TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/21 W182 2112260-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.09.2018
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Entscheidungsdatum

21.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W182 2112260-1/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Susanne Singer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.06.2015, Zl. 1029579905-14908991/RDNÖ, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52, 55 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Awaren an, ist Sunnit, reiste am 25.08.2014 illegal und schlepperunterstützt ins Bundesgebiet ein und stellte am 25.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Den Antrag begründete der BF in einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.08.2014 sowie in einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 10.02.2015 im Wesentlichen damit, dass er im Zusammenhang mit einem Autoverkauf im Herkunftsland ins Visier der Sicherheitsorgane sowie von islamistischen Extremisten geraten sei. Er habe am 28.05.2014 einen PKW zum Preis von 150.000,- Rubel an eine Person namens XXXX verkauft. Der Autokäufer sei am 30.05.2014 von der Polizei getötet worden, wobei in dem Fahrzeug, das ihm der BF verkauft habe, Sprengstoff und Waffen gefunden worden seien. Am selben Tag habe die Polizei den BF von zu Hause abgeholt und ihn in einer Polizeistation verhört. Nach etwa 24-stündiger Anhaltung und Verhör sei ihm mitgeteilt worden, dass er sich für die Summe von 300.000,- Rubel freikaufen könne. Am 31.05.2014 sei er freigelassen worden, um innerhalb einer Frist von 3 Tagen das Geld zu beschaffen. Der BF sei jedoch in die Berge geflüchtet, wo er sich etwa drei Monate versteckt gehalten habe. Dort habe er erfahren, dass er sowohl von der Polizei als auch von Wahhabiten gesucht werde. Letztere hätten in seiner Abwesenheit seine Frau bedroht, weil sie den BF verdächtigt hätten, den Autokäufer an die Polizei verraten zu haben. Der BF habe deshalb am 20.08.2014 schlepperunterstützt das Herkunftsland verlassen. Der BF sei Landwirt gewesen. Im Herkunftsland würden sich seine Frau, 4 Töchter, 3 Schwestern und 5 Brüder aufhalten.

Der BF legte in der Einvernahme am 10.02.2015 u.a. einen Befund einer psychologischen Abteilung einer Landesklinik vom 30.10.2014, wonach er an einer Anpassungsstörung (F 43.21) leide, sowie einen 2006 ausgestellten Inlandspass vor. Im Inlandspass war eine andere Wohnadresse vermerkt, als vom BF angegeben wurde. Weiters war nicht vermerkt, dass der BF - wie von ihm angegeben - seit 1982 verheiratet sei. Dazu gab der BF an, dass die Behörde vermutlich vergessen habe, einzutragen, dass er verheiratet sei. Die im Inlandspass registrierte Adresse sei die Adresse seines Elternhauses, wo aktuell niemand mehr wohne. Sein Wohnhaus sei ein von ihm errichteter Neubau und gebe es (noch) keinen dokumentarischen Nachweis, dass es ihm gehöre. Weiters legte der BF zwei polizeiliche Ladungen vom 02.12.2014 sowie 20.12.2014 vor, die an die Adresse des Elternhauses gerichtet waren und weder Stempel noch Rundsiegel aufwiesen, und aus denen hervorging, dass gegen den BF ein Strafverfahren wegen illegalen Besitzes und Handels mit Sprengstoff und Waffen eingeleitet werde.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 02.06.2015 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Ziffer 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde hat Feststellungen zum BF und zur Lage in seinem Herkunftsstaat getroffen und begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass der geltend gemachte Fluchtgrund, von Behörden des Heimatstaates wegen des Verkaufs eines Autos, in welchem Waffen und Sprengstoff gefunden worden seien, verfolgt zu werden, unglaubhaft sei. Im Rahmen der Einvernahme haben sich diverse Widersprüchlichkeiten ergeben bzw. sei das Vorbringen in zentralen Punkten nicht plausibel. Insbesondere zu den vorgelegten Ladungen wurde ausgeführt, dass der Umstand, dass diese erst 7 Monate nach der Freilassung des BF verschickt worden seien, nicht verständlich erscheine, wobei es in diesem Zusammenhang auch nicht nachvollziehbar erscheine, dass der BF angegeben habe, dass er nicht wüsste, ob es einen Haftbefehl gegen ihn gebe. Einerseits hätte die Polizei, sofern diese bemerkt hätte, dass der BF untergetaucht sei, sicherlich viel früher Ladungen zugestellt, andererseits wäre auch sehr schnell ein Haftbefehl ausgestellt worden. Die Ladungen seien zudem an die elterliche Adresse verschickt worden, dies obwohl die Polizei gewusst haben müsse, dass der BF an einer anderen Wohnadresse wohnhaft sei, zumal er von ihr von seiner tatsächlichen Wohnadresse abgeholt worden sei. Auch würden beide Ladungen weder einen Stempel noch ein Rundsiegel aufweisen. Auch der Umstand, dass der BF angegeben habe, dass die Ladungen zu ihm nach Hause geschickt worden seien und seine Tochter diese übernommen habe, sei sohin nicht nachvollziehbar. Hinzu komme, dass die Ladungen von einer Untersuchungsabteilung des Innenministeriums der Russischen Föderation für den Bezirk XXXX ausgestellt worden seien, wobei dieser Ort 261 Kilometer von XXXX , wo der BF das Fahrzeug verkauft habe und wohin er von der Polizei mitgenommen worden sei, entfernt sei. Die Behauptung des BF, dass XXXX an der Grenze zu Tschetschenien liege und der Autokäufer die Waffen dort gekauft habe, sei keineswegs schlüssig. Die Angabe des BF, er habe Angst gehabt, diese Ladungen mitzunehmen, sei ebenso nicht nachvollziehbar, da die Ladungen erst 5 Monate nach seiner Ausreise datiert gewesen seien. Seine Aussage, "aber wir können die Ladungen auch gerne wegwerfen", beweise ebenfalls, dass diese Ladungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zur Wahrheitsfindung beitragen hätten können. Es bestünden auch keine Hinweise darauf, dass der BF bei einer Rückkehr nach Russland einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder als Zivilperson einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sei. Der BF verfüge über keinerlei familiäre oder soziale Bindungen zu Österreich und sei erst vor wenigen Monaten illegal nach Österreich eingereist. Anzeichen für eine besondere Integration seien im Verfahren nicht hervorgekommen. Der BF habe mit seiner Familie sein ganzes Leben in der Russischen Föderation gewohnt und sei dort auch erwerbstätig gewesen. Der BF sei der deutschen Sprache nicht mächtig, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei.

Mit Verfahrensanordnung vom 03.06.2015 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

1.3. Gegen den Bescheid vom 02.06.2015 erhob der BF am 19.06.2015 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Begründend wurde darin im Wesentlichen ausgeführt, dass das Fluchtvorbringen schlüssig, detailreich und glaubhaft dargestellt worden sei. Der Bescheid sei inhaltlich rechtswidrig und unter Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen. Zu den Ladungen wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Annahme, dass der BF erst 7 Monate später Ladungen erhalten hätte, nicht rechtens sei, da seine Gattin bereits früher Ladungen für den BF erhalten habe, diese jedoch nicht ernst genommen und weggeschmissen habe. Erst als sich diese gehäuft hätten, habe sie die Ladungen ernst genommen und an den BF weitergeschickt. Dass er die Ladungen von den Strafverfolgungsbehörden aus dem Bezirk XXXX erhalten habe, ergebe sich daraus, dass der Käufer des Autos in der Nähe der tschetschenischen Grenze in dem zuvor genannten Bezirk angehalten, kontrolliert und erschossen worden sei, wobei im Kofferraum Sprengstoff und Waffen gefunden worden seien. Dass die Polizei dem BF von seiner Meldeadresse abgeholt habe, ergebe sich daraus, dass er seine tatsächliche Meldeadresse auf der Vollmacht angegeben habe, die er den Käufer für das Fahrzeug zur Ummeldung übergeben habe; die Behörden im zuvor genannten Bezirk hätten jedoch nur an die Meldeadresse zustellen können. Es wurde u.a. beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, der Beschwerde stattzugeben und den Bescheid im angefochtenen Umfang aufzuheben oder abzuändern.

1.4. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 15.06.2016 beim Bundesverwaltungsgericht, zu der ein Vertreter des Bundesamtes entschuldigt nicht erschienen ist, wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF in Anwesenheit eines Dolmetschers der russischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, wobei das Bundesamt lediglich schriftlich die Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der BF wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Fluchtvorbringen. Das Elternhaus würde nach wie vor leer stehen. An seiner Wohnadresse würden seine Frau und zwei Töchter leben. Darüber hinaus würden sich noch zwei verheiratete Töchter, 5 Brüder und 2 Schwestern im Herkunftsland aufhalten. Auf die Frage, wie es seinen Familienangehörigen im Herkunftsland gehe, gab der BF an: "Am Anfang war es schwierig, aber jetzt ist alles beruhigt und es geht."

Weiters brachte der BF neu vor, dass er in Österreich wegen eines bösartigen Tumors drei Mal operiert und einer Chemotherapie unterzogen worden sei. Nach einem Kontrolltermin werde entschieden werden, ob noch eine weitere Chemotherapie erforderlich sei. Dazu legte der BF ein Konvolut an entsprechenden Befunden vor, aus denen im Wesentlichen hervorgeht, dass beim BF im Juli 2015 ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert wurde und diesbezüglich eine XXXX sowie XXXX der Blase operativ durchgeführt wurden.

Mit dem BF wurde in der Folge die allgemeine Situation im Herkunftsland bzw. Dagestan erörtert, und ihm zu den zugrundeliegenden Länderberichten eine schriftliche Stellungnahme binnen 2 Wochen freigestellt.

In einer Stellungnahme des BF vom 23.06.2016 wurde unter Verweis auf einen Bericht von ACCORD zur Sicherheitslage in Dagestan vom 11.05.2016 darauf hingewiesen, dass in dieser russischen Teilrepublik mit aller Härte gegen potenzielle Extremisten vorgegangen werde und die Furcht des BF im Falle der Rückkehr durch russische Sicherheitskräfte verfolgt, verhaftet und gefoltert zu werden, nachvollziehbar sei.

Nach einer schriftlichen Aufforderung vom 18.08.2016, im Zusammenhang mit dem in der Verhandlung am 15.06.2016 angekündigten Kontrolltermin aktuelle Befunde vorzulegen, wurden dem Bundesverwaltungsgericht in weiterer Folge neuerlich ein Konvolut an medizinischen Befunden übersandt, aus denen im Wesentlichen hervorging, dass der BF eine XXXX , eine Chemotherapie sowie Rezidiv-Behandlung mit XXXX bzw. XXXX erhalten hat und zuletzt eine medikamentöse Therapie mit XXXX und XXXX angeordnet wurde.

Weites wurde vom BF mit Schreiben vom 07.11.2016 eine mit 20.09.2016 datiertes Schreiben aus dem Herkunftsland in Kopie nachgereicht.

Mit einer vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Anfragenbeantwortung der Staatendokumentation vom 12.06.2017 konnte erhoben werden, dass stationäre, als auch ambulante Behandlungen und Check-ups durch Urologen und Onkologen in der Russischen Föderation verfügbar seien. Auch diagnostische und Laboruntersuchungen seien in der Russischen Föderation verfügbar. Stationäre und ambulante Behandlungen durch einen Urologen und Onkologen seien in öffentlichen Krankenhäusern am Wohnort des Patienten kostenlos, ebenso wie diagnostische und Laboruntersuchungen. Eine Vorsorgeuntersuchung mittels Zystometrie koste im Durchschnitt bis zu 10.000,- Rubel (ungefähr 156,- Euro). XXXX ) seien in der Russischen Föderation erhältlich.

Am 06.07.2017 erfolgte eine fortgesetzte mündliche Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht, wobei dem BF die Anfragebeantwortung vom 12.06.2017 zu Kenntnis gebracht wurde. Weiters wurde das Schreiben vom 20.09.2016 im Original vorgelegt. Eine Übersetzung hat im Wesentlichen ergeben, dass es sich dabei den Inhalt nach um ein Bestätigungsschreiben eines namentlichen genannten Polizeiobersts einer Polizeistation eines Bezirkes von XXXX handelt, mit dem bestätigt werde, dass der BF wegen unerlaubten Besitzes und Verkauf von Waffen sowie wegen Flucht aus einem Gefängnis beschuldigt und gesucht werde. Dieses Schreiben sei dem BF von seiner Tochter zugestellt worden, die versucht habe, über einen Rechtsanwalt diese Bestätigung von der Polizei zu erlangen. Danach befragt, wie es seinen Familienangehörigen im Herkunftsland gehe, gab der BF an, dass die Polizei ab und zu zu ihnen komme. Früher seien sie öfters gekommen, 1 bis 2 Mal die Woche, in der letzten Zeit 1 bis 2 Mal im Monat. Die Familienmitglieder würden immer bedroht werden, dass man irgendeinen Grund finden werde, um sie ins Gefängnis zu bringen, wenn sie nicht erreichen würden, dass der BF sich freiwillig stelle. Zuletzt sei die Tochter des BF vor 2 Wochen von der Polizei bedroht worden, dass man Drogen bei ihr finde, wenn der BF nicht freiwillig zur Polizei komme. Diese Drohungen würden seit seiner Ausreise erfolgen. Ernste Probleme, etwa dass Familienmitglieder geschlagen worden wären, habe es jedoch bis jetzt nicht gegeben. Die Gattin des BF würde gegenüber der Polizei vortäuschen, dass sie sich nach islamischen Ritus vom BF scheiden habe lassen, um in Ruhe gelassen zu werden. Bei einer Rückkehr habe der BF Angst vor dem Gefängnis. Von den Wahhabiten gehe zurzeit keine Gefahr für ihn aus, nur von der Polizei. Sonstige Befürchtungen hinsichtlich einer Rückkehr ins Herkunftsland habe er nicht. Zur Gesundheitsversorgung im Herkunftsland befragt, gab er an, dass es dort keine "normale Medizin" gebe und er schon längst gestorben wäre, wenn er nicht in Österreich behandelt worden wäre.

Der BF sei in Österreich bisher keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen und lebe von der Grundversorgung. Er konnte auch keine Deutschkenntnisse nachweisen. Er habe vier Chemotherapien absolviert und würden noch zwei ausstehen. Er sei zwei Mal im Herkunftsland und vier Mal in Österreich operiert worden. Dazu legte der BF einen Befund vom 19.06.2017 vor, wonach der BF 2 Mal eine Chemotherapie hinsichtlich eines Blasentumors erhalten habe, wobei weitere Zystoskopien vorgesehen seien, und je nach Untersuchungsergebnis die Erforderlichkeit einer weiteren Chemotherapie entschieden werde.

Mit Schreiben vom 30.08.2018 wurde der BF aufgefordert, binnen 2 Wochen ab Erhalt des Schreibens bekannt zu geben, ob aktuell in Österreich nach seinem Kontrolltermin im September 2017 noch eine medizinische Behandlung erfolge, wobei er diesfalls angewiesen wurde, aktuelle Befunde samt Diagnosen und Therapiemaßnahmen innerhalb der Frist vorzulegen. Weiters wurden dem BF Feststellungen zur Situation im Herkunftsland (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation 21.07.20017, letzte Aktualisierung 19.03.2018) zur Stellungnahme binnen 2 Wochen zu Kenntnis gebracht. Das Schreiben wurde der rechtsfreundlichen Vertretung des BF mit 30.08.2018 nachweislich übermittelt, wobei von der Möglichkeit zur Stellungnahme bis dato kein Gebrauch gemacht und auch keine aktuelle medizinische Behandlung mehr dargetan wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Der BF, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der Volksgruppe der Awaren an, ist Sunnit, hat im Herkunftsstaat in der Republik Dagestan gewohnt, reiste am 25.08.2014 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Vorbringen des BF, im Zusammenhang mit einem Autoverkauf im Herkunftsland von den Sicherheitskräften, die ihm eine islamistische Gesinnung und terroristische Straftaten unterstellen würden, sowie von islamistischen Extremisten verfolgt zu werden, hat sich als nicht glaubwürdig erwiesen. Der BF war im Herkunftsstaat politisch nicht aktiv.

Der BF genoss 10 Jahre Schuldbildung und hat einen Traktorführerschein. Im Herkunftsland arbeitete er als Landwirt. Von seinen damaligen Einkommen konnten der BF und seine Frau mit Kindern gut leben.

Der BF konnte bislang keine abgeschlossenen Deutschprüfungen oder sonst gute Deutschkenntnisse nachweisen. Er lebt in Österreich von der Grundversorgung und geht keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. In Österreich halten sich keine Familienangehörige des BF auf. Diese, nämlich seine Frau, 4 Töchter, 3 Schwestern und 5 Brüder, leben im Herkunftsland.

Der BF erkrankte an einem Tumor in der Harnblase und wurde deswegen in Österreich operiert bzw. hat er Chemotherapien absolviert. Es liegen keine Hinweise auf eine aktuelle Therapie vor. Unabhängig davon besteht im Herkunftsland grundsätzlich die Möglichkeit einer indizierten Behandlung eines Blasentumors.

Der BF ist arbeitsfähig und in der Lage sich seinen Lebensunterhalt in seinem Herkunftsland wie zuvor auch selbst zu erwirtschaften.

Dem BF droht bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kein reales Risiko einer Verletzung im Sinne der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK), oder der Prot. Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

1.2. Zur Situation in der Russischen Föderation bzw. Dagestan werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1. Politische Lage

Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 15.6.2017, vgl. GIZ 7.2017c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12. Juni 1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12. Dezember 1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte) (AA 3.2017a). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Amtsinhaber ist seit dem 7. Mai 2012 Wladimir Putin (AA 3.2017a, vgl. EASO 3.2017). Er wurde am 4. März 2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Seit der Wiederwahl von Staatspräsident Putin im Mai 2012 wird eine Zunahme autoritärer Tendenzen beklagt. So wurden das Versammlungsrecht und die Gesetzgebung über Nichtregierungsorganisationen erheblich verschärft, ein föderales Gesetz gegen "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen" erlassen, die Extremismus-Gesetzgebung verschärft sowie Hürden für die Wahlteilnahme von Parteien und Kandidaten beschlossen, welche die Wahlchancen oppositioneller Kräfte weitgehend zunichtemachen. Der Druck auf Regimekritiker und Teilnehmer von Protestaktionen wächst, oft mit strafrechtlichen Konsequenzen. Der Mord am Oppositionspolitiker Boris Nemzow hat das Misstrauen zwischen Staatsmacht und außerparlamentarischer Opposition weiter verschärft (AA 3.2017a). Mittlerweile wurden alle fünf Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldig gesprochen. Alle fünf stammen aus Tschetschenien. Der Oppositionelle Ilja Jaschin hat das Urteil als "gerecht" bezeichnet, jedoch sei der Fall nicht aufgeklärt, solange Organisatoren und Auftraggeber frei sind. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hat verlautbart, dass die Suche nach den Auftraggebern weiter gehen wird. Allerdings sind sich Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die die Interessen der Nemzow-Familie vertreten, nicht einig, wen sie als potenziellen Hintermann weiter verfolgen. Die staatlichen Anklagevertreter sehen als Lenker der Tat Ruslan Muchutdinow, einen Offizier des Bataillons "Nord", der sich in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt haben soll. Nemzows Angehörige hingegen vermuten, dass die Spuren bis "zu den höchsten Amtsträgern in Tschetschenien und Russland" führen. Sie fordern die Befragung des Vizebataillonskommandeurs Ruslan Geremejew, der ein entfernter Verwandter von Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow ist (Standard 29.6.2017). Ein Moskauer Gericht hat den Todesschützen von Nemzow zu 20 Jahren Straflager verurteilt. Vier Komplizen erhielten Haftstrafen zwischen 11 und 19 Jahren. Zudem belegte der Richter Juri Schitnikow die fünf Angeklagten aus dem russischen Nordkaukasus demnach mit Geldstrafen von jeweils 100.000 Rubel (knapp 1.500 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte für den Todesschützen lebenslange Haft beantragt, für die Mitangeklagten 17 bis 23 Jahre (Kurier 13.7.2017). Russland ist formal eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum (AA 3.2017a). Die siebte Parlamentswahl in Russland hat am 18. September 2016 stattgefunden. Gewählt wurden die 450 Abgeordneten der russischen Duma. Insgesamt waren 14 Parteien angetreten, unter ihnen die oppositionellen Parteien Jabloko und Partei der Volksfreiheit (PARNAS). Die Wahlbeteiligung lag bei 47,8%. Die meisten Stimmen bei der Wahl, die auch auf der Halbinsel Krim abgehalten wurde, erhielt die von Ministerpräsident Dmitri Medwedew geführte Regierungspartei "Einiges Russland" mit gut 54%. Nach Angaben der Wahlkommission landete die Kommunistische Partei mit 13,5% auf Platz zwei, gefolgt von der nationalkonservativen LDPR mit 13,2%. Die nationalistische Partei "Gerechtes Russland" erhielt 6%. Diese vier Parteien waren auch bislang schon in der Duma vertreten und stimmten in allen wesentlichen Fragen mit der Mehrheit. Den außerparlamentarischen Oppositionsparteien gelang es nicht die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. In der Duma verschiebt sich die Macht zugunsten der Regierungspartei "Einiges Russland". Die Partei erreicht im Parlament mit 343 Sitzen deutlich die Zweidrittelmehrheit, die ihr nun Verfassungsänderungen ermöglicht. Die russischen Wahlbeobachter von der NGO Golos berichteten auch in diesem Jahr über viele Verstöße gegen das Wahlrecht (GIZ 4.2017a, vgl. AA 3.2017a). Das Verfahren am Wahltag selbst wurde offenbar korrekter durchgeführt als bei den Dumawahlen im Dezember 2011. Direkte Wahlfälschung wurde nur in Einzelfällen gemeldet, sieht man von Regionen wie Tatarstan oder Tschetschenien ab, in denen Wahlbetrug ohnehin erwartet wurde. Die Wahlbeteiligung von über 90% und die hohen Zustimmungsraten in diesen Regionen sind auch nicht geeignet, diesen Verdacht zu entkräften. Doch ist die korrekte Durchführung der Abstimmung nur ein Aspekt einer demokratischen Wahl. Ebenso relevant ist, dass alle Bewerber die gleichen Chancen bei der Zulassung zur Wahl und die gleichen Möglichkeiten haben, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Der Einsatz der Administrationen hatte aber bereits im Vorfeld der Wahlen - bei der Bestellung der Wahlkommissionen, bei der Aufstellung und Registrierung der Kandidaten sowie in der Wahlkampagne - sichergestellt, dass sich kein unerwünschter Kandidat und keine missliebige Oppositionspartei durchsetzen konnte. Durch restriktives Vorgehen bei der Registrierung und durch Behinderung bei der Agitation wurden der nichtsystemischen Opposition von vornherein alle Chancen genommen. Dieses Vorgehen ist nicht neu, man hat derlei in Russland vielfach erprobt und zuletzt bei den Regionalwahlen 2014 und 2015 erfolgreich eingesetzt. Das Ergebnis der Dumawahl 2016 demonstriert also, dass die Zentrale in der Lage ist, politische Ziele mit Hilfe der regionalen und kommunalen Verwaltungen landesweit durchzusetzen. Insofern bestätigt das Wahlergebnis die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Apparats und die Wirksamkeit der politischen Kontrolle. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Erhaltung der politischen Stabilität (RA 7.10.2016).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (3.2017a): Russische Föderation - Innenpolitik,

http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html, Zugriff 21.6.2017

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CIA - Central Intelligence Agency (15.6.2017): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 21.6.2017

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 21.6.2017

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 11.7.2017

-

Kurier.at (13.7.2017): Nemzow-Mord: 20 Jahre Straflager für Mörder,

https://kurier.at/politik/ausland/nemzow-mord-20-jahre-straflager-fuer-moerder/274.903.855, Zugriff 13.7.2017

-

RA - Russland Analysen (7.10.2016): Nr. 322, Bewegung in der russischen Politik?,

http://www.laender-analysen.de/russland/pdf/RusslandAnalysen322.pdf, Zugriff 21.6.2017

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Standard (29.7.2017): Alle Angeklagten im Mordfall Nemzow schuldiggesprochen,

http://derstandard.at/2000060550142/Alle-Angeklagten-im-Mordfall-Nemzow-schuldig-gesprochen, Zugriff 30.6.2017

1.2. Dagestan

Dagestan belegt mit einer Einwohnerzahl von knapp drei Millionen Menschen (2% der Gesamtbevölkerung Russlands) den dritten Platz unter den Republiken der Russischen Föderation. Über die Hälfte der Einwohner (54,9%) sind Dorfbewohner. Die Bevölkerung in Dagestan wächst verhältnismäßig schnell. Im Unterschied zu den faktisch monoethnischen Republiken Tschetschenien und Inguschetien setzt sich die Bevölkerung Dagestans aus einer Vielzahl von Ethnien zusammen. In der Republik gibt es 60 verschiedene Nationalitäten, einschließlich der Vertreter der 30 alteingesessenen Ethnien. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Dieser Umstand legt die Vielzahl der in Dagestan wirkenden Kräfte fest, begründet die Notwendigkeit eines Interessenausgleichs bei der Lösung entstehender Konflikte und stellt ein Hindernis für eine starke autoritäre Zentralmacht in der Republik dar. Allerdings findet dieser "Interessenausgleich" traditionellerweise nicht auf dem rechtlichen Wege statt, was in Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Clans münden kann. Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014, vgl. ACCORD 14.4.2017).Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands, in der der Staat mit aller Härte gegen "Aufständische" vorgeht. Die weit überwiegende Anzahl von Gewaltopfern war in den Jahre 2015 und 2016 in Dagestan zu verzeichnen. Aktionen von Sicherheitskräften nehmen auch die Familienangehörigen von bewaffneten Untergrundkämpfern ins Visier (AA 24.1.2017). Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien. Ebenso existiert - anders als in der Nachbarrepublik - zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Wie im Abschnitt über Dagestans Völkervielfalt erwähnt, stützt die ethnische Diversität ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen. So hatte der Vielvölkerstatus der Republik das Amt eines Präsidenten oder Republikführers lange Zeit verhindert. Erst Anfang 2006 setzte der Kreml den Awaren Muchu Alijew als Präsidenten an die Spitze der Republik. Alijew war in sowjetischer Zeit ein hochrangiger Parteifunktionär und bekleidete danach zehn Jahre lang den Vorsitz im Parlament Dagestans. Er galt als "Mann des Volkes" in einer Republik, in der politische Macht bislang an die Unterstützung durch lokale und ethnische Seilschaften gebunden war. Alijew, so schien es anfangs, stand über diesen Clan-Welten. Doch die Hoffnung auf Korruptionsbekämpfung und bessere Regierungsführung wurde enttäuscht. Moskau ersetzte ihn 2009 durch Magomedsalam Magomedow, einen Sohn des langjährigen Staatsratsvorsitzenden, der als Präsidentenersatz fungiert hatte. Damit verschob sich die politische Macht im ethnischen Spektrum von den Awaren wieder zu den Darginern. Der neue Präsident war mit Hinterlassenschaften der 14-jährigen Herrschaft seines Vaters Magomedali Magomedow konfrontiert, die sein Amtsvorgänger Alijew nicht hatte bewältigen können. Das betraf vor allem Korruption und Vetternwirtschaft. In Dagestan bemühte sich Magomedow vor allem um einen Dialog zwischen den konfessionellen Konfliktparteien der Sufiten und Salafisten und um eine Reintegration der "Waldbrüder", des bewaffneten Untergrunds also, in die Gesellschaft. Er berief auch einen dagestanischen Völkerkongress mit fast 3.000 Teilnehmern ein, der im Dezember 2010 religiösen Extremismus und Terrorismus verdammte und die Bevölkerung aufrief, den Kampf gegen den bewaffneten Untergrund zu unterstützen. Ein Ergebnis des Kongresses war die Schaffung eines Komitees für die Reintegration von Untergrundkämpfern. Doch auch Magomedsalam Magomedow gelang es nicht, die Sicherheitslage in Dagestan zu verbessern. Anfang 2013 ersetzte der Kreml Magomedow durch Ramsan Abdulatipow, den in Moskau wohl bekanntesten Dagestaner. Abdulatipow galt dort als Experte für interethnische Beziehungen und religiöse Konflikte im Nordkaukasus; 1999/2000 hatte er kurzzeitig das ein Jahr später abgeschaffte föderale Ministerium für Nationalitätenbeziehungen geleitet. Damit trat abermals ein Hoffnungsträger an die Spitze der Republik, der als Erstes der Korruption und dem Clanismus den Kampf ansagte. Abdulatipows Kampf gegen Korruption und Nepotismus führte zwar zum Austausch von Personal, doch die Strukturen, die dem Problem zugrunde liegen, wurden kaum angetastet. Es war auch nicht zu erwarten, dass sich ein Phänomen wie das Clan- und Seilschaftsprinzip, das für Dagestan so grundlegende gesellschaftlich-politische Bedeutung hat, ohne weiteres würde überwinden lassen. Dieses Prinzip wird nicht nur durch ethnische, sondern auch durch viele andere Zuordnungs- und Gemeinschaftskriterien bestimmt und prägt Politik wie Geschäftsleben der Republik auf entscheidende Weise. Zudem blieb der Kampf gegen den bewaffneten Untergrund oberste Priorität, was reformpolitische Programme in den Hintergrund rückte. Dabei zeugt die Praxis der Anti-Terror-Operationen in der Ära Abdulatipow von einer deutlichen Stärkung der "Siloviki", das heißt des Sicherheitspersonals. Zur Bekämpfung der Rebellen setzt der Sicherheitsapparat alte Methoden ein. Wie in Tschetschenien werden die Häuser von Verwandten der Untergrundkämpfer gesprengt, und verhaftete "Terrorverdächtige" können kaum ein faires Gerichtsverfahren erwarten. Auf Beschwerden von Bürgern über Willkür und Straflosigkeit der Sicherheitskräfte reagiert Abdulatipow mit dem Argument, Dagestan müsse sich "reinigen", was ein hohes Maß an Geduld erfordere (SWP 4.2015). Laut Swetlana Gannuschkina ist Abdulatipow ein alter sowjetischer Bürokrat. Sein Vorgänger Magomedsalam Magomedow war ein sehr intelligenter Mann, der kluge Innenpolitik betrieb. Er hatte eine Diskussionsplattform organisiert, wo verfeindete Gruppen miteinander gesprochen haben. Es ging dabei vor allem um den Dialog zwischen den Salafisten und den Anhängern des Sufismus. Unter ihm haben auch die außergerichtlichen Hinrichtungen von Seiten der Polizei aufgehört. Er hat eine sogenannte Adaptionskommission eingerichtet. Diese Kommission hatte die Aufgabe, Kämpfern von illegal bewaffneten Einheiten eine Rückkehr ins bürgerliche Leben zu ermöglichen. Diejenigen, die kein Blut an den Händen hatten, konnten mit Hilfe dieser Kommission wieder in der Gesellschaft Fuß fassen. Wenn sie in ihrem bewaffneten Widerstand Gewalt angewendet oder Verbrechen begangen hatten, wurden sie zwar verurteilt, aber zu einer geringeren Strafe. Auch diese Personen sind in die dagestanische Gesellschaft reintegriert worden. Mit der Ernennung Abdulatipows als Oberhaupt der Republik gab es keine Verhandlungen mehr mit den Aufständischen und er initiierte einen harten Kampf gegen den Untergrund. Dadurch stiegen die Terroranschläge und Gewalt in Dagestan wieder an (Gannuschkina 3.12.2014, vgl. AI 9.2013).

Quellen:

- ACCORD (14.4.2017): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen,

http://www.ecoi.net/news/190001::russische-foederation/120.sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen.htm, Zugriff 21.6.2017- AI - Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen, http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen, Zugriff 21.6.2017 - Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - IOM - International Organisation of Migration (6.2014):

Länderinformationsblatt Russische Föderation - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik,

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.6.2017

2.1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Zuletzt kam es am 3.4.2017 in Sankt Petersburg zu einem Anschlag in der Metro, der Todesopfer und Verletzte forderte. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 21.7.2017b). Den Selbstmordanschlag in der St. Petersburger U-Bahn am 3.4.2017 hat nach Angaben von Experten eine Gruppe mit mutmaßlichen Verbindungen zum islamistischen Terrornetzwerk Al-Qaida für sich reklamiert. Das Imam-Schamil-Bataillon habe den Anschlag mit 15 Todesopfern nach eigenen Angaben auf Anweisung des Al-Qaida-Chefs Ayman al-Zawahiri verübt, teilte das auf die Überwachung islamistischer Internetseiten spezialisierte US-Unternehmen SITE am Dienstag mit (Standard 25.4.2017). Der Selbstmordattentäter Akbarschon Dschalilow stammte aus der kirgisischen Stadt Osch. Zehn Personen, die in den Anschlag verwickelt sein sollen, sitzen in Haft, sechs von ihnen wurden in St. Petersburg, vier in Moskau festgenommen. In russischen Medien wurde der Name eines weiteren Mannes aus der Gegend von Osch genannt, den die Ermittler für den Auftraggeber des Anschlags hielten: Siroschiddin Muchtarow, genannt Abu Salach al Usbeki. Der Angriff, sei eine Vergeltung für russische Gewalt gegen muslimische Länder wie Syrien und für das, was in der russischen Nordkaukasus-Teilrepublik Tschetschenien geschehe; die Operation sei erst der Anfang. Mit Terrorangriffen auf und in Russland hatte sich zuletzt nicht Al-Qaida, sondern der sogenannte Islamische Staat gebrüstet, so mit jüngsten Angriffen auf Sicherheitskräfte in Tschetschenien und der Stadt Astrachan. Laut offizieller Angaben sollen 4.000 Russen und 5.000 Zentralasiaten in Syrien und dem Irak für den IS oder andere Gruppen kämpfen. Verteidigungsminister Schoigu behauptete Mitte März 2016, es seien durch Russlands Luftschläge in Syrien "mehr als 2.000 Banditen" aus Russland, unter ihnen 17 Feldkommandeure getötet worden (FAZ 26.4.2017). Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der IS Russland den Jihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an internationale Kooperation (SWP 4.2017). Russland hat den sog. IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016). Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen (SWP 10.2015). Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015). Innerhalb der extremistischen Gruppierungen ist ein Ansteigen der Sympathien für den IS - v.a. auch auf Kosten des sog. Kaukasus-Emirats - festzustellen. Nicht nur die bislang auf Propaganda und Rekrutierung fokussierte Aktivität des IS im Nordkaukasus erregt die Besorgnis der russischen Sicherheitskräfte. Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen kann man davon ausgehen, dass die Präsenz russischer Kämpfer in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasst. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2.12.2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27.7.2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erläutert, das im Vorjahr geschätzte 3.000 Kämpfer nach Russland aus den Kriegsgebieten in Syrien, Irak oder Afghanistan zurückkehrt seien, wobei 220 dieser Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen ständen. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet, in Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein (ÖB Moskau 12.2016). Der russische Präsident Wladimir Putin setzt tschetschenische und inguschetische Kommandotruppen in Syrien ein. Bis vor kurzem wurden reguläre russische Truppen in Syrien überwiegend als Begleitcrew für die Flugzeuge eingesetzt, die im Land Luftangriffe fliegen. Von wenigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen - der Einsatz von Artillerie und Spezialtruppen in der Provinz Hama sowie von Militärberatern bei den syrischen Streitkräften in Latakia - hat Moskau seine Bodeneinsätze bislang auf ein Minimum beschränkt. Somit repräsentiert der anhaltende Einsatz von tschetschenischen und inguschetischen Brigaden einen strategischen Umschwung seitens des Kremls. Russland hat nun in ganz Syrien seine eigenen, der sunnitischen Bevölkerung entstammenden Elitetruppen auf dem Boden. Diese verstärkte Präsenz erlaubt es dem sich dort langfristig eingrabenden Kreml, einen stärkeren Einfluss auf die Ereignisse im Land auszuüben. Diese Streitkräfte könnten eine entscheidende Rolle spielen, sollte es notwendig werden, gegen Handlungen des Assad-Regimes vorzugehen, die die weitergehenden Interessen Moskaus im Nahen Osten unterlaufen würden. Zugleich erlauben sie es dem Kreml, zu einem reduzierten politischen Preis seine Macht in der Region zu auszubauen (Mena Watch 10.5.2017). Welche Rolle diese Brigaden spielen sollen, und ihre Anzahl sind noch nicht sicher. Es wird geschätzt, dass zwischen 300 und 500 Tschetschenen und um die 300 Inguscheten in Syrien stationiert sind. Obwohl sie offiziell als "Militärpolizei" bezeichnet werden, dürften sie von der Eliteeinheit Speznas innerhalb der tschetschenischen Streitkräfte rekrutiert worden sein (FP 4.5.2017). Für den Kreml hat der Einsatz der nordkaukasischen Brigaden mehrere Vorteile. Zum einen reagiert die russische Bevölkerung sehr sensibel auf Verluste der russischen Armee in Syrien. Verluste von Personen aus dem Nordkaukasus würden wohl weniger Kritik hervorrufen. Zum anderen ist der wohl noch größere Vorteil jener, dass sowohl Tschetschenen, als auch Inguscheten fast alle sunnitische Muslime sind und somit derselben islamischen Richtung angehören, wie ein Großteil der syrischen Bevölkerung. Die mehrheitlich sunnitischen Brigaden könnten bei der Bevölkerung besser ankommen, als ethnisch russische Soldaten. Außerdem ist nicht zu vernachlässigen, dass diese Einsatzkräfte schon über Erfahrung am Schlachtfeld verfügen, beispielsweise vom Kampf in der Ukraine (FP 4.5.2017). Bis jetzt war der Einsatz der tschetschenischen und inguschetischen Bodentruppen auf Gebiete beschränkt, die für den Kreml von entscheidender Bedeutung waren. Obwohl es momentan eher unwahrscheinlich scheint, dass die Rolle der nordkaukasischen Einsatzkräfte bald ausgeweitet wird, agieren diese wohl weiterhin als die Speerspitze in Moskaus Strategie, seinen Einfluss in Syrien zu vergrößern (FP 4.5.2017). Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.7.2017b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html, Zugriff 21.7.2017

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FAZ (26.4.2017):"Erst der Anfang", http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/anschlag-in-st-petersburg-russland-steht-im-visier-von-terror-14989012.html, Zugriff 21.7.2017

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FP - Foreign Policy (4.5.2017): Putin has a new secret weapon in Syria: Chechens,

http://foreignpolicy.com/2017/05/04/putin-has-a-new-secret-weapon-in-syria-chechens/, Zugriff 21.7.2017

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ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf, S. 16-18, Zugriff 21.7.2017

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Mena Watch (10.5.2017): Russland setzt auf sunnitische Soldaten in Syrien,

http://www.mena-watch.com/russland-setzt-auf-sunnitische-soldaten-in-syrien/, Zugriff 21.7.2017

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Standard (25.4.2017): Al-Kaida reklamiert Anschlag auf U-Bahn in St. Petersburg für sich,

https://derstandard.at/2000056544365/Al-Kaida-reklamiert-Anschlag-auf-U-Bahn-in-St-Petersburg?ref=rec, Zugriff 21.7.2017

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 21.7.2017 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern,

http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 21.7.2017

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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