Entscheidungsdatum
27.09.2018Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W261 2184075-1/16E
W261 2184056-1/15E
W261 2183783-1/18E
W261 2184061-1/10E
W261 2184074-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerden von
1. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,
2. XXXX auch XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,
3. XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan,
4. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Mutter, XXXX , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,
5. mj. XXXX , geb. XXXX , vertreten durch seine Mutter, XXXX , als gesetzliche Vertreterin, Staatsangehörigkeit Afghanistan,
jeweils gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark vom
1. 19.12.2017, Zl. XXXX ,
2. 19.12.2017, Zl. XXXX ,
3. 19.12.2017, Zl. XXXX ,
4. 19.12.2017, Zl. XXXX ,
5. 19.12.2017, Zl. XXXX ,
nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 07.08.2018 zu Recht:
A)
I. Den Beschwerden wird stattgegeben.
II. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX auch XXXX , XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX , der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX auch XXXX , XXXX , mj. XXXX und mj. XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 iVm § 3 Abs. 4b AsylG 2005 wird XXXX , XXXX auch XXXX , XXXX , mj. XXXX und
mj. XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.09.2021 erteilt.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Gang des Verfahrens:
Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1) und der Zweitbeschwerdeführer (in der Folge BF2), beide afghanischer Staatsbürger, reisten nach ihren Angaben am 13.12.2015 gemeinsam mit ihren ehelichen Söhnen, XXXX , IFA XXXX , und mj. XXXX , IFA XXXX , ihrer ehelichen Tochter, der zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (in der Folge BF3), und den mj. Viert- und Fünftbeschwerdeführern (in der Folge BF4 und BF5), alle afghanische Staatsbürger, und mit der Familie einer weiteren ehelichen Tochter der BF1 und des BF2, XXXX , IFA XXXX , samt deren Ehemann und deren beiden mj. ehelichen Töchtern, ebenfalls afghanische Staatsbürger, und dem Neffen und Verlobten von BF3, XXXX , IFA XXXX , einem afghanischen Staatsbürger, irregulär in Österreich ein und stellten einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Erstbefragungen von BF1, BF2 und BF3 und des mj. ehelichen Sohnes XXXX fanden am 14.12.2015 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Bezirkspolizeipolizeikommandos Bruck-Mürzzuschlag, Polizeiinspektion Bruck an der Mur statt.
Am 12.10.2016 führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (in der Folge belangte Behörde oder BFA) die Ersteinvernahmen von BF1 und BF2, am 15.11.2016 die Ersteinvernahme des BF3, je im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari durch. Die BF legten jeweils eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.
Die Beschwerdeführer gaben mit Eingabe vom 25.11.2016, bevollmächtigt vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, eine umfassende Stellungnahme zu den anlässlich der Ersteinvernahmen von der belangten Behörde vorgelegten Länderinformationen ab.
Die belangte Behörde führte in weiterer Folge ergänzende Einvernahmen der BF1 am 20.06.2017, des BF 2 am 17.07.2017 und der BF3 am 07.08.2017 durch.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 19.12.2017 wies diese jeweils in den Spruchpunkten I die Anträge auf internationalen Schutz ab. In den Spruchpunkten II wies die belangte Behörde die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab. In den Spruchpunkten III erteilte die belangte Behörde den BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ in den jeweiligen Spruchpunkt IV eine Rückkehrentscheidung und stellte in den jeweiligen Spruchpunkten V fest, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. In den jeweiligen Spruchpunkten VI legte die belangte Behörde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
Mit jeweiligen Verfahrensanordnungen vom 21.12.2017 stellte die belangte Behörde den BF die juristische Person Verein Menschenrechte Österreich amtswegig als Rechtsberater zur Seite. Mit Verfahrensordnung vom selben Tag wies die belangte Behörde die BF darauf hin, dass diese verpflichtet seien, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen, und informierte die belangte Behörde mit einem Schreiben vom selben Datum die BF darüber, dass die Möglichkeit zur freiwilligen Rückkehr bestehe, und dass die BF einer Wohnsitzbeschränkung gemäß § 15c AsylG 2005 unterliegen würden.
Gegen diese Bescheide brachten die BF, alle bevollmächtigt vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, mit Eingaben vom 18.01.2018 jeweils fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein und legten Vertretungsvollmachten vor.
Die belangte Behörde legte die Beschwerden der BF samt den Aktenvorgängen jeweils mit Schreiben vom 18.01.2018 (BF3) und vom 22.01.2018 (BF1, BF2, BF4 und BF5) dem BVwG zur Entscheidung vor, wo diese am 22.01.2018 (BF3) und am 24.01.2018 (BF1, BF2, BF4 und BF5) einlangten.
Der Verein Menschenrechte Österreich informierte das BVwG mit Schreiben vom 26.07.2018 über die Niederlegung der Vertretungsvollmacht.
Am 07.08.2018 fand vor dem BVwG eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari statt, zu der die BF und auch der mj. eheliche Sohn von BF1 und BF2, XXXX , gemeinsam mit ihrer Rechtsvertreterin der Cariatas erschienen. Die belangte Behörde nahm an der mündlichen Verhandlung entschuldigt nicht teil. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung führten die BF im Wesentlichen das aus, was sie bereits vor der belangten Behörde aussagten und legten eine Reihe von Integrationsunterlagen vor.
Das BVwG legte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung Länderinformationen zu Afghanistan, im Besonderen zur Situation von Frauen in Afghanistan, und zum Nachrichtendienst der Taliban und zum Thema "Familienrecht, Ehe, Ehrenmord" vor, und räumte sowohl den BF, als auch der belangten Behörde, der die Niederschrift im Anschluss an die mündliche Beschwerdeverhandlung samt allen Beilagen vom BVwG übermittelt wurde, die Möglichkeit ein, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.
Die BF gaben mit Eingabe vom 14.09.2018, bevollmächtigt vertreten durch Österreichische Caritaszentrale, eine Stellungnahme ab, worin sie insbesondere zur Situation von Frauen in Afghanistan, zu den Fluchtgründen der Familie der BF und zur Sicherheit- und Versorgungslage in Afghanistan ausführten. Die belangte Behörde äußerte sich nicht zum bisherigen Ermittlungsergebnis.
Laut den am 25.09.2018 vom BVwG eingeholten Speicherauszügen aus dem Betreuungsinformationssystem befinden sich alle BF laufend in der vorübergehenden Grundversorgung.
Das BVwG holte am 25.09.2018 Strafregisterauskünfte der BF ein, wonach die BF strafrechtlich unbescholten sind. Hinsichtlich des mj. ehelichen Sohnes XXXX liegt eine rechtskräftige Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX vom 24.10.2017 wegen einer Jugendstraftat vor, weswegen über diesen eine gesonderte Entscheidung zu treffen ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu den Spruchpunkten A)
1. Feststellungen:
1.1 Zu den Beschwerdeführern
BF1 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni und ist Afghanische Staatsbürgerin. BF1 gehört der Volksgruppe der Sayed-Sadat an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben.
BF1 ist Analphabetin.
Der Vater von BF1 hieß XXXX , er ist bereits verstorben. Ihr Mutter heißt XXXX , sie lebt beim Bruder von BF1 in Kabul, im Distrikt XXXX
.
BF1 hat zwei Schwestern und zwei Brüder. Die Schwestern heißen XXXX und XXXX , sie sind beide verheiratet und leben in Kabul. Die beiden Brüder von BF1 heißen XXXX und XXXX , sie sind ebenfalls verheiratet und leben in Kabul. XXXX ist als Schneider tätig, XXXX ist Soldat. BF1 hat Kontakt zu ihrer Familie, wenn auch selten.
BF 1 lebte nach ihrer Geburt in ihrem Heimatdorf. Nach einigen Jahren übersiedelte die Familie der BF1 nach Kabul, wo sie aufwuchs. Im Alter von 19 oder 20 Jahren heiratete sie im Jahr 1370 (das ist 1991/1992) in ihrem Heimatdorf BF2. Sie lebte nach ihrer Hochzeit zuerst gemeinsam mit ihrem Mann bei ihren Schwiegereltern in XXXX , bevor sie mit BF2 in die Stadt Ghazni zog. Dort lebte die Familie zuerst in einem Mietshaus. Durch den Verkauf von landwirtschaftlichen Grundstücken konnte sich die Familie in weiterer Folge einen Baugrund in der Stadt Ghazni, im Stadtteil XXXX kaufen, wo diese sodann in dem vom BF2 selbst gebauten Eigentumshaus lebten. Um die Ausreise aus Afghanistan zu finanzieren, verkaufte die Familie dieses Haus samt Apotheke, ebenso wie ein Auto und ein Motorrad.
BF1 war vornehmlich Hausfrau und Mutter, führte jedoch von ihrem zu Hause aus Schneidereiarbeiten für Frauen durch.
BF1 nimmt seit 2016 an Deutschkursen "Alphabetisierung" des Vereins XXXX und der Sprach- und Lebensschule XXXX teil. BF1 lernt aktuell schreiben und lesen und spricht etwas Deutsch. Sie besucht regelmäßig das die Schwimmkurse der Caritas SIQ, "Frauenschwimmen PLUS". Zwei Mal pro Woche besucht BF1 ein Fitnesstraining. Im Jahr 2017 nähte BF1 neue Sternsingerkleider für das römisch-katholische Seelsorgezentrum XXXX , bzw. besserte kaputte Sternsingerkleider aus. BF1 geht Laufen. BF1 hat österreichische Freundinnen, welche BF1 auch zu Hause besuchen.
BF1 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. BF1 ist gesund.
BF2 führt den Namen XXXX , geboren am 01.01.1960 Dorf XXXX , im Distrikt XXXX , in der Provinz Ghazni und ist Afghanischer Staatsangehöriger. BF2 gehört der Volksgruppe der Sayed-Sadat an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben.
BF2 besuchte 12 Jahre lang die Schule, wobei er die ersten sechs Jahre in seinem Heimatdorf zur Schule ging, drei Jahre lang besuchte er die Schule in der Stadt Ghazni, und von der neunten bis zur zwölften Klasse besuchte er die Schule in Kabul.
Der BF absolvierte in XXXX , Pakistan, eine Ausbildung als Impfer. Er arbeitete ca. zehn Jahre lang in diesem Beruf für die NGO XXXX . Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit arbeitete der BF in mehreren Apotheken, bevor er bei einer Firma XXXX für einen Zeitraum von drei- bis dreieinhalb Jahren als Impfer tätig war. Danach arbeitete er wieder für ein bis zwei Jahre in Apotheken, bevor er im Jahr 2010 bis zum Jahr 2014 im XXXX -Camp ( XXXX ) in der Stadt Ghazni elektronische Generatoren reinigte und putzte. Er besaß auch eine eigene Apotheke, die sich im eigenen Haus in der Stadt Ghazni, im Stadtteil XXXX , befand.
Die finanzielle Lage der Familie der BF1 und des BF2 war gut.
Die Eltern von BF2 hießen XXXX und XXXX , beide sind bereits verstorben. BF2 hat drei Brüder und eine noch lebende Schwester. Eine Schwester des BF2 verstarb bereits. Seine Brüder heißen XXXX , ein pensionierter Polizeikommandant, der in Ghazni lebt, XXXX , ein Kraftfahrer, der in Kabul lebt und XXXX , ein Immobilienmakler, der ebenfalls in Ghazni lebt. Seine Schwester XXXX ist Hausfrau und lebt in Ghazni. BF2 hat nach wie vor Kontakt zu seinen Geschwistern.
BF2 besuchte Deutschkurse bei der XXXX Sprach- und Lebensschule, bei der Caritas Akademie der Diözese XXXX , beim XXXX , beim Verein XXXX . Er verrichtete gemeinnützige Arbeit für die Holding Graz im Bereich der Straßenreinigung. Er nahm am 10.10.2017 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teil.
BF2 ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. BF2 leidet an Asthma bronchiale.
BF1 und BF2 haben im Jahr 1370 (das ist 1991/1992), in Afghanistan traditionell geheiratet. Der Ehe entstammen insgesamt vier Söhne, darunter der mj. BF4 und der mj. BF5 sowie der älteste Sohn, XXXX (IFA XXXX ), der sich derzeit in Schweden befinden soll, und der mj. XXXX , IFA XXXX , der gemeinsam mit seinen Eltern in einem Haushalt lebt, und zwei Töchter, darunter BF3 und XXXX (IFA XXXX ), welche mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen ehelichen Kindern ebenfalls als Asylwerberin in Österreich lebt.
BF3 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Ghazni, in der Provinz Ghazni und ist Afghanische Staatsangehörige. BF3 gehört der Volksgruppe der Sayed-Sadat an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben.
BF3 ist mit ihrem Cousin, XXXX , geb. XXXX (IFA XXXX ), verlobt. Der Cousin wuchs gemeinsam mit BF3 und den anderen Kindern der BF1 und des BF2 auf und lebt ebenfalls als Asylwerber in Österreich.
BF3 hat keine Kinder. BF3 besuchte in der Stadt XXXX neun Jahre lang die HS XXXX . BF3 war im Sommersemester 2016/17 Studierende des BG/BRG/WKU-RG für Berufstätige. In der Zeit vom 20.02.2017 bis 30.06.2017 nahm BF3 am Bildungsangebot Zukunft.Bildung. Steiermark teil, und erreichte u.a. das Sprachniveau A2. Sie absolvierte in der Zeit von Juli 2017 bis August 2018 den Pflichtschulabschluss bei XXXX in XXXX .
BF3 hat eine Einstellungszusage als auszubildende zahnärztliche Assistentin bei einer Zahnärztin in XXXX . BF3 beabsichtigt neben ihrer Lehre die Abendmatura zu machen, um in weiterer Folge Zahnmedizin zu studieren.
In ihrer Freizeit geht BF3 schwimmen, laufen und Rad fahren. Sie hat österreichische Freunde. Seit ca. eineinhalb Jahren arbeitet BF3 ehrenamtlich mit älteren Menschen.
BF3 ist gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten. BF3 war zum Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 13.12.2015 noch minderjährig.
Mj. BF4 führt den Namen XXXX , geboren am 05.01.2003 in der Stadt Ghazni in der Provinz Ghazni und ist Afghanischer Staatsangehöriger. Mj. BF4 gehört der Volksgruppe der Sayed Sadat an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der mj. BF4 ist gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Mj. BF4 besuchte in den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 die Neue Mittelschule XXXX , und im Schuljahr 2017/18 die Freie Waldorfschule XXXX . Mj. BF4 spricht Deutsch auf Niveau B1.1.
Mj. BF5 führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in der Stadt Ghazni in der Provinz Ghazni und ist Afghanischer Staatsangehöriger. Mj. BF5 gehört der Volksgruppe der Sayed Sadat an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben. Der mj. BF5 ist gesund und in Österreich noch nicht strafmündig.
Mj. BF5 besucht seit dem Schuljahr 2015/16 die Neue Mittelschule XXXX . Mj. BF5 spricht Deutsch auf Niveau B1.2.
Die Muttersprache der BF ist Dari.
BF1, BF3, BF4 und BF5 sind gesund.
Alle BF befinden sich in der laufenden Grundversorgung.
1.2 Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer
Die BF haben gemeinsam Afghanistan wegen des Umstandes verlassen, dass der Sohn eines örtlichen Talibanführers BF3 heiraten wollte, wozu diese nicht bereit war.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF in Afghanistan psychischer oder physischer Gewalt wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder wegen ihrer politischen Überzeugung, ausgesetzt waren oder aktuell ausgesetzt sind.
Die BF1 und BF3 sind Frauen, welche in ihrer Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind. Sowohl BF1 als auch BF3 leben in Österreich nicht (mehr) nach der konservativ-afghanischen Tradition, lehnen die Umstände und Lebensverhältnisse für Frauen in Afghanistan ab und können sich nicht (mehr) vorstellen, wieder nach der konservativ-afghanischen Tradition zu leben. Beide Frauen tragen ihr Haar aus freien Stücken mit einem Schal lose bedeckt und sind ansonsten nach ihrem eigenen Geschmack gekleidet.
BF1 und BF3 führen in Österreich ein freies, selbstbestimmtes Leben. Die finanzielle Haushaltsführung obliegt in der Familie der BF der BF1. Sie kann mittlerweile schwimmen und betreibt regelmäßig Sport. BF1 strebt in Österreich eine berufliche Tätigkeit als Schneiderin an.
BF3 strebt ebenfalls eine berufliche Unabhängigkeit an, und ihr Fokus liegt aktuell darin, zu lernen und sich beruflich als Zahnarztassistentin zu etablieren. Sie ist noch nicht bereit, ihren Verlobten zu heiraten, weil sie sich vorerst auf ihr berufliches Fortkommen konzentrieren will. Diese Einstellungen stehen im Widerspruch zu den nach den Länderfeststellungen im Herkunftsstaat bestehenden traditionalistisch-religiös geprägten gesellschaftlichen Auffassungen hinsichtlich Bewegungsfreiheit und Zugang zur Erwerbstätigkeit für Frauen.
Die BF stellten am 13.12.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen die BF von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen sind, oder nach denen ein Ausschluss der BF zu erfolgen hat.
1.3 Zur Situation im Herkunftsstaat
Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der aktuellen Fassung vom 29.06.2018 enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:
"...
3. Sicherheitslage
...
3.10 Ghazni
Ghazni ist eine der wichtigsten Zentralprovinzen Afghanistans. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt entfernt und liegt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Ghazni grenzt im Norden an die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan, im Osten an Logar, Paktia und Paktika, im Süden an Zabul und im Westen an Uruzgan und Daikundi (UN-OCHA 4.2014; vgl. Pajhwok o.D.a). Laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) ist Ghazni die Provinz mit der zweithöchsten Bevölkerungszahl (Pajhwok o.D.a), die auf 1.270.3192 Bewohner/innen geschätzt wird (CSO 4.2017). Hauptsächlich besteht die Bevölkerung aus großen Stämmen der Paschtunen sowie Tadschiken und Hazara; Mitglieder der Bayat, Sadat und Sikh sind auch dort vertreten, wenngleich die Vielzahl der Bevölkerung Paschtunen sind (Pajhwok o. D.a).
Ghazni besteht aus den folgenden Distrikten: die Provinzhauptstadt Ghazni, sowie die Distrikte Andar, Muqur, Khugiani/Khugaini/Khogyani, Qara Bagh/Qarabagh, Gilan/Gelan/Gailan, Waghiz/Waghaz, Giro/Gairo, Deh Yak/Dehyak, Nawar/Nawur, Jaghori/Jaghuri, Malistan/Malestan, Rashidan, Ab Band/Abband, Khugiani, Nawa, Jaghato/Jaghato, Zankhan/Zanakhan, Ajeristan/Ajrestan und Khwaja Omari/Khwajaumari (Pajhwok o.D.a; vgl. UN OCHA 4.2014, GI o.D.). Ghazni ist eine der Schlüsselprovinz im Südosten, die die zentralen Provinzen inklusive der Hauptstadt Kabul mit anderen Provinzen im Süden und Westen verbindet (Khaama Press 2.7.2017; vgl. HoA 15.3.2016).
Nach mehr als zwei Jahrzehnten ohne Mohnanbau in der Provinz Ghazni (seit 1995), wird nun wieder Mohn angebaut. Mit Stand November 2017 wurden 1.027 Hektar Mohn angebaut: Opium/Mohn wurde insbesondere im Distrikt Ajrestan angebaut, in dem die Sicherheitslage schwach ist (UNODC 11.2017).
Allgemeine Information zur Sicherheitslage
Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).
Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban - wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. - führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten - auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).
Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
...
Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden - in absteigender Reihenfolge - in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).
Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).
Militärische Operationen in Ghazni
Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).
Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).
Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni
Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).
Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.-15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet - insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018).
...
15.1 Schiiten
Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10 - 15% geschätzt (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Zur schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und ein Großteil der ethnischen Hