Entscheidungsdatum
20.09.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W187 2179960-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch die Diakonie-Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 Asylgesetz 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am XXXX gab er zu seinem Fluchtgrund befragt an, Sänger und Sporttrainer zu sein. Seine Familie sei religiös konservativ, wobei einige sogar Gelehrte seien. Zwei Jahre zuvor habe er an einer Talenteshow namens XXXX teilgenommen. Ein Jahr vor der Einvernahme sei er von maskierten Männern im Fitnessklub aufgesucht worden, diese haben ihn aufgefordert, den richtigen Weg zu wählen. Nachdem ein Lied von dem Beschwerdeführer auf der Radiostation XXXX gespielt und er interviewt worden sei, haben die Bedrohungen von unbekannten Personen zugenommen. Auch sein Vater sei gegen seine Tätigkeit als Sänger gewesen. Weil sein Leben in Gefahr gewesen sei, habe er sich zur Ausreise aus Afghanistan entschieden.
2. Am 24.8.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, Tadschike und sunnitischer Moslem zu sein. Er habe zuletzt in der Hauptstadt Kabul gelebt. Vor seiner Ausreise habe er gemeinsam mit einem befreundeten Musiker gelebt. Er sei in Kabul geboren, habe dort 11 Jahre die Schule besucht. Danach habe er in einem Glasergeschäft gearbeitet, Bodybuilding betrieben und in weiterer Folge als Trainer gearbeitet. Er habe auch begonnen Gitarre zu spielen sowie auf einem Casio-Piano zu üben. Als sein Vater dies gesehen habe, habe er es weggeworfen. Er habe 2007 begonnen, als Sänger und Klavierspieler auf Partys Geld zu verdienen. 2010 sei er für ein Jahr in den Iran gegangen, um dort als Schuster zu arbeiten und Musik zu machen. Als er 2013 bei der Sendung XXXX teilgenommen und den 12. Platz erreicht habe, habe er ernsthafte Probleme bekommen, die schließlich zu seiner Flucht geführt haben. Nach seiner Teilnahem an der Sendung XXXX haben die Mullahs gemeint, dass der Beschwerdeführer umzubringen sei. Sein Vater habe ihn erwischt und geschlagen, sein Onkel habe gemeint, dass er ihn umbringen werde, da er nicht zu ihnen gehöre. Als er eines Tages in der Früh in den Bodybuilding Club gegangen sei, seien zwei maskierte bewaffnete Männer gekommen. Sie haben gedroht ihn umzubringen, sollte er nicht mit der Musik aufhören. Viele Personen, die wie die Taliban gewesen seien, haben den Beschwerdeführer bedroht. Sein Onkel, der eine Koranschule gehabt habe, habe ihn bedroht und sein Vater ihn weggewiesen. Er habe auch Probleme gehabt, weil er auf einer Party mit Alkohol gefilmt worden sei. Als sein Vater ihm gesagt habe, dass er mit der Musik aufhören müsse, habe er heimlich weitergemacht. Der Beschwerdeführer habe zwei Videos, in denen Mullahs aufgetreten seien, die behauptet haben, dass die Sendung XXXX die Sendung des Teufels sei.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
4. Gegen den Bescheid des Bundesamtes richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.
5. Am 23.8.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentlich mündliche Verhandlung statt.
Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:
[...]
Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?
Beschwerdeführer: Alles war korrekt.
Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?
Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX in Kabul geboren.
Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?
Beschwerdeführer: Ich kann Dari in Wort und Schrift. Deutsch habe ich hier gelernt und außerdem kann ich auch Deutsch schreiben.
Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.
Beschwerdeführer: Ich bin ein Tadschike und ledig. Meine Religion ist der Islam. Ich bin ein Sunnit.
Richter: Haben Sie Kinder?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.
Beschwerdeführer: Ich habe immer in Kabul im Stadtteil XXXX gewohnt.
Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?
Beschwerdeführer: Ich habe mit meiner Familie gelebt.
Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?
