TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/13 W236 2129787-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.09.2018
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Entscheidungsdatum

13.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
IntG §10
IntG §9

Spruch

W236 2129787-1/4E

W236 1426831-3/5E

W236 1426832-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Lena BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerden von

1) XXXX , geb. XXXX ,

2) XXXX , geb. XXXX ,

3) XXXX , geb. XXXX ,

alle StA. Russische Föderation, vertreten durch Verein ZEIGE, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.06.2016, Zlen.

1) 1073470505-150668233,

2) 811084807-150078681,

3) 811084905-15078762,

nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.07.2018 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 9 Abs. 2 und Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012, auf Dauer unzulässig ist. Gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2, § 55 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 und § 10 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I. Nr. 68/2017, wird XXXX und XXXX jeweils der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" sowie XXXX gemäß § 54 Abs. 1 Z 2, § 58 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2 iVm § 55 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. Den Beschwerden wird hinsichtlich Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (alle zusammen als Beschwerdeführer bezeichnet). Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, stammen aus der Teilrepublik Dagestan und sind Angehörige der kumykischen Volksgruppe.

1. Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers:

1.1. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste im September 2011 gemeinsam mit dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.09.2011 für sich und ihren Sohn einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Zweitbeschwerdeführerin im Zuge ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 20.09.2011 und ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.02.2012 im Wesentlichen an, dass ihr Mann (der Erstbeschwerdeführer) am 03.08.2011 von seiner nächtlichen Arbeit als Taxifahrer nicht zurückgekommen sei. Er habe sie schließlich zwei Tage später telefonisch kontaktiert und ihr gesagt, dass es ihm gut gehe. Am 06.08.2011 wären schließlich Milizangehörige zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gesucht, die Zweitbeschwerdeführerin habe auch mit auf die Wache gemusst, wo sie verhört worden sei. Am 15.08.2011 habe schließlich wieder ihr Mann angerufen und ihr mitgeteilt, er sei von Widerstandskämpfern gefangen genommen worden, die Zweitbeschwerdeführerin solle fliehen. Am selben Tag wären schließlich FSB Mitarbeiter zu ihr nach Hause gekommen und hätten sie instruiert, sofort Kontakt zu ihnen aufzunehmen, wenn ihr Ehemann wieder anrufe, andernfalls werden sie und ihr Sohn getötet. Die Leute vom Geheimdienst hätten gewollt, dass die Zweitbeschwerdeführerin ein Treffen mit ihrem Mann organisiere, stattdessen sei sie am 18.08.2011 mit ihrem Sohn zu ihrem Bruder nach Moskau gefahren, von wo sie schließlich nach Europa gefahren sei. Sie wisse nichts über den derzeitigen Aufenthalt ihres Mannes, sie stehe in Kontakt zu seinem Bruder, der allerdings auch nicht wisse, wo er sich aufhalte.

1.3. Mit Bescheid vom 27.04.2012 wies das Bundesasylamt den (ersten) Antrag der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. ab (Spruchpunkt II.) und wies beide gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). Begründend wurde darin ausgeführt, dass den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin wegen vager, oberflächlicher und nicht nachvollziehbaren Ausführungen die Glaubwürdigkeit zu versagen gewesen sei.

1.4. Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 10.04.2014 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.05.2014 gemäß § 3 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen und die Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin aufgrund zahlreicher Oberflächlichkeiten, Ungereimtheiten und Steigerungen die Glaubhaftigkeit zu versagen war.

Diese Erkenntnisse erwuchsen mit Zustellung an die Zweitbeschwerdeführerin am 30.05.2014 in Rechtskraft.

1.5. Am 01.07.2014 wurde die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrer Integration in Österreich befragt, wobei diese ausführte, dass es ihr gut gehe und sie zu einem Neuropathologen gehe, weil sie schlecht schlafen könne. Ihre Mutter lebe in Dagestan, außerdem würden zu Hause noch zwei Schwestern und zwei Brüder leben, eine Schwester lebe in XXXX , ein Bruder in XXXX , sie stehe mit ihren Familienangehörigen in telefonischem Kontakt. Sie bekomme in Österreich monatlich 180 Euro Unterstützung, für ihr Kind bekomme sie 80 Euro. Sie habe außerdem ein Deutschdiplom auf A2 Niveau absolviert und könne Kursbesuchsbestätigungen und Empfehlungsschreiben vorlegen. In XXXX besuche sie einen Verein für alleinstehende Mütter, außerdem besuche sie zwei Mal die Woche einen Deutschkurs. Sie wolle in Österreich bleiben, ihr Sohn komme in einer Woche in den Kindergarten.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte in diesem Zusammenhang mehrere Unterstützungs- und Emfpehlungsschreiben vor.

1.6. Mit Bescheid vom 21.07.2014 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Zweitbeschwerdeführerin und dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß den § 57 und § 55 AsylG 2005, erließ gegen diese gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.

1.7. Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 08.10.2014 als unbegründet ab.

2. Verfahren über die (gegenständlichen) Anträge auf internationalen Schutz:

2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährige Drittbeschwerdeführer stellten am 22.01.2015 ihre gegenständlichen zweiten Anträge auf internationalen Schutz.

Hinsichtlich der Gründe für die zweite Antragstellung gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass die alten Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Außerdem habe sie Briefe von ihrer Mutter und ihrem Bruder erhalten, aus denen hervorgehe, dass die Zweitbeschwerdeführerin von der dagestanischen Polizei gesucht werde. Ihr Ehemann sei seit drei Jahren verschollen und in den Ladungen werde behauptet, dass sie Kontakt zu ihm habe, was allerdings nicht stimme. Ihr Anwalt habe ihr dazu geraten, einen Folgeantrag zu stellen und ihr gesagt, sie solle irgendwelche Dokumente und Beweise für ihre Probleme vorlegen. Ihre Eltern hätten ihr schließlich diese Ladungen geschickt. Leute würden zudem zu ihrem Elternhaus kommen und nach der Zweitbeschwerdeführerin fragen. Die Probleme wären nach wie vor die gleichen, im Folgeantrag habe sie jedoch nunmehr neue Beweismittel vorgelegt. Ihrem Mann sei vorgeworfen worden Untergrundkämpfer mit dem Taxi irgendwohin gebracht zu haben, er sei anschließend bei den Wahhabiten gewesen, dreieinhalb Jahre habe die Zweitbeschwerdeführerin nichts von ihm gehört. Sie sei wegen ihres Mannes gesucht worden, die Paragraphen würden auf dem Fahndungsblatt stehen. Ein Bruder ihres Mannes sei inhaftiert worden, er sei jedoch wieder aus dem Gefängnis entlassen worden. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer gehe in die Vorschule und spreche sehr gut Deutsch.

2.2. Am 13.06.2015 reiste der Erstbeschwerdeführer in das österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Hinsichtlich seiner Gründe führte er im Wesentlichen an, dass er im Jahr 2011 einige Leute mit seinem Taxi in eine nahe gelegene Stadt bei einem Wald gebracht habe, wo viele Widerstandskämpfer gelebt hätten. Zwei Wochen danach sei die Ortschaft bombardiert worden, viele Widerstandskämpfer wären gestorben. Einen Monat nach dem Vorfall sei er von drei Männern festgenommen und in den Wald gebracht worden, wo er gefoltert worden sei. Einen Monat danach sei er schließlich geflohen, er habe sich bis zu seiner Ausreise in den Bergen von Dagestan versteckt.

2.3. Mit den o.a. Bescheiden vom 22.06.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkte I.) als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab (Spruchpunkte II.) und erteilte diesen gemäß § 57 AsylG 2005 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen ab Rechtskraft festgesetzt (Spruchpunkte IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführer eine ihnen drohende Verfolgung nicht glaubhaft machen konnten. Da die Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig wären und nach wie vor über Anknüpfungspunkte in Dagestan verfügen würden, drohe ihnen keine Gefahr, die die Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Es habe darüber hinaus keine intensive Integration festgestellt werden können, die einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

2.4. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, in welcher die Bescheide vollumfänglich angefochten wurden und unter Verweis auf die einzelnen Punkte in der Beweiswürdigung diese als schwer mangelhaft moniert wurden. Darüber hinaus wurde betont, dass die Beschwerdeführer die Wahrheit gesagt hätten und ihnen in der Russischen Föderation Verfolgung drohe. Es wären wichtige Dokumente vorgelegt worden, die die Verfolgung der Beschwerdeführer belegen würden. Es sei darüber hinaus die Integration nicht entsprechend gewürdigt worden.

2.5. Am 25.07.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache, den Beschwerdeführern, sowie deren Rechtsvertreters statt, in welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt wurden. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin wiederholten in der Verhandlung im Wesentlichen ihr bereits geltend gemachtes Vorbringen.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung legten die Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:

-

Diverse Rechnungen der Firma der Zweitbeschwerdeführerin über durchgeführte Reinigungsarbeiten;

-

Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem über die Anmeldung eines freien Gewerbes der Zweitbeschwerdeführerin mit 06.04.2018 über Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten;

-

Bestätigungsschreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft über die Mitversicherung des Erst- und Drittbeschwerdeführers in der Krankenversicherung;

-

Bescheid über die Einstellung der Grundversorgung der Beschwerdeführer vom 07.06.2018;

-

Unterstützungsschreiben von Nachbarn, die die Familie als sehr freundlich und nett beschreiben;

-

Jahreszeugnis über die positive Absolvierung der zweiten Schulstufe der Volksschule des Drittbeschwerdeführers;

-

Teilnahmebescheinigung vom 01.07.2018 über Besuch des Deutschkurses A1+ durch den Erstbeschwerdeführer;

-

Mietvertrag vom 15.05.2015;

-

Zeitungsartikel einer regionalen österreichischen Zeitschrift vom August 2014, in der die Zweitbeschwerdeführerin interviewt wurde;

-

Arbeitszusage für die Zweitbeschwerdeführerin vom April 2014;

-

Arbeitsbestätigung einer Änderungsschneiderei vom 04.08.2014 über die Beschäftigung der Zweitbeschwerdeführerin.

Die Zweitbeschwerdeführerin legte in ihren Verfahren zudem folgende Unterlagen vor:

-

Teilnahmebestätigungen verschiedener Kurse der Volkshochschule;

-

Deutschkursbestätigungen;

-

Schulbesuchsbestätigung des Drittbeschwerdeführers vom 14.09.2015-08.07.2016;

-

Deutschkursdiplom A2 vom 24.02.2014, und A1 vom 15.11.2013;

-

Diverse Empfehlungsschreiben;

-

Ambulanzberichte eines Klinikums, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, wo die Medikation der Antidepressiva der Zweitbeschwerdeführerin eingestellt wurde,

-

Diverse in russischer Sprache gehaltene Schreiben und ein Fahndungsblatt inkl. Übersetzungen in die deutsche Sprache,

-

Schreiben der Nachbarn aus Dagestan in russischer Sprache;

-

7 polizeiliche Vorladungen der Zweitbeschwerdeführerin in russischer Sprache.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Auf Grundlage der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungs- und Gerichtsakten der Beschwerdeführer (insbesondere auch zu den Vorverfahren der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers), der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Strafregister werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang:

1.1.1. Die Zweitbeschwerdeführerin reiste gemeinsam mit dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer nach Österreich, wo sie am 20.09.2011 ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz stellten, welche mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 27.04.2012 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch in Bezug auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen und beide aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurden (Spruchpunkt III.).

Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 20.05.2014 als unbegründet abgewiesen und die Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen. Diese Erkenntnisse erwuchsen mit Zustellung an die Zweitbeschwerdeführerin am 30.05.2014 in Rechtskraft.

Mit Bescheiden vom 21.07.2014 erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Zweitbeschwerdeführerin und dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen diese Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass eine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist. Die gegen diese Bescheide fristgerecht erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 08.10.2014 als unbegründet ab.

1.1.2. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer stellten am 22.01.2015 sodann neuerlich (die nunmehr gegenständlichen) Anträge auf internationalen Schutz.

Am 13.06.2015 reiste der Erstbeschwerdeführer ins österreichische Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Diese Anträge wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheiden vom 22.06.2016 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass deren Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist, wobei die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

1.2. Zur den Personen der Beschwerdeführer:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Eheleute und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, stammen aus der Teilrepublik Dagestan und sind Angehörige der kumykischen Volksgruppe. Die Identität des Erstbeschwerdeführers steht nicht fest. Die Identitäten der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers stehen fest und sind aus dem Spruchkopf der vorliegenden Entscheidung ersichtlich.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sprechen die Kumykische und die Russische Sprache. Der Erstbeschwerdeführer besuchte die Schule und absolvierte eine Tischlerlehre, er arbeitete anschließend auch in diesem Bereich. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte auch die Schule und arbeitete in der Russischen Föderation als Verkäuferin.

Der Erstbeschwerdeführer leidet unter Psoriasis (Hauterkrankung) und steht diesbezüglich in Behandlung. Die Zweitbeschwerdeführerin nahm in Österreich psychologische Betreuung in Anspruch, benötigt diese jedoch derzeit nicht. Der minderjährige Drittbeschwerdeführer ist gesund. Keiner der Beschwerdeführer leidet an einer schweren physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankung, die einer Rückführung in den Herkunftsstaat entgegenstehen würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin war während ihres beinahe siebenjährigen Aufenthaltes im österreichischen Bundesgebiete sehr um ihre Integration bemüht. Sie beherrscht die deutsche Sprache auf sehr gutem Niveau und absolvierte im April 2014 die Deutschprüfung A2. Sie ist bestrebt, ihre Deutschkenntnisse weiter zu vertiefen.

Die Beschwerdeführer leben seit 15.05.2015 (der Erstbeschwerdeführer nach seiner Einreise ins österreichische Bundesgebiet) in einer Mietwohnung der Grundversorgungsstelle in einem gemeinsamen Haushalt. Sie verfügen in Österreich über die Kernfamilie hinaus über keine weiteren Angehörigen.

Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt seit April 2018 über eine Gewerbeberechtigung für das Gewerbe der Hausbetreuung, bestehend in der Durchführung einfacher Reinigungstätigkeiten einschließlich objektbezogener einfacher Wartungstätigkeiten. Sie stellte für Hausreinigungsarbeiten vom Zeitraum April bis inkl. Juni 2018 Rechnungen über € 6000,- aus.

Die Erst- und Drittbeschwerdeführer sind bei ihr in der Krankenversicherung mitversichert. Die Beschwerdeführer beziehen seit Juni 2018 keine Leistungen aus der Grundversorgung. Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführer durch die Beschäftigung der Zweitbeschwerdeführerin selbsterhaltungsfähig sind.

Der minderjährige Drittbeschwerdeführer ist als Kleinkind nach Österreich gekommen und besucht seit Herbst 2018 die dritte Volksschulklasse. Er weist bereits fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache auf und ist altersgemäß gut in das Schulleben integriert. Er beherrscht - ebenso wie seine Eltern - die kumykische Sprache. Im Jahreszeugnis des Schuljahres 2017/2018 wurde er für den Pflichtgegenstand Deutsch mit "gut" benotet, in allen übrigen Fächern wurde er mit "sehr gut" benotet.

Der Erstbeschwerdeführer befindet sich erst seit knapp drei Jahren im österreichischen Bundesgebiet, ist jedoch um seine sprachliche und soziale Integration bemüht und besucht derzeit einen Deutschkurs auf A1+ Niveau. Er ist bestrebt, seine Deutschkenntnisse weiter zu vertiefen.

Die Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführer verfügen in Dagestan und der Russischen Föderation nach wie vor über zahlreiche familiäre Anknüpfungspunkte. So leben die Mutter und sechs Geschwister des Erstbeschwerdeführers in seiner Heimatstadt in Dagestan, zu denen er in Kontakt steht. Die Mutter und die drei Geschwister der Zweitbeschwerdeführerin leben ebenfalls in Dagestan.

1.3. Zum Fluchtvorbringen:

Der von den Beschwerdeführern vorgebracht Fluchtgrund wird der Entscheidung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer von Widerstandskämpfern im Jahr 2011 entführt und gefoltert wurde. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Jahr 2011 wegen ihres Ehemannes von staatlichen Behörden aufgesucht und verfolgt wurde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer von 2011 bis 2015 in Dagestan versteckt lebte. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2015, bevor er von Dagestan nach Österreich reiste, einer unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt war.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen haben oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätten.

Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass diese konkret Gefahr liefen, in ihrem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu sein.

1.4. Zur maßgeblichen Lage in der Russischen Föderation:

Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung am 21.07.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 07.05.2018:

1.4.1. Politische Lage im Allgemeinen

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017).

Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a).

Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a).

Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

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Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

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RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.4.1.a. Politische Lage in Dagestan im Besonderen

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).

Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in dem Kadyrow'schen Privatstaat. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015).

Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

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ACCORD (14.4.2017): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

http://www.ecoi.net/news/190001::russische-foederation/120.sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen.htm, Zugriff 21.6.2017

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AI - Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,

http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 21.6.2017

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Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

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IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.6.2017

1.4.2. Sicherheitslage im Allgemeinen

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmorda

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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