TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/25 W263 2182512-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.09.2018
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Entscheidungsdatum

25.09.2018

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z6
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1a

Spruch

W263 2182512-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Christina KERSCHBAUMER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018, Zl. 1093928004-151720691, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird in Hinblick auf die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 30.04.2018 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist.

II. Die Beschwerde wird ansonsten als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF"), ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Hazara, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er am 07.11.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte. Am 08.11.2015 - im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes - gab er an, schiitischer Moslem zu sein und Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen zu haben. Er habe im Iran gearbeitet und Geld verdient. Damit habe er seine Reise nach Europa organisiert. Befragt, was er bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte, gab er an, niemanden in Afghanistan zu haben.

2. Mit der Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 24.03.2016 wurde mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gegen den BF wegen §§ 91, 125 StGB eingestellt wurde. Die Einstellung erfolgte gemäß § 190 Z 2 StPO, weil kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung bestand (Sachbeschädigungen konnten einzelnen Personen nicht konkret zugeordnet werden).

3. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX wurde das BFA gemäß § 30 Abs. 5 BFA-VG darüber verständigt, dass über den BF wegen §§ 15, 75 StGB am 12.05.2017 die Untersuchungshaft verhängt worden sei: Mit beiliegendem Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 12.05.2017 wurde über den BF aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr die Untersuchungshaft verhängt.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.09.2017, XXXX, wurde der BF wegen § 105 Abs. 1 StGB, §§ 15, 84 Abs. 4 und 5 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Das bedingte Nachsehen eines Teiles der verhängten Freiheitsstrafe in Anwendung des § 43a Abs. 3 StGB wurde mit Urteil des Oberlandesgerichtes XXXX vom 25.10.2017, XXXX, aufgehoben. Es wurde festgestellt, dass der BF in XXXX 1.) Anfang XXXX seinen Mitbewohner XXXX durch gefährliche Drohung zumindest mit Körperverletzungen, indem er diesen mit einem in der Hand gehaltenen Messer zum Verlassen dessen Zimmers aufgefordert hat, zu eben dieser Handlung genötigt hat 2.) Am XXXX in XXXX seinem Mitbewohner XXXX durch das Versetzen vorerst eines Stiches mit einem Küchenmesser mit 15 cm langer Klinge gegen dessen Bauch, dann durch einen mit eben diesem Messer geführten Halsschnitt vorsätzlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen versucht und dadurch eine Körperverletzung auf eine Weise zu begehen versucht hat, mit der Lebensgefahr verbunden ist.

5. Am 23.11.2017 erfolgte die Einvernahme im Verfahren vor dem BFA, insbesondere zum Ablauf der Flucht, zur Finanzierung der Flucht und zu den Familien- und Lebensverhältnissen.

Der BF gab an, gesund zu sein.

Während der Haft habe er zweimal über Telefon mit seiner Familie gesprochen.

Zum Fluchtgrund gab der BF zusammengefasst an, dass zwei maskierte Männer versucht hätten, ihn im Wald zu entführen. Er wisse, dass der Onkel seiner Schulkollegin diese Männer mit dieser Handlung beauftragt habe. Bei einer Rückkehr befürchte er, dass er getötet werde.

Er sei schiitischer Moslem.

Er leide nicht bzw. habe nicht an irgendwelchen gesundheitlichen Problemen gelitten; es gebe keine bestehenden Krankheiten und benötige er aktuell keine bestimmte medizinische Betreuung oder Medikamente.

6. Mit Bescheid vom 06.12.2017, Zl. 1093928004-151720691, wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz vom 07.11.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt; gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen (Spruchpunkt V.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG wurde ausgesprochen, dass der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 29.05.2017 verloren hat (Spruchpunkt VI.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchteil VII).

7. Mit Verfahrensanordnung vom 07.12.2017 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

8. Der BF erhob durch seinen bevollmächtigten Vertreter gegen den oben genannten Bescheid Beschwerde vom 08.01.2018, welche am selben Tag beim BFA einlangte und in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens weitergeleitet wurde.

In der Beschwerde wurde u.a. vorgebracht, dass der BF der Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitisch-muslimischen Glaubens sei. Zum Fluchtgrund wurde angegeben, dass der BF in Afghanistan vom Onkel einer ehemaligen Mitschülerin bedroht worden sei und zwei maskierte Männer ihn entführen hätten wollen und zur Situation der (schiitischen) Hazara ausgeführt.

9. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.01.2018, GZ: W155 2182512-1/3E, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Zu Person des BF und seinen Fluchtgründen wurde u.a. festgestellt, dass der BF der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitisch-moslemischen Glaubensrichtung angehört. Seine Eltern und Geschwister leben in Afghanistan (Baghlan), ein Bruder hält sich zeitweise in Saudi Arabien auf. Der BF weist eine mehrjährige Schulbildung auf. Ein Jahr arbeitete er im Iran als Hilfsarbeiter. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde.

Das Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft und blieb unbekämpft.

10. Der BF stellte am 30.04.2018 den gegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz und gab dazu zusammengefasst an: Zu seiner Religionszugehörigkeit: Er sei derzeit konfessionslos; der Austritt aus dem islamischen Glauben sei mit 05.04.2018 rechtswirksam erfolgt (s. Bescheinigung BH XXXX), das Datum für die Taufe zum Übertritt in das Christentum stehe noch nicht fest.

Im Jahr 2017 habe er aufgrund einer Auseinandersetzung in einem Asylheim (gefährliche Drohung unter Verwendung eines Messers) für die Dauer von acht Monaten ins Gefängnis müssen. Da er sich schon vor diesem Vorfall sehr für das Christentum interessiert habe bzw. sich mit dem Islam nicht mehr identifizieren habe können und auch Gottesdienste besucht habe, habe sein Zimmergenosse falsch ausgesagt, weil ein Konfessionswechsel bei den Moslems nicht angesehen sei und auch nicht akzeptiert werde. Außerdem habe er Fotos und "Filmstücke", welche in Verbindung mit dem Christentum stünden über XXXX mit seinen Freunden geteilt. Einige Zeit später sei er von einem im Iran lebenden Freund namens "XXXX" angerufen worden. Der BF bestätigte ihm gegenüber, dass er wirklich zum Christentum konvertiert und kein Moslem mehr sei. Der BF vermute, dass dieser Freund seine Brüder über den Konfessionswechsel informiert habe, weil ihn einer seiner Brüder namens "XXXX" angerufen und ihn ebenfalls gefragt habe, ob er konvertiert sei. Der BF habe dies bejaht und habe der Bruder gesagt, dass der BF ein Ungläubiger sei und im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan von ihm getötet werde. Weiters habe ihm sein Bruder mitgeteilt, dass sein anderer in Saudi-Arabien lebender Bruder auch über den Religionswechsel informiert worden sei und ihn ebenso in Afghanistan verfolgen würde. Er habe große Angst gehabt und daraufhin sein XXXX-Profil gelöscht und seine SIM-Karte entsorgt. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe sei er von seinem Neffen namens "XXXX" angerufen worden. Er habe diesem u.a. ein Bild von sich mit Kreuz geschickt, welches er vorlege. Die ganze Familie sei mobilisiert worden ihn zu töten und habe der Dorfälteste dem Vater befohlen den BF zu steinigen. Er könne kein genaues Datum zum Telefonat mit dem Neffen angeben. Es sei kurz nach seiner Haftentlassung am XXXX gewesen; mit XXXX habe er eine Unterkunft inXXXX bekommen; das Telefonat bzw. die Drohung sei kurz darauf erfolgt.

Er habe Angst vor seiner Familie und sei sicher, als Ungläubiger von ihnen umgebracht zu werden.

Es würden Todes- und Steinigungsdrohungen von Seiten seiner Familie vorliegen. Es sei weiters allgemein bekannt, dass ein Moslem nach der Konversion umgebracht und gesteinigt werde, weil es ihnen nicht erlaubt sei, die Religion zu wechseln.

Die Frage, seit wann ihm diese Änderungen seiner Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt seien, beantworte der BF wie folgt: Er könne kein genaues Datum anführen. Der Anruf von "XXXX" sei vor der Haftstrafe (er glaube vor dem XXXX), der Anruf des Neffen nach der Haftstrafe, also nach dem XXXX erfolgt.

11. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 15.05.2018 zusammengefasst weiter an:

Er sei körperlich und geistig in der Lage, an der Einvernahme mitzuwirken. Er leide an keinen schwerwiegenden Krankheiten.

Im Jahr 2016 sei er in die Kirche gegangen. Er habe zu dieser Zeit ein Foto von Maria und Jesus gepostet. Anschließend sei er von einem iranischen Freund namens XXXX angerufen worden. Dieser habe ihn gefragt, ob er Christ geworden sei und der BF habe dies bejaht.

Nach seiner Freilassung aus dem Gefängnis habe er in XXXX im XXXX gelebt. Nach einiger Zeit habe ihn der Sohn seiner Schwester angerufen. Der BF habe ihm gegenüber bestätigt Christ zu sein und ihm Fotos von Bibeln und von ihm und einem Kreuz geschickt. Einige Zeit später habe ihn sein Bruder XXXX angerufen und ihm mit dem Tod gedroht. Er habe ihm auch geschrieben, dass er ihn töten werde. Sein anderer Bruder, der in Saudi-Arabien lebe, habe seinem Bruder XXXX gesagt, dass er gesteinigt gehöre. Außerdem sei sein Vater zu den Dorfältesten gegangen und diese hätten gesagt, dass man ihn töten müsse.

Auf die Frage, wann sein Bruder XXXX ihn angerufen habe, gab der BF an, er glaube das sei Ende Jänner, Anfang Februar 2018 gewesen. Er habe alle Nachrichten gelöscht, wie auch die SIM-Karte. Sein Neffe habe ein, zwei Wochen vor dem Anruf seines Bruders angerufen.

Der BF bejahte in Zusammenhang mit den vorgelegten Schreiben, dass er bereits im Herbst 2016 und von Jänner bis März 2017 Interesse am Christentum gezeigt habe und regelmäßig an Treffen in der Pfarre XXXX teilgenommen habe. Er habe begonnen sich im Herbst 2016 für das Christentum zu interessieren und die Kirche zu besuchen.

12. Das BFA nahm am 23.05.2018 eine Niederschrift mit dem BF auf und hielt darin den mündlich verkündeten Bescheid vom 23.05.2018, Zl. 1093928004/180465687, fest, mit dem es aussprach, dass der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben werde.

Der BF gab zusammengefasst an, es sei ihm bewusst gewesen, dass er mit seinem Interesse am Christentum Probleme in Afghanistan bekommen könnte. Befragt, warum die Umstände - dass er bereits ab Herbst 2016 Gottesdienste besucht habe und an Katechumentreffen (Vorbereitung eines Taufwerbers) in der Pfarre XXXXteilgenommen habe und Fotos auf XXXX gepostet habe und Anrufe von einem im Iran lebenden Fraund bekommen habe - nicht bereits im rechtskräftigen ersten Verfahren über seinen Asylantrag bekannt gegeben habe, gab er an, er habe mit XXXX von der Pfarre darüber gesprochen und ihm auch die weiße Karte gezeigt und habe gedacht, dass damit auch die Behörde in Kenntnis gesetzt worden sei. Vor dem BFA am 23.11.2017 habe er es nicht erwähnt, weil er nicht danach gefragt worden und außerdem in Haft gewesen sei. In der Beschwerde vom 08.01.2018 habe er es nicht erwähnt, weil er dachte, dass bereits alle Behörden darüber Bescheid wissen; außerdem sei er in Haft gewesen. Weiters gab er u.a. an, dass er nicht nach Afghanistan zurück könne. Sein Vater sei der Dorfälteste und er habe ausgesprochen, dass er den BF umbringen werde, weil er Christ geworden sei; auch sein Bruder wolle ihn umbringen, weil er Christ geworden sei.

Als Beweismittel brachte der BF u.a. eine Bescheinigung der Bezirkshauptmannschaft XXXX betreffend die Bescheinigung über die Erklärung über den Austritt aus der islamischen Kirche, datiert mit 05.04.2018, eine Bestätigung der Aufnahme des BF in den Katechumenat im Jahr 2017, datiert 20.05.2018 in Vorlage.

13. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.05.2018, GZ W131 2182512-2/4E - berichtigt durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.05.2018, GZ W131 2182512-2/5Z - wurde ausgesprochen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG nicht rechtmäßig sei. Der angefochtene Bescheid wurde ersatzlos aufgehoben.

Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass Konversion und Apostasie keine Fluchtgrundthemen des ersten Verfahrens gewesen seien. Es liege nunmehr die Bestätigung vom 05.04.2018 (als erklärter Glaubensabfall) vor, weswegen es weitergehender Ermittlungen bedarf, um beurteilen zu können, ob der BF aktuell tatsächlich ernsthaft christlich werden möchte bzw. insbesondere, ob der BF tatsächlich bereits vom Islam abgefallen ist und ob der BF wegen dieser in Afghanistan tatsächlich mit asylrelevanter Verfolgung bzw. in seinen gemäß §§ 8 und 10 AsylG relevanten Rechten gemäß Art 2 und 3 MRK bedroht ist.

14. Im weiteren Verfahrensverlauf gab der BF in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 28.06.2018 zusammengefasst weiter an:

Er sei gesund; er sei etwas nervös und nehme keine Medikamente.

Er sei Christ, Hazara und Afghane. Er sei seit dem Herbst 2016 Christ. Auf die Frage, wieso er in der Einvernahme am 23.11.2017 kein Wort über seinen Willen, Christ zu werden oder zu sein, gesagt habe, gab der BF an, dass er das im Gefängnis gesagt habe. Er habe daher gedacht, dass alle Behörden dies automatisch wüssten.

Auf den (zusammengefassten) Vorhalt und die (zusammengefasste) Frage, er habe in der Einvernahme am 23.11.2017 angegeben, schiitischer Moslem zu sein; warum er da nicht angegeben habe, Christ werden zu wollen bzw. zu sein, gab der BF an: er habe seine weiße Karte dem Leiter gegeben. Er habe gedacht, dass alle wüssten, dass er Christ sei.

Seit etwa vier Monaten nehme er am Katechumen teil; im Jahr 2016 habe er auch die Kurse besucht.

Er sei erstmals im Herbst 2016 auf das Christentum aufmerksam geworden. Er habe eine freiwillige Helferin im Flüchtlingslager um christliche Unterlagen gebeten. Er sei nicht religiös gewesen und habe nicht an den Islam geglaubt. Sie habe ihm Bücher auf Farsi gebracht und diese habe er gelesen. Er habe sich dafür interessiert und als er überzeugt gewesen sei, habe er sich für diese Religion entschieden. Die Helferin heiße Frau XXXX.

Frau XXXX habe ihm das Buch "XXXX" gebracht und diese Bücher würden sie nun auch lesen. Er sei noch nicht getauft. Er bekenne sich zur XXXX Glaubensrichtung, weil er von dieser überzeugt gewesen sei.

Am Sonntag und am Donnerstag besuche er den Gottesdienst und den Unterricht.

Niemand wisse, warum er einen Asylantrag gestellt habe. Als er aus dem Gefängnis gekommen sei, habe er mit seiner Mutter telefoniert; aber über den Fluchtgrund wüssten sie nicht Bescheid.

Er habe bei einer Rückkehr Angst vor seinen Verwandten; diese seien in Baghlan und Kabul. In Kabul lebe der Cousin väterlicherseits.

Die Frage, ob der Fluchtgrund aus Afghanistan von der letzten Einvernahme der gleiche sei oder sich verändert habe, beantworte der BF dahingehend, dass er der gleiche sei.

15. Mit Bescheid vom 01.08.2018 wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz vom 30.04.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.); gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG wurde festgestellt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) bestehe. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde ein befristetes Einreiseverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen (Spruchpunkt VII.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 6 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchteil VIII).

16. Mit Verfahrensanordnung vom 03.08.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

17. Der BF erhob gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde, welche am 29.08.2018 beim BFA einlangte und in der Folge an das Bundesverwaltungsgericht weitergeleitet wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Seine Identität steht nicht fest.

Er stammt aus der Provinz Baghlan. Er ist ledig und hat keine Kinder. Seine Eltern und Geschwister leben in Afghanistan (Baghlan), ein Bruder hält sich zeitweise in Saudi Arabien auf.

Er reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 07.11.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Ein Verfahren wegen des Verdachtes auf Raufhandel und Sachbeschädigung wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX eingestellt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 20.09.2017, GZ XXXX, wurde der BF wegen § 105 Abs. 1 StGB und §§ 15, 84 Abs. 4 und 5 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Diese Verurteilung ist rechtskräftig.

Dieser (Erst)Antrag wurde vom BFA und in weiterer Folge vom Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz mit rechtskräftigem Erkenntnis vom 18.01.2018, W155 2182512-1, als unbegründet abgewiesen.

Zu den Fluchtmotiven des BF wurde darin festgestellt: Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Afghanistan aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Der BF wird im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung keiner existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weiters wurde festgestellt, dass dem BF im Falle seiner Rückkehr keine Gefährdung in seinem Herkunftsstaat droht.

Am 30.04.2018 stellte der BF den verfahrensgegenständlichen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF bezieht sich in seinem (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz auf Umstände, die bereits zum Zeitpunkt seiner ersten Asylantragstellung bestanden haben. Der BF konnte seit Rechtskraft der letzten Entscheidung über seinen ersten Asylantrag kein neues entscheidungsrelevantes individuelles Vorbringen glaubhaft dartun.

Der BF weist eine mehrjährige Schulbildung auf. Ein Jahr arbeitete er im Iran als Hilfsarbeiter.

Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde. Eine maßgebliche gesundheitliche Beeinträchtigung des BF liegt nicht vor und ist dieser jung und arbeitsfähig.

Es kann nicht festgestellt werden, dass in der Zwischenzeit Umstände eingetreten sind, wonach dem BF in Afghanistan aktuell mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Es ist auch keine Gefahr dafür zu sehen, dass der BF in eine aussichtlose Lage geraten könnte.

Der BF hat zunächst auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Seinen Unterhalt könnte er dort - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Falle der Rückkehr in die Städte Kabul, aber auch Mazar-e Sharif oder Herat ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr dorthin Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Außerdem ist zwischenzeitlich auch keine entscheidungswesentliche Änderung der Situation in Afghanistan eingetreten.

Der BF kann Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF in diese Städte ausschließen könnten, konnten nicht festgestellt werden.

Der BF hat keine Familienangehörigen oder nahen Angehörigen im Bundesgebiet. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für eine herausragende Integration vor.

Die kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates sind dem BF vertraut und spricht der BF eine Sprache seines Herkunftsstaates auf muttersprachlichem Niveau.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Hinsichtlich der relevanten Situation in Afghanistan werden der gegenständlichen Entscheidung die Länderfeststellungen zu Afghanistan des ersten Verfahrens und des gegenständlichen Bescheides zu Grunde gelegt, weil sich aus diesen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen der Ländersituation ergeben und dem Bundesverwaltungsgericht bis zum Entscheidungsdatum auch amtswegig keine solchen bekannt wurden (siehe dazu ausführlich Pkt. II.2. Beweiswürdigung).

1.2.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 25.09.2017:

1.2.1.1. KI vom 25.9.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor höchst volatil; die Regierung und die Taliban wechselten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren ab - auf beiden Seiten waren Opfer zu beklagen (UN GASC 21.9.2017). Der Konflikt in Afghanistan ist gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte sind nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelingt es den Regierungskräften kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen (The Guardian 3.8.2017).

Der afghanische Präsident Ghani hat mehrere Schritte unternommen, um die herausfordernde Sicherheitssituation in den Griff zu bekommen. So hielt er sein Versprechen den Sicherheitssektor zu reformieren, indem er korrupte oder inkompetente Minister im Innen- und Verteidigungsministerium feuerte, bzw. diese selbst zurücktraten; die afghanische Regierung begann den strategischen 4-Jahres Sicherheitsplan für die ANDSF umzusetzen (dabei sollen die Fähigkeiten der ANDSF gesteigert werden, größere Bevölkerungszentren zu halten); im Rahmen des Sicherheitsplanes sollen Anreize geschaffen werden, um die Taliban mit der afghanischen Regierung zu versöhnen; Präsident Ghani bewilligte die Erweiterung bilateraler Beziehungen zu Pakistan, so werden unter anderen gemeinsamen Anti-Terror Operationen durchgeführt werden (SIGAR 31.7.2017).

Zwar endete die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014, dennoch werden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor sind über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen (BBC 18.9.2017).

Sicherheitsrelevante Vorfälle

In den ersten acht Monaten wurden insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal, wurden 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. Laut UN haben sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machen nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 gab es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraums des Jahres 2016, verzeichnen die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen [IEDs - improvised explosive device], Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen - nichtsdestotrotz waren sie Hauptursache für zivile Opfer. Die östliche Region verzeichnete die höchste Anzahl von Vorfällen, gefolgt von der südlichen Region (UN GASC 21.9.2017).

[...]

Zivilist/innen

Landesweit war der bewaffnete Konflikt weiterhin Ursache für Verluste in der afghanischen Zivilbevölkerung. Zwischen dem 1.1. und 30.6.2017 registrierte die UNAMA 5.243 zivile Opfer (1.662 Tote und 3.581 Verletzte). Dies bedeutet insgesamt einen Rückgang bei zivilen Opfern von fast einem 1% gegenüber dem Vorjahreswert. Dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan fielen zwischen 1.1.2009 und 30.6.2017 insgesamt 26.512 Zivilist/innen zum Opfer, während in diesem Zeitraum 48.931 verletzt wurden (UNAMA 7.2017).

Im ersten Halbjahr 2017 war ein Rückgang ziviler Opfer bei Bodenoffensiven zu verzeichnen, während sich die Zahl ziviler Opfer aufgrund von IEDs erhöht hat (UNAMA 7.2017).

Die Provinz Kabul verzeichnete die höchste Zahl ziviler Opfer - speziell in der Hauptstadt Kabul: von den 1.048 registrierten zivilen Opfer (219 Tote und 829 Verletzte), resultierten 94% aus Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Nach der Hauptstadt Kabul verzeichneten die folgenden Provinzen die höchste Zahl ziviler Opfer: Helmand, Kandahar, Nangarhar, Uruzgan, Faryab, Herat, Laghman, Kunduz und Farah. Im ersten Halbjahr 2017 erhöhte sich die Anzahl ziviler Opfer in 15 von Afghanistans 34 Provinzen (UNAMA 7.2017)

[...]

High-profile Angriffe:

Der US-Sonderbeauftragten für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), verzeichnete in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profil Angriffe; der Großteil dieser fiel in den Zeitraum des Ramadan (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, behaupten dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten, bessere Muslime wären (SIGAR 31.7.2017).

Im Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) wurden von den Vereinten Nationen folgende High-profile Angriffe verzeichnet:

Ein Angriff auf die schiitische Moschee in der Stadt Herat, bei dem mehr als 90 Personen getötet wurden (UN GASC 21.9.2017; vgl.: BBC 2.8.2017). Zu diesem Attentat bekannte sich der ISIL-KP (BBC 2.8.2017). Taliban und selbsternannte ISIL-KP Anhänger verübten einen Angriff auf die Mirza Olang Region im Distrikt Sayyad in der Provinz Sar-e Pul; dabei kam es zu Zusammenstößen mit regierungsfreundlichen Milizen. Im Zuge dieser Kämpfe, die von 3.- 5. August anhielten, wurden mindestens 36 Menschen getötet (UN GASC 21.9.2017). In

Kabul wurde Ende August eine weitere schiitische Moschee angegriffen, dabei wurden mindestens 28 Zivilist/innen getötet; auch hierzu bekannte sich der ISIL-KP (UN GASC 21.9.2017; vgl.: NYT 25.8.2017).

Manche high-profile Angriffe waren gezielt gegen Mitarbeiter/innen der ANDSF und afghanischen Regierungsbeamte gerichtet; Zivilist/innen in stark bevölkerten Gebieten waren am stärksten von Angriffen dieser Art betroffen (SIGAR 31.7.2017).

"Green Zone" in Kabul

Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017).

Eine Erweiterung der sogenannten Green Zone ist geplant; damit wird Verbündeten der NATO und der US-Amerikaner ermöglicht, auch weiterhin in der Hauptstadt Kabul zu bleiben ohne dabei Risiken ausgesetzt zu sein. Kabul City Compound - auch bekannt als das ehemalige Hauptquartier der amerikanischen Spezialkräfte, wird sich ebenso innerhalb der Green Zone befinden. Die Zone soll hinkünftig vom Rest der Stadt getrennt sein, indem ein Netzwerk an Kontrollpunkten durch Polizei, Militär und privaten Sicherheitsfirmen geschaffen wird. Die Erweiterung ist ein großes öffentliches Projekt, das in den nächsten zwei Jahren das Zentrum der Stadt umgestalten soll; auch sollen fast alle westlichen Botschaften, wichtige Ministerien, sowie das Hauptquartier der NATO und des US-amerikanischen Militärs in dieser geschützten Zone sein. Derzeit pendeln tagtäglich tausende Afghaninnen und Afghanen durch diese Zone zu Schulen und Arbeitsplätzen (NYT 16.9.2017).

Nach einer Reihe von Selbstmordattentaten, die hunderte Opfer gefordert haben, erhöhte die afghanische Regierung die Sicherheit in der zentralen Region der Hauptstadt Kabul - dieser Bereich ist Sitz ausländischer Botschaften und Regierungsgebäude. Die Sicherheit in diesem diplomatischen Bereich ist höchste Priorität, da, laut amtierenden Polizeichef von Kabul, das größte Bedrohungsniveau in dieser Gegend verortet ist und eine bessere Sicherheit benötigt wird. Die neuen Maßnahmen sehen 27 neue Kontrollpunkte vor, die an 42 Straßen errichtet werden. Eingesetzt werden mobile Röntgengeräte, Spürhunde und Sicherheitskameras. Außerdem werden 9 weitere Straßen teilweise gesperrt, während die restlichen sechs Straßen für Autos ganz gesperrt werden. 1.200 Polizist/innen werden in diesem Bereich den Dienst verrichten, inklusive spezieller Patrouillen auf Motorrädern. Diese Maßnahmen sollen in den nächsten sechs Monaten schrittweise umgesetzt werden (Reuters 6.8.2017).

Ein erweiterter Bereich, die sogenannte "Blue Zone" soll ebenso errichtet werden, die den Großteil des Stadtzentrums beinhalten soll - in diesem Bereich werden strenge Bewegungseinschränkungen, speziell für Lastwagen, gelten. Lastwagen werden an einem speziellen externen Kontrollpunkt untersucht. Um in die Zone zu gelangen, müssen sie über die Hauptstraße (die auch zum Flughafen führt) zufahren (BBC 6.8.2017; vgl. Reuters 6.8.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die Stärkung der ANDSF ist ein Hauptziel der Wiederaufbaubemühungen der USA in Afghanistan, damit diese selbst für Sicherheit sorgen können (SIGAR 20.6.2017). Die Stärke der afghanischen Nationalarmee (Afghan National Army - ANA) und der afghanischen Nationalpolizei (Afghan National Police - ANP), sowie die Leistungsbereitschaft der Einheiten, ist leicht gestiegen (SIGAR 31.7.2017).

Die ANDSF wehrten Angriffe der Taliban auf Schlüsseldistrikte und große Bevölkerungszentren ab. Luftangriffe der Koalitionskräfte trugen wesentlich zum Erfolg der ANDSF bei. Im Berichtszeitraum von SIGAR verdoppelte sich die Zahl der Luftangriffe gegenüber dem Vergleichswert für 2016 (SIGAR 31.7.2017).

Die Polizei wird oftmals von abgelegen Kontrollpunkten abgezogen und in andere Einsatzgebiete entsendet, wodurch die afghanische Polizei militarisiert wird und seltener für tatsächliche Polizeiarbeit eingesetzt wird. Dies erschwert es, die Loyalität der Bevölkerung zu gewinnen. Die internationalen Truppen sind stark auf die Hilfe der einheimischen Polizei und Truppen angewiesen (The Guardian 3.8.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen: Taliban

Die Taliban waren landesweit handlungsfähig und zwangen damit die Regierung erhebliche Ressourcen einzusetzen, um den Status Quo zu erhalten. Seit Beginn ihrer Frühjahrsoffensive im April, haben die Taliban - im Gegensatz zum Jahr 2016 - keine größeren Versuche unternommen Provinzhauptstädte einzunehmen. Nichtsdestotrotz, gelang es den Taliban zumindest temporär einige Distriktzentren zu überrennen und zu halten; dazu zählen der Distrikt Taywara in der westlichen Provinz Ghor, die Distrikte Kohistan und Ghormach in der nördlichen Provinz Faryab und der Distrikt Jani Khel in der östlichen Provinz Paktia. Im Nordosten übten die Taliban intensiven Druck auf mehrere Distrikte entlang des Autobahnabschnittes Maimana-Andkhoy in der Provinz Faryab aus; die betroffenen Distrikte waren: Qaramol, Dawlat Abad, Shirin Tagab und Khwajah Sabz Posh.

Im Süden verstärkten die Taliban ihre Angriffe auf Distrikte, die an die Provinzhauptstädte von Kandahar und Helmand angrenzten (UN GASC 21.9.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Die Operationen des ISIL-KP in Afghanistan sind weiterhin auf die östliche Region Afghanistans beschränkt - nichtsdestotrotz bekannte sich die Gruppierung landesweit zu acht nennenswerten Vorfällen, die im Berichtszeitraum von den UN registriert wurden. ISIL- KP verdichtete ihre Präsenz in der Provinz Kunar und setze ihre Operationen in Gegenden der Provinz Nangarhar fort, die von den ANDSF bereits geräumt worden waren. Angeblich wurden Aktivitäten des ISIL-KP in den nördlichen Provinzen Jawzjan und Sar-e Pul, und den westlichen Provinzen Herat und Ghor berichtet (UN GASC 21.9.2017).

Im sich zuspitzenden Kampf gegen den ISIL-KP können sowohl die ANDSF, als auch die Koalitionskräfte auf mehrere wichtige Erfolge im zweiten Quartal verweisen (SIGAR 31.7.2017): Im Juli wurde im Rahmen eines Luftangriffes in der Provinz Kunar der ISIL-KP- Emir, Abu Sayed, getötet. Im August wurden ein weiterer Emir des ISIL-KP, und drei hochrangige ISIL-KP-Führer durch einen Luftangriff getötet. Seit Juli 2016 wurden bereits drei Emire des ISIL-KP getötet (Reuters 13.8.2017); im April wurde Sheikh Abdul Hasib, gemeinsam mit 35 weiteren Kämpfern und anderen hochrangigen Führern in einer militärischen Operation in der Provinz Nangarhar getötet (WT 8.5.2017; vgl. SIGAR 31.7.2017). Ebenso in Nangarhar, wurde im Juni der ISIL-KP-Verantwortliche für mediale Produktionen, Jawad Khan, durch einen Luftangriff getötet (SIGAR 31.7.2017; vgl.: Tolonews 17.6.2017).

Politische Entwicklungen

Die Vereinten Nationen registrierten eine Stärkung der Nationalen Einheitsregierung. Präsident Ghani und CEO Abdullah einigten sich auf die Ernennung hochrangiger Posten - dies war in der Vergangenheit Grund für Streitigkeiten zwischen den beiden Führern gewesen (UN GASC 21.9.2017).

Die parlamentarische Bestätigung einiger war nach wie vor ausständig; derzeit üben daher einige Minister ihr Amt kommissarisch aus. Die unabhängige afghanische Wahlkommission (IEC) verlautbarte, dass die Parlaments- und Distriktratswahlen am 7. Juli 2018 abgehalten werden (UN GASC 21.9.2017).

[...]

KI vom 22.6.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q2.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Den Vereinten Nationen zufolge war die Sicherheitslage in Afghanistan im Berichtszeitraum weiterhin volatil: zwischen 1.3. und 31.5.2017 wurden von den Vereinten Nationen 6.252 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert - eine Erhöhung von 2% gegenüber dem Vorjahreswert. Bewaffnete Zusammenstöße machten mit 64% den Großteil registrierter Vorfälle aus, während IEDs [Anm.:

improvised explosive device] 16% der Vorfälle ausmachten - gezielte Tötungen sind hingegen um 4% zurückgegangen. Die östlichen und südöstlichen Regionen zählten auch weiterhin zu den volatilsten; sicherheitsrelevante Vorfälle haben insbesondere in der östlichen Region um 22% gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Die Taliban haben hauptsächlich folgende Provinzen angegriffen: Badakhshan, Baghlan, Farah, Faryab, Helmand, Kunar, Kunduz, Laghman, Sar-e Pul, Zabul und Uruzgan. Talibanangriffe auf afghanische Sicherheitskräfte konnten durch internationale Unterstützung aus der Luft abgewiesen werden. Die Anzahl dieser Luftangriffe ist mit einem Plus von 112% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2016 deutlich gestiegen (UN GASC 20.6.2017).

Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) wurden in Afghanistan 11.647 sicherheitsrelevante Vorfälle von 1.1.-31.5.2017 registriert (Stand: 31.5.2017) (INSO o.D.).

[...]

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Laut einem Bericht des amerikanischen Verteidigungsministeriums behielten die ANDSF, im Berichtszeitraum 1.12.2016-31.5.2017 trotz aufständischer Gruppierungen, auch weiterhin Kontrolle über große Bevölkerungszentren: Die ANDSF waren im Allgemeinen fähig große Bevölkerungszentren zu schützen, die Taliban davon abzuhalten gewisse Gebiete für einen längeren Zeitraum zu halten und auf Talibanangriffe zu reagieren. Die ANDSF konnten in städtischen Gebieten Siege für sich verbuchen, während die Taliban in gewissen ländlichen Gebieten Erfolge erzielen konnten, in denen die ANDSF keine dauernde Präsenz hatten. Spezialeinheiten der afghanischen Sicherheitskräfte (ASSF - Afghan Special Security Forces) leiteten effektiv offensive Befreiungsoperationen (US DOD 6.2017).

Bis Ende April 2017 lag die Truppenstärke der afghanischen Armee [ANA - Afghan National Army] bei 90,4% und die der afghanischen Nationalpolizei [ANP - Afghan National Police] bei 95,1% ihrer Sollstärke (UN GASC 20.6.2017).

High-profile Angriffe:

Als sichere Gebiete werden in der Regel die Hauptstadt Kabul und die regionalen Zentren Herat und Mazar-e Sharif genannt. Die Wahrscheinlichkeit, hier Opfer von Kampfhandlungen zu werden, ist relativ geringer als zum Beispiel in den stark umkämpften Provinzen Helmand, Nangarhar und Kunduz (DW 31.5.2017).

Hauptstadt Kabul

Kabul wird immer wieder von Attentaten erschüttert (DW 31.5.2017):

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben und mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt als ein Selbstmordattentäter einen Sprengstoff beladenen Tanklaster mitten im Diplomatenviertel in die Luft sprengte (FAZ 6.6.2017; vgl. auch:

al-Jazeera 31.5.2017; The Guardian 31.5.2017; BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Bedeutend ist der Angriffsort auch deswegen, da dieser als der sicherste und belebteste Teil der afghanischen Hauptstadt gilt. Kabul war in den Wochen vor diesem Anschlag relativ ruhig (al-Jazeera 31.5.2017).

[...]

Zunächst übernahm keine Gruppe Verantwortung für diesen Angriff; ein Talibansprecher verlautbarte nicht für diesen Vorfall verantwortlich zu sein (al-Jazeera 31.5.2017). Der afghanische Geheimdienst (NDS) macht das Haqqani-Netzwerk für diesen Vorfall verantwortlich (The Guardian 2.6.2017; vgl. auch: Fars News 7.6.2017); schlussendlich bekannte sich der Islamische Staat dazu (Fars News 7.6.2017).

Nach dem Anschlag im Diplomatenviertel in Kabul haben rund 1.000 Menschen, für mehr Sicherheit im Land und eine Verbesserung der Sicherheit in Kabul demonstriert (FAZ 2.6.2017). Bei dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Demonstranten und den Sicherheitskräften (The Guardian 2.6.2017); dabei wurden mindestens sieben Menschen getötet und zahlreiche verletzt (FAZ 2.6.2017).

Auf der Trauerfeier für einen getöteten Demonstranten- den Sohn des stellvertretenden Senatspräsidenten - kam es am 3.6.2017 erneut zu einem Angriff, bei dem mindestens 20 Menschen getötet und 119 weitere verletzt worden waren. Polizeiberichten zufolge, waren während des Begräbnisses drei Bomben in schneller Folge explodiert (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017); die Selbstmordattentäter waren als Trauergäste verkleidet (The Guardian 3.6.2017). Hochrangige Regierungsvertreter, unter anderem auch Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah, hatten an der Trauerfeier teilgenommen (FAZ 3.6.2017; vgl. auch: The Guardian 3.6.2017).

Herat

Anfang Juni 2017 explodierte eine Bombe beim Haupteingang der historischen Moschee Jama Masjid; bei diesem Vorfall wurden mindestens 7 Menschen getötet und 15 weitere verletzt (Reuters 6.6.2017; vgl. auch: TMN 7.6.2017). Zu diesem Vorfall hat sich keine Terrrorgruppe bekannt (TMN 7.6.2017; vgl. auch: US News 12.6.2017). Sirajuddin Haqqani - stellvertretender Leiter der Taliban und Führer des Haqqani Netzwerkes - verlautbarte, die Taliban wären für diese Angriffe in Kabul und Herat nicht verantwortlich (WP 12.6.2017).

Mazar-e Sharif

Auf der Militärbase Camp Shaheen in der nördlichen Stadt Mazar-e Sharif eröffnete Mitte Juni 2017 ein afghanischer Soldat das Feuer auf seine Kameraden und verletzte mindestens acht Soldaten (sieben US-amerikanische und einen afghanischen) (RFE/RL 17.6.2017).

Die Anzahl solcher "Insider-Angriffe" [Anm.: auch green-on-blue attack genannt] hat sich in den letzten Monaten erhöht. Unklar ist, ob die Angreifer abtrünnige Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte sind oder ob sie Eindringlinge sind, die Uniformen der afghanischen Armee tragen (RFE/RL 17.6.2017). Vor dem Vorfall im Camp Shaheen kam es dieses Jahr zu zwei weiteren registrierten Insider-Angriffen: der erste Vorfall dieses Jahres fand Mitte März auf einem Militärstützpunkt in Helmand statt: ein Offizier des afghanischen Militärs eröffnete das Feuer und verletzte drei US-amerikanische Soldaten (LWJ 11.6.2017; vgl. auch: al-Jazeera 11.6.2017).

Der zweite Vorfall fand am 10.6.2017 im Zuge einer militärischen Operation im Distrikt Achin in der Provinz Nangarhar statt, wo ein afghanischer Soldat drei US-amerikanische Soldaten tötete und einen weiteren verwundete; der Angreifer wurde bei diesem Vorfall ebenso getötet (BBC 10.6.21017; vgl. auch: LWJ 11.6.2017; DZ 11.6.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Afghanistan ist mit einer anhaltenden Bedrohung durch mehr als 20 aufständische Gruppen bzw. terroristische Netzwerke, die in der AfPak-Region operieren, konfrontiert; zu diesen Gruppierungen zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani Netzwerk, der Islamische Staat und al-Qaida (US DOD 6.2017).

Taliban

Die Fähigkeiten der Taliban und ihrer Operationen variieren regional signifikant; sie verwerten aber weiterhin ihre begrenzten Erfolge, indem sie diese auf sozialen Medien und durch Propagandakampagnen als strategische Siege bewerben (US DOD 6.2017).

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive "Operation Mansouri" am 28. April 2017 eröffnet (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch:

BBC 7.5.2017). In einer Stellungnahme verlautbarten sie folgende Ziele: um die Anzahl ziviler Opfer zu minimieren, wollen sie sich auf militärische und politische Ziele konzentrieren, indem ausländische Kräfte in Afghanistan, sowie ihre afghanischen Partner angegriffen werden sollen. Nichtdestotrotz gab es bezüglich der Zahl ziviler Opfer keine signifikante Verbesserung (UN GASC 20.6.2017).

Während des Berichtszeitraumes der Vereinten Nationen gelang es den Taliban den strategischen Distrikt Zaybak/Zebak in der Provinz Badakhshan zu erobern (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: Pajhwok 11.5.2017); die afghanischen Sicherheitskräfte konnten den Distrikt einige Wochen später zurückerobern (Pajhwok 11.5.2017). Kurzfristig wurden auch der Distrikt Sangin in Helmand, der Distrikt Qal'ah-e Zal in Kunduz und der Distrikt Baha' al- Din in Takhar von den Taliban eingenommen (UN GASC 20.6.2017).

Bei einer Friedens- und Sicherheitskonferenz in Kabul wurde unter anderem überlegt, wie die radikal-islamischen Taliban an den Verhandlungstisch geholt werden könnten (Tagesschau 6.6.2017).

Präsident Ghani verlautbarte mit den Taliban reden zu wollen:

sollten die Taliban dem Friedensprozess beiwohnen, so werde die afghanische Regierung ihnen erlauben ein Büro zu eröffnen; dies sei ihre letzte Chance (WP 6.6.2017).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban, sowie gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017). Der IS hat trotz verstärkter Militäroperationen, eine Präsenz in der Provinz Nangarhar (UN GASC 20.6.2017; vgl. auch: DZ 14.6.2017).

Mehreren Quellen zufolge, eroberte der IS Mitte Juni 2017 die strategisch wichtige Festung der Taliban Tora Bora; bekannt als Zufluchtsort bin-Ladens. Die Taliban negieren den Sieg des IS und verlautbarten die Kämpfe würden anhalten (DZ 14.6.2017; vgl. auch:

NYT 14.6.2017; IBT 14.6.2017). Lokale Stammesälteste bestätigten hingen den Rückzug der Taliban aus großen Teilen Tora Boras (Dawn 16.6.2017).

[...]

KI vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q1.2017 (betrifft: Abschnitt 3 Sicherheitslage)

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Doch der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan, sowie in der westlichen Provinz Farah, verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

[...]

INSO berichtet für den Zeitraum Jänner - März 2017 von insgesamt

6.799 sicherheitsrelevanten Vorfällen in ganz Afghanistan (INSO o. D.).

[...]

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und machen damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik, sowie hohe Ausfallsraten, haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei auf 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017:

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn

7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

[...]

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

[...]

1.2.1.2. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädten und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al- Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint, Einzelberichten zufolge, auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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