Beschwerdeführer: Ich habe 11 Jahre die Schule besucht. 2004 habe ich begonnen, Sport zu betreiben. 2007 habe ich zum ersten Mal an einem Turnier teilgenommen und habe den ersten Platz belegt. Ich habe einige Trainer kennen gelernt, dadurch habe ich die Möglichkeit bekommen, als Co Trainer für das Nationalteam zu arbeiten. Es handelt sich hier um die Sportart Bodybuilding. 2004 habe ich auch in einer Glaserei und in einem Geschäft, welches Werkzeug verkauft hat gearbeitet. Halbtags habe ich gearbeitet und den restlichen Tag habe ich die Schule besucht. Ich bin Glaser und war Trainer in einem Club. Ich habe alles praktisch gelernt.
Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?
Beschwerdeführer: Ich war 11 Jahre lang in der Schule und habe aber keinen Abschluss erhalten, weil ich finanzielle Probleme hatte. Ich konnte somit die Schule nicht abschließen.
Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?
Beschwerdeführer: Sie leben im Stadtteil XXXX im Ortsteil XXXX . Mein Vater betreibt ein Lebensmittelgeschäft, so sorgt er für den Lebensunterhalt der Familie.
Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?
Beschwerdeführer: Gelegentlich habe ich zu meinem Bruder Kontakt.
Richter: Haben Sie in Afghanistan Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?
Beschwerdeführer: Ich hatte Kontakt zu einem Freund namens XXXX , aber seit zwei Monaten haben wir auch keinen Kontakt mehr.
Richter: Wollen Ihre Eltern und Geschwister auch nach Österreich kommen?
Beschwerdeführer: Das weiß ich nicht. Ich hatte Probleme und deshalb war ich gezwungen, zu flüchten.
Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?
Beschwerdeführer: 2,5 Monate war ich hier in Wien, in XXXX untergebracht. Danach wurde ich nach XXXX transferiert, dort habe ich dann einen Deutschkurs besucht. Ich habe auch bei zwei Musikgruppen als Musiker gearbeitet. Es war ein Kirchenchor. Ich habe auch viele freiwilligen Arbeiten verrichtet. Ich habe den Erste-Hilfe-Kurs sowie die Ausbildung beim Roten Kreuz als Sanitäter absolviert.
Der Beschwerdeführer weist seinen Ausweis des österreichischen roten Kreuzes als Rettungssanitäter, Ausbildungsnachweis, seinen österreichischen freiwilligen Pass, seine Bestätigungen des österreichischen roten Kreuzes vom XXXX über die Absolvierung von Schnupperdiensten im Rettungsdienst und eine Rettungssanitäterausbildung, sowie die Erteilung einer Rotkreuz Card vor. Diese werden nach Einsicht zurückgegeben.
Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?
Beschwerdeführer: Ja, wie zum Beispiel XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX . Mehr fällt mir jetzt gerade nicht ein.
Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?
Beschwerdeführer: Nein.
Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?
Beschwerdeführer: Nein. Ich habe mir eine private Unterkunft genommen, diesbezüglich wurde ich vorgeladen und die Polizei stellte mir einige Fragen. Die Polizei erzählte mir, dass auf meinem Zettel, das Wort Allah und auch ein Kreuz niedergeschrieben waren. Ich wurde gefragt, was ich darüber weiß. Jemand hat diesen Zettel angezündet, ich wurde gefragt, was ich dazu sagen möchte.
Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!
Beschwerdeführer: 2004 habe ich begonnen Sport zu betreiben und zu arbeiten. Ich habe heimlich versteckt von meinem Vater auch musiziert. Ich hatte ein "Casio". Einmal hat mich mein Vater beim Spielen erwischt, er hat mein Casio kaputt gemacht. Ich bekam leichte Probleme mit meinem Vater. 2007 überredete mich ein Freund auf einer Party aufzutreten und zu musizieren. Als ich auf dieser Party war, habe ich festgestellt, dass es sich nicht um eine kleine Party, sondern um eine Hochzeit handelt. All die dort waren, freuten sich und sagten mir, dass der Musiker da ist. Ich hatte keinen anderen Ausweg, als auf dieser Party zu spielen. Als ich beim muszieren war, wurde mir eine Flasche Alkohol mit einem Glas auf den Tisch gestellt und ich wurde gefilmt. Ich habe keinen Alkohol getrunken, aber es wurde gefilmt. Am nächsten Tag hörte ich von den Leuten, die herumerzählten, dass dein Neffe von XXXX Alkohol trinkt, obwohl sein Onkel in der Moschee predigt und die Familie eigentlich sehr religiös ist. Sie erzählten, dass mein Onkel ständig von Halal und Harram redet, er sei ein Mullah und spricht von Sünden, aber sein Neffe musiziert und trinkt Alkohol. Ich bekam Probleme mit meinem Vater. Er hat mich geschlagen. Ich habe auch mit meinem Onkel väterlicherseits Probleme bekommen. Mein Vater hat mich geschlagen, er sagte mir: "Wenn ich das wiederholen sollte, dann wird er mich aus dem Haus rauswerfen und er wird mich nicht mehr als Sohn bezeichnen". Ich habe versucht mich zu beruhigen. 2008 machte ich mich auf die Suche nach einem Instrument, für welches ich kein Strom benötigte. Ich habe mich für die Gitarre entschieden. Bis 2010 habe ich über YouTube versucht Gitarre zu lernen. Ein Freund von mir konnte auch ein wenig Gitarre spielen. Er hat mit mir gelernt. 2010 ging ich in den Iran und habe bei einem Schuhmacher gearbeitet und dreimal in der Woche habe ich Gitarre gelernt. In diesem Geschäft habe ich auch eine Unterkunft genommen und habe dort gelernt. 2011 ging ich nach Kabul zurück. Da ich im Iran illegal lebte, könnte ich jederzeit von der Polizei erwischt werden. Bei der Person, bei welcher ich gearbeitet habe, wollte sein Geschäft schließen. Ich hatte keine Unterkunft und auch keine Dokumente und deshalb war ich gezwungen zurück zu kehren. Nach meiner Rückkehr habe ich in einer Glaserei gearbeitet. Danach habe ich als selbstständiger Glaser gearbeitet und habe auch heimlich musiziert. Ich habe auch nebenbei als Trainer gearbeitet. Im November 2012 habe ich beim " XXXX " teilgenommen, das führte dazu, dass mein Vater mich aus dem Haus geworfen hat. Bis dahin wusste niemand, dass ich Gitarre spiele oder musiziere. Nach der Teilnahme beim " XXXX " wurden alle auf mich aufmerksam. Nach dem ich die Probleme bekommen habe, ging ich zu meinem Freund Adib. Bis zu meiner Ausreise habe ich mich bei ihm aufgehalten. Bei " XXXX " schaffte ich es unter die 12 Besten zu kommen. Mein Onkel hat in der Moschee kundgegeben, dass ich eine Schande für die Familie bin und nicht mehr zur Familie gehöre. Mein Vater hat mich aus dem Haus geschmissen und meinte, dass ich nicht mehr sein Sohn bin. Zwei Monate nach der Teilnahme, habe ich ein eigenes Lied herausgebracht. Es ist ein nationales Lied gewesen. Nach dem ich dieses Lied veröffentlicht habe, haben die Probleme zugenommen. Ich dachte, mit der Veröffentlichung des Liedes, da es sich um ein nationales Lied handelt, könnte ich die Herzen meiner Familie und meiner Gegner gewinnen. Die Probleme haben aber zugenommen und ich habe damit nicht gerechnet. Deshalb habe ich den endgültigen Entschluss gefasst das Land Afghanistan zu verlasen. Ich hatte nicht ausreichend Geld für die Ausreise, daher musste ich mir zuerst Geld organisieren um ausreisen zu können. Drei maskierte Personen sind gekommen und haben mich bedroht, sie hatten eine Waffe und ein Messer mit. Beim dritten Mal sagten sie mir, dass sie beim nächsten Mal mich nicht mehr warnen werden, sondern mich einfach erschießen werden. Die Lage war sehr schlecht. Es dauerte bis zu einem Monat, dass ich mir einen Schlepper organisiert habe. Danach bin ich Richtung Europa aufgebrochen.
Richter: In welchen Abständen sind diese maskierten Männer zu Ihnen gekommen?
Beschwerdeführer: Ich habe in diesem Club gearbeitet und musste immer in der Früh um 04:00 aufsperren und um halb 5 aufmachen. Beim Öffnen des Clubs haben diese Personen, mich angesprochen und bedroht. Zu diesem Zeitpunkt war ich alleine. Halbe Stunde bevor die Schüler gekommen sind, um dort zu trainieren kamen diese Menschen und haben mich bedroht. Innerhalb eines Jahres sind sie dreimal gekommen und an zweimalen war es sogar ein Freitag, an das kann ich mich erinnern. Beim dritten Mal weiß ich den Wochentag nicht, aber sie sind ungefähr alle zwei bis drei Monate einmal gekommen. Genau kann ich es nicht sagen, einmal sind sie nach drei Monaten und dann nach ungefähr vier Monaten wieder gekommen. Sie sind innerhalb eines Jahres, an unterschiedlichen Zeitpunkten gekommen.
Richter: Wer waren diese Männer, haben Sie sie gekannt oder können Sie sie an eine bestimmte Gruppe zuordnen?
Beschwerdeführer: Das waren entweder Leute von meinem Onkel väterlicherseits oder es waren die Taliban. Mein Onkel ist auch fast wie die Taliban. Ich möchte ihnen ein Foto von meinem Onkel väterlicherseits zeigen. Ein anerkannter Gelehrter Afghanistans namens XXXX hat eine Biographie meines Onkels auf seiner Seite veröffentlicht. Diese XXXX ist sehr bekannt und ein berühmter Mann in Afghanistan. Nach XXXX ist XXXX . Wenn es erlaubt ist, würde ich das ihnen jetzt gerne vorlegen und es könnte übersetzt werden.
Der Beschwerdeführer weist eine Fotografie der genannten Website vor. In Übersetzung steht dort: Es wird der XXXX vorgestellt um diesen Herrn näher kennen zu lernen. Er heißt XXXX und ist Sohn des XXXX . Er wurde im Jahre XXXX ( XXXX / XXXX ) geboren. Aktuell ist er wohnhaft in XXXX . Er stammte aus XXXX in XXXX aus XXXX .
Unterrichtszeitraum: Seit circa 20 Jahren im Distrikt XXXX . Studium in Pakistan. Er hielt Religionsunterricht von seinem Großvater, dem Herrn XXXX , er war ein Religionsgelehrter zu seiner Zeit. Aktuell ist er als zuständiger der Madrassa für Koranlehre tätig. Er hat mittlerweile 20 "Qari" ausgebildet.
Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?
Beschwerdeführer: Von diesen Personen die in den Club gekommen sind, wurde ich bedroht. Auch mein Onkel väterlicherseits drohte mir, er sagte, dass ich getötet und gesteinigt werden sollte. Das hat er in der Moschee kundgegeben. Er sagt, ich sei gegen den Islam und würde Gotteslästerung betreiben. Dies alles sei eine Schande. Ich würde nicht mehr zu ihnen gehören. Auch von den Leuten der Umgebung, wurde ich ausgelacht. Man sagte, mein Onkel sei ein Religionsgelehrter und ich würde dennoch Musik betreiben und würde beim " XXXX " teilnehmen. Ich wurde von der Familie des XXXX stammen. Mein Onkel würde in der Moschee predigen und ich würde musizieren.
Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan aktuell bedroht?
Beschwerdeführer: Seitens meins Vaters, meines Onkels väterlicherseits und von diesen Personen, die mich bedroht haben, sowie von den Taliban werde ich auch bedroht.
Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?
Beschwerdeführer: Ich bin von Kabul nach Tadschikistan. Von dort reiste ich mit dem Zug nach Moskau. Ich war dann ein Monat lang in einem Quartier. Danach wurde ich zu einem Fluss gebracht. Mit einem Schlauchboot sind wir dann weiter gefahren. Danach sind wir teilweise mit dem Fuß und teilweise mit dem PKW gefahren. Ich habe mich dann drei Wochen lang in einem Bauernhof aufgehalten. Danach bin ich zu einem Schlepper gegangen, der hat mich zu einem anderen Quartier gebracht, wo ich drei Wochen lang aufhältig war. Das war in der Ukraine. Danach schafften wir es beim zweiten Mal über die Brücke zu fahren. Danach sind wir durch einen Wald marschiert. Wo wir angekommen sind, weiß ich nicht. Wir sind vorwiegend weiter marschiert. Nach dem marschieren, sind wir dann mit einem PKW gefahren und wurden dann bis nach Wien gebracht, das weiß ich deshalb, dass ich beim Ausstieg ein Schild mit der Auszeichnung Wien gesehen habe. Wir waren vorwiegend durch Wälder unterwegs.
Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!
Beschwerdeführer: Es wurde mir gesagt, dass Herat und Mazar sicher sind und ich dorthin zurückkehren kann. Bei der Rückkehr wird man mir vorhalten, dass ich vier Jahre in Europa gelebt habe. Mein Onkel wird mich umbringen. Er wird mir vorwerfen, dass ich in Europa musiziert und auch Alkohol getrunken habe. Wenn ich nach Mazar gehen sollte und ich mit meiner Musik weiter machen sollte, dann wird man mich bestimmt leicht finden können. Die Taliban werden meinen, dass ich beim " XXXX " war und das was ich tue ungläubig ist und werden mich deswegen vernichten. Ich habe niemanden der mich unterstützen kann. Ich habe keinen Kommandanten der mich schützen kann. Die Leute die muszieren, die werden von Kommandanten oder von anderen Leuten beschützt. Ich habe niemanden, der mich unterstützen kann und noch dazu stamme ich aus einer religiösen Familie. Hier in Österreich haben mich sogar Leute erkannt. Ein Mann der bereits seit 25 Jahren hier lebt, sagte mir, dass mein Gesicht ihm bekannt vorkommt. Wenn ich dorthin zurückkehre, wird man mich sehr leicht finden.
Rechtsvertreterin: Sie sind ja im Kirchenchor tätig, interessieren Sie sich auch für den christlichen Glauben?
Beschwerdeführer: Ich habe keine Probleme mit den anderen Religionen. Meine Religion ist meine Musik und meine Gitarre. Die Botschaft ist der Frieden. Deshalb konnte ich auch sehr viele gute Freunde gewinnen.
Rechtsvertreterin: Welchen Deutschkurs besuchen Sie aktuell?
Beschwerdeführer: B1 habe ich bereits abgeschlossen, B2 wolle ich auch machen, aber ich habe das Geld nicht dafür. Meine Betreuerin hat mir gesagt, dass ich ab Oktober den B2 Kurs starten kann. Ich habe mich erkundigt und diese Information erhalten. Ich liebe diese Sprache, es ist eine wirklich sehr süße Sprache. Es ist sowie Mathematik.
Rechtsvertreterin: Ihr Onkel der Mullah, ist das ein sehr einflussreicher Mann?
Beschwerdeführer: Ja.
Rechtsvertreterin: Sie haben in Oberösterreich bei einem Radiosender ein Interview gegeben, welche Auswirkungen hätte das in Afghanistan?
Beschwerdeführer: Ich werde getötet. Man wird mir vorwerfen, dass ich in Europa Alkohol getrunken habe und weiterhin musiziert habe. Im Radiointerview habe ich über die Taliban gesprochen.
Rechtsvertreterin: Diese Talentshow in Afghanistan wurde ja auf dem Fernsehsender " XXXX " ausgestrahlt, wissen Sie wie die Mullah dazu stehen?
Beschwerdeführer: Sie meinen, dass diese Sendung ein Teufelswerk ist. Es wird nicht als " XXXX ", sondern als " XXXX " bezeichnet. Sie meinen, dass alles ungläubig ist. Handel und die Tätigkeit, alles sei ungläubig. Es ist eine Schande für den Islam und solche Menschen müssen vernichtet sein.
Rechtsvertreterin: Es gibt mehrere YouTube Clips, in denen der Beschwerdeführer sowohl in Afghanistan als auch in Österreich Musik macht. Der Beschwerdeführer hat seine Fluchtgeschichte äußerst detailliert, glaubwürdig und objektiv nachvollziehbar geschildert. Aufgrund seiner Leidenschaft zur Musik, sowie seiner Teilnahme bei einer afghanischen Talenteshow, welche auf dem Sender XXXX , der allgemein von den Mullahs sowie den Taliban als sehr kritisch gesehen wird und von ihnen regelmäßig in Videos sowie auch mit tatsächlichen Angriffen attackiert wird, ist der Beschwerdeführer ins Blickfeld seines Vaters sowie seines Onkels, ein sehr religiöser Mullah, gekommen. Der Beschwerdeführer wurde mehrmals persönlich bedroht und musste deshalb flüchten. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre der Beschwerdeführer folglich einer starken persönlichen Gefährdung durch seinen Onkel dessen Anhänger und seinen Vater ausgesetzt. Da sein Onkel sehr viel Macht hat, wäre der Beschwerdeführer auch in keinem anderen Landesteil sicher. Aus diesen Gründen, wäre dem Beschwerdeführer in Österreich der Status eines Asylberechtigten zu gewähren. Zudem hat sich die allgemeine Situation in Afghanistan in den letzten Monaten auf eine Art und Weise verändert, die in den bisher behandelten Berichten und Unterlagen nicht abgebildet ist. Verwiesen wird hier noch auf die Entscheidung des französischen Asylgerichthofes vom 9.3.2018 mit der Nummer 17045561. Der Gerichtshof gewährt hier einen afghanischen Staatsangehörigen subsidiären Schutz mit der Begründung, dass bei einer Rückkehr nach Kabul aufgrund der bestehenden willkürlichen Gewalt aufgrund eines innenstaatlichen Konflikts ein "real risk" einer Verletzung von Artikel 3 EMRK besteht. Zur westlichen Orientierung des Beschwerdeführers wird auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.7.2017 zur Zahl W139 2411277-1 verwiesen. Abschließend wird noch erwähnt, dass der Beschwerdeführer außerordentlich gut integriert ist, in einem Kirchenchor spielt und im Herbst mit dem B2 Kurs beginnt. Zudem befindet er sich bereits in seinem fünften Jahr in Österreich.
Der Beschwerdeführer bringt nichts mehr vor.
Der Richter schließt das Ermittlungsverfahren gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs 3 AVG.
[...]
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
1. Feststellungen (Sachverhalt)
1.1 Zur Person des Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Moslem. Er ist volljährig und in Österreich nicht straffällig im Sinne des Asylgesetzes. Er ist ledig und hat keine Kinder. Er stammt aus Kabul, wo er auch vor seiner Ausreise gemeinsam mit seiner Familie gewohnt hat. Er hat 11 Jahre die Schule besucht und war beruflich als Glaser sowie als Trainer für Bodybuilding tätig. Nachdem er das Gitarre und Klavierspielen erlernt hat, trat der Beschwerdeführer als Musikant auf und nahm auch an einer Talenteshow im afghanischen Fernsehen teil.
1.2 Zu seinen Asylgründen
Die persönliche Denkweise und Haltung des Beschwerdeführers entspricht nicht der in Afghanistan erwarteten Einstellung und Lebensweise. Der aus einer äußerst konservativen Familie stammende Beschwerdeführer führt als Profimusiker ein Leben, das von seinen Verwandten wie auch den Taliban strikt abgelehnt wird. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer moderne Musik macht, führt dazu, dass er mit dem Tod bedroht und ihm ein Leben in Afghanistan verunmöglicht wird. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland einer konkreten individuellen Verfolgung sowohl durch seinen Verwandten als auch durch die Taliban ausgesetzt ist.
1.3 Zur Lage im Herkunftsstaat
Zur allgemeinen Situation in Afghanistan
(Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 2.3.2017, zuletzt aktualisiert am 30.1.2018):
1.4.1 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q4.2017
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil - der Konflikt zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften hält landesweit an (UN GASC 20.12.2017). Zur Verschlechterung der Sicherheitslage haben die sich intensivierende Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften beigetragen (SIGAR 30.10.2017; vgl. SCR 30.11.2017).
