TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/14 W137 2133840-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2018
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Entscheidungsdatum

14.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W137 2133840-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2016, Zl. 1021216401-14690945 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.12.2017 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 sowie gemäß §§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 und 55 Abs. 1 FPG idgF sowie § 57 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 07.06.2014 den gegenständlichen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 08.06.2014 gab er an, afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens zu sein und der Volksgruppe der Paschtunen anzugehören. Er stamme aus der Provinz Laghman. Er habe keine Schulbildung, sei Analphabet und habe in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet. In seinem Heimatdistrikt lebten seine Eltern, seine beiden Schwestern und sein Bruder. Als Fluchtgrund gab er an, dass sein Cousin für die US-Amerikaner als Dolmetscher gearbeitet habe. Durch diesen habe er ungefähr ein Jahr lang ebenfalls für die US-Amerikaner zwei Mal in der Woche als Reinigungskraft gearbeitet. Ungefähr zehn Tage vor seiner Flucht sei sein Cousin von den Taliban "ermordet (erschossen)" worden. Aus diesem Grunde habe sein Vater ihn zunächst drei Tage versteckt und seine Flucht aus Afghanistan organisiert. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Bei einer Rückkehr hätte er Angst, von den Taliban umgebracht zu werden.

2. Am 23.06.2015 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dabei gab er an, dass er mit 13 oder 14 Jahren in der Landwirtschaft seines Vaters zu arbeiten begonnen habe. Als er 14 Jahre alt gewesen sei, sei sein Vater krank geworden und er habe alleine gearbeitet. Durch seinen Cousin habe er ein Jahr lang als Reinigungskraft für die US-Amerikaner gearbeitet. Die Taliban hätten bei Auseinandersetzungen mit den US-Amerikanern beträchtliche Verluste erlitten und die Leute gefragt, wer für diese arbeite. Nachdem sein Cousin getötet worden sei, hätten die Dorfbewohner gesagt, dass die Taliban auch ihn nicht in Ruhe lassen würden. Sein Vater habe ihn dann drei Tage lang versteckt und den Dorfältesten und den Dorfbewohnern gesagt, dass sein Sohn bei den US-Amerikanern nur Reinigungsdienste verrichtet habe und die Familie das Geld brauche. Sein Sohn würde nicht als Spion arbeiten. Die "Dorfleute" seien dann zu den Taliban gegangen und hätten ihnen dies erzählt. All dies habe sich in den drei Tagen ereignet, in denen er versteckt gewesen sei.

Die Taliban hätten dann verlangt, dass er für sie als Spion arbeite. Sollte er dies nicht akzeptieren, würde er umgebracht. Sein Vater habe ihm zudem gesagt, dass die Regierung davon erfahren würde, wenn er für die Taliban arbeiten sollte. Daher habe sein Vater ihn nach Kabul geschickt, wo er drei Tage bei einem Onkel mütterlicherseits gewesen sei. Doch der Onkel habe befürchtet, dass die Taliban auch ihm Probleme bereiten würden und sein Vater habe in der Folge einen Schlepper nach Europa organisiert.

Nach seiner Ausreise seien die Taliban mehrere Male zu seiner Familie gekommen und hätten alle seine Familienangehörigen geschlagen. Auch die Polizei sei gekommen und habe seinen Vater mitgenommen, weil diese angenommen habe, dass er (der Beschwerdeführer) zu den Taliban übergelaufen sei.

Er habe zu seinem Vater ein bis zwei Mal in zwei Monaten telefonischen Kontakt. Dieser lebe noch im Heimatdorf. Seine Tazkira und seine Arbeitsbestätigung habe er im Iran verloren. Ein Koch habe ihm die Arbeit aufgetragen. Mit den US-Amerikanern selbst habe er nichts zu tun gehabt. Sein Cousin sei vor zwei Jahren, zwischen dem Ramadan und dem Opferfest, umgebracht worden.

Er habe keine Probleme mit den afghanischen Behörden und es werde nicht nach ihm gefahndet. An bewaffneten Auseinandersetzungen in Afghanistan habe er nicht teilgenommen. Bei einer Rückkehr würde er sich wegen der Taliban in Lebensgefahr befinden. Befragt, ob sein Vater und seine Familie in Afghanistan gefährdet seien, gab er an, dass die Taliban seine Familienangehörigen schlagen würden, wenn sie zu ihnen kämen. Würde sein Vater das Heimatdorf verlassen, würden sich die Taliban in ihrer Annahme bestätigt fühlen, dass sein Sohn noch immer für die US-Amerikaner arbeite. "Die Regierung würde auch meinem Vater Probleme machen, da sie dann annehmen, dass ich für die Taliban arbeite." In Kabul könne er nicht leben, weil sein Onkel dort ihm gesagt habe, dass er ihn nicht schützen könne.

Auf den Vorhalt, dass er als Reinigungskraft, somit nicht in einer exponierten Tätigkeit gearbeitet habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass die Dorfbevölkerung dies zwar wisse, die Taliban dies jedoch nicht akzeptierten. Die US-Amerikaner hätten die Taliban, "seit wir dort arbeiteten", erfolgreich bekämpft. Deshalb würden die Taliban annehmen, dass er etwas verraten habe. Sein Cousin sei Dolmetscher gewesen und habe an den Kampfeinsätzen teilgenommen. Sein Cousin und er seien die einzigen aus dem Dorf gewesen, die auf dem Stützpunkt gearbeitet hätten. In seiner Gegend habe es ein bis zwei Mal im Monat Kämpfe gegeben. Dabei seien auf beiden Seiten Menschen ums Leben gekommen.

Die Taliban sehe man während des Tages nicht. Sie versteckten sich in den Berghöhlen. Er habe persönlich noch keinen Talib getroffen. Einen Drohbrief der Taliban habe er nicht bekommen. So etwas kenne er nicht. Mit Anfragen bzw. Recherchen in Afghanistan sei er einverstanden.

In Österreich habe er keine Verwandten. Er habe hier allerdings viele Bekannte und Freunde.

3. Am 12.05.2016 wurde der Beschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt einvernommen. Im Rahmen dieser Einvernahme wurde ihm die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesamtes vom 07.12.2015 zu einer Anfrage vom 29.10.2015 vorgehalten. Der Beschwerdeführer gab an, er habe sieben oder acht Monate vor seiner Ausreise aufgehört, auf dem Stützpunkt zu arbeiten. Er habe in der Küche gearbeitet und die Bezeichnung der US-Streitkräfte, die dort stationiert gewesen seien, sei ihm unbekannt.

Auf den Vorhalt, dass die Taliban nicht den Antrieb oder die Fähigkeit hätten, ,Low-Level-Mitarbeiter' in Kabul oder anderen Gebieten außerhalb ihrer Kontrolle zu verfolgen, erwiderte er, dass diese nicht geglaubt hätten, er würde in der Küche arbeiten, sondern, dass er ein Spion für die Amerikaner sei. Die Dorfältesten hätten seinem Vater nach der Trauerfeier des ermordeten Cousins gesagt, die Taliban glaubten nicht, dass sein Sohn in der Küche arbeiten würde. Danach habe sein Vater ihn für drei Tage versteckt und schließlich seine Flucht organisiert.

Der Beschwerdeführer gab an, dass die Polizei nach seiner Ausreise seinen Vater gefragt habe, ob er zu den Taliban übergelaufen sei. Sein Vater habe dies verneint. Die Polizei sei fünf oder sechs Mal gekommen. Die Taliban würden öfters kommen und nach ihm fragen. Seine Eltern hätten nach wie vor Schwierigkeiten. Über Befragung durch seine damalige gesetzliche Vertreterin gab der Beschwerdeführer zudem an, dass die Taliban einige Male seinen Vater geschlagen hätten. Einmal hätten sie ihn mitgenommen und als er vier bis fünf Tage später zurückgekommen sei, hätten "wir" ihn ins Krankenhaus bringen müssen. Dies sei ca. acht bis zehn Monate nach seiner Ausreise gewesen. Die Taliban hätten dabei nach ihm gefragt. Befragt, ob es unter den Dorfbewohnern Taliban gebe, gab der Beschwerdeführer an, dass diese in der Nacht vermummt kämen. Es könne der Nachbar sein, es könne jeder sein.

Er könnte nicht in einer der großen Städte Afghanistans leben, weil er dort niemanden kenne und viele Bewohner seines Dorfes in Kabul und anderen Städten arbeiten würden. Er hätte Angst, dass ihn jemand verraten würde. Bei seinem Onkel in Kabul könne er nicht wohnen, weil dieser Angst hätte, selbst in Gefahr zu geraten. Seine Familie in Afghanistan habe eine Kuh, ein Kalb und Grundstücke, auf denen Gemüse angebaut werde.

In Österreich besuche er Deutschkurse. Dazu legte er mehrere Bestätigungen vor. Zudem warte er auf das Ergebnis einer Deutschprüfung auf A2-Niveau. Er habe hier einige Freunde und lebe mit niemandem in einer Lebensgemeinschaft. Ausbildungen habe er in Österreich nicht absolviert.

4. Am 24.05.2016 langte beim Bundesamt eine Stellungnahme der damaligen gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers ein. In dieser wurde zunächst das Fluchtvorbringen wiederholt und vorgebracht, dass dieses unter die Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumieren sei, weil dem Beschwerdeführer, durch die Annahme er habe als Spion für die US-Amerikaner gearbeitet, von den Taliban eine ihnen feindliche politische Gesinnung unterstellt werde. Dass er die genaue Bezeichnung der vor Ort stationierten Einheit nicht kenne, sei nicht unplausibel. Er habe lediglich als Reinigungskraft gearbeitet und seine Anweisungen von anderen Afghanen erhalten. Er sei Analphabet gewesen und habe nicht Englisch gekonnt. Auch sei zu berücksichtigen, dass er damals erst 14 Jahre alt gewesen sei.

Zum Vorhalt, dass unbedeutende Mitarbeiter, wie es der Beschwerdeführer gewesen sei, in Kabul oder anderen Gebieten außerhalb der Kontrolle der Taliban von diesen nicht verfolgt würden, wurde erwidert, dass in BVwG W203 1420977-1 Asyl zuerkannt worden sei, obwohl der dortige Beschwerdeführer lediglich der Bruder eines für die US-Amerikaner arbeitenden Dolmetschers sei. Es wurde auf einen in dieser Entscheidung zitierten Bericht des Danish Immigration Service vom 29.05.2012 verwiesen, wonach es aufgrund der Stammesgesellschaften mit nahen Familiennetzen kein Problem sei jemanden zu finden, wenn man es wolle. Auch sei es den Behörden möglich, Personen in Kabul zu finden obwohl es kein Meldewesen gebe. Daher bestehe für den Beschwerdeführer keine Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Er habe durch sein widerspruchsfreies und konsistentes Vorbringen die Verfolgung durch die Taliban glaubhaft gemacht.

In eventu sei ihm wegen der schlechten Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz subsidiärer Schutz zu gewähren. Auch bei seinem Onkel in Kabul könne er nicht unterkommen, weil dieser aus Angst vor den Taliban ihm die Hilfe versagt habe. Weitere Verwandte habe er in Afghanistan nicht. Daher würde der Beschwerdeführer in Afghanistan in eine aussichtlose Lage geraten. In Österreich sei er bestens integriert und strafrechtlich unbescholten.

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2016, Zl. 1021216401-14690945, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Gewährung von internationalem Schutz gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 100/2005 abgewiesen und ihm der Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für seine freiwillige Ausreise auf zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers wurde als nicht glaubhaft angesehen. Der Beschwerdeführer habe noch keinen Talib persönlich getroffen und keinen Drohbrief erhalten. Er habe nicht näher begründet, wieso die Taliban die Vermutung hätten, dass er etwas mit den Angriffen der US-Amerikaner auf sie zu tun haben könnte.

Der Beschwerdeführer sei ein erwachsener und arbeitsfähiger Mann, der mit seinem Onkel in Kabul eine Bezugsperson habe. Eine erhöhte persönliche Gefährdung in Kabul habe er auch in der Stellungnahme nicht darlegen können. In Kabul herrsche nicht ein solch hohes Niveau an Gewalt, dass eine Abschiebung dorthin eine Verletzung von Art 3 EMRK darstellen würde. Die Familie des Beschwerdeführers habe Grundstücke, die landwirtschaftlich betrieben würden.

Die Rückkehrentscheidung wurde mit der kurzen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und dem Fehlen eines Familienlebens oder einer außergewöhnlichen Integration in Österreich begründet.

6. Gegen diesen Bescheid erhob er Beschwerde. In dieser wurde vorgebracht, dass das Bundesamt willkürlich und ohne medizinische Grundlage sein Geburtsdatum mit 01.01.1998 festgelegt habe. Stattdessen sei das durch das Pflegschaftsgericht festgelegte Geburtsdatum des 31.12.1998 beizubehalten. Diese falsche und willkürliche Annahme führe auch zu einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung im Hinblick auf die Zuerkennung von internationalem Schutz, weil die Vulnerabilität von Minderjährigen höher sei als von erwachsenen Personen und somit eine erhöhte Schutzbedürftigkeit vorliege. Daher hätte dem Beschwerdeführer "internationaler Schutz" zuerkannt werden müssen.

Es sei nicht unplausibel, dass die Taliban an einem "low-level" Mitarbeiter Interesse hätten und ihn verfolgten, wenn ihm aufgrund vorgeworfener Spionagetätigkeit eine (feindliche) politische Gesinnung unterstellt werde. Dazu wurde auf einen Bericht des Danish Immigration Service (DIS) aus dem Jahr 2015, im Rahmen einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 30.11.2015, verwiesen, wonach Angestellte der US-Armee außerhalb Kabuls einem hohen Risiko ausgesetzt seien. Dies unabhängig von der Art der Arbeit. Personen, die für die internationalen Streitkräfte arbeiteten, seien in ländlichen Gegenden ein Angriffsziel. Dieser Bericht decke sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, der angebe, dass sein Cousin aufgrund der Tätigkeit als Dolmetscher ermordet worden sei. Dieser Umstand begründe seine Angst vor Verfolgung. Auch sei seine Familie wegen dieser Tätigkeit wiederholt von den Taliban aufgesucht und geschlagen worden. Das Bundesamt erwähne das Ergebnis der genannten Anfragebeantwortung hinsichtlich der Gefahr für Angestellte der ISAF, auch auf niedriger Ebene, nicht und lege sie somit auch nicht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den Beschwerdeführer nicht. Dazu wurde auf die am 24.05.2016 beim Bundesamt eingelangte Stellungnahme verwiesen.

Die Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere in Kabul sei dermaßen schlecht, dass der Beschwerdeführer einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, Opfer von Gewalt zu werden. Auch verkenne das Bundesamt die Sachlage, indem es, entgegen dem Vorbringen, davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer von seinem Onkel in Kabul unterstützt werden würde. Es sei dem Beschwerdeführer auch nicht möglich, in sein Heimatdorf zurückzukehren ohne sich und seine Familie in Gefahr zu bringen. Daher könne er auch nicht dort arbeiten und seinen Lebensunterhalt bestreiten. Er habe kein ausreichendes soziales Netz in Afghanistan. Bei einer Rückkehr würde er somit in eine existenzbedrohende und aussichtslose Lage geraten.

Beantragt wurde, dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. In eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen bzw. die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens an das Bundesamt zurückzuverweisen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde beantragt.

Mit der Beschwerde wurde zahlreiches Berichtsmaterial des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Sicherheitslage in Afghanistan sowie Medienberichte zu einem Anschlag und einem Angriff in Kabul, jeweils aus dem Jahr 2016, vorgelegt.

7. Am 18.12.2017 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung mit dem Beschwerdeführer statt. Er gab zunächst an, gesund zu sein und der Verhandlung folgen zu können.

Die Landwirtschaft sei weiterhin im Besitz seiner Familie und werde von allen betrieben, obwohl sein Vater krank sei. Seine Schwester und sein Bruder lebten bei den Eltern. Seine ältere Schwester sei schon verheiratet. Zudem habe er noch eine Tante väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits. Er habe weiterhin Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern.

Zum Fluchtgrund wiederholte der Beschwerdeführer sein Vorbringen aus den Einvernahmen vor dem Bundesamt und gab darüber hinaus an, dass nach der Ermordung seines Cousins, am zweiten Tag nachdem er auf dem Stützpunkt nicht mehr zur Arbeit erschienen sei, die Polizei zu ihnen gekommen sei und gefragt habe, warum er unangekündigt der Arbeit ferngeblieben sei. Die Polizei habe den Verdacht bekommen, dass er aufgrund der Ermordung seines Cousins Angst bekommen habe und zu den Taliban übergelaufen sei. Daher hätten er und seine Familie noch größere Angst bekommen und er sei zu seinem Onkel nach Kabul geflohen. Dort hätten die Nachbarn des Onkels nach zwei Tagen erfahren, dass er wegen eines Problems in Laghman geflohen sei und diesen gewarnt, dass sein Haus deshalb angegriffen werden könnte und alle die dort lebten in Gefahr geraten würden. Nachdem sein Onkel auch Angst bekommen habe, habe sein Vater einen Schlepper nach Europa organisiert. Der Beschwerdeführer habe bei ihm unbekannten Menschen Angst gehabt, dass es die Polizei sei, die ihn verhaften werde oder die Taliban, die ihn umbringen würden.

Sein Cousin sei zu Hause mit einem Messer getötet worden. Der Vater seines ermordeten Cousins sei vor acht oder neun Monaten auf natürliche Weise verstorben. Dessen Mutter lebe jetzt bei seiner Familie und sei auch in der Landwirtschaft tätig.

Zu den Einheiten, die auf dem Stützpunkt gewesen seien, befragt, gab der Beschwerdeführer an: "Sie hatte so eine gelbliche Uniform mit Flecken, manchmal haben sie Kappen aufgesetzt." Auf Nachfrage erklärte die Dolmetscherin, dass sie ausdrücklich auch nach Kompaniewappen, Symbolen und ähnlichem gefragt habe.

Er sei dort eingestellt worden, weil sein Cousin mit einem Kommandanten der afghanischen Nationalarmee gesprochen habe. Befragt, ob es im Vorfeld eine Prüfung oder ein Gespräch gegeben habe, gab er an, dass sein Cousin ihn mitgenommen und dort als seinen Cousin bekannt gemacht habe. Sein Cousin habe für ihn gebürgt, dann sei er aufgenommen worden. Am nächsten Tag habe er dann (als Reinigungskraft und Gehilfe des Kochs) begonnen.

Befragt, ob er jemals Zutritt oder Kontakt zu irgendwelchen Kommandoeinrichtungen, die militärische Geräte beinhalten, nicht bloß Aufenthaltsräume, Sanitärräume und ähnlichem, gehabt habe, gab er an: "Nein, ich habe gelegentlich einem afghanischen Kommandanten Tee vorbeigebracht, mehr nicht. Ich bin nicht zu den Räumen gegangen, wo wichtige Sachen waren."

Er sei in seiner Muttersprache Analphabet, Deutsch Lesen und Schreiben habe er erst hier gelernt. In Afghanistan habe er nur den Koran ein bisschen lesen können. Mehr nicht.

Befragt, was er angesichts der fehlenden Bildung in seiner Funktion spionieren hätte sollen, gab er an, dass er dies auch nicht sagen könne. Er sei den Taliban nicht direkt begegnet, um sie zu fragen, warum sie das glaubten. Er könne es nur so erklären, dass die Taliban bei jeder bewaffneten Auseinandersetzung hohe Verluste erlitten hätten und da er und sein Cousin aus weit entfernten Gegenden gekommen seien, seien die Taliban davon ausgegangen, dass sie den US-Amerikanern Informationen über die Taliban zukommen lassen würden. Der Koch habe unmittelbar in der Nähe des Stützpunktes gelebt, dort wo sich die Taliban nicht aufgehalten hätten.

Man wisse nicht genau, wo sich die Taliban versteckt hielten, aber die Leute aus seinem Heimatdorf berichteten, dass sie Taliban in der Nähe des Dorfes gesehen hätten. Dort gebe es Hügel und Plätze, wo man sich verstecken könne.

Bei einer Rückkehr hätte er Angst von den Taliban getötet zu werden. Es bestehe auch die Gefahr, dass er von er Polizei festgenommen und verhaftet werde, weil er unerlaubt von seiner Arbeit ferngeblieben sei. Er sei nur ein einfacher Mitarbeiter gewesen und habe keine Ausbildung an der Waffe erhalten. Auf den Vorhalt, dass er damit kein Soldat gewesen sei und daher auch nicht desertiert sein könne somit eine staatliche Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er nicht zur Arbeit erschienen sei, auszuschließen sei, antwortete er, dass er eine Strafe bekommen würde, weil er verdächtigt werde, zu den Taliban übergelaufen zu sein.

Auf den anschließenden Vorhalt, dass er allein auf Fürsprache seines Cousins ohne ernsthafte Sicherheitskontrolle eingestellt worden sei und in seiner Tätigkeit in dem Camp keinerlei Kontakt zu sicherheitsrelevanten Einrichtungen gehabt habe und es keinen Grund gebe, weshalb man ihm unterstellen sollte, auf die Seite der Taliban gewechselt zu sein, dies umso mehr, als er im Falle einer Rückkehr beweisen könnte, sich im Ausland aufgehalten zu haben, gab der Beschwerdeführer an, er habe von seiner Familie gehört, dass nach seiner Ausreise aus Afghanistan die Polizei aufgesucht sei und nach ihm gefragt habe. Obwohl sein Vater gesagt habe, dass er nicht mehr im Land sei, habe die Polizei immer wieder nach ihm gefragt. Dies sei jedoch nicht seine größte Sorge. Es treffe zu, dass er nachweisen könne, im Ausland und nicht bei den Taliban gewesen zu sein. Mit einem Anwalt werde sich das klären. Es könne sein, dass er dann mit der Polizei keine Probleme habe. Wobei man in Afghanistan, wenn man nicht genug Geld habe und sich keinen Anwalt besorgen könne, oft schon vor den Ermittlungen ins Gefängnis gesteckt werde.

Er besuche momentan einen Deutschkurs und habe eine Aufnahmeprüfung für eine Lehrstelle gemacht. Bislang habe er noch keine Antwort bekommen. Auch habe er bei drei Unternehmen, einer Tankstelle, einem Kebab-Geschäft und einem Restaurant direkt nach einer Arbeit gesucht, jedoch sei die Arbeitssuche aufgrund der fehlenden "Aufenthaltsgenehmigung" erfolglos geblieben. Mit seinen Freunden mache er Ausflüge oder sie spielten Volleyball. Diese Freunde seien gemischt, es seien Afghanen, Österreicher und Menschen aus anderen Ländern.

Abschließend wurden dem Beschwerdeführer die vorläufigen Sachverhaltsannahmen des Bundesverwaltungsgerichtes zur aktuellen Situation in Afghanistan übergeben und ihm eine Frist von drei Wochen zur Stellungnahme gewährt.

Der Beschwerdeführer legte bei der Verhandlung im Wesentlichen ein Deutsch-Sprachdiplom auf Niveau A2 vom September 2016 vor.

8. Am 04.01.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein. In dieser wurde zusammengefasst, unter Zitierung verschiedener Berichte und Artikel, vorgebracht, aus dem vom Beschwerdeführer geschilderten Sachverhalt, unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in Afghanistan, ergebe sich, dass diesem mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung durch die Taliban drohe, weil diese ihm aufgrund seiner Tätigkeiten auf einem US-amerikanischen Militärstützpunkt eine oppositionelle "politische bzw. religiöse" Gesinnung unterstellten. Der Beschwerdeführer falle daher unter zumindest eine der von UNHCR definierten Risikogruppen in Afghanistan.

Die Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers sei wegen ihrer Nähe zu Nangarhar äußerst unsicher. Kabul sei als die gefährlichste Stadt Afghanistans einzustufen und momentan gebe es in keiner Region Afghanistans eine sichere und zumutbare Schutzalternative. Abgesehen von der Verfolgung sei im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers von einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens bzw. seiner Unversehrtheit als Zivilperson auszugehen.

Der Beschwerdeführer habe sich in Afghanistan nie außerhalb seiner Heimatregion aufgehalten und habe, abgesehen von seiner Familie, kein familiäres oder soziales Netzwerk, das ihn unterstützen könnte. Eine Niederlassung in Kabul könne ihm nicht zugemutet werden, weil ein wirtschaftliches Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen dort für ihn ausgeschlossen werden könne. Neben der prekären Sicherheitslage komme erschwerend die unzureichende Versorgung mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Wohnraum hinzu. Die angespannte Situation auf dem Arbeitsmarkt wirke sich dermaßen aus, dass die Arbeitssuche für den Beschwerdeführer, der keine Schul- oder Berufsausbildung habe, als aussichtslos bezeichnet werden könne. Daher würde er nach einer Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation geraten. Eine finanzielle Unterstützung seiner in Laghman lebenden Familie sei nicht zu erwarten. Dem Beschwerdeführer könne nicht zugemutet werden, nach Afghanistan zurückzukehren.

Der Stellungnahme wurden zudem mehrere (unkommentierte) Schriftstücke (Kommentare, Aufsätze) ohne unmittelbaren/direkten Bezug zur Person des Beschwerdeführers beigegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Glauben an und stammt aus der Provinz Laghman. Er hat keine Schulbildung und ist in seiner Muttersprache Analphabet.

Seine Eltern und zwei seiner Geschwister leben nach wie vor im Heimatdorf und betreiben die familieneigene Landwirtschaft, in der auch er vor seiner Ausreise gearbeitet hat. Dem Beschwerdeführer steht im Herkunftsort jedenfalls eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung; auch die Möglichkeit zur Sicherung seiner Existenz im Rahmen der familieneigenen Landwirtschaft ist gegeben. In Kabul lebt ein Onkel des Beschwerdeführers, der ihm vor seiner Ausreise Unterkunft und Unterstützung gewährt hat. Diese Unterstützungsmöglichkeit ist unverändert aufrecht. Eine mangelnde Bereitschaft des Onkels dazu konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer stellte am 07.06.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag begründete er im Wesentlichen mit einer Verfolgungsgefahr durch Taliban, die ihm wegen seiner Tätigkeit auf einem US-amerikanischen Stützpunkt eine Spionagetätigkeit für das US-Militär unterstellt hätten. Zudem brachte er vor, Angst vor einer Verhaftung durch die afghanische Polizei zu haben, weil er nach der Ermordung seines Cousins, der auf dem Stützpunkt als Dolmetscher gearbeitet habe, nicht mehr zur Arbeit erschienen sei. Daher würde er seitens der Polizei verdächtigt, zu den Taliban übergelaufen zu sein.

Dieses Vorbringen erweist sich sowohl hinsichtlich der Verfolgungsgefahr seitens der Taliban als auch seitens der afghanischen Sicherheitskräfte als zur Gänze nicht glaubhaft. Einzig glaubhaft ist eine Beschäftigung des Beschwerdeführers als zivile Hilfskraft (im Wesentlichen Küchengehilfe und Servierkraft) ohne Zugang zu militärisch relevanten Bereichen oder Informationen auf einem Militärstützpunkt. Eine biometrische Erfassung als Soldat ist auszuschließen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan in seinem Recht auf das Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Dem Beschwerdeführer steht im Herkunftsort eine gesicherte Unterkunft zur Verfügung - seine Existenz ist durch eine Tätigkeit in der familieneigenen Landwirtschaft (wie schon vor seiner Ausreise) gesichert. Darüber hinaus verfügt er über zumindest einen familiären Anknüpfungspunkt samt gesicherter Unterkunft in Kabul-Stadt. Auch dort ist seine Existenz - in gleicher Form wie bereits vor seiner Ausreise - als gesichert anzusehen. Eine (nunmehr gegebene) mangelnde Bereitschaft des Onkels zur Unterstützung konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Dem Beschwerdeführer ist sowohl die Rückkehr in den Herkunftsort als auch (alternativ) ein längerfristiger Aufenthalt in Kabul-Stadt zumutbar.

1.2. Zur Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichneten in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In

Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Eine erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.2.2017).

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

1.12.2015 - 15.2.2016 16.2.2016 - 19.5.2016 20.5.2016 - 15.8.2016 16.8.2016 - 17.11.2016 1.12.2015 - 17.11.2016

Sicherheits-relevante Vorfälle 4.014 6.122 5.996 6.261 22.393

Bewaffnete Zusammenstöße 2.248 3.918 3.753 4.069 13.988

Vorfälle mit IED¿s 770 1.065 1.037 1.126 3.998

gezielte Tötungen 154 163 268 183 768

Selbstmord-attentate 20 15 17 19 71

(UN GASC 13.12.2016; UN GASC 7.9.2016; UNGASC10.6.2016; UN GASC 7.3.2016; Darstellung durch die Staatendokumentation des BFA).

Mit Stand September 2016, schätzen Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

Kontrolle von Distrikten und Regionen

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal, sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen, mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten, und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

Rebellengruppen

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielten Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk, und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9.2016).

Taliban und ihre Offensive

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten, sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstütze Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand, wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter - der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch:

The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

Haqqani-Netzwerk

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani, wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

Al-Qaida

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Kamp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzertierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Siehe Kapitel - Politische Lage - Friedens- und Versöhnungsprozesse

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch Großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

Unterstützt von internationalen Militärkräften, führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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