TE Bvwg Erkenntnis 2018/9/26 W260 2175238-1

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Veröffentlicht am 26.09.2018
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Entscheidungsdatum

26.09.2018

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art.133 Abs4

Spruch

W260 2175238-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde der mj. XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, vertreten durch ihre gesetzliche Vertreterin XXXX, geb. XXXX, diese vertreten durch Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt in 1050 Wien und Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. XXXX, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 04.05.2018 und am 19.07.2018 zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und mj. XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass mj. XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die minderjährige Beschwerdeführerin reiste am 20.09.2015 gemeinsam mit ihren Eltern und ihren drei Geschwistern nach Österreich ein. Ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin stellte für sie am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde") wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 29.09.2017, Zl. XXXX, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach die belangte Behörde aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass die Beschwerdeführerin keine eigenen Asylgründe habe und sowohl die Mutter als auch der Vater nicht glaubhaft machen haben können, dass ihnen in Afghanistan asylrelevante Verfolgung droht. Sohin komme auch die Zuerkennung aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht.

3. Mit Verfahrensanordnung vom 02.10.2017 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberaterin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

4. Die Beschwerdeführerin erhob durch ihre gesetzliche Vertreterin gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht Beschwerde.

5. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden von der belangten Behörde vorgelegt und sind am 02.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

6. Mit Schreiben vom 24.12.2017 wurde dem Bundesverwaltungsgericht die Vollmachtsanzeige des Rechtsvertreters Mag. Robert BITSCHE, Rechtsanwalt, übermittelt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.05.2018 und am 19.07.2018 in der gegenständlichen Rechtssache öffentliche mündliche Verhandlungen durch.

Die Verfahren wurden zur gemeinsamen Verhandlung als Familienverfahren verbunden.

Die Rechtsberatung und ein Vertreter der belangten Behörde nahmen an den Verhandlungen nicht teil.

Die Verhandlungsschriften wurden der belangten Behörde übermittelt.

In den Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden folgende Unterlagen in das gegenständliche Verfahren eingebracht:

das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 30.01.2018, eine zusammenfassende Darstellung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 (interne Schutzalternative), eine zusammenfassende Darstellung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, Risikogruppen, Schreiben vom 04.05.2016, eine Analyse der Staatendokumentation vom 18.09.2017, Afghanistan, Frauen in urbanen Zentren, ein Auszug aus den UNCHR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 (Frauen mit bestimmten Profilen).

8. Mit gemeinsamer Stellungnahme vom 12.07.2018 wurden ua. weitere Integrationsunterlagen der Familienmitglieder zur Vorlage gebracht.

9. Am 24.08.2017 langte eine weitere gemeinsame Stellungnahme des Rechtsvertreters ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung und Einvernahme der Eltern der Beschwerdeführerin durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Die mj. Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX im Bundesgebiet geboren. Sie ist afghanische Staatsangehörige.

Die Beschwerdeführerin ist die minderjährige Tochter von XXXX, geb. XXXX alias XXXX, welcher mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tage zu GZ. W260 2175204-1/15E, der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Die Beschwerdeführerin ist strafunmündig und es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführerin die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit seiner Mutter in einem anderen Staat möglich wäre.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Person ergeben sich aus den Angaben der gesetzlichen Vertreterin der minderjährigen Beschwerdeführerin im Verfahren, sowie aus den damit übereinstimmenden Akteninhalten.

Dass der Mutter der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis vom heutigen Tage der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem Gerichtsakt zu W260 2175204-1.

Dafür, dass die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit ihrer Mutter in einem anderen Staat möglich wäre, bestehen keine Anhaltspunkte. Die Feststellung zur Strafunmündigkeit ergibt sich aufgrund seines Alters.

Zum Vorbringen der Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin zur sozialen Gruppe von Personen, die von Blutrache betroffen sind, zur Zwangsheirat im Allgemeinen, zum westlichen Lebensstil, Bildungschancen und zur Volksgruppenzugehörigkeit der Hazara (vgl. Beschwerde Seite 33f) wird auf die rechtliche Beurteilung verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A.) Stattgabe der - zulässigen - Beschwerde hinsichtlich des angefochtenen Bescheides und der Feststellung, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 AsylG 2005 als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

3.2. Im vorliegenden Fall liegt ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahren der minderjährigen Beschwerdeführerin und ihrer Mutter vor.

Da der Mutter der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auch der Beschwerdeführerin der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Eigene Fluchtgründe der Beschwerdeführerin sind im gegenständlichen Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen. Dies würde auch der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband gem. § 34 AsylG 2005 entgegenstehen (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418-6).

Zum Spruchpunkt A) I. dieses Erkenntnisses wird darauf hingewiesen, dass die Wortfolge "iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005" entfallen konnte, da eine Differenzierung im Status des Asylberechtigten vom Gesetz nicht vorgesehen und daher rechtlich unbeachtlich ist (vgl. VwGH 30.04.2018, Ra 2017/01/0418-6). Etwaige damit verbundene Rechtsfolgen bleiben vom davon unberührt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (Spruchpunkt A) II.).

3.3. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 20.09.2015 und damit vor dem 15.11.2015 gestellt wurde; die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 finden daher gemäß § 75 Abs. 24 leg.cit. im vorliegenden Fall keine Anwendung.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asylgewährung von Familienangehörigen, Familienverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2018:W260.2175238.1.00

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2018
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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