Die afghanischen und internationalen Sicherheitskräfte verstärkten deutlich ihre Luftoperationen (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die in 22 Provinzen registriert wurden. So haben sich im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) Luftangriffe um 73% gegenüber dem Vorjahreswert erhöht (UN GASC 20.12.2017). Der Großteil dieser Luftangriffe wurde in der südlichen Provinz Helmand und in der östlichen Provinz Nangarhar erfasst (UN GASC 20.12.2017; vgl. SIGAR 30.10.2017), die als Hochburgen des IS und der Taliban gelten (SIGAR 30.10.2017). Verstärkte Luftangriffe hatten wesentliche Auswirkungen und führten zu hohen Opferzahlen bei Zivilist/innen und regierungsfeindlichen Elementen (UN GASC 20.12.2017). Zusätzlich ist die Gewalt in Ostafghanistan auf die zunehmende Anzahl von Operationen der ANDSF und der Koalitionskräfte zurück zu führen (SIGAR 30.10.2017). Landesweit kam es immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hatten (Pajhwok 1.12.2017; TP 20.12.2017; Xinhua 21.12.2017; Tolonews 5.12.2017; NYT11.12.2017). Den Vereinten Nationen zufolge hat sich der Konflikt seit Anfang des Jahres verändert, sichvon einer asymmetrischen Kriegsführung entfernt und in einen traditionellen Konflikt verwandelt, der von bewaffneten Zusammenstößen zwischen regierungsfeindliche Elementen und der Regierung gekennzeichnet ist. Häufigere bewaffnete Zusammenstöße werden auch als verstärkte Offensive der ANDSF-Operationen gesehen um die Initiative von den Taliban und dem ISKP zu nehmen - in diesem Quartal wurde im Vergleich zum Vorjahreine höhere Anzahl an bewaffneten Zusammenstößen erfasst (SIGAR 30.10.2017).
Sicherheitsrelevante Vorfälle
In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).
Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan von 1.1.-31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Stand: 31.8.2017) (INSO o.D.).
Zivilist/innen
Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des letzten Jahres registrierte die UNAMA zwischen 1.1. und 30.9.2017 8.019 zivile Opfer (2.640 Tote und 5.379 Verletzte). Dies deutet insgesamt einen Rückgang von fast 6% gegenüber dem Vorjahreswert an (UNAMA 10.2017); konkret hat sich die Anzahl getöteter Zivilist/innen um 1% erhöht, während sich die Zahl verletzter Zivilist/innen um 9% verringert hat (UN GASC 20.12.2017). Wenngleich Bodenoffensiven auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer waren - führte der Rückgang der Anzahl von Bodenoffensiven zu einer deutlichen Verringerung von 15% bei zivilen Opfern. Viele Zivilist/innen fielen Selbstmordattentaten, sowie komplexen Angriffen und IEDs zum Opfer - speziell in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Kandahar und Faryab. (UNAMA 10.2017).
Zivile Opfer, die regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben wurden, sind um 37% zurückgegangen: Von insgesamt 849 waren 228 Tote und 621 Verletzte zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Elementen zugeschrieben werden, um 7%: von den 1.150 zivilen Opfer starben 225, während 895 verletzt wurden. Die restlichen Opfer konnten keiner Tätergruppe zugeschrieben werden (UNAMA 10.2017).
High-profile Angriffe
Am 31.10.2017 sprengte sich ein Selbstmordattentäter in der "Green Zone" der Hauptstadt Kabul in die Luft. Der angebliche Täter soll Quellen zufolge zwischen 12-13 Jahren alt gewesen sein. Mindestens vier Menschen starben bei dem Angriff und ein Dutzend weitere wurden verletzt. Dies war der erste Angriff in der "Green Zone" seit dem schweren Selbstmordattentat im Mai 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall Ende Oktober 2017 (BBC 31.10.2017; vgl. Telegraph 31.10.2017; UN GASC 20.12.2017)
Am 20.10.2017 sprengte sich ein Angreifer in der Shia Imam Zamam Moschee in Kabul in die Luft; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet und 45 weitere verletzt. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017; UN GASC 20.12.2017). In dem Distrikt Solaina, in der westlichen Provinz Ghor, wurde ebenso eine Moschee angegriffen - in diesem Fall handelt es sich um eine sunnitische Moschee. Die tatsächliche Opferzahl ist umstritten: je nach Quellen sind zwischen 9 und 39 Menschen bei dem Angriff gestorben (Independent 20.10.2017; vgl. NYT 20.10.2017; al Jazeera 20.10.2017).
Am 19.10.2017 wurde im Rahmen eines landesweit koordinierten Angriffes der Taliban 58 afghanische Sicherheitskräfte getötet: ein militärisches Gelände, eine Polizeistationen und ein militärischer Stützpunkt in Kandahar wären beinahe überrannt worden (Independent 20.10.2017; vgl. BBC 21.10.2017). Einige Tage vor diesem Angriff töteten ein Selbstmordattentäter und ein Schütze mindestens 41 Menschen, als sie ein Polizeiausbildungszentrum in der Provinzhauptstadt Gardez stürmten (Provinz Paktia) (BBC 21.10.2017). In der Woche davor wurden 14 Offiziere der Militärakademie auf dem Weg nach Hause getötet, als ein Selbstmordattentäter den Minibus in die Luft sprengte in dem sie unterwegs waren (NYT 20.10.2017). Die afghanische Armee und Polizei haben dieses Jahrschwere Verlusten aufgrund der Taliban erlitten (BBC 21.10.2017).
Am 7.11.2017 griffen als Polizisten verkleidete Personen/regierungsfeindliche Kräfte eine Fernsehstation "Shamshad TV" an; dabei wurde mindestens eine Person getötet und zwei Dutzend weitere verletzt. Die afghanischen Spezialkräfte konnten nach drei Stunden Kampf, die Angreifer überwältigen. Der IS bekannt sich zu diesem Angriff (Guardian 7.11.2017; vgl. NYT 7.11.2017; UN GASC 20.12.2017). (Guardian 7.11.2017)
Bei einem Selbstmordangriff im November 2017 wurden mindestens neun Menschen getötet und einige weitere verletzt; die Versammelten hatten einem Treffen beigewohnt, um den Gouverneur der Provinz Balkh - Atta Noor - zu unterstützen; auch hier bekannte sich der ISzu diesem Selbstmordattentat (Reuters 16.11.2017; vgl. UN GASC 20.12.2017)
Interreligiöse Angriffe "Green Zone" in Kabul
Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).
Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).
Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).
Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Informationen zur Stärke der ANDSF und ihrer Opferzahlen werden von den US amerikanischenKräften in Afghanistan (USFOR-A) geheim gehalten; im Bericht des US Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR) werden Schätzungen angegeben:
Die Stärke der ANDSF ist in diesem Quartal zurückgegangen; laut USFOR-A Betrug die Stärke der ANDSF mit Stand August 2017 etwa 320.000 Mann - dies deutet einen Rückgang von 9.000 Mann gegenüber dem vorhergehenden Quartal an. Dennoch erhöhte sich der Wert um
3.500 Mann gegenüber dem Vorjahr (SIGAR 30.10.2017). Die Schwundquote der afghanischen Nationalpolizei war nach wie vor ein großes Anliegen; die Polizei litt unter hohen Opferzahlen (UN GASC 20.12.2017). Im Rahmen eines Memorandum of Understanding (MoU) zwischen dem afghanischen Verteidigungs- und Innenministerium wurde die afghanische Grenzpolizei (Afghan Border Police) und die afghanische Polizei für zivile Ordnung (Afghan National Civil Order Police) dem Verteidigungsministerium übertragen (UN GASC 20.12.2017). Um sogenanntem "Geisterpersonal" vorzubeugen, werden seit 1.1.2017 Gehälter nur noch an jenes Personal im Innen- und Verteidigungsministerium ausbezahlt, welches ordnungsgemäß registriert wurde (SIGAR 30.10.2017)
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Taliban
Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh. Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL-KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).
Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP-Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).
Politische Entwicklungen
Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).
Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).
1.4.2 Aktualisierung der Sicherheitslage - Q3.2017
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017). Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderem gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017). Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).
ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte
Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).
Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).
High-profile Angriffe
Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).
Hauptstadt Kabul
Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017).
Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:
al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).
Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).
Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).
Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).
Herat
Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).
Mazar-e Sharif
Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).
Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).
Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).
Taliban
Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).
Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:
BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).
Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al-Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).
Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).
Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:
sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).
IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh
Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).
Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:
NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).
1.4.3 Politische Lage
Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.), und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004). Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).
Parlament und Parlamentswahlen
Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9.2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.1.2017). Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.4.2016 vgl. auch: CRS 12.1.2017). Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu- Repräsentanten reserviert (USDOS 13.4.2016). Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9.2016).
Parteien
Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015). Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen, sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange - werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016).
Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches von allen Parteien verlangte sich neu zu registrieren und zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern, müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).
Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige