TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/14 W265 2150969-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2018
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

14.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W265 2150973-1/23E

W265 2150976-1/23E

W265 2150969-1/17E

W265 2150965-1/15E

W265 2150960-1/15E

W265 2150952-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.

XXXX , geboren am XXXX , 2. XXXX , geboren am XXXX , 3. XXXX , geboren am XXXX , 4. XXXX , geboren am XXXX , 5. mj. XXXX , geboren am XXXX , 6. mj. XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit Afghanistan, alle vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahlen 1. XXXX , 2. XXXX , 3. XXXX , 4. XXXX ,

5. XXXX , 6. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.03.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Den Beschwerden wird stattgegeben und es wird XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten und XXXX ,

XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass den Beschwerdeführern damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG (jeweils) nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und seine zwei (mittlerweile volljährigen) und zwei minderjährigen Kinder, sind afghanische Staatsangehörige. Sie stellten am 03.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass sie am XXXX in XXXX in der Provinz Baghlan geboren worden sei. Sie sei afghanische Staatsangehörige, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und bekenne sich zum sunnitisch-islamischen Glauben. Ihre Muttersprache sei Dari. Sie sei mit dem Erstbeschwerdeführer traditionell verheiratet und habe mit ihm vier Söhne. Zu den Fluchtgründen befragt, brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, sie sei als Kind ihrem jetzigen Ehemann zugesprochen worden. In der Jugend sei sie mit ihm verlobt gewesen. Später hätten sie ihre Eltern einem anderen Mann versprochen, den sie auch heiraten musste. Einige Jahre später habe mit ihrem jetzigen Ehemann Afghanistan verlassen. Sie hätten in Pakistan traditionell geheiratet. Der erste Mann, mit dem sie verheiratet worden sei, wolle Rache ausüben.

Der Erstbeschwerdeführer gab bei seiner Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er am XXXX in XXXX in der Provinz Baghlan geboren worden sei. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und bekenne sich zum sunnitisch-islamischen Glauben. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei mit der Zweitbeschwerdeführerin traditionell verheiratet, mit der er vier Söhne habe. Im Jahr 1997 habe er gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin Afghanistan verlassen. Vor ihrer Weiterreise nach Europa hätten sie siebzehn Jahre im Iran gelebt.

Zu den Fluchtgründen befragt, brachte der Erstbeschwerdeführer vor, seine Ehefrau sei ihm als Kind versprochen worden. Etwa ein Jahr, bevor sie gegen den Willen der Eltern geheiratet haben, habe ein ehemaliger Kommandant das Jawort von den Eltern seiner nunmehrigen Ehefrau mit Gewalt und Macht geholt. Die Eltern hätten daraufhin die Erlaubnis erteilt, dass er ihre Tochter heiraten könne. Daraufhin seien sie nach Pakistan geflüchtet. Dort hätten sie traditionell geheiratet. Der Kommandant und seine Familie hätten seitdem Rache geschworen.

3. Anlässlich der jeweils am 09.02.2017 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführten Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wiederholten die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer ihre Angaben zu Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und Herkunftsort. Präzisierend und ergänzend wurde seitens der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes angegeben:

Die Zweitbeschwerdeführerin führte u.a. aus, dass ihre vier Söhne im Iran auf die Welt gekommen seien. Dort seien sie aufgewachsen und zur Schule gegangen. Nachdem die iranische Regierung die Aufenthaltsbewilligungen nicht verlängert habe, hätten sie sich aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan zu einer Flucht nach Europa entschieden. Die Zweitbeschwerdeführerin bestätigte, dass sie und der Erstbeschwerdeführer dieselben Fluchtgründe hätten, ebenso die gemeinsamen Kinder. Sie hätten die letzten 18-20 Jahre im Iran gelebt.

Die Zweitbeschwerdeführerin sei in XXXX geboren, wo sie ca. 22-23 Jahre gelebt habe. Sie habe die Schule besucht, gearbeitet habe sie nicht. Zu ihrem Gesundheitszustand führte sie aus, sie stehe in ärztlicher Behandlung. Sie sei zuckerkrank und habe psychische Probleme.

Zu ihren Fluchtgründen führte die Zweitbeschwerdeführerin weiters aus, sie sei zunächst ihrem jetzigen Ehemann versprochen worden. Als sie älter geworden sei, habe ein Kommandant bei ihren Eltern einen Heiratsantrag gestellt. Ihr Vater sei dagegen gewesen, aber ihre Mutter habe zugestimmt, da er ein höheres Brautgeld bezahlt habe. Sie habe diesen Kommandanten heiraten müssen. Es habe sich um einen reichen und mächtigen Mann geheiratet, der bereits mit zwei Frauen verheiratet gewesen sei. Vier oder fünf Jahre später sei sie auf dem Weg zum Arzt gewesen. Dabei habe sie ihren jetzigen Ehemann zufällig getroffen. Sie habe ihn gebeten, mit ihr wegzugehen. Er sei einverstanden gewesen. Daraufhin sei sie gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer nach Pakistan geflohen. Dort hätten sie traditionell geheiratet. Nach einem Jahr seien sie in den Iran gezogen. Sie habe Angst vor der Rache des Kommandanten und seiner Familie. Es gehe um die Ehre.

Sie habe keine Familienangehörigen in Afghanistan. Sie habe keinen Kontakt zu Bekannten oder Verwandten in Afghanistan.

Der Erstbeschwerdeführer gab an, er habe acht Jahre lang eine staatliche Schule in Afghanistan besucht. Danach habe er vier Jahre lang Privatunterricht erhalten. Im Anschluss sei er zum Militär gegangen. Er habe neben dem Militärdienst in einem Kohlebergwerk gearbeitet. Als seine jetzige Frau mit ihrem ersten Mann zusammengelebt habe, habe er in XXXX gelebt; davor immer in XXXX . Fünf Brüder würden nach wie vor in XXXX in Afghanistan leben. Ein Bruder lebe in Österreich. Zu seinen in Afghanistan lebenden Brüdern habe er telefonischen Kontakt. Seine Mutter lebe noch, sein Vater sei bereits verstorben.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Erstbeschwerdeführer aus, die Zweitbeschwerdeführerin und er seien verlobt gewesen. Ein reicher und mächtiger Kommandant namens Shir Ali habe bei der Familie seiner jetzigen Ehefrau um ihre Hand angehalten. Seine Verlobte sei gezwungen gewesen ihn zu heiraten. In dieser Zeit sei er nach XXXX gegangen. Ein paar Jahre später habe er seine damalige Verlobte zufällig in XXXX getroffen. Sie hätten beschlossen, gemeinsam wegzulaufen. Sie seien nach Pakistan geflohen und dort hätten sie vor einem Mullah traditionell geheiratet.

Der zuvor genannte Kommandant sei noch am Leben. Dies habe er von seinen in Afghanistan lebenden Brüdern erfahren. Er sei in Afghanistan niemals persönlich bedroht oder verfolgt worden. Aber in Afghanistan sei die Ehre sehr wichtig. Er habe Angst vor der Rache des zuvor genannten Kommandanten. Seine Söhne seien erwachsen und es gehe um die Ehre.

Auch der Erstbeschwerdeführer bestätigte, dass die Söhne keine eigenen Fluchtgründe hätten.

4. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer nach Afghanistan gemäß 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen beträgt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde traf Feststellungen zu den Beschwerdeführern, zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates, zur Situation im Falle ihrer Rückkehr sowie zur Lage in Afghanistan.

Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass die Identität der Beschwerdeführer mangels Vorlage von unbedenklichen Identitätsdokumenten nicht feststehe. Die Feststellungen zu Staatsangehörigkeit, Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Familienstand sowie Gesundheitszustand würden sich aus den glaubhaften Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ergeben.

Die vorgebrachten Fluchtgründe seien glaubhaft, aber es stehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in ihrem Herkunftsstaat zur Verfügung. Den Beschwerdeführern sei eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Kabul zumutbar. Aufgrund des fehlenden Meldewesens in Afghanistan sei für die entscheidende Behörde nicht nachvollziehbar, wie Dritte von der Rückkehr der Beschwerdeführer Kenntnis erlangen sollten. Auch sei für die entscheidende Behörde nicht ersichtlich, dass nach über 20 Jahren noch immer von etwaigen Verfolgern aktiv nach ihnen gesucht werden würde. Mazar-e Sharif und Kabul würden rund 200 Kilometer von XXXX entfernt liegen, wodurch aufgrund dieser Entfernung zu ihrem Heimatdorf ein Auffinden ihrer Person nicht glaubhaft sei. Eine Bedrohung oder Verfolgung bei einer Rückkehr sei aus den zuvor genannten Gründen für die entscheidende Behörde nicht glaubhaft.

Die Beschwerdeführer hätten ein familiäres Netz in Afghanistan. Die Brüder des Erstbeschwerdeführers würden in XXXX in Afghanistan leben. Der Erstbeschwerdeführer verfüge über eine mehrjährige Schulausbildung und habe Berufserfahrung in den verschiedensten Bereichen. Es sei nicht wahrscheinlich, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan ein Entzug der Lebensgrundlage drohe.

Eine ausgeprägte Integration in Österreich liege trotz gewisser Integrationsbemühungen nicht vor.

Im Anschluss unterzog die belangte Behörde den von ihr festgestellten Sachverhalt unter Bezugnahme auf die einzelnen Spruchpunkte der Bescheide einer rechtlichen Beurteilung.

5. Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richten sich die fristgerecht erhobenen Beschwerden, mit denen die Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens bzw. mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurden.

6. Die Beschwerden und die Verwaltungsakten langten am 23.03.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Am 31.10.2017 und am 20.12.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführer und ihr Rechtsvertreter teilnahmen und der ein Dolmetscher bzw. eine Dolmetscherin für die Sprache Dari beigezogen wurde. Die belangte Behörde nahm an den Verhandlungen nicht teil. Die jeweilige Niederschrift der mündlichen Verhandlung wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Anschluss an die Verhandlung übermittelt.

Die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer wurden vom erkennenden Gericht eingehend zu ihrer Identität, Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, zu ihren Fluchtgründen sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt. Auch der Dritt-, Viert-, Fünft- und Sechstbeschwerdeführer wurden zu ihrer Identität, Herkunft sowie zu ihrem Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Im Zuge der Verhandlung wurden vom erkennenden Gericht auch die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer in das Verfahren eingebracht. Den Beschwerdeführern wurden gemeinsam mit den Ladungen zahlreiche Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan übermittelt. Der Rechtsvertreter gab im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme ab.

Betreffend ihre Integration in Österreich legten die Beschwerdeführer Bestätigungen über den Besuch von Deutschkursen und Schulbesuchsbestätigung des Fünft- und Sechstbeschwerdeführers vor. Weiters wurde Kursbesuchsbestätigungen des Dritt- und Viertbeschwerdeführers vorgelegt.

8. Das zuständige Gericht gab eine Anfrage an die Staatendokumentation zum Fluchtvorbringen der Zweitbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers in Auftrag.

9. Mit Schreiben vom 20.06.2018 wurde den Beschwerdeführern und der belangten Behörde das Ergebnis der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Wahrung des Parteiengehörs und Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme zur Kenntnis gebracht.

Die Parteien des gegenständlichen Verfahrens gaben innerhalb eingeräumter Frist keine Stellungnahme ab.

10. Mit Schreiben vom 31.08.2018 wurden den Beschwerdeführern und der belangten Behörde ein Auszug aus dem Gutachten von Friederike Stahlmann vom 28.03.2018 (Punkt 8 bis 9.1.1) zur Wahrung des Parteiengehörs und Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt.

Mit Eingabe vom 06.12.2018 erstatten die Beschwerdeführer eine Stellungnahme und legten u.a. Integrationsunterlagen und eine Bestätigung über einen Krankenhausaufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Niederschriften über die Erstbefragungen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, der Niederschriften über die weiteren Einvernahmen der Zweitbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers durch die belangte Behörde, des Beschwerdevorbringens, der mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie der Länderberichte zur Lage in Afghanistan, der dazu erstatteten Stellungnahme der Beschwerdeführer und der von ihnen vorgelegten Unterlagen werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Zu Person der Beschwerdeführer

Die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer sind seit 20 Jahren verheiratet. Die Ehe wurde nach islamischen Ritus durch einen Mullah traditionell geschlossen. Sie sind die leiblichen Eltern des Drittbeschwerdeführers, des Viertbeschwerdeführers, des Fünftbeschwerdeführers und des Sechstbeschwerdeführers.

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch dieser Erkenntnisse angeführten Namen und Geburtsdaten. Sie sind afghanische Staatsangehörige sowie Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken und bekennen sich zum sunnitischen Islam.

Die Zweitbeschwerdeführerin stammt aus XXXX in der Provinz Baghlan. Sie besuchte zwölf Jahre die Schule, im Alter von 18 oder 19 Jahren maturierte die Zweitbeschwerdeführerin. Sie absolvierte keine berufliche Ausbildung und war nie berufstätig. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sind bereits verstorben. Sie hat keine Familienangehörigen oder Verwandten in Afghanistan. Im Alter von ca. 22 bzw. 23 Jahren verließ die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer Afghanistan in Richtung Pakistan. Dort heirateten die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführerin traditionell vor einem Mullah. Bevor die Zweitbeschwerdeführerin mit ihrer Familie nach Europa weiterreiste, lebten sie siebzehn Jahre im Iran. Die Zweitbeschwerdeführerin lebte bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan immer in ihrer Herkunftsprovinz.

Der Erstbeschwerdeführer wurde im Distrikt XXXX in der Provinz Baghlan geboren. Er besuchte acht Jahre lang die Schule, drei oder vier Jahre lang bekam der Erstbeschwerdeführer Privatunterricht. Im Anschluss arbeitete er als Soldat in einer Kohlenmine. Daneben war auch in der Landwirtschaft tätig. Die Mutter sowie fünf Brüder des Erstbeschwerdeführers leben in XXXX in Afghanistan. Der Erstbeschwerdeführer steht in telefonischen Kontakt mit seinen Familienangehörigen. Vor ca. 22 Jahren verließ er gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin Afghanistan. Der Erstbeschwerdeführer lebte bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan in seiner Herkunftsprovinz Baghlan sowie drei Jahre lang in XXXX . Im Iran arbeitete der Erstbeschwerdeführer im Baubereich als Stuckateur.

Die Beschwerdeführer stellten am 03.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Beschwerdeführer sind strafrechtlich unbescholten (bzw. strafunmündig).

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer

Die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer waren verlobt. Ein ehemaliger Kommandant der Herkunftsprovinz der Zweitbeschwerdeführerin hielt um die Hand der Zweitbeschwerdeführerin an. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin erteilten ihre Zustimmung und die Zweitbeschwerdeführerin musste den zuvor genannten Kommandanten heiraten, da dieser ein höheres Brautgeld bezahlte. Daraufhin verließ der Erstbeschwerdeführer die Herkunftsprovinz Baghlan und lebte mehrere Jahre in XXXX . Vier oder fünf Jahre später trafen sich die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer zufällig am Bazar in der Herkunftsprovinz Baghlan. Die Zweitbeschwerdeführerin bat den Erstbeschwerdeführer mit ihr zu fliehen. Sie vereinbarten eine Flucht für den nächsten Tag. Gemeinsam flohen die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer nach Pakistan, wo sie traditionell vor einem Mullah heirateten. Ein Jahr später verließen sie Pakistan und reisten in den Iran.

Die Beschwerdeführer haben damit ein Verhalten gesetzt, das einen schweren Verstoß gegen die in Afghanistan vorherrschende religiöse Rechts- und Werteordnung darstellt.

Dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Gefahr eines Ehrenmordes durch den ersten Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin und dessen Familie, mit dem die Zweitbeschwerdeführerin als junge Frau verheiratet wurde. Aufgrund der Flucht der Zweitbeschwerdeführerin als verheiratete Frau gemeinsam mit dem Erstbeschwerdeführer und deren (neuerliche) Eheschließung haben die Beschwerdeführer Ehebruch begangen. Darüber hinaus droht die Gefahr einer staatlichen Verfolgung durch die Behörden ihres Herkunftsstaates einerseits wegen unterstellter außerehelicher Beziehung, andererseits wegen Ehebruch.

1.2. Zur Lage in Afghanistan

1.2.1 Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, letzte Gesamtaktualisierung am 25.09.2017:

Baghlan

Baghlan liegt in Nordostafghanistan und wird als eine der industriellen Provinzen Afghanistans angesehen. Sie ist von strategischer Bedeutung, da sie an sieben weitere Provinzen, inklusive Kabul, grenzt. Baghlan hat folgende administrative Bezirke, inklusive der Provinzhauptstadt Puli Khumri: Kinjan, Dushi, Banu, Dih Salah, Puli Hisar, Jilgah, Khost, Talawa Barfak, Farang, Guzargah-a-Noor, Nahrin, Burkah und Dahana-i-Ghori. Im Nordosten grenzt sie an die Provinzen Panjsher, Takhar und Kunduz, im Westen an Samangan und Bamyan, im Süden grenzt sie an die Provinz Parwan (Pajhwok o.D.h). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 926.969 geschätzt (CSO 2016).

Im Zeitraum 1.1. bis 31.8.2015 wurden in der Provinz Baghlan 354 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Baghlan zählt zu den relativ volatilen Provinzen Nordafghanistans; die Taliban sind in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv (Khaama Press 5.9.2016). In den letzten Monaten war die einst relativ friedliche Region - die Provinzen Baghlan, Kunduz und Takhar - von heftigen Zusammenstößen zwischen Taliban und Regierungskräften betroffen (Khaama Press 24.1.2017; Khaama Press 15.5.2016; Global Times China 15.1.2017; vgl. auch: News Ghana 30.1.2017).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 18.1.2017; Khaama Press 10.1.2017; Pajhwok 9.1.2017; Khaama Press 8.1.2017; Khaama Press 5.1.2016; Bakhtar News 22.8.2016). Bei diesen Militäroperationen hatten Aufständische Verluste zu verzeichnen (Pajhwok 9.1.2017; Bakhtar News 22.8.2016). In manchen Fällen wurden Talibankommandanten getötet (Tolonews 23.12.2016; Pajhwok 23.12.2016; Khaama Press 5.1.2016; Independent 27.2.2016).

1.2.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 12.06.2018 zur Frage ob Ehebruch - Delikt der Zina - nach afghanischem Recht verjähren kann:

"Gemäß den nachfolgend zitierten Quellen wird Ehebruch / Zina zu den Hudud-Verbrechen gezählt. Im seit Februar 2018 nicht mehr gültigen afghanischen Strafgesetzbuch von 1975 ist eine Verjährung für Ehebruch / Zina nach zehn Jahren definiert. [Im im Februar 2018 Gültigkeit erlangten Strafgesetz konnte eine Verjährung von Delikten nicht gefunden werden.

Die nachfolgend zitierten Quellen machen widersprüchliche Angaben zur Verjährung von Hudud-Vergehen, darunter Ehebruch / Zina, in der hanafischen Rechtsschule. Eine Quelle besagt, dass Hudud-Vergehen relativ schnell verjähren, eine andere Quelle besagt, dass dazu keine Informationen vorliegen.

Gemäß nachfolgend zitierter Quellen ist aufgrund des paschtunischen Ehrenkodex keine Abbitte bei Ehebruch oder Unkeuschheit vorgesehen und für Vergehen der Vergangenheit kann Rache geübt werden, solange der Übeltäter oder dessen Familie noch leben. Die Quellen gehen davon aus, dass bezüglich einer privaten Verfolgung keine Verjährung angenommen werden kann.

[...]

ALEP - Afghanistan Legal Education Project - ist eine 2007 gegründete Studenteninitiative der Stanford Law School (USA) und der American University of Afghanistan, die Text- und Lehrbücher über afghanisches Recht publiziert, die an ein afghanisches Publikum gerichtet sind. ALEP veröffentlichte im Jahr 2012 ein Lehrbuch zur Einführung ins Strafgesetz Afghanistans. Die Quelle besagt, dass Ehebruch und Unkeuschheit (Zina) zu den Hudud-Verbrechen zählen. Hudud (Singular: Hadd) sind gemäß dem islamischen Strafgesetz die schwerwiegendsten Verbrechen.

Gemäß dieser Quelle wird das Vergehen der Zina normalerweise als Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau außerhalb einer formellen Ehegemeinschaft interpretiert. Das Vergehen schließt Vergewaltigung und Unkeuschheit mit ein. Unkeuschheit und Ehebruch werden durch den Familienstand der Täter unterschieden. Ob beide unverheiratet oder einer bzw. beide verheiratet sind, beeinflusst das Strafmaß. Um sich wegen Ehebruch strafbar zu machen, muss der Täter bzw. die Täterin nicht nur rechtlich verheiratet sein, sondern muss die Ehe auch sexuell vollzogen worden sein. Die Bestrafung beträgt 100 Peitschenhiebe oder Tod durch Steinigung.

[...]

Das Verwaltungsgericht Magdeburg bezieht sich in einem Urteil vom 5.1.2018 auf eine Auskunft des iranischen Journalisten und Politologen Mostafa Danesh vom 10.1.2013. [Anmerkung der Staatendokumentation: Das in Folge referenzierte Gesetzbuch von 1975 wurde durch das neue Gesetzbuch vom 14.2.2018 außer Kraft gesetzt, vgl. https://unama.unmissions.org/unama-welcomes-afghanistan%E2%80%99s-new-penal-code-calls-robust-framework-protect-women-against-violence.]

Der Kläger, afghanischer Staatsangehöriger und der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig, begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter.

(...)

Dr. Danesh führt hierneben aus, die Möglichkeit, staatlichen Schutz gegen solche Bedrohungen zu erlangen, bestehe nicht. Würde ein Mann bei den Behörden Schutz vor diesen Gefahren durch Dritte suchen, würde er wegen des ihm vorgeworfenen Vergehens verhaftet. Sein Leben wäre dann zwar einigermaßen geschützt, er würde dann aber vor Gericht gestellt und müsste mit einer hohen Haftstrafe rechnen. Laut dem Gesetzbuch von 1975 betrage die Verjährungsfrist für das Verbrechen Ehebruch/Zina für erwachsene Täter über 18 Jahre zehn Jahre, wohingegen nach der traditionellen, im "Paschtunwali" besonders streng ausgeprägten Auffassung Verbrechen gegen die-Ehre niemals verjähren würden. Damit existiere in der Praxis keine Verjährungsfrist, nach der die Familie der Ehefrau, regionale Machthaber oder radikale religiöse Kräfte aufhören würden, einen Mann wegen des Vorwurfs des Ehebruchs zu verfolgen. Diese Kräfte könnten sich über diese auf § 3 der heutigen Verfassung berufen, nach dem die religiösen Gesetze über den weltlichen stehen (Dr. Danesh, Auskunft vom 10.01 2013).

[...]"

1.2.3. Auszug aus der Auskunft der Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 02.10.2012 zur "Zina" bzw. zu außerehelichem Geschlechtsverkehr (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

"[...]

Neben dem staatlichen Justizsystem gibt es parallel dazu traditionelle Rechtsmechanismen, bei denen lokale Persönlichkeiten in einberufenen Versammlungen, Jirgas oder Shuras, Konflikte in der jeweiligen Gemeinschaft schlichten. Diese werden vor allem bei Familienangelegenheiten wie Zina (außerehelicher Geschlechtsverkehr), Scheidung oder Sorgerechtsstreitigkeiten aktiv.

Insbesondere in ländlichen Gebieten ist das Justizsystem schwach ausgebildet, was dazu führt, dass die ländliche Bevölkerung sowohl in zivilen als auch in strafrechtsrelevanten Angelegenheiten auf traditionelle Schlichtungsmechanismen vertraut. Richter sind ungenügend ausgebildet und stützen ihre Urteile oft auf ihr persönliches Verständnis der Scharia, auf kodifiziertes Recht und lokale Traditionen. Ihre Unabhängigkeit ist durch Korruption und Einschüchterungen seitens lokaler Machthaber, Familienangehöriger oder staatlicher Beamter stark eingeschränkt. In den meisten Fällen werden nach wie vor Geständnisse als Haupt-‚Beweisstücke' vorgelegt. Richter lassen diese in der Regel selbst dann zu, wenn die Verteidigung sich darauf beruft, dass ein Geständnis erzwungen wurde.

Zina (außerehelicher Geschlechtsverkehr): Zina bezeichnet im Islam den Geschlechtsverkehr zwischen Menschen, die nicht verheiratet sind. Gemäß dem Koran ist Zina verboten und wird in der islamischen Rechtsprechung weitgehend bestraft.[...] Alle vor- oder außerehelichen Beziehungen gelten in Afghanistan als Zina-Vergehen. Sowohl in der Scharia, der traditionellen Rechtsprechung wie auch im afghanischen Strafgesetz gilt Zina als schweres Vergehen und wird bestraft.[...]

[...]

Zina und Scharia: Gemäß der Scharia reicht die Bestrafung für Zina von Auspeitschen bis hin zur Steinigung. Auch Männer werden wegen Zina bestraft, doch Frauen werden häufiger und in der Regel härter bestraft. Die erste nach dem Fall der Taliban bekannt gewordene Bestrafungsaktion wegen Zina wurde im April 2005 von einer lokalen Jirga durchgeführt. Der Mann erhielt hundert Peitschenhiebe, die Frau wurde gesteinigt.[...]

Außereheliche Beziehungen gelten bei allen ethnischen Gruppen als vergehen und werden bestraft. Angehörige der paschtunischen Volksgruppe gehen bei der Bestrafung der Zina am restriktivsten vor. Die meisten Fälle werden von lokalen Shuras und Jirgas behandelt. Auch wenn die Familien eine Einigung erzielen können, ist das Paar zusätzlich möglichen Sanktionen Strafaktionen seitens der erweiterten Gemeinschaft oder der lokalen Machthaber ausgesetzt.[...]

[...]

Ehrenmord: Gemäß der Lawyers Union of Afghanistan werden Beziehungen vor oder außerhalb der Ehe als schwere Ehrverletzung der Familien, vor allem der Familie der Frau gesehen. Die Frau wie auch der Mann können bedroht und sogar getötet werden. Die Lawyers Union of Afghanistan berichtet, dass es in Afghanistan viele Vorfälle und Morde aufgrund von Ehrverletzung gibt, in einigen Regionen kommt es zu Steinigungen.

Wie das UNHCR sagt, ist es für junge Männer gefährlich, außerhalb der Ehe sexuelle Beziehungen zu Frauen zu führen, erst recht, wenn die Frau aus einer einflussreichen Familie stammt. Frauen sind jedoch in einer noch viel verletzlicheren Position, da Männer eher die Möglichkeit haben, sich anderswo niederzulassen oder ins Ausland zu fliehen. Frauen haben dagegen kaum eine Chance außerhalb ihrer Familie Schutz zu suchen und unterzukommen.

Gemäß der All Afghan Women Union hängen die Reaktionen stark vom sozialen Status und dem Bildungsstatus der involvierten Familien ab. Vor allem in bildungsfernen Schichten können solche Beziehungen mit der Tötung des Mannes enden. Die Situation kann noch weiter eskalieren und es kommt auch vor, dass weitere Mitglieder der Familie des Mannes getötet werden.

[...]"

1.2.4. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016:

"Frauen und Männer, die vermeintlich gegen die sozialen Sitten verstoßen:

Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer wie etwa Witwen sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Erwerbsmöglichkeiten, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Inhaftierungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia betreffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, einschließlich Inhaftierung aufgrund ‚moralischer Vergehen' wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, außereheliche sexuelle Beziehungen (die als Ehebruch angesehen werden) und ‚Weglaufen von zu Hause' (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Mehr als der Hälfte der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden ‚moralische Vergehen' zur Last gelegt. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen ‚moralischen Vergehen' Anlass zu Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen.

Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen.

In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden."

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Beschwerdeführern

Die Feststellungen über die familiären Verhältnisse der Beschwerdeführer, Namensführung, Geburtsdaten, Staatsangehörigkeit, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit sowie Muttersprache basieren auf den auf den diesbezüglich gleichbleibenden und glaubhaften Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Die Feststellungen über die jeweiligen Geburtsorte, die weiteren Aufenthaltsorte, Schulbildung, Beschäftigungen und Angehörigen in Afghanistan konnten anhand der (präzisierenden) Angaben der Zweitbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Dass die Beschwerdeführer am 03.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich stellten, ist den Verwaltungsakten zu entnehmen.

Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer, soweit sie strafmündig sind, im Bundesgebiet strafrechtlich unbescholten sind, ergibt sich aus den eingeholten Strafregisterauszügen.

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer allfälligen Verfolgungsgefahr der Beschwerdeführer

Das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin und des Erstbeschwerdeführers zu ihren Fluchtgründen und allfälligen Fluchtgründen ihrer Kinder bzw. zur Furcht vor Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ergeben sich insbesondere aus ihren Angaben bei den Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, aus den Beschwerdeschriftsätzen, aus ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie aus ihrer in der Verhandlung vorgelegten schriftlichen Stellungnahme zu den Länderberichten.

2.2.1. Das Hauptverfolgungsvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin lautet auf das Wesentliche zusammengefasst, dass die Zweitbeschwerdeführerin vor der traditionellen Heirat mit dem Erstbeschwerdeführer bereits verheiratet gewesen sei. Daher drohe ihnen bei einer Rückkehr in ihren Heimatdistrikt die Gefahr physischer und/oder psychischer Gewalt durch den ersten Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin, einen ehemaligen Kommandanten des Heimatdistrikts und dessen Familie.

Das diesbezügliche Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ist schlüssig, vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan plausibel, weitgehend widerspruchsfrei, substantiiert und angereichert mit lebensnahen Details und Emotionen sowie im Einklang mit den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten. Die Beschwerdeführer zeichneten insbesondere in der mündlichen Verhandlung in ihren Aussagen, durch ihr Auftreten und die einfache, aber klare und authentische Art der Schilderung ein glaubwürdiges Bild der geschilderten Vorfälle und vermittelten den Eindruck, das Erzählte tatsächlich erlebt zu haben. Im Übrigen sind ihre Angaben auch vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Afghanistan plausibel und nachvollziehbar und wurden auch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht in Zweifel gezogen (vgl. Seite 84 des angefochtenen Bescheides zu W265 2150973-1).

Soweit das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Bescheid davon ausgeht, dass den Beschwerdeführern zum Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutz eine innerstaatliche Fluchtalternative in ihrem Herkunftsstaat offen stünde, geht aus den in das Verfahren eingeführten Länderberichten, insbesondere aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Frage, ob Ehebruch, ein Delikt der Zina, nach afghanischem Recht verjähren kann, eindeutig hervor, dass im mit Februar 2018 Gültigkeit erlangten afghanischen Strafgesetz keine Verjährung von Delikten wie Ehebruch und Zina, die zu den Hudud-Verbrechen zählen, gefunden werden konnte, entgegen der bis 2018 gültigen Fassung des afghanischen Strafgesetzbuches, worin eine zehnjährige Verjährungsfrist normiert war. Ebenso wenig sieht der paschtunische Ehrenkodex eine Abbitte bei Ehebruch oder Unkeuschheit vor und für Vergehen der Vergangenheit kann Rache geübt werden, solange der Übeltäter oder dessen Familie noch leben.

Das erkennende Gericht geht daher - in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - in einer Gesamtbetrachtung davon aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen glaubhaft ist.

2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan ergeben sich aus den zitierten Quellen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der unter Pkt. II.1.2. angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die oben wiedergegebenen Länderberichte wurden den Beschwerdeführern - neben darüber hinaus gehenden Länderfeststellungen - mit der Ladung bzw. in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übergeben. Den Beschwerdeführern wurde Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Der Beschwerdeführervertreter nahm in der mündlichen Verhandlung zum ins Verfahren eingebrachten Länderberichtsmaterial Stellung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Derartige Regelungen kommen für das vorliegende Verfahren nicht zur Anwendung, weshalb es der Einzelrichterzuständigkeit unterliegt.

Die gegenständlichen Beschwerdeverfahren, bei denen es sich um ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 handelt, wurden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Zu A)

I. Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde hinsichtlich Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren" (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.06.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 06.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 28.05.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthalts befindet.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

3.1.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Abgesehen davon, dass einer derartigen nicht vom Staat sondern von Privatpersonen ausgehenden Bedrohung nur dann Asylrelevanz zuzubilligen wäre, wenn solche Übergriffe von staatlichen Stellen geduldet würden (VwGH 10.03.1993, 92/01/1090) bzw. wenn der betreffende Staat nicht in der Lage oder nicht gewillt wäre, diese Verfolgung hintanzuhalten, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang ausdrücklich klargestellt, dass die Asylgewährung für den Fall einer solchen Bedrohung nur dann in Betracht kommt, wenn diese von Privatpersonen ausgehende Verfolgung auf Konventionsgründe zurückzuführen ist (vgl. VwGH 23.11.2006, 2005/20/0551; 29.06.2006, 2002/20/0167).

Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat hingegen nur dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. etwa VwGH 26.11.2014, Ra 2014/19/0059; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162; 19.04.2016, Ra 2015/20/0302, je mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) - , kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichen Schutzes einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (VwGH 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er aufgrund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit aufgrund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Anträge auf internationalen Schutz sind gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn den Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

3.1.3. Wie im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, ist es der Zweitbeschwerdeführerin und dem Erstbeschwerdeführer gelungen, glaubhaft zu machen, dass sich der von ihnen behauptete Sachverhalt tatsächlich ereignet hat. Die Beschwerdeführer haben damit eine maßgebliche Verfolgungswahrscheinlichkeit aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe aufgezeigt:

Die Beschwerdeführer sind einerseits wegen der von ihnen geführten außerehelichen Beziehung, damit einhergehend die Flucht der Zweitbeschwerdeführerin als verheiratete Frau aus der Ehe mit ihrem ersten Ehemann und andererseits wegen Ehebruch davon bedroht, Opfer eines Ehrenmordes durch den ersten Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin und dessen Familie zu werden. Weiters ist aus dem festgestellten Sachverhalt und den damit übereinstimmenden Länderberichten abzuleiten, dass für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, somit auch für die Beschwerdeführer, das Risiko besteht, auf Grund eines Zina-Vergehens nach der Scharia oder nach dem afghanischen Strafgesetz bestraft zu werden. Hinzu kommt die Strafbarkeit von Ehebruch in Afghanistan.

3.1.3.1. Die Intensität der drohenden Verfolgungshandlungen ist durch die Berichtslage eindeutig indiziert. Auch die Aktualität der Gefährdung ist gegeben, von einer Verjährung einer solchen Lebensbedrohung kann auf Basis der Feststellungen und der Länderberichte nicht gesprochen werden.

Dass die Beschwerdeführer selbst vor ihrer Ausreise aus Afghanistan keinen konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren, spielt keine Rolle (vgl. VwGH 28.03.1996, Zl. 95/20/0027; 12.09.1996, Zl. 95/20/0274, 11.11.1998, Zl. 98/01/0274). Außerdem waren sie nur deshalb von keinen Verfolgungshandlungen betroffen, weil sich die Beschwerdeführer solchen rechtszeitig durch Flucht entzogen.

3.1.3.2. Zu prüfen ist somit, ob diese den Beschwerdeführern drohende Verfolgung einen in der GFK genannten Anknüpfungspunkt (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Gesinnung) aufweist.

Zur Frage der politischen Gesinnung führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16.09.1999, Zl. 99/01/0078, Folgendes aus: "Unter politischer Gesinnung (oder Anschauung) als Ursache eines drohenden Eingriffes wird von der herrschenden Lehre Folgendes verstanden: "Politisch ist in diesem Sinne alles, was auf die staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung und ihre konkrete sachliche und personelle Ausgestaltung bezogen ist, alles, was 'der Staat gegen sich, seine Ordnung, seinen Bestand, eventuell seine Legitimität gerichtet erachtet' (vgl. Walter Kälin, Grundriß des Asylverfahrens 1990, Seite 98 mwN)."

Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Kommentar 1999, Seite 255, Rz 408, setzt nach Zitierung der Definition Kälins fort: "Anders könnte man formulieren: Politisch ist alles, was für den Staat für die Gestaltung bzw. Erhaltung der Ordnung des Gemeinwesens und des geordneten Zusammenlebens der menschlichen Individuen in der Gemeinschaft von Bedeutung ist. Maßfigur ist in diesem Zusammenhang der potentielle Verfolgerstaat. Was für den einen Staat 'politisch' ist, muss es für den anderen nicht sein. Dass hier der Verfolgerstaat als Maß heranzuziehen ist, liegt daran, dass einem Staat, welcher das tägliche Leben 'verpolitisiert', im Bereich des politischen Überhanges keine zusätzlichen - sozusagen gebilligten - Verfolgungsursachen zur Verfügung stehen dürfen, und eine Person einem daraus drohenden Eingriff nicht ungeschützt ausgeliefert sein darf."

Entscheidend ist, ob der Betreffende ein Verhalten gesetzt oder eine Äußerung abgegeben hat, welche(s) als Widerstand gegen die besagte "staatliche Ordnung" verstanden werden kann und der auch deshalb mit dem Unterbleiben staatlichen Schutzes gegenüber Verfolgungshandlungen in asylrelevanter Intensität rechnen muss (vgl. VwGH vom 13.11.2001, Zl. 2000/01/0098, und vom 27.09.2005, Zl. 2003/01/0019).

3.1.3.3. Im gegenständlichen Fall haben die Beschwerdeführer einerseits durch die außereheliche Beziehung, damit einhergehend die Flucht der Zweitbeschwerdeführerin als verheiratete Frau aus der Ehe mit ihrem ersten Ehemann und andererseits wegen Ehebruch ein Verhalten gesetzt, das einen schweren Verstoß gegen die in Afghanistan vorherrschende religiöse Rechts- und Werteordnung darstellt. Es liegt somit ein Verhalten der Beschwerdeführer vor, welches die Annahme rechtfertigt, sie drücken damit Widerstand gegen die staatliche Ordnung aus, zumal, wie aus der Quellenlage eindeutig hervorgeht, der Staat eine Bestrafung der hier zugrundeliegenden Ehrverletzung durch Ehebruch vorsieht.

So ergibt sich, wie bereits dargelegt, aus den Berichten, dass in Afghanistan außereheliche Beziehungen (insbesondere auch Ehebruch) sowohl im Strafgesetz als auch gemäß der Scharia verboten sind und als ehrverletzend geltend und den Beteiligten die Todesstrafe oder auch eine Haftstrafe drohen kann. Alle vor- oder außerehelichen Beziehungen gelten in Afghanistan als Zina-Vergehen und werden als sowohl in der Scharia als auch im afghanischen Strafgesetz geltendes schweres Verbrechen bestraft. Zina bezeichnet im Islam den Geschlechtsverkehr zwischen Menschen, die nicht verheiratet sind. Gemäß der Scharia reicht die Bestrafung für Zina von Auspeitschungen bis hin zur Steinigung.

3.1.3.4. Die angeführten Bedrohungen weisen bereits deshalb eine Verbindung zu einem Konventionsgrund auf, weil eine Verfolgung wegen einer den religiösen Wertvorstellungen der Verfolger zuwider laufenden Handlungsweise gegen ist, womit den Beschwerdeführern eine abweichende religiöse Überzeugung (zumindest) unterstellt wird (vgl. dazu VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0141).

Die den Beschwerdeführern vorgeworfenen "moralischen Vergehen" werden - wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist - nach dem afghanischen Strafrecht, der Scharia und der traditionellen Rechtsprechung als (schwere) Strafe eingestuft. Damit wird der Zusammenhang zu einem weiteren Konventionsgrund, nämlich der (unterstellten) politischen Gesinnung offenkundig: Das Handeln der Beschwerdeführer (bzw. das in Afghanistan angenommene strafrechtliche Delikt) ist im Hinblick auf die Nichttrennung von Religion und Staat in Afghanistan durchaus als gegen den islamischen Staat gerichtet (und damit als "politisch") anzusehen, weshalb die Verfolgung der Beschwerdeführer auch wegen ihrer (unterstellten) "politischen Gesinnung" erfolgt (vgl. dazu VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112, mwN), mögen die Beschwerdeführer auch selbst nicht aus politischen Motiven, sondern ausschließlich aus persönlichen bzw. privaten Gründen gehandelt haben.

Es wurde auch bereits erkannt, dass nicht nur eine etwa wegen Ehebruchs drohende Steinigung, sondern auch die Auspeitschung eine unverhältnismäßige staatliche Reaktion auf die Abweichung von der von Staats wegen vorgeschriebenen Gesinnung darstellt (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2002, Zl. 2001/20/0361, mwN, vom 17. September 2003, Zl. 99/20/0126, und vom 6. Mai 2004, Zl. 2001/20/0256).

Auf Grund des in Afghanistan gültigen islamischen Rechts (Scharia) der in der Praxis angewendeten islamischen Rechtsprechung sowie der in der afghanischen Gesellschaft bestehenden Traditionen und den damit zusammenhängenden benachteiligenden Auswirkungen auf das traditionelle Gesellschaftssystem ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auch nicht mit der erforderlichen maßgeblichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Beschwerdeführer über die zumutbare Möglichkeit verfügen würden, sich in einer anderen Region niederzulassen, um der ihnen drohenden Verfolgungsgefahr zu entgehen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist daher vor dem Hintergrund obiger Erwägungen auszuschließen.

3.1.3.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich die Zweitbeschwerdeführerin und der Erstbeschwerdeführer aus wohlbegründetet Furcht vor Verfolgung aufgrund von (unterstellter) religiöser und politischer Gesinnung außerhalb Afghanistans befinden und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt sind, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren.

Da auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, war den Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der States der Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass den Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

3.1.3.6. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bereits vor der Einreise bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienang

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten