TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/13 W131 2161180-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.09.2018
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Entscheidungsdatum

13.09.2018

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W131 2161180-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard GRASBÖCK über die Beschwerde des minderjährigen XXXX, gesetzlich vertreten durch das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Gruppe Gesundheit und Soziales, Koordinierungsstelle umF, geb XXXX, StA Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.05.2017, Zl XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Nach seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer (= Bf) am 24.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Anlässlich seiner am selben Tag durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme gab der Bf, befragt nach seinen Fluchtgründen an, dass seine Mutter entschieden hätte, dass er Afghanistan verlassen muss, da es für ihn dort keine Zukunftsaussichten gäbe und zudem Krieg und Unsicherheit herrscht. Am 24.01.2017 fand die Einvernahme des Bf vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (= belangte Behörde) statt. Befragt zu seinen Fluchtgründen brachte der Bf vor, dass sein Vater als Polizist tätig gewesen sei und bei einem Angriff der Taliban auf den Polizeistützpunkt ums Leben gekommen sei. Nach dem Tod des Vaters hätten die Taliban die Mutter des Bf angerufen und ihr gesagt, dass sie den Bf "an die Taliban liefern solle", ansonsten würden sie ihn töten. Nach dem Telefonat habe die Mutter mit dem Onkel des Bf, der sich bereits mehrere Jahre in Österreich aufhält gesprochen und ihm mitgeteilt, dass sie ihren Sohn (den Bf) nach Österreich schicken werde.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Bf auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm jedoch subsidiären Schutz zu und gewährte ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkte II. und III.). Gleichzeitig wurde dem Bf die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (= BVwG) amtswegig zur Seite gestellt.

3. Die dagegen - ausschließlich gegen Spruchpunkt I. - gerichtete Beschwerde langte fristgerecht bei der belangten Behörde ein. Darin wird vorgebracht, dass dem Bf bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung, Entführung, Zwangsrekrutierung und Ermordung durch die Taliban drohen würden. Auch wenn der Bf nicht direkt von den Taliban bedroht worden sei, erfolgte die Aufforderung den Bf an die Taliban zu übergeben indirekt über die Mutter des Bf und sei daher individuell und unmittelbar drohend, weshalb er aus diesem Anlass heraus seinen Herkunftsstaat verlassen habe. Der Bf wäre in seinem Herkunftsstaat Afghanistan vielfältigen individuellen Gefahren ausgesetzt, die in ihrer Gesamtheit von asylrelevanter Intensität seien.

4. Mit Schreiben vom 07.06.2017 legte die belangte Behörde die Beschwerde samt dazugehörigen Verwaltungsakten dem BVwG zur Entscheidung vor. Bereits im Vorlageschreiben teilte die belangte Behörde mit, auf die Teilnahme an einer mündlichen Beschwerdeverhandlung zu verzichten und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

5. Am 03.11.2017 fand schließlich vor dem BVwG unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an der auch der Bf in Begleitung seiner gesetzlichen Vertreterin teilnahm. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde ua ein Auszug aus dem "EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan" betreffend die Rekrutierungsstrategien der Taliban (in Bezug auf Minderjährige sowie die Herkunftsprovinz des Bf XXXX) vom Juli 2012, ein Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 sowie eine "ACCORD-Anfragebeantwortung" iZm "Sippenhaft durch Taliban von Familienmitgliedern von (angeblichen) Unterstützern der Regierungstruppen [...]" vom 30.08.2017 vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Bf

Der Bf ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört zur Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich selbst zum islamischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Der Bf wurde am XXXX in der Provinz XXXXgeboren, ist dort auch aufgewachsen und hat die Grundschule besucht. Der Bf verfügt weder über Berufserfahrung noch über eine (abgeschlossene) Berufsausbildung.

Der Vater des Bf war Polizist, ist aber bereits verstorben. Die restliche Kernfamilie des Bf (Mutter und Geschwister) leben nach wie vor in der Provinz Takhar. Die Kernfamilie lebt dort gemeinsam bei einem Onkel und der Großmutter mütterlicherseits. Die Familie des Bf hat keine Probleme mit den Taliban.

Der minderjährige Bf ist ledig, gesund und arbeitsfähig. Er ist strafrechtlich bislang noch nicht rechtskräftig verurteilt worden und daher als strafrechtlich unbescholten anzusehen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Bf der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine entsprechende befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Dieser Status erscheint ausweislich insb eines IZR - Ausdrucks vom 11.09.2018 aufrecht.

1.2. Zu den vorgebrachten Fluchtgründen des Bf

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Bf im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung (oder aus anderen Gründen) zu erwarten hätte.

Im Besonderen kann nicht festgestellt werden, dass der Bf mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer - derzeit ohnedies nur hypothetischen - Rückkehr nach Afghanistan, bspw in die Städte Kabul, Mazar - i - Sharif oder Herat (als den Hauptzielorten von Abschiebungen) einer Bedrohung bzw Zwangsrekrutierung durch Taliban ausgesetzt wäre.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Unter Bezugnahme auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 02.03.2017), werden folgende entscheidungsrelevanten, die Person des Bf individuell betreffenden Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen:

1.3.1. Takhar

Takhar ist 400 km von Kabul entfernt, im Nordosten umgeben von der Provinz Badakhshan - Kunduz liegt im Westen, Baghlan im Süden und im Norden grenzt Takhar an Tadschikistan. Die Provinz hat folgende Distrikte: Warsaj, Farkhar, Khawaja Ghar, Khawajah Bahawodin, Baharak, Hazar Sumuch, Dashti Qala, Yangi Qala, Chahab, Rustaq, Bangi, Ishkamish, Kalafgan, Chal, Namakab und Darqad; Taluqan ist die Hauptstadt (Pajhwok o.D.aa). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.000.336 geschätzt (CSO 2016).

Die Provinz Takhar ist für Landwirtschaft besonders geeignet (Pajhwok o.D.aa). Takhar zählt zu jenen Provinzen, die berühmt sind für ihre Früchte; angebaut werden Granatäpfel und Birnen (UNDP 16.1.2017), aber auch Zitronen (Pajhwok 19.1.2016).

Ein Autobahnabschnitt existiert, der Kunduz und Takhar verbindet (Pajhwok 21.2.2017; vgl. auch: Khaama Press 28.5.2016, Khaama Press 23.4.2016); ebenso existiert ein Bus, der zwischen Takhar und Kabul verkehrt (Planet Biometrics 14.2.2017).

Gewalt gegen Einzelpersonen 5

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe 96

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen 8

Wirksame Einsätze von Sicherheitskräften 18

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt 7

Andere Vorfälle 2

Insgesamt 136

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Takhar 136 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

Die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - waren in den letzten Monaten von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Global Times China 15.1.2017; vgl. auch: News Ghana 30.1.2017). Auch wenn Takhar eine dennoch vergleichweise friedliche Provinz in Nordafghanistan ist, grenzt sie an die Provinzen Kunduz und Badakhshan, in denen regelmäßig Talibanaktivitäten registriert werden (Khaama Press 10.10.2016).

1.3.2. Ethnische Minderheiten, insbesondere Tadschiken

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara, 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9.2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

...

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan (CRS 12.1.2015). Die Tadschiken machen etwa 30% der afghanischen Gesellschaft aus (GIZ 1.2017). Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (Staatendokumentation des BFA 7.2016).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, ist Dr. Abdullah Abdullah - dessen Mutter Tadschikin und dessen Vater Pashtune ist. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Mittlerweile ist er "Chief Executive Officer" in Afghanistan (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.10.2016).

1.3.3. Religionsfreiheit und Sunniten

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7-89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10-19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9.2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9.2016).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte - dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung, Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Bildungsplan einrichten und umsetzen, der auf den Bestimmungen des Islams basiert; auch sollen religiöse Kurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime ist es nicht erforderlich den Islam an öffentlichen Schulen zu lernen (USDOS 10.8.2016).

Nicht-muslimische religiöse Minderheiten werden durch das geltende Recht diskriminiert. So gilt die sunnitische-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 9.2016). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (USDOS 10.8.2016).

Militante Gruppen haben sich unter anderem als Teil eines größeren zivilen Konfliktes gegen Moschen und Gelehrte gerichtet. Konservative soziale Einstellungen, Intoleranz und das Unvermögen oder die Widerwilligkeit von Polizeibeamten individuelle Freiheiten zu verteidigen bedeuten, dass jene, die religiöse und soziale Normen brechen, anfällig für Misshandlung sind (FH 27.1.2016).

Blasphemie - welche anti-islamische Schriften oder Ansprachen beinhaltet, ist ein Kapitalverbrechen im Rahmen der gerichtlichen Interpretation des islamischen Rechtes. Ähnlich wie bei Apostasie, gibt das Gericht Blasphemisten drei Tage um ihr Vorhaben zu widerrufen oder sie sind dem Tod ausgesetzt (CRS 8.11.2016).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin der zwei anderen abrahamitischen Religionen, Christentum und Judentum, ist. Einer Muslima ist nicht erlaubt einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (USDOS 10.8.2016).

1.3.4. Wehrdienst, Wehrdienstverweigerung/Desertion

Afghanistan kennt keine Wehrpflicht. Das vorgeschriebene Mindestalter für die freiwillige Meldung beträgt 18 Jahre. Mögliche Zwangsrekrutierungen bei der afghanischen Armee (oder Polizei) sind nicht auszuschließen. Da die Tätigkeit als Soldat oder Polizist für den großen Teil der jungen männlichen Bevölkerung eine der wenigen Verdienstmöglichkeiten darstellt, erscheint die Notwendigkeit für Zwangsrekrutierungen jedoch eher unwahrscheinlich (AA 9.2016).

Laut Verteidigungsministerium gibt es keine Strafe für Desertion. (NYT 27.6.2011; vgl. auch: Stars and Stripes 3.9.2015).

Wehrdienstverweigerung und Desertion

Man muss zwischen Desertion und unerlaubter Abwesenheit unterscheiden. Desertion bedeutet das Fliehen aus einer Kriegszone, während einer Militäroperation oder das Unterstützen des Feindes. Davon gab es in den vergangen Jahren nur wenige Fälle. Logistische, familiäre und persönliche Probleme können zu unerlaubter Abwesenheit führen. Die Soldaten kehren später wieder in ihre Stützpunkte zurück. Auch gibt es andere Gründe: wenn z.B. der Vater eines Soldaten stirbt, muss er eventuell die Verantwortung für die Familie übernehmen - wozu er dann auch berechtigt ist (Afghanistan Today 3.4.2011).

Als die Hauptgründe der Abwesenheit von der ANDSF gelten:

-

inadäquate Betreuung des Personals und niedrige Lebensqualität

-

alternative Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der ANDSF

-

schwache Führung und Personalmanagement (USDOD 6.2016).

Das Problem der Abwesenheit in der ANA wird ebenso damit begründet, dass Soldaten oftmals nicht in ihrer Heimatprovinz dienen. Viele von ihnen müssen einen langen Reiseweg auf sich nehmen, um in ihre Heimatdörfer zu gelangen und ihren Familien die Löhne geben zu können (CRS 8.11.2016; vgl. auch: USDOD 6.2016). Diese "Deserteure" werden, schon aufgrund der sehr hohen Zahlen bei vorübergehenden Abwesenheiten, nach Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Standort wieder in die Armee aufgenommen (AA 9.2016). Auch kehren sie oftmals nach langer Abwesenheit wieder zur ANA zurück. In den letzten Jahren wurde fast jede Bezahlung der ANA elektronisch durchgeführt wurde (CRS 8.11.2016).

1.4. Hinsichtlich der Zwangsrekrutierung durch die Taliban werden folgende Feststellungen getroffen: Auszug aus dem EASO Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan, Rekrutierungsstrategien der Taliban vom Juli 2012

Zwang oder die sogenannte Zwangsrekrutierung zählen zu den Mechanismen bzw. Faktoren, die bei der Anwerbung zum Einsatz kommen. Allerdings sollte bei einer Definition zwischen den unterschiedlichen Akteuren, die daran beteiligt sein können, unterschieden werden.

Familienmitglieder oder nahe Verwandte können Zwang gegenüber einem Angehörigen ausüben, damit er sich den Kämpfern anschließt. Wirtschaftliche, religiöse und weitere Faktoren können eine Familie dazu bringen, eines ihrer jungen männlichen Familienmitglieder für die Taliban-Truppen zur Verfügung zu stellen oder in eine Madrassa zu schicken, wo sie ebenfalls rekrutiert werden können. Aber auch Stammes- oder Gemeinschaftsvorsteher könnten im Falle einer Gruppenmobilisierung zur Unterstützung der Taliban Zwangsmaßnahmen gegen Familien oder Einzelpersonen ergreifen. Als Gründe, warum sich Teile der Bevölkerung den Aufständischen anschließen, werden Loyalität gegenüber dem alten Taliban-Regime, wirtschaftliche Anreize, Machtkämpfe mit Staatsbediensteten, Fehden mit anderen Gemeinschaften sowie Rachegefühle aufgrund willkürlicher Tötungen durch ausländische Soldaten, genannt.

Zwangsrekrutierungen durch Militärkommandeure, Führungspersönlichkeiten oder Kämpfer der Taliban (d. h. Fälle, in denen Einzelpersonen oder ihre Familien direkt angesprochen und zur Teilnahme gezwungen werden, weil ihnen im Falle der Weigerung Vergeltung oder Gewaltanwendung angedroht werden) sind als Ausnahmen zu betrachten. Beispiele für diese Ausnahmefälle gibt es nach vorliegenden Informationen in Helmand, Kunduz, Kunar, Regionen in Pakistan und in Urusgan. Häufig werden auch die Gebiete genannt, in denen diese Ausnahmefälle auftreten: in Regionen unter ausgeprägtem Einfluss oder vollständiger Kontrolle der Taliban und in Bereichen, in denen soziale und staatliche Schutzstrukturen nicht funktionieren, wie in Flüchtlingslagern und Lagern für Binnenvertriebene.

Unicef ist besorgt über die Rekrutierung von Kindern für den bewaffneten Konflikt in Afghanistan. Im Jahr 2010 erklärte die Organisation, dass Kinder als Spione und Informanten, zum Transport von Sprengstoff oder zur Durchführung von Selbstmordanschlägen rekrutiert würden (155). Von der Anwerbung Minderjähriger durch verschiedene bewaffnete Gruppen in Afghanistan und Pakistan berichten mehrere Quellen. Gruppen von Aufständischen rekrutieren Minderjährige als Kämpfer, Informanten, Wächter oder sogar als Selbstmordattentäter. Fälle von Zwangsrekrutierungen werden überwiegend aus dem Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan gemeldet. Kinder können von Aufständischen am leichtesten in Gebieten rekrutiert werden, in denen zurückgekehrte Flüchtlinge und Binnenvertriebene leben und keine schützenden sozialen und staatlichen Strukturen bestehen (156). In einigen Quellen werden Argumente aufgeführt, die gegen eine Zwangsrekrutierung sprechen:

Die Taliban wollen die Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen und verfügen über eine ausreichende Zahl von Freiwilligen, so dass Zwang nicht notwendig ist.

Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjährige zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des BVwG.

2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der Person des Bf, seines persönlichen und beruflichen Werdeganges sowie seiner familiären Verhältnisse beruhen auf den diesbezüglichen gleichlautendenden und insoweit glaubhaften Aussagen des Bf während des gesamten Verfahrens.

2.3. Anders verhält es sich hingegen mit der vom Bf behaupteten Fluchtgeschichte. Bereits im angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dass der ausschlaggebende Fluchtgrund (Flucht vor Krieg und den Taliban) zwar glaubhaft ist, allerdings vom Bf keine persönliche Bedrohung oder Verfolgung angegeben wurde. Eine konkret gegen die Person des Bf gerichtete Verfolgungshandlung konnte weder in der Vergangenheit festgestellt werden noch ist eine solche für die Zukunft zu befürchten. Das BVwG schließt sich im Wesentlichen dieser Einschätzung der belangten Behörde an. Dass die vom Bf geschilderte Fluchtgeschichte als nicht glaubhaft bzw nicht asylrelevant beurteilt wird, ergibt sich aus Folgendem:

2.3.1. Vorweg gilt es festzuhalten, dass der Bf selbst in der Einvernahme vor der belangten Behörde angab, nie persönlichen Kontakt zu den Taliban gehabt zu haben. Er konnte auch nicht angeben, weshalb gerade er in das Visier der Taliban geraten hätte sein sollen (S 8 der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde). Seine diesbezüglichen Ausführungen blieben vage, pauschal und oberflächlich. Auch wenn es sich beim Bf um einen noch Minderjährigen handelt, wird man auch von ihm erwarten können, dass er zumindest irgendwelche genau Angaben hinsichtlich der von ihm behaupteten Drohung durch die Taliban angeben kann. Zwar brachte der Bf glaubhaft vor, dass sein Vater Polizist war, der durch einen Angriff der Taliban auf einen Polizeistützpunkt ums Leben gekommen ist. Allerdings ergibt sich aus den diesbezüglichen Schilderungen des Bf, dass es sich dabei nicht um einen gezielten Angriff der Taliban auf die Person seines Vaters gehandelt habe, sondern es sich dabei vielmehr um einen Anschlag handelte, der sich gegen die Polizei als solche gerichtet hat ("Es herrschte Krieg und die Taliban haben den Stützpunkt angegriffen. Es sind einmal die Taliban dort und einmal ist die Regierung wieder an der Macht." S 8 der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde). Zudem ist auch dem Vorbringen des Bf nicht zu erkennen, dass er selbst (in der Vergangenheit) Handlungen gesetzt hat, die sich gegen die Taliban bzw deren Gesinnung richteten und so in das Visier der Taliban geraten sein hätte können.

2.3.2. Weiters ergibt sich, dass der Bf und seine Kernfamilie ihr Heimatdorf nicht aufgrund konkreter gegen sie bzw gegen die Person des Bf gerichteter Drohungen, sondern vielmehr aufgrund der vorherrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen hat. ("LA: Hatten andere Dorfbewohner auch Probleme mit den Taliban? AW [= Bf]: Ja. LA: Welche Probleme hatten die Dorfbewohner mit den Taliban? AW [= Bf]: Es war Krieg, die Taliban haben Häuser verbrannt und Menschen getötet. LA: Wann wurde das Haus ihrer Familie

verbrannt? AW [= Bf]: Nachdem Tod meines Vaters. LA: Passierte das

nachdem Anruf der Taliban oder davor? AW [= Bf]: Nachdem die Taliban

meine Mutter angerufen haben. Die Taliban kamen zu uns nach Hause und sahen, dass wir nicht mehr zu Hause sind. Dann haben die Taliban das Haus angezündet. LA: Woher wissen Sie, dass die Taliban das Haus angezündet haben? AW [= Bf]: Unsere Nachbarin hat es uns erzählt.

LA. Wann, nachdem Anruf der Taliban, haben Sie Ihr Heimatdorf in

Richtung XXXX verlassen? AW [= Bf]: Wir waren schon bei meinem

Onkel, als die Taliban meine Mutter angerufen haben. LA: Warum haben

Sie dann mit Ihrer Familie Ihr Heimatdorf verlassen? AW [= Bf]: Weil

Krieg herrschte. LA: Haben Sie Ihr Heimatdorf, nachdem Tod Ihres

Vaters verlassen? AW [= Bf]: Ja. LA: Seit wann sind die Taliban bei

Ihnen im Dorf präsent? AW [= Bf]: Seit 2 Jahren sind die Taliban

sehr stark in unserem Dorf. LA: Warum hätten Sie nicht in der Stadt

XXXX bleiben können? AW [= Bf]: Meine Mutter wollte nicht, dass ich

dort bleibe. LA: Warum nicht? AW [= Bf]: Meine Mutter sagte, dass

sie schon meinen Vater verloren hat und mich nicht auch noch verlieren will." S 9 der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde).

2.3.3. Aber selbst unter der Prämisse, das dem Vorbringen des Bf hinsichtlich der (zumindest in der Vergangenheit bestandenen) Gefahr einer Zwangsrekrutierung und der ihm im Fall seiner - derzeit ohnedies nur rein hypothetisch möglichen - Rückkehr nach Afghanistan drohenden Gefahr der Verfolgung oder Bedrohung durch die Taliban Glauben geschenkt würde, können, auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass seit der Ausreise des Bf aus Afghanistan bereits mehrere Jahre vergangen sind, keine ausreichenden Anzeichen dafür erkannt werden, dass dem Bf auch bei einer allfälligen späteren Rückkehr in seinen Heimatstaat eine derartige asylrechtlich relevante Verfolgung drohen würde.

Hinzu kommt, dass es nicht nachvollziehbar ist, weshalb sich die Kernfamilie des Bf nach wie vor in der Heimatprovinz aufhalten kann, ohne von den Taliban verfolgt oder bedroht zu werden ("LA: Haben Ihre Mitter und Ihre Geschwister, nach Ihrer Ausreise, noch Probleme mit den Taliban gehabt? AW [= Bf]: Nein [...]" S 9 der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde). Abgesehen von dem vermeintlichen Drohanruf der Taliban gegenüber seiner Mutter ist auch noch anzumerken, dass der Bf weder etwaig erfolgte Übergriffe bzw unrechtmäßige Handlungen iZm einem Rekrutierungsversuch durch die Taliban nach Anwendung von Zwang gegenüber seiner Person ins Treffen führte.

2.4. Auch aus der Berichtslage lässt sich für den Bf nichts gewinnen. So führen die - vom Bf im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten - UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 führen unter dem Titel "3. Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Kontext der Rekrutierung Minderjähriger und von Zwangsrekrutierung" Folgendes aus:

"Berichten zufolge werden Fälle von Zwangsrekrutierung Minderjähriger zu einem großen Teil unzureichend erfasst. Jedoch geht aus Berichten hervor, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Kindern durch alle Konfliktparteien für Unterstützungs- und Kampfhandlungen im ganzen Land beobachtet werden.

a) Zwangsrekrutierung durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs)

Regierungsfeindliche Kräfte nutzen in Gebieten, in denen sie die tatsächliche Kontrolle über das Territorium und die Bevölkerung ausüben, Berichten zufolge verschiedene Methoden zur Rekrutierung von Kämpfern, einschließlich Maßnahmen unter Einsatz von Zwang. Personen, die sich der Rekrutierung widersetzen, sind Berichten zufolge ebenso wie ihre Familienmitglieder gefährdet, getötet oder bestraft zu werden.

Regierungsfeindliche Kräfte rekrutieren, wie berichtet wird, weiterhin Kinder - sowohl Jungen als auch Mädchen - um sie für Selbstmordanschläge, als menschliche Schutzschilde oder für die Beteiligung an aktiven Kampfeinsätzen einzusetzen, um Sprengsätze zu legen, Waffen und Uniformen zu schmuggeln und als Spione, Wachposten oder Späher für die Aufklärung zu dienen.

[...]

Im Licht der oben beschriebenen Umstände ist UNHCR der Ansicht, dass - je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls - für Männer im wehrfähigen Alter und für Minderjährige, die in Gebieten leben, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der regierungsfeindlichen Kräfte befinden, oder in denen regierungsnahe und regierungsfeindliche Kräfte (AGEs) und/oder mit ISIS verbundene bewaffnete Gruppen um Kontrolle kämpfen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen kann. Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalls kann für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die in Gebieten leben, in denen Befehlshaber der afghanischen lokalen Polizei (ALP) über eine hinreichende Machtstellung für die Zwangsrekrutierung von Mitgliedern der Gemeinden für die afghanische lokale Polizei (ALP) verfügen, ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Für Männer im wehrfähigen Alter und für Kinder, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, kann ebenfalls Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aus anderen relevanten Gründen bestehen. Je nach den spezifischen Umständen des Falls kann auch für Familienangehörige von Männern und Kindern mit diesem Profil aufgrund ihrer Verbindung zu der gefährdeten Person internationaler Schutzbedarf bestehen. Asylanträge von Kindern sollten einschließlich der Untersuchung von Ausschlussgründen bei ehemaligen Kindersoldaten sorgfältig und gemäß den UNHCR-Richtlinien für Asylanträge von Kindern geprüft werden. Wenn Kinder, die mit bewaffneten Gruppen in Verbindung standen, einer Straftat bezichtigt werden, sollte berücksichtigt werden, dass diese Kinder Opfer von Verstößen gegen internationales Recht und nicht nur Täter sein können."

Diese Richtlinien, denen nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung (VwGH vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103) zukommt, verweisen auch hinsichtlich der potentiellen Asylrelevanz von eventuellen Zwangsrekrutierungspraktiken sehr deutlich auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Von einer generellen Gefahr in diesem Sinne - etwa für alle Burschen bzw Männer eines bestimmten Alters - sprechen die Richtlinien in diesem Zusammenhang nicht.

Angesichts der oben dargestellten einzelfallbezogenen Aspekte des vorliegenden Falles, auch unter besonderer Berücksichtigung der noch bestehenden Minderjährigkeit des Bf iSv VwGH vom 24.09.2014, 2014/19/0020, sieht sich das Bundesverwaltungsgericht außer Stande, die behauptete individuelle Bedrohung des Beschwerdeführers als glaubhaft anzusehen.

2.5. Die auszugsweise unter Pkt II. 1.3 wiedergegebenen Länderfeststellungen ergeben sich aus den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht für das BVwG kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zu Grunde gelegt werden konnten.

Dass sich seit der Erlassung des bekämpften Bescheides der belangten Behörde in Afghanistan allgemein und für den gegenständlichen Fall (im Hinblick auf die Asylrelevanz des Vorbringens des Bf) relevant eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall verneint werden. Die Lage in Afghanistan stellt sich diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das erkennende Gericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage (ua durch Einsicht in aktuelle Berichte, wie in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in seiner aktuellen Fassung) versichert hat.

Die getroffenen Feststellungen zur Zwangsrekrutierung ergeben sich aus dem EASO Bericht zu den Rekrutierungsstrategien der Taliban vom Juli 2012 sowie den UNHCR Richtlinien vom 19.04.2016, die vom Bf selbst ins Verfahren eingebracht wurden. In einer Zusammenschau mit den Berichten des Länderinformationsblattes, ergibt sich ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb für das BVwG kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit in den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zu Grunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuellen Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Die Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides, mit dem der Antrag des Bf auf internationalen Schutz vom 24.05.2016 "hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF" abgewiesen wurde.

3.2. § 3 Abs 1 AsylG 2005 verweist auf den Flüchtlingsbegriff (drohende Verfolgung im Herkunftsstaat) iSd Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK (VwGH 24.6.2010, 2007/01/1199).

Flüchtling im Sinne der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 25.03.1999, 98/20/0431 uva).

Die Gefahr der Verfolgung im Sinn des § 3 Abs 1 AsylG 2005 iVm Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention kann nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Sie kann auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mit-glied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen sei-ne Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).

Nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die wohlbegründete Furcht im beschriebenen Sinn (zumindest) "glaubhaft" ist.

Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 13.09.2016, Ra 2016/01/0054). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233; VwSlg 16.084 A/2003; VwGH 18.11.2015, Ra 2015/18/0220). Es ist für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass in der Vergangenheit eine Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, dass er im Zeitpunkt der Entscheidung weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).

3.3. Vor dem dargestellten Hintergrund ist das Vorbringen des Bf hinsichtlich der behaupteten Zwangsrekrutierung und der damit einhergehenden "unterstellten politischen Gesinnung" zu prüfen:

Der VwGH hat in seinem Erkenntnis vom 28.11.2014, Ra 2014/01/0094, festgehalten, "dass eine Zwangsrekrutierung durch eine rebellierende Gruppe im Gegensatz zu jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates findet, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist für die Desertion aus einer Zwangsrekrutierung durch rebellierende Gruppen auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen anzulegen ist. Es kommt für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant [...]."

In seiner Rechtsprechung hat der VwGH von der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei die Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung, aufgrund deren sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hat, anknüpft. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an.

Im Erkenntnis vom 26.09.2007, 2006/19/0387, stellte der VwGH darauf ab, ob das Vorbringen des Asylwerbers hinreichend deutliche Hinweise darauf enthält, dass sein Wunsch, eine ihm widerrechtlich aufgezwungene Militärdienstleistung zu vermeiden, auf einer politischen oder moralischen Überzeugung beruhe, dass ihm eine solche unterstellt oder dass in anderer Weise an einen der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe angeknüpft werden würde.

Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens des Asylwerbers sind nach ständiger Rechtsprechung Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat. Unter Beachtung dieser vorliegend maßgeblichen Grundsätze ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, ob gemäß § 3 AsylG 2005 glaubhaft ist, dass einem Fremden im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Einer (versuchten) Zwangsrekrutierung kommt somit im Ergebnis dann Asylrelevanz zu, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist entscheidend, mit welchen Reaktionen (zB der Taliban) der Asylwerber aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt werden würde (vgl VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106; 13.10.2015, Ra 2014/01/0243, mwN).

Was die vorgebrachte individuelle Fluchtgeschichte des Bf betrifft konnte, wie in der Beweiswürdigung und den darauf aufbauenden Feststellungen ausgeführt wurde, eine solche wohlbegründete Furcht (insbesondere jene einer Zwangsrekrutierung) nicht glaubhaft gemacht werden und kann darüber hinaus auch mit ausreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Bf (erneut) in das Visier der Taliban geraten würde bzw noch (weiterhin) als besonderes Ziel der Taliban in Erscheinung treten würde. In diesem Zusammenhang ist auch auf ein Urteil des EGMR vom 09.04.2013, H und B gg das Vereinigte Königreich, Zl 70073/10 u 44539/11, hinzuweisen, wo festgehalten wurde, dass in Afghanistan derzeit keine Situation allgemeiner Gewalt herrscht ("Consequently, the Court does not consider that there is currently in Afghanistan a general situation of violence such that there would be a real risk of ill-treatment simply by virtue of an individual being returned there.") und selbst Personen, die nur ein sogenanntes "lowprofile" aufweisen, sogar nach vorhergehender Tätigkeit für internationale Truppen oder internationale Organisationen nicht generell gezielte Verfolgung durch Taliban befürchten müssen.

3.4. Auch für eine Gruppenverfolgung (der Bf ist Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken) oder eine asylrelevante Verfolgung aus sonstigen Gründen ergaben sich im Laufe des Verfahrens keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Bf konnte sohin weder eine ihm drohende asylrelevante Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen noch wäre eine solche auf Grund des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen.

3.5. Zudem lässt sich auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan für den Bf eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des VwGH keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl etwa VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen ist (dies gilt gleichermaßen für die vom Bf angedeuteten Gefahren, die sich aus der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben).

3.6. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass einer allfälligen - nicht asylrelevanten - Gefährdung des Bf durch die derzeitige Sicherheitslage in Afghanistan im vorliegenden Fall bereits durch die Entscheidung der belangten Behörde (ihm wurde, wie bereits mehrfach erwähnt, mit angefochtenem Bescheid vom 09.05.2017 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt) ausreichend Rechnung getragen wurde.

Da nach Ansicht des BVwG das Fluchtvorbringen des Bf in seiner Gesamtheit nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl erfüllt, war die gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erhobene Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.7. Abschließend gilt es noch festzuhalten, dass bei diesem Ergebnis eine abschließende Prüfung der innerstaatlichen Fluchtalternative entfallen kann, da die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Widerspruch zum gewährten subsidiären Schutz stehen würde, weil § 11 AsylG 2005 die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nur erlaubt, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht gegeben sind (vgl VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0011 bis 0016).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s die unter Punkt II. zitierte Rechtsprechung) auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Glaubwürdigkeit, mangelnde Asylrelevanz, soziale Gruppe,
unterstellte politische Gesinnung, Zwangsrekrutierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W131.2161180.1.00

Zuletzt aktualisiert am

20.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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