzlei der BF enthalten sind.

Die BF stellte am 04.08.2017 einen Antrag an die Staatsanwaltschaft XXXX , diese Daten gemäß § 27 DSG 2000 zu löschen. Die Staatsanwaltschaft XXXX hat diesem Antrag nicht entsprochen.

Mit Schriftsatz vom 21.03.2018 beantragte die BF bei der belangten Behörde erstens die Feststellung, die Staatsanwaltschaft XXXX habe sie durch die Unterlassung der Löschung bestimmter ihrer im Ermittlungsakt der Staatsanwaltschaft XXXX zu XXXX befindlichen personenbezogener Daten in ihrem Recht auf Datenschutz verletzt und zweitens, ihr die weitere Verwendung der Daten zu untersagen und ihr ihre Löschung aufzutragen.

Die belangte Behörde wies den Antrag der BF mit Bescheid vom 26.03.2018 mangels Zuständigkeit zurück, weil sie für die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Akten der Gerichtsbarkeit nicht zuständig sei.

Es ist derzeit gegen Dr. XXXX bei der Staatsanwaltschaft XXXX kein Ermittlungsverfahren anhängig.

2. Der Sachverhalt gründet auf der folgenden Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründen auf dem unbedenklichen Verwaltungsakt.

3. Rechtlich folgt daraus:

Die BF begehrt in ihrer (verbesserten) Beschwerde, das erkennende Gericht möge in der Sache entscheiden und der mitbeteiligten Partei im Wege einer Sofortmaßnahme die Löschung diverser - bestimmt bezeichneter - Datenträger auftragen, in eventu den bekämpften Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids an die Behörde zurückzuverweisen in eventu den Bescheid ersatzlos zu beheben. Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gehöre die bloße Aufbewahrung von Daten, die nichts mit einem aktiven oder potentiellen zukünftigen Ermittlungsverfahren zu tun haben würden, als Aktenverwaltung zu Archivzwecken nicht zur Gerichtsbarkeit. Die belangte Behörde sei daher für die Behandlung datenschutzrechtlicher Beschwerden über die unterlassene Löschung von Daten aus einem strafprozessualen Ermittlungsakt nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens zuständig. Das Ermittlungsverfahren, in dem ua personenbezogene Daten der BF verwendet würden, sei rechtskräftig beendet worden und es sei kein Strafverfahren anhängig, in dem die genannten Daten verwendet werden könnten. Die belangte Behörde sei daher für die Behandlung der datenschutzrechtlichen Beschwerde der BF zuständig.

Zu A2)

Die Beschwerde ist, soweit sie eine über die Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde hinausgehende Entscheidung begehrt, unzulässig.

Die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichts ist nämlich auf die "Sache" des Verfahrens beschränkt. Hat die Behörde einen Antrag zurückgewiesen, dann ist "Sache" in einem Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht ausschließlich die "Rechtmäßigkeit der Zurückweisung"; eine meritorische Entscheidung ist dem Verwaltungsgericht verwehrt. Andernfalls würde den Parteien eine Instanz genommen und es wäre dem Verwaltungsgericht möglich, eine Entscheidung in der Sache unter Umgehung der zuständigen Behörde zu treffen (vgl VwGH 18.12.2014, Ra 2014/07/0002).

Die belangte Behörde hat die datenschutzrechtliche Beschwerde der BF mangels Zuständigkeit zurückgewiesen, ohne in der Sache zu entscheiden. Das erkennende Gericht ist daher nur befugt, über diese Frage zu entscheiden und es ist ihm eine inhaltliche Entscheidung selbst dann verwehrt, wenn der wesentliche Sachverhalt für eine inhaltliche Entscheidung feststehen würde. Prüfungsumfang des erkennenden Gerichts ist somit ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde die Datenschutzbeschwerde der BF zu Recht mangels Zuständigkeit zurückgewiesen hat.

Die Beschwerde war daher, soweit sie eine über die Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde hinausgehende Entscheidung begehrt, mit Beschluss zurückzuweisen.

Zu A1)

Soweit in der Beschwerde eine Entscheidung über die Zuständigkeit der belangten Behörde begehrt wird, eine solche ist als Vorfrage bereits implizit im Hauptantrag der BF auf inhaltliche Entscheidung enthalten, ist sie in ihrem Hauptantrag sowie in ihren ersten und zweiten Eventualanträgen nicht berechtigt.

3.1. Zur anwendbaren Rechtslage:

Seit der Entscheidung der belangten Behörde am 26.03.2018 hat sich die Rechtslage durch die VO (EU) 679/2016 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) und das Datenschutzgesetz 2000 idF BGBl I 24/2018 geändert.

Ungeachtet einer im Rechtsmittelverfahren erfolgten Änderung der behördlichen Zuständigkeit ist aber die gegenständliche Frage, ob eine Behörde zur Erlassung ihres Bescheides zuständig war, nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung der behördlichen Entscheidung zu beurteilen, sofern der Gesetzgeber kein "rückwirkendes Inkrafttreten" der geänderten Zuständigkeitsbestimmungen normiert hat (vgl bspw VwGH 26.06.2014, Ra 2014/03/0004 mwH und VwGH 25.03.2015, Ro 2015/12/0003). Ein "rückwirkendes Inkrafttreten" der neuen Zuständigkeitsbestimmungen wird weder im DSG 2000, dessen Übergangsbestimmungen sich in § 69 Abs 4 und 5 finden, noch in der Datenschutz-Grundverordnung, die keine Übergangsbestimmungen enthält, normiert.

Die Zuständigkeit der belangten Behörde bestimmt sich daher nach der Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheids dh nach dem Datenschutzgesetz 2000 idF BGBl I 83/2013 (in Folge kurz "DSG 2000").

3.2. Zur Zuständigkeit der belangten Behörde:

3.2.1. Allgemeines:

Gemäß § 31 Abs 2 DSG 2000 entscheidet die Datenschutzbehörde über Beschwerden von Personen oder Personengemeinschaften, die behaupten, in ihrem Recht auf Geheimhaltung (§ 1 Abs 1 leg cit) oder in ihrem Recht auf Richtigstellung oder auf Löschung (§§ 27 und 28 leg cit) verletzt zu sein, sofern der Anspruch nicht nach § 32 Abs 1 leg cit vor einem Gericht geltend zu machen ist oder sich gegen ein Organ im Dienste der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit richtet.

Die DSB ist somit für die Prüfung von Handlungen von Organen im Dienste der Gerichtsbarkeit nicht zuständig. Die Zuordnung zur Gerichtsbarkeit hat dabei nach funktionalen Gesichtspunkten zu erfolgen (ErlRV und ErlRV 2010 zu § 31 Abs 2 DSG 2000).

3.2.2. Zur Zuordnung staatsanwaltlichen Handelns zur Gerichtsbarkeit:

Gemäß Art 90a B-VG sind (auch) Staatsanwälte Organe der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die in Verfahren wegen mit gerichtlicher Strafe bedrohter Handlungen Ermittlungs- und Anklagefunktionen wahrnehmen (zur Einordung der Staatsanwälte zur Staatsfunktion Gerichtsbarkeit siehe auch VwGH 15.03.2012, 2012/01/0048 und OGH 13.08.2008, 14 Os 108/08a sowie 1618 BlgNR 24. GP 9, wonach "Staatsanwälte Organe der (ordentlichen) Gerichtsbarkeit aber keine ordentlichen Gerichte sind").

Die Tätigkeit der Staatsanwälte ist in funktioneller Hinsicht aber nur insoweit als Gerichtsbarkeit zu qualifizieren, als sie Aufgaben im Rahmen der Rechtspflege wahrnehmen. Staatsanwälte sind daher im Kernbereich ihrer Tätigkeit, nämlich der Ermittlung und Anklage im strafgerichtlichen Verfahren, der Gerichtsbarkeit zuzurechnen (Mayer/Muzak B-VG5 (2015) Art 90a B-VG I f). Aufgaben im Rahmen der "Staatsanwaltschaftsverwaltung" sind hingegen der Verwaltung zuzuordnen (vgl Thienel in GedS Walter 819 (831)).

Die Datenschutzbehörde ist daher nicht befugt, die Tätigkeit der Staatsanwälte zu prüfen, es sei denn, ihr Handeln ist ausnahmsweise als Verwaltung anzusehen (vgl Thienel in GedS Walter 819 (833)).

In Grenzfällen ist zur Abgrenzung der Tätigkeitsbereiche auf das Vorbild der Unterscheidung der richterlichen Tätigkeit von der Justizverwaltung zurückzugreifen (vgl Thienel in GedS Walter 819 (831)).

3.2.3. Zur Abgrenzung zwischen richterlicher Tätigkeit und Justizverwaltung:

Unter Justizverwaltung versteht Art 87 Abs 2 B-VG eine durch Richter ausgeübte, ihrem Inhalt nach aber nicht der Rechtsprechung zuzuzählende Tätigkeit, die zur richterlichen Funktion irgendeinen Bezug hat; sei es, dass sie dem Funktionieren der Gerichtsbarkeit dient, durch gerichtliche Entscheidungen bedingte Vorkehrungen anderer Organe erleichtern soll oder auf eine andere Art mit richterlicher Tätigkeit in Zusammenhang steht (VfSlg 7.376/1974 und 8.158/1977).

Ein Akt der Gerichtsbarkeit liegt vor, wenn das gesetzlich geregelt ist und/oder wenn zwischen dem geltend gemachten inkriminierten Vorgehen und einem gerichtlichen Verfahren ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (VwGH 17.10.2001, 99/12/0004).

3.2.4. Zur Einordnung der Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren:

Die BF bringt vor, nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gehöre die bloße Aufbewahrung von Daten, die nichts mit einem aktiven oder potentiellen zukünftigen Ermittlungsverfahren zu tun haben würde, als Aktenverwaltung zu Archivzwecken nicht zur Gerichtsbarkeit. Die belangte Behörde sei daher für die Behandlung datenschutzrechtlicher Beschwerde über die unterlassene Löschung von Daten aus einem strafprozessualen Ermittlungsakt nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens zuständig. Das Ermittlungsverfahren, in dem ua personenbezogene Daten der BF verwendet würden, sei rechtskräftig beendet worden und es sei kein Strafverfahren anhängig, in dem die genannten Daten verwendet werden könnten. Die belangte Behörde sei daher für die Behandlung der datenschutzrechtlichen Beschwerde der BF zuständig.

Dem ist Folgendes entgegen zu halten:

Die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren ist nicht Selbstzweck. Ihre Einordnung in einen Akt der Gerichtsbarkeit oder in einen Akt der (Staatsanwaltschafts-)Verwaltung hängt vom Zweck der Archivierung ab.

Die BF begehrt mit ihrem Antrag auf Löschung personenbezogener Daten letztlich bestimmte Teile aus dem Ermittlungsakt zu entfernen. Die Entscheidung, ob bestimmte Teile im Ermittlungsakt verbleiben oder nicht, hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf allfällige weitere Verwendungen des Aktes. Ist einer der Zwecke für die Archivierung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren der Gerichtsbarkeit zuzuordnen, beeinflusst die Entscheidung über den Inhalt eines Aktes unmittelbar (zukünftige) Akte der Gerichtsbarkeit und ist daher ebenfalls ein Akt der Gerichtsbarkeit (vgl auch VfGH 12.12.2002, G194/02, V45/02, in der die Entscheidung über den Inhalt gerichtlicher Verfahrensakten, Register und Geschäftsbehelfe von der Bundesregierung als Akt der Gerichtsbarkeit qualifiziert worden ist und sich der VfGH dieser Meinung angeschlossen hat). Daraus folgt, dass - wie im gegenständlichen Fall - die Entscheidung über den Inhalt eines Ermittlungsaktes solange der Gerichtsbarkeit zuzurechnen ist, solange einer der Zwecke der Aufbewahrung der Akten der Gerichtsbarkeit zuzurechnen ist.

Die Zwecke der Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren liegen ua darin zu ermöglichen, eine Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu treffen bzw ein Verfahren fortzusetzen (§ 193 StPO), Akteneinsicht nach § 77 StPO zu gewähren, die Daten - auch unabhängig von der Person des Beschuldigten - in anderen Straf- oder sonstigen Verfahren zu verwenden, (nicht personenbezogene) Auswertungen zu kriminalpolitischen bzw kriminalstatistischen Zwecken durchzuführen, eine nachprüfende Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden zu ermöglichen und andere Untersuchungen von unmittelbarem strafverfahrensrechtlichen Interesse durchzuführen (vgl zum vergleichbaren Fall der Konservierung von Verfahrensdaten Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2015) zu § 75 StPO Rz 3 f bzw ErläutRV 25 BlgNR

22. GP 108 f).

Die Prüfung auf und allfällige Fortsetzung eines eingestellten Ermittlungsverfahrens gemäß § 193 StPO ist dabei der Gerichtbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 193 Abs 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft nämlich die Fortführung eines nach den §§ 190 oder 191 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens anordnen, solange die Strafbarkeit der Tat nicht verjährt ist und wenn ua neue Tatsachen oder Beweismittel entstehen oder bekannt werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, die Bestrafung des Beschuldigten oder ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO zu begründen. Sofern für eine Entscheidung über die Fortführung des Verfahrens bestimmte Ermittlungen oder Beweisaufnahmen erforderlich sind, kann die Staatsanwaltschaft solche im Einzelnen anordnen oder durchführen (§ 193 Abs 1 StPO).

Die Prüfung auf und die Entscheidung über die Fortsetzung eines eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens haben unmittelbare Auswirkungen auf das Ermittlungsverfahren, das nach Entscheidung der Staatsanwaltschaft entweder fortgesetzt oder nicht fortgesetzt wird. Sie liegen demnach im Kernbereich der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben, nämlich Ermittlung und Anklage im strafgerichtlichen Verfahren, und sind somit der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Es ist dabei unerheblich, ob die Tathandlung, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, bereits verjährt ist, was einer Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens an sich entgegenstehen würde. Ein eingestelltes Ermittlungsverfahren kann nämlich auch auf Grund neuer Tatsachen fortgesetzt werden (Nordmeyer in WK-StPO § 193 Rz 24). Auf Grund dieser Tatsachen könnte der ursprüngliche Tatzeitraum ausgedehnt oder der Tatvorwurf einer strengeren Strafdrohung unterstellt werden, wodurch die Verjährung wegfallen könnte und eine Fortsetzung des Ermittlungsverfahrens möglich wäre.

Auch die Gewährung von Akteneinsicht (auch außerhalb eines laufenden Strafverfahrens) gemäß § 77 Abs 1 StPO ist der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 77 Abs 1 StPO haben Staatsanwaltschaften und Gerichte im Falle begründeten rechtlichen Interesses Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren, soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen.

Während die §§ 51 ff und 68 StPO nur die Akteneinsicht in anhängigen Strafverfahren regeln, kann nach § 77 Abs 1 StPO - bis zum Ende der Aufbewahrungsfrist (zu den Aufbewahrungsfristen siehe § 174 Abs 1 Z 8 und 9 iVm Abs 2 Geo, § 27 f DV-StAG) - auch noch in rechtskräftig erledigte Akten Einsicht genommen werden. Nach Rechtskraft liegt es im - nach den Umständen des Einzelfalles auszuübenden - Ermessen des über die Akteneinsicht entscheidenden Organs, ob und inwieweit eine solche gewährt wird oder nicht (Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 3). Wenn es sich um Akten eines Ermittlungsverfahrens handelt, entscheidet über die Akteneinsicht der Staatsanwalt (Oshidari WK § 77 Rz 4). Die Gewährung der Akteneinsicht nach § 77 Abs 1 StPO ist dabei Rechtsprechung, nicht Justizverwaltung (Bertel in Bertel/Venier (Hrsg), StPO: Kommentar (2012) zu § 77 Rz 2; Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 1 FN 2).

Ebenso ist die Einbeziehung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren in andere strafrechtliche Ermittlungs- oder strafgerichtliche Verfahren der Gerichtsbarkeit zuzuordnen. Gemäß § 76 Abs 1 StPO sind Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz nämlich berechtigt, die Unterstützung aller ua Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Solchen Ersuchen ist ehest möglich zu entsprechen oder es sind entgegenstehende Hindernisse unverzüglich bekannt zu geben. Erforderlichenfalls ist Akteneinsicht zu gewähren.

Da sich die Verpflichtung gemäß § 76 Abs 1 StPO auch auf alle Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes bezieht, zu der auch die Staatsanwaltschaften zählen, kann Gegenstand eines Amtshilfeersuchens durch eine Staatsanwaltschaft für ein laufendes Ermittlungsverfahren auch der Akt eines - allenfalls eingestellten - Ermittlungsverfahrens einer anderen Staatsanwaltschaft sein. Der Inhalt dieses Aktes hätte dann unmittelbare Auswirkungen auf das laufende Ermittlungsverfahren, das der Gerichtsbarkeit zuzuordnen ist.

Die Archivierung eingestellter Ermittlungsakten erfolgt daher auch für Zwecke, die im Kernbereich der staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit liegen und damit für Zwecke der Gerichtsbarkeit; die Entscheidung über den Inhalt des Aktes eines eingestellten Ermittlungsverfahrens kann daher unmittelbare Auswirkungen auf Ermittlungsverfahren oder andere Akte der Gerichtsbarkeit haben und ist somit ebenfalls ein Akt der Gerichtsbarkeit.

An diesem Ergebnis vermag auch § 11 Abs 1 Z 22 der Geschäftsordnung für die Gerichte I. und II. Instanz (Geo) nichts zu ändern, wonach die Justizverwaltung auch das Archivwesen umfasse. So ist die Frage auf welche Art und wie lange archiviert wird von der - hier gegenständlichen - Frage zu unterscheiden, welche Geschäftsstücke im Akt enthalten sein sollen bzw dürfen.

Ebensowenig zielführend ist der Einwand der BF, wonach die Archivierung von Akten eingestellter Ermittlungsverfahren vergleichbar sei mit der Archivierung durch das Staatsarchiv, die mangels Bezug zu einem Ermittlungsverfahren jedenfalls nicht der Gerichtsbarkeit zuzuordnen sei. Die Archivierung der Ermittlungsakten erfolgt - im Gegensatz zu einer etwaigen Archivierung im Staatsarchiv - nämlich gerade nicht bloß für archivarische Zwecke sondern auch für Zwecke der Gerichtsbarkeit.

Auch, ob die Entscheidung über die Löschung bestimmter personenbezogener Daten - dh bestimmter Aktenteile - aus einem strafgerichtlichen Ermittlungsakt durch die Staatsanwaltschaft auch nach der rechtskräftigen Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Rahmen der StPO bekämpfbar ist - und damit allfällige Rechtsschutzlücken bestehen, vermag an der Einordnung als Akt der Gerichtsbarkeit nichts zu ändern. Allenfalls sind Akte der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Dienstaufsicht bekämpfbar (Aufsichtsbeschwerde an die Oberstaatsanwaltschaft, § 37 StAG; siehe auch Kroschl in Schmölzer/Mühlbacher (Hrsg), StPO Strafprozessordnung Praktikerkommentar (2013) zu § 77 StPO Rz 17).

3.2.5. Ergebnis:

Da die belangte Behörde nicht befugt ist, Akte der Gerichtsbarkeit zu prüfen, hat sie den Antrag der BF zu Recht mangels Zuständigkeit zurückgewiesen. Mangels Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren bzw die Entscheidung über die Löschung bestimmter Bestandteile aus diesen Verfahrensakten der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung zuzurechnen ist, war die Unzuständigkeit der belangten Behörde zweifelhaft und nicht offenkundig, weshalb der belangten Behörde auch eine Weiterleitung der Datenschutz-Beschwerde gemäß § 6 Abs 1 AVG verwehrt war (vgl zu VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Da im Verfahren lediglich Rechtsfragen zu klären waren, konnte gemäß § 24 Abs 5 VwGVG von der Durchführung einer - nicht beantragten - mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. So fehlt es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Archivierung von Akten eingestellter strafrechtlicher Ermittlungsverfahren bzw die Entscheidung über die Löschung bestimmter Bestandteile aus diesen Verfahrensakten der Gerichtsbarkeit oder der Justizverwaltung zuzurechnen ist.

Schlagworte

Aktenbestandteile, Akteneinsicht, Archivierung, Datenschutzbehörde,
Datenschutzbeschwerde, Entscheidungszeitpunkt, Gerichtsbarkeit,
Justizverwaltung, Kognitionsbefugnis des BVwG, Löschungsbegehren,
personenbezogene Daten, Rechtslage, Staatsanwaltschaft,
Strafverfahren, unzuständige Behörde, Verfahrenseinstellung,
Verfahrensgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W258.2198187.1.00

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten