TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/24 W182 2106368-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2018
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Entscheidungsdatum

24.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9

Spruch

W182 2106370-2/3E

W182 2106368-2/3E

W182 2106367-2/3E

W182 2106366-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX ,

3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Hans Peter KANDLER, gegen Spruchpunkt II. der Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.09.2018, Zl. ad 1.) 1038387507 - 180279620/BMI-EAST_OST, ad 2.) 1032071307 - 180279638/ BMI-EAST_OST, ad 3.) 1032071100 - 180279646/BMI-EAST_OST und ad 4.) 1032071307-180279638/ BMI-EAST_OST, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I. Nr. 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerden werden gemäß §§ 10 Abs. 1 Z 3, 57 Asylgesetz 2005

(AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, und §§ 52 Abs. 2 Z 2, 52 Abs. 9, 46 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien (im Folgenden: BF), ein Ehepaar und ihre zwei minderjährigen Kinder, sind russische Staatsangehörige und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) stellte am 20.10.2014 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz. Seine Gattin, die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) stellte für sich und ihre minderjährigen Kinder (den Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin, im Folgenden: BF3 und BF4) bereits am 28.09.2014 Anträge auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 03.09.2014 sowie in einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 11.03.2015 begründete der BF1 seine Antragstellung im Wesentlichen damit, dass er in Tschetschenien Probleme mit der örtlichen Polizei habe, da er von 1996 bis 1998 für die Polizei für den XXXX gearbeitet habe. 1999 sei er in die Ukraine gegangen und dann aufgrund des Krieges in der Ukraine wieder ins Herkunftsland zurückgekehrt. 2014 sei der BF1 in Tschetschenien drei Mal verhaftet und mit Folter und Gefängnis bedroht worden. Auch benötige er medizinische Versorgung, da er an HIV leide. Dazu legte er entsprechende medizinische Unterlagen vor.

Die BF2 begründete ihre Antragstellung im Wesentlichen mit den Fluchtgründen ihres Gatten, wobei auch ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten.

1.2. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 27.03.2015, Zlen. 1.) 1038387507-140085575, 2.) 1032071307-140014481, 3.) 1032071100-140014490 und 4.) 1032071209-140014503, zugestellt am 31.03.2015, wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Den BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit zwei Wochen festgelegt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das Fluchtvorbringen des BF1 als unglaubwürdig erwiesen habe.

1.3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.04.2017 mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.06.2017, Zlen. 1.) W221 2106370-1/13E, 2.) W221 2106368-1/10E, 3.) W221 2106367-1/8E und 4.) W221 2106366-1/8E, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 9 iVm § 50 FPG als unbegründet abgewiesen und gemäß § 55 Abs. 2 und 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise bis zum 16.08.2017 festgesetzt.

In den Entscheidungen wurde u.a. festgestellt, dass die BF vor ihrer Ausreise in Grosny in einem Haus, das sich noch immer im Eigentum des BF1 befinde, gelebt haben. Von 2000 bis 2011 habe der BF1 in der Ukraine, wo sich noch seine Ex-Frau und sein Sohn aus erster Ehe befinden, gelebt. Ab 2003 habe auch die BF2 bei dem BF1 in der Ukraine gelebt. Von 2011 bis Februar 2014 haben die BF in einer russischen Stadt an der Grenze zur Ukraine gelebt. Der BF1 habe in der Ukraine als Kampfsporttrainer und in der russischen Stadt als Transportunternehmer gearbeitet. Die BF2 habe im Herkunftsland vor ihrer standesamtlichen Eheschließung XXXX mit dem BF1 als Verkäuferin in einer Apotheke gearbeitet. Der BF1 und die BF2 seien arbeitsfähig. In der Russischen Föderation leben die Eltern und der Bruder der BF2 in XXXX und eine Schwester in XXXX . Zwei Brüder und eine Schwester des BF1 leben in XXXX , Tschetschenien.

Das vom BF1 ins Treffen geführte Fluchtvorbringen habe nicht festgestellt werden können. Die BF2 bis BF4 haben keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Die BF könnten sich jedenfalls auch in einem anderen Landesteil (außerhalb Tschetscheniens) niederlassen.

Es habe ferner nicht festgestellt werden können, dass die BF im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die BF2 und der BF4 seien grundsätzlich gesund. Der BF1 leide seit 2011 an HIV - Kategorie A2, im Wesentlichen ohne Symptome. Die Erkrankung sei im Zuge einer Blutuntersuchung im Vorfeld einer Operation in XXXX zur Entfernung eines Tumors im XXXX festgestellt worden. Der BF1 unterziehe sich in Österreich einer antiretroviralen Therapie unter der Einnahme des Medikaments XXXX . Kategorie 2 bedeute, dass zum Diagnosezeitpunkt 200-500 CD4-Zellen vorhanden gewesen seien. Unter dem Wert 200 bestehe die akute Gefahr, an AIDS erkranken zu können. Bei Abbruch der medikamentösen Behandlung besteht die Gefahr des Absinkens der CD4-Zellen unter den kritischen Wert von 200 und damit die Gefahr des Ausbruchs von AIDS. Das vom BF1 derzeit eingenommene Medikament XXXX sei in der Russischen Föderation über eine Online-Apotheke aus Deutschland bestellbar. Eine Packung mit 30 Stück Tabletten koste 1220,- Euro. Eine Packung reiche für einen Monat aus, da pro Tag eine Tablette eingenommen werde. In der Ukraine habe sich der BF1 über Bekannte ein Medikament besorgt, seine Schwester habe ihn finanziell unterstützt.

Die BF3 leide seit ihrem ersten Lebensjahr an Epilepsie. Sie befinde sich derzeit in medikamentöser Behandlung und habe auch bereits in der Russischen Föderation Medikamente erhalten. Die vom BF1 und der BF3 ins Treffen geführten Erkrankungen seien in der Russischen Föderation grundsätzlich behandelbar, sowohl bei HIV/AIDS als auch bei Epilepsie würden Medikamente gratis zur Verfügung gestellt.

Die BF befinden sich seit ihrer Antragsstellung auf internationalen Schutz am 28.09.2014 bzw. am 20.10.2014 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der BF1 und die BF2 haben Deutschbasiskurse für Asylsuchende besucht. Die BF3 besuche die Mittelschule. Der BF4 habe den Kindergarten besucht. Die BF3 sei bei XXXX eines Sportvereins aktiv gewesen und habe an Wettbewerben teilgenommen. Die BF haben österreichische Freunde. Sie beziehen seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes, leben in einem Flüchtlingsheim und seien nicht selbsterhaltungsfähig. Der BF1 habe 2016 für ein Unternehmen drei Monate Aufräumarbeiten erledigt. Er habe weiters eine Einstellungszusage vom 14.04.2017 vorgelegt, wonach er im Fall einer gültigen Arbeitsbewilligung in der Firma seines Cousins Waren transportieren könne. Die BF seien in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Zu den Rückkehrentscheidungen wurde begründend ausgeführt:

"[...] Die BF halten sich erst seit ihrer Asylantragstellung am 28.09.2014 bzw. am 20.10.2014 im Bundesgebiet auf und verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts des Asylverfahrens. Die BF sind illegal nach Österreich eingereist und stellten in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz, der sich als unberechtigt erwiesen hat. Die Dauer der Verfahren übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).

Dass die BF strafrechtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Der BF1 und die BF2 verfügen über starke Bindungen zum Herkunftsstaat: Insbesondere die Geschwister des BF1 sowie die Eltern und Geschwister der BF2 halten sich dort auf. Der BF1 und die BF2, die im Alter von XXXX bzw. XXXX Jahren nach Österreich eingereist sind, haben bis zur Ausreise den Großteil ihres Lebens in der Russischen Föderation verbracht. Sie beherrschen sowohl Tschetschenisch als auch Russisch und erfuhren dort ihre Schulbildung. Der BF1 hat zuletzt als Transportunternehmer gearbeitet und die BF2 arbeitete vor ihrer Heirat in einer Apotheke als Verkäuferin. Es ist daher davon auszugehen, dass sie sich nach drei Jahren Abwesenheit vom Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können werden.

Im Gegensatz dazu sind der BF1 und die BF2 in Österreich schwächer integriert: Der BF1 und die BF2 verfügen über Deutschkenntnisse auf Basisniveau. Sie nehmen aber darüber hinaus keine Bildungsmaßnahmen in Anspruch. Die BF haben österreichische Freunde, mit denen sie in Kontakt stehen und halfen in XXXX ab und zu bei Veranstaltungen mit. Durch ihren Umzug haben sie in XXXX bisher noch keinen Anschluss gefunden. Der BF1 erledigte für zwei Monate für ein Unternehmen Aufräumarbeiten, jedoch sind die BF nicht selbsterhaltungsfähig und leben von der Grundversorgung. Aus der vorgelegten bedingten Einstellungszusage eines potentiellen zukünftigen Arbeitgebers hinsichtlich des BF1 ist nicht ein bereits erreichter Grad an Integration in wirtschaftlicher Hinsicht ableitbar, sondern bloß die noch ungewisse Möglichkeit deren künftigen Eintretens. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht hat, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage oder Arbeitsplatzzusage eines Asylwerbers, der lediglich über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz und über keine Arbeitserlaubnis verfügt hat, keine wesentliche Bedeutung zukommt (VwGH 22.02.2011, 2010/18/0323 mit Hinweis auf VwGH 15.09.2010, 2007/18/0612 und 29.06.2010, 2010/18/0195 jeweils mwN).

Der BF1 und die BF3 nehmen auch medizinische Leistungen in Österreich in Anspruch. Diesem Umstand kommt Bedeutung zu und verstärkt ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich (vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146). Auf die Ermöglichung der nächsten Untersuchung der BF3 wird bei der Erstreckung der Frist zur freiwilligen Ausreise Rücksicht genommen (siehe gleich unten), darüber hinaus ist die Epilepsie auch in der Russischen Föderation kostenlos behandelbar. Der BF1 kann hier in Österreich sein Medikament kostenfrei beziehen, zur grundsätzlichen Behandelbarkeit seiner HIV-Erkrankung siehe jedoch bereits die Ausführungen zum subsidiären Schutz.

Soweit, wie im vorliegenden Fall, Kinder von der Rückkehrentscheidung betroffen sind, sind nach der Judikatur des EGMR die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 18.10.2006, Üner gegen die Niederlande, Beschwerde Nr. 46410/99, Rz 58, und vom 6.07.2010, Neulinger und Shuruk gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 41615/07, Rz 146). Maßgebliche Bedeutung hat der EGMR dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).

Die XXXX BF3 und der XXXX BF4 sind in der Russischen Föderation geboren. Die BF3 besuchte bis zur Ausreise 2014 die Schule im Herkunftsstaat, in welcher der Unterricht auf Russisch durchgeführt wird. Sie war sportlich sehr aktiv und nahm an Wettkämpfen teil. Die minderjährigen BF sind im Familienverband mit den Eltern aufgewachsen, weshalb davon auszugehen ist, dass sie mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes und ihrer Muttersprache vertraut gemacht wurden. Die Eltern sprechen mit ihren Kindern hauptsächlich Tschetschenisch.

Die BF3 besucht in Österreich nunmehr die dritte Klasse einer Mittelschule. Sie hat in Österreich einige Freunde und war in XXXX in einem XXXX aktiv. Sie befindet sich mit XXXX Jahren zwar nicht mehr im anpassungsfähigen Alter, das in der Rechtsprechung der Höchstgerichte zwischen sieben und elf Jahren angenommen wird (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua., sowie VwGH 19.09.2012, 2012/22/0143 ua.), jedoch hat sie ihr Heimatland erst im Alter von XXXX Jahren verlassen und demnach mehr als die Hälfte ihres bisherigen Lebens und zum überwiegenden Teil auch ihr anpassungsfähiges Alter in ihrer Heimat verbracht und dort bereits auch die grundsätzliche Sozialisierung erfahren, was eine Wiedereingliederung jedenfalls ermöglicht.

Der XXXX BF4 ist in der Russischen Föderation geboren und hat hier seine Sozialisation eben erst begonnen, weshalb diese nicht als dermaßen fortgeschritten angesehen werden kann, dass sie nicht auch in seinem Herkunftsstaat fortgesetzt werden könnte, zumal er im Heimatland weiter in Obsorge seiner Eltern sein wird und ihm deren Begleitung die Eingliederung in den Herkunftsstaat erleichtern wird (zur Sozialisation von Kindern etwa nach Vollendung des dritten Lebensjahres vgl. VwSlg. 14972 A/1998 und VwGH 19.01.2006, 2005/21/0297).

Das Interesse der BF an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sich der BF1 und die BF2 bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein mussten: Die BF durften sich hier bisher nur aufgrund ihrer zwei Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).

Den minderjährigen Kindern kann auch dies nicht in gleichem Maß zugerechnet werden wie ihren Obsorgeberechtigten (VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013). Dennoch überwiegen aufgrund der vorliegenden Umstände die öffentlichen Interessen auch im Hinblick auf den BF4 und die BF3, denn die von den BF insgesamt dargelegten integrationsbegründenden Umstände stellen sich vor dem Hintergrund der Aufenthaltsdauer nicht als derart außergewöhnlich dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Rückkehrentscheidung hätte Abstand genommen und akzeptiert werden müssen, dass die BF mit ihrem Verhalten letztlich versucht haben, in Bezug auf ihren Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen.

Das Bundesverwaltungsgericht kann keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat erkennen. Insbesondere führt der oben angestellte Vergleich zwischen den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen der BF in Österreich mit jenen in der Russischen Föderation zu dem Schluss, dass die BF in ihrem Herkunftsstaat, in welchem sie über Jahrzehnte und somit den prägenden und weit überwiegenden Teil ihres Lebens verbracht haben, über eine gesicherte wirtschaftliche Existenz und über weit mehr familiäre und soziale Anknüpfungspunkte verfügt, als dies in Österreich der Fall ist.

Diesen im Vergleich schwächer ausgeprägten privaten Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

Die BF vermochten zum Entscheidungszeitpunkt daher wenig entscheidungserheblichen integrativen Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet darzutun, welche zu einem Überwiegen der privaten Interessen der BF an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat führen könnten.

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich.

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der BF im Bundesgebiet das persönliche Interesse der BF am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.[...]"

Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Beschlüssen des Verfassungsgerichtshofes vom 11.10.2017, Zlen. E 2671-2672/2017-7, E 2679/2017-7, E 2681/2017-7 abgelehnt.

2. Am 21.03.2018 stellten die BF neuerlich Anträge auf internationalen Schutz (1. Folgeantrag).

In einer Erstbefragung am 21.03.2018 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes wurde die neuerliche Antragstellung für den BF1 im Beisein seines rechtsfreundlichen Vertreters im Wesentlichen damit begründet, dass die alten Fluchtgründe aufrecht bleiben und "neue dazu kommen" würden. Diesbezüglich wurde weiters vorgebracht, dass der BF seit ca. 5 - 6 Jahren an HIV erkrankt sei und einen Kopftumor habe, der behandelt bzw. operiert werden müsse. Dazu wurde auf ein vorgelegtes, als neuropsychiatrischer Befundbericht und gutachterliche Stellungname betiteltes Schreiben eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie neuropsychiatrischen Sachverständigen vom 21.02.2018 verwiesen und insbesondere die Selbstmordgefährdung des BF1 im Falle einer Abschiebung hervorgehoben. Der BF genieße in Österreich eine hervorragende medizinische Behandlung und müsse einmal im Monat persönlich vorstellig werden, um seine Krankheit behandeln bzw. überprüfen zu lassen. Die medizinische Behandlung existiere in seinem Heimatland nicht. Bei einer Rückkehr befürchte er den Tod durch die Behörden bzw. im Falle einer Nichtbehandlung Tod und Selbstmord. Dazu befragt, wann ihm die Änderungen der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt gewesen seien, gab er an, dass dies seit der Diagnose in Österreich und der massiven Verschärfung der Verfolgung in seiner Heimat im vorigem Jahr der Fall sei. In seiner Pension, wo er wohne, hätten sich zwei Afghanen nach Erhalt negativer Bescheide umgebracht. Sein Cousin könnte den BF1 in den Firmen, wo er Geschäftsführer sei, einstellen. Dazu wurden entsprechende Einstellungszusagen vorgelegt.

Das vorgelegte "Gutachten" vom 21.02.2018 basiert auf einer Befragung des BF1 und dessen als Dolmetscher anwesenden Cousins durch den Facharzt im Beisein des rechtsfreundlichen Vertreters des BF1, wobei der BF1 dem Gutachten zufolge zu seiner Gesundheitssituation im Wesentlichen schilderte, dass seine HIV-Infektion als einziges gut gelaufen sei, er dazu eine Vielzahl von Medikamenten bekommen und er regelmäßige Kontrollen erhalten habe und sich (diesbezüglich) gesundheitlich wohl fühle. Seit 2 Monaten habe er starke Schmerzen in beiden Ober- und Unterschenkeln, wobei von ärztlicher Seite von einem möglichen Knochentumor oder von Knochenaufweichung gesprochen worden sei und die Durchuntersuchungen dazu angelaufen seien. Der BF1 sei davon natürlich sehr beunruhigt. Weiters habe er in den letzten 4 Wochen zunehmend Kopfschmerzen bekommen. Er sei 2011 in der Ukraine an einem Kopftumor operiert worden, dabei habe man ihn wahrscheinlich mit HIV infiziert, eine zweite Operation 2012 in Moskau sei notwendig gewesen, dabei sei die HIV-Infektion festgestellt worden. Alle diese Gesundheitsstörungen würden bei einer Ausweisung aus Österreich ungeklärt und unbehandelt bleiben. Im November 2017 sei seine Berufung im Asylverfahren abgelehnt worden und sei der BF1 diesbezüglich am Boden zerstört gewesen. Es sei klar gewesen, dass er nach einer Abschiebung nach Tschetschenien zusammen mit seiner Frau und der XXXX jährigen Tochter, die an Epilepsie leide und eine aufwendige Medikation benötige, um anfallsfrei bzw. anfallsarm zu bleiben, keinerlei wirtschaftliche Grundlage zu überleben habe. Der BF1 könne die notwendigen Medikamente, die im bisher in Österreich so genutzt hätten, in Tschetschenien nicht bekommen und werde er bald sterben und die Familie unversorgt zurücklassen müssen, wobei die Tochter wieder häufige epileptische Anfälle bekommen werde. Den Angaben seines Cousins zufolge sei der BF1 nach Kenntnis der negativen Asylentscheidungen verzweifelt und deprimiert gewesen, habe von einer aussichtslosen Lage gesprochen, dass in seiner Situation ein Leben in Tschetschenien unmöglich sei und er sich mit Sicherheit vorher umbringen werde. Er rechne mit einem Selbstmord des BF1, wenn er mit Gewalt weggebracht werde. Das Gutachten enthält die Diagnose:

"1. XXXX ". Dazu wurde im Wesentlichen vom Facharzt ausgeführt, dass unter den gegebenen Umständen die Angst des BF1, durch die Abschiebung in den Tod geschickt zu werden, sehr realistisch erscheine. Weder die Weiterbehandlung der HIV- Erkrankung, noch eine Abklärung der anderen obigen Verdachtsdiagnosen, noch eine modernen Standards entsprechende Behandlung der Epilepsie seiner Tochter sei in Tschetschenien zu erwarten, zumal der BF1 dort auch mit politischen Repressalien wegen seiner früheren Tätigkeit zu rechnen habe. Die Ankündigung eines Suizids des BF1 sei bei einer Zwangsabschiebung hier sehr ernst zu nehmen.

Dem Gutachten liegen keine Befunde zugrunde und wird lediglich auf eine Begutachtung im Juli 2017 durch den Facharzt verwiesen.

Die BF2 begründete in der Erstbefragung ihre Antragstellung im Wesentlichen mit den gesundheitlichen Problemen ihres Gatten und ihrer Tochter, wobei ihr Gatte auch Probleme mit den tschetschenischen Behörden habe, welche sich seit dem Vorjahr massiv verschärft hätten. Im Herkunftsland würde keine ausreichende medizinische Versorgung existieren, was für den Gatten den Tod zur Folge hätte. Ihr Gatte sei dreifach lebensgefährdet, im drohe der Tod durch die Behörden, der Tod, weil er keine medizinische Behandlung seiner Krankheit erhalte und er massiv selbstmordgefährdet sei. Die BF2 selbst befürchte im Herkunftsland unmenschliche Behandlung durch die Behörden bis hin zum Tod. Für den BF4 machte die BF2 keine eigenen Fluchtgründe geltend. Die BF2 legte unter anderem ein Bestätigungsschreiben der Diakonie, wonach die BF2 das Grundversorgungsquartier durch Reinigungs- und sonstige Unterstützungsleistungen unentgeltlich unterstütze, eine Kursbesuchsbestätigung sowie ein Schreiben einer karitativen Organisation, wonach die BF2 ein einwöchiges Projekt dieser Organisation in ihrem Grundversorgungsquartier als Köchin unterstützt habe.

Die BF3 brachte im Wesentlichen vor, dass sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder 2014 nach Österreich eingereist sei, wobei sie nicht wisse, welche Probleme ihre Eltern, insbesondere ihr Vater in der Heimat haben. Sie sei nach Österreich mitgereist, weil ihre Eltern dies so entschieden hätten. Sie besuche die zweite Klasse Mittelschule, spreche gut Deutsch und habe ein gutes Semesterzeugnis. Sie leide an Epilepsie und werde im Krankenhaus diesbezüglich behandelt und verwies diesbezüglich auf einen neuropsychiatrischen Befundbericht des bereits genannten Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 18.07.2017, der hinsichtlich der BF3 folgenden Diagnose enthält: "Generalisierende Epilepsie unter Medikation seit 7 Monaten untertags anfallsfrei, Belastungsreaktion mit Angst und Depression, Belastungsreaktion mit ängstlichen und depressiven Entwicklungen". Dazu wurde im Befund weiter ausgeführt, dass das 13-jährige Mädchen einer regelmäßigen über Jahre laufenden neurologischen Betreuung mit EEG Kontrollen und Spezialuntersuchungen wie Blutspiegelkontrollen, Langzeit EEG, Schlaf EEG etc. bedürfe. Die Medikation müsse laufend überprüft werden, Dosissteigerungen und wahrscheinlich Kombination mit einem zweiten modernen Medikament würden notwendig sein. Zudem sei eine stabile, vertrauensvolle Beziehung zu den Therapeuten für das Mädchen notwendig. Das massiv paroxysmale EEG habe sich bereits gebessert, weitere Anfälle infolge ungenügender Medikation würden es wieder verschlechtern und diese sehr erfreuliche Entwicklung des auffallend gut begabten Mädchens infrage stellen bzw. umkehren. Eine solche Betreuung sei in dem Land, aus dem die Familie geflüchtet sei, in der notwendigen Form und Qualität auch im Hinblick auf die bisher getroffenen Maßnahmen nicht möglich.

Der Befundbericht stützt sich im Wesentlichen auf ein Gespräch des Facharztes mit der BF3, einen Befundbericht eines Neuropsychiaters vom 05.07.2017 mit der Diagnose zerebrale Anfälle (kryptogenetisch?) und Belastungssituation wegen Abschiebung, wobei auf eine Voruntersuchung im Juni 2016 mit hochpathologischen EEG nach einem epileptischen Anfall verwiesen wird, sowie einen Ambulanzbefund vom 06.07.2017 mit Diagnose Migräne und generalisierter Epilepsie. Dem Befundbericht ist u.a. zu entnehmen, dass die BF3 laut Angaben ihrer Eltern bis etwa zum fünften Lebensjahr epileptische Anfälle gehabt habe, wobei sie damals im Herkunftsland mit XXXX behandelt bzw. einmal auf XXXX eingestellt worden sei, wobei die Anfälle sehr selten geworden seien und sie wahrscheinlich sechs Jahre anfallsfrei gewesen sei. 2016 habe sie, nachdem sie schon viele Jahre keine Tabletten mehr genommen habe, einen Anfall erlitte und sei von Neuropsychiater behandelt worden, der wieder XXXX verordnet habe.

In einer Einvernahme beim Bundesamt am 12.07.2018 brachte der BF im Beisein seines rechtfreundlichen Vertreters sowie einer Dolmetscherin für die russische Sprache im Wesentlichen vor, dass er sich seit Oktober 2014 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Österreich aufhalte und nicht ins Herkunftsland zurückkehren könne, weil er befürchte, dort von der Polizei inhaftiert zu werden und dort sicher keine notwendige medizinische Behandlung bekomme. Zu der Gefährdung durch die Polizei befragt, gab der BF ausdrücklich an, dass sich diesbezüglich seit der letzten Entscheidung nichts geändert habe. Das Problem bestehe seit 1999 oder 2001 und beruhe im Wesentlichen darauf, dass der BF damals bei der Polizei unter XXXX gedient habe und sich nach dem Machtwechsel geweigert habe, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten. Derzeit gebe es keine neuen Probleme im Bezug auf sein Herkunftsland, weil er in Österreich sei. Zur aktuellen ärztlichen Betreuung bzw. Therapien befragt, gab der BF1 im Wesentlichen an, dass er wegen HIV regelmäßig Medikamente einnehmen müsse, wobei es sich um ein Medikament handle, und er einmal in zwei Monaten einen Kontrolltermin im Krankenhaus habe. Die Erkrankung sei 2011 diagnostiziert worden. Diesbezüglich habe er im Herkunftsland nicht wirklich eine ärztliche Behandlung gehabt und ein Medikament aus der Ukraine bezogen. Weiters habe der BF einen Tumor. Zu letzterem befragt, gab der BF an, dass er 2011 diesbezüglich im Herkunftsland operiert worden sei und zuerst ein bösartiger Tumor diagnostiziert worden wäre. Nach einem halben Jahr hätten sie jedoch gesagt, dass der Tumor gutartig sei. Letztere Diagnose sei auch von den Ärzten in Österreich bestätigt worden. Befragt, seit wann er in Österreich wegen des Tumors behandelt werde, gab der BF1 an, seitdem er hier sei. Dazu befragt, ob sich seit der rechtskräftigen Entscheidung im Vorverfahren irgendetwas Wesentliches in seinem Leben verändert habe, gab der BF1 an: "Ja mein gesundheitlicher Zustand ist nicht so gut, wenn ich zb. Stress habe, verschlechtern sich meine Befunde. Das zeigt sich an den Befunden der Untersuchungsergebnisse im XXXX . Die Werte sind dann immer schlechter. Es ist schwer das alles so zu erklären, ich bin kein Mediziner. Mein Immunsystem ist von meiner Lebenssituation abhängig." Zu den im vorgelegten Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 21.02.2018 angeführten Schmerzen in den Beinen, wo ein Verdacht auf einen Knochentumor oder Knochenerweichung bestehen würde, befragt, gab der BF1 im Ergebnis an, dass die Ärzte ihm diesbezüglich mitgeteilt haben, dass er eine Osteoporose habe, Calcium nehme und im September wieder eine Kontrolle habe. Soweit der BF wisse, habe er einen gutartigen Tumor, und seien vor ca. 4 Monaten in einer Privatklinik Untersuchungen (MRT, CT und Befunde) gemacht worden, die sein Cousin habe. Auf Nachfragen seines rechtsfreundlichen Vertreters gab der BF dazu an, dass er einen Tumor im XXXX habe. Auf die Frage, was passiere, wenn er die Tabletten, die er täglich bis zu seinem Lebensende einnehmen müsse, nicht mehr einnehme, gab der BF1 an, dass er nach 3-4 Monaten sterben würde. Er würde an Schmerzen leiden und jeden Tag schwächer werden und jede Infektion könnte für ihn tödlich sein. Der BF wohne in Österreich mit seiner Familie in einer Pension, beziehe Grundversorgung und sei in Österreich bislang keiner Arbeit nachgegangen, weil er dies nicht dürfe. Zu seinem Beruf befragt, gab der BF1 an, dass er in der Ukraine als Kampftrainer gearbeitet habe. Er habe mit einem Auto Waren transportiert. Im Herkunftsland habe er sich selbst erhalten können. Er habe dort zwei Brüder und eine Schwester und sei mit diesen in Kontakt. Zuletzt habe er vor 2 Monaten mit ihnen telefoniert. Befragt, ob der BF1 Deutsch spreche, verneinte er dies und gab an "ein bisschen". Er habe einen "Deutschkurs Level 0" absolviert. Dazu wurde eine Bestätigung vorgelegt, wonach der BF1 im Juli 2017 an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen habe.

Die BF2 brachte beim Bundesamt im Wesentlichen vor, dass sie keine Verwandten in Österreich habe und im Herkunftsland ihre Eltern und Geschwister leben würden, wobei sie Kontakt zu diesen habe. So habe sie vor 2 Wochen mit ihrer Mutter gesprochen. Die BF2 sei Hausfrau und helfe unentgeltlich anderen Leuten bei Übersetzungen im Krankenhaus oder beim AMS. Sie habe viele Freunde in Österreich. Sie habe den neuen Antrag gestellt, weil ihr Gatte mit der Polizei im Herkunftsland und der Gesundheit Probleme habe. Er habe dort keine Chance zu leben. Ein Arzt in Österreich habe gesagt, dass die Medikamente, die der BF1 im Herkunftsland bekommen habe, starke Nebenwirkungen hätten, weshalb dieser auch bewusstlos gewesen sei. Wenn er diese Medikamente weiter nehmen würde, dann würde er nur noch ein halbes Jahr am Leben bleiben. In Österreich habe er gute Medikamente bekommen. Auf Nachfragen gab die BF2 an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Dazu befragt, was sich seit der rechtskräftigen Entscheidung im Vorverfahren Wesentliches in ihrem Leben geändert habe, gab die BF 2 an: "Ich bekomme jeden Tag Stress, das ist schlimm. Ich kann nicht mehr. Ich muss immer denken was passiert. Ich kann nicht mehr, es dauert schon so lange. Es dauert schon vier Jahre. Wir sehen immer, wenn die Polizei kommen. Ich kann nicht mehr. Ich muss immer denken, was danach passiert oder was am Morgen passiert." Bei einer Rückkehr ins Herkunftsland befürchte sie, dass sie wieder Probleme bekommen würden. Zu ihren Angaben bei der Erstbefragung, im Herkunftsland den Tod durch die Behörden zu befürchten, befragt, gab die BF2 dazu an, dass ihre ganze Familie dort keine Chance habe, zu überleben. Es sei schwer zuzuschauen, wie der eigene Gatte langsam sterbe. Was bleibe ihr übrig, Selbstmord?

Die BF3 brachte unter ergänzenden Angaben der BF2 im Wesentlichen vor, dass sie in Österreich die Neue Mittelschule besuche. Sie sei bei den XXXX gewesen, jetzt aber nicht mehr. Auf Nachfragen gab sie an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Zu ihrer Krankheit wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sie wegen Epilepsie 4 Tabletten ( XXXX ) pro Tag einnehmen müsse, wobei sie, wenn es ihr schlechter gehe, einmal im Monat, wenn es besser sei, alle sechs Monate einmal zur Kontrolle gehe müsse. Den letzten Anfall habe sie vor zwei Monaten gehabt, zurzeit gehe es ganz gut. Sie leide seit ihrem ersten Lebensjahr an Epilepsie und sei im Herkunftsland auch schon mit XXXX behandelt worden.

Dem BF1 wurde eine Frist von einer Woche eingeräumt, die Liste der Medikamente, Befunde zum Tumor und Berichte über seine Gesamtsituation nachzureichen. Bis dato wurden diesbezüglich keine Dokumente vorgelegt.

Aus einem vorgelegten Ambulanzbefund einer Landesklinik vom 14.07.2018 ist unter anderem zu entnehmen, dass die BF3 vom 13.07. bis 14.07.2018 wegen eines "fragl. epileptischen Anfalles" aufgenommen worden sei. Sie habe vor dem Anfall die verordneten Medikamente ( XXXX ) nur sehr sporadisch genommen, weil sie von diesen müde werde, wobei sie nochmals zur Notwendigkeit der Medikamenteneinnahme aufgeklärt worden sei. Die BF3 sei kardiospirat. stabil und neurologisch unauffällig, wobei auch das Labor keine Auffälligkeiten zeige und es auch zu keinen weiteren Krampfgeschehen gekommen sei.

3.1. Mit den nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 68 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. I Nr. 51/1991, wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß §§ 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt III).

Dazu wurde u.a. festgestellt, dass die Identität der BF feststehe. Der BF1 sei an HIV erkrankt und stehe zumindestens seit 2012 in Behandlung und werde mit XXXX medikamentös behandelt. Er habe einen Kopftumor bzw. gehabt, wegen dem er 2011 und 2012 operiert worden sei. Er habe eine Anpassungsstörung mit einer ausgeprägten depressiven Episode und präsuizidaler Einengung. Außerdem leide er laut eigenen Angaben an Osteoporose. Die BF3 habe eine generalisierte Epilepsie, eine Belastungsreaktion mit Angst und Depression und eine Belastungsreaktion mit ängstlichen und depressiven Entwicklungen. Die übrigen BF seien im Wesentlichen gesund. Zum Privat- und Familienleben wurde festgestellt, dass hinsichtlich der BF untereinander ein Familienverfahren vorliege. In Österreich halte sich ein Cousin des BF1 als anerkannter Flüchtling auf, wobei mit dem angeführten Verwandten kein gemeinsamer Haushalt bestehe und auch nicht bestanden habe. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung der BF in Österreich bestehe. Die BF haben im gegenständlichen Verfahren keine neuen entscheidungsrelevanten Fluchtgründe vorgebracht. Auch von der Behörde könne kein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden. Auch die maßgebliche und die BF betreffende allgemeine Lage im Herkunftsland habe sich seit rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens nicht geändert. Dazu wurde in weiterer Folge Feststellungen zum Herkunftsland getroffen.

3.2. Insbesondere zur Grundversorgung und zur medizinischen Versorgung wurde festgestellt:

[...]

Grundversorgung/Wirtschaft

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,6 Millionen, somit ungefähr 53% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,7% (WKO 4.2017). Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).

Russland ist einer der größten Energieproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Seit der Jahrtausendwende war die russische Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden großen Volkswirtschaften der Welt, mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von fast 7%. Die volkswirtschaftliche Stabilisierung war die größte Errungenschaft der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins. Entscheidend dafür war die Fähigkeit, die enorm angestiegenen Exporteinnahmen intelligent zu nutzen. Die Staatsverschuldung verschwand in Relation zum BIP fast vollständig:

Sie fiel von 51% auf 4%. Die Kreditwürdigkeit des Landes wurde damit erheblich gesteigert. Die Binnennachfrage wuchs aufgrund der Einnahmen aus den Rohstoffexporten. Der Staat akkumulierte die drittgrößten Devisenreserven weltweit, sowie zusätzlich einen Reservefonds und einen Fonds für den nationalen Wohlstand. In strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen (von der Weltraumtechnik und der Atomkraft, bis hin zu Schiffs- und Flugzeugbau) stärkte der Staat seine Position in dem er staatliche Kapitalgesellschaften gründete. Dabei spielten Holdings, die als Dachunternehmen die staatlichen Beteiligungen an einzelnen Betrieben einer Branche zusammenfassen, eine wichtige Rolle. Die im Herbst 2008 ausgebrochene internationale Finanzkrise traf Russland sehr stark. Die russische Regierung konnte in Reaktion darauf den russischen Finanzsektor mit staatlichen Geldern stabilisieren und anschließend ein umfangreiches Konjunkturpaket, das Steuervergünstigungen und staatliche Kreditgarantien umfasste, aus den Rücklagen finanzieren. Auf ein negatives Wirtschaftswachstum von 7,9% im Jahr 2009 folgten 2010-2012 wieder Zuwachsraten von über 4%: Getragen wurde das Wachstum von hohen Rohstoffpreisen, aber auch wachsender Beschäftigung und steigender Industrieproduktion. Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 40 in 2017. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2017 den 114. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wird für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 1,5% prognostiziert (GIZ 7.2017b).

Nach Jahren stetiger Verbesserung verschlechtert sich der allgemeine Lebensstandort seit 2012 wieder. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen und die Durchschnittsrente, bedingt durch die hohe Inflationsrate sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen und die Armut wuchs an. Während 2012 noch 10,7 % der Bevölkerung unter die offizielle Armutsgrenze fielen, ist die Anzahl der Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Existenzminimums weiter gestiegen und betrug im I. Quartal 2016 22,7 Millionen oder 15,7 % der gesamten Bevölkerung. Die staatliche Unterstützung reicht häufig nicht zur Deckung des Grundbedarfs. Problematisch bleibt die Situation der Rentner. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die Lage nach einigen Rentenerhöhungen verbessert, die Mehrheit der Rentner lebt jedoch in armen Verhältnissen. Die Renten belaufen sich auf durchschnittlich 12.425 Rubel pro Monat (AA 24.1.2017).

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2017/1148 bis zum 31.1.2018 verlängert (WKO 29.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2017b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 13.7.2017

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IOM - International Organisation of Migration (8.2015):

Länderinformationsblatt Russische Föderation

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WKO - Wirtschaftskammer Österreich (29.6.2017): Aktueller Stand der Sanktionen gegen Russland und die Ukraine, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/Aktueller_Stand_der_Sanktionen_gegen_Russland_und_die_Ukrai.html, Zugriff 13.7.2017

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WKO - Wirtschaftskammer Österreich (4.2017): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf, Zugriff 13.7.2017

Nordkaukasus

Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2017a).

Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Die derzeitige Wirtschaftskrise und damit einhergehenden Einsparungen im Budget stellen eine potentielle Gefahr für die Subventionen an die Nordkaukasus-Republiken dar (ÖB Moskau 12.2016).

Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung (Zenithonline 10.2.2014).

Quellen:

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GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2017a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c24819, Zugriff 13.7.2017

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

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Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, Link nicht mehr aktiv, Originaldokument liegt bei der Staatendokumentation auf, Zugriff 13.7.2017

Tschetschenien

Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik im ersten Quartal 2016 rund 12%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien lag im 1. Quartal 2016 bei 21.774 Rubel (landesweit: 34.000 Rubel), die durchschnittliche Pensionshöhe bei 10.759 Rubel (landesweit: 12.299 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 9.317 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 10.187 Rubel), für Pensionisten mit 8.102 Rubel (landesweit: 7.781 Rubel) und für Kinder mit 7.348 Rubel (landesweit: 9.197 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrows Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrows und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2016).

Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich seit dem Ende des Tschetschenienkrieges dank großer Zuschüsse aus dem russischen föderalen Budget deutlich verbessert. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens, Grosny, ist wieder aufgebaut. Problematisch sind allerdings weiterhin die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit von Teilen der Bevölkerung (AA 24.1.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (24.1.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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ÖB Moskau (12.2016): Asylländerbericht Russische Föderation

Sozialbeihilfen

Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2017c).

Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invalide

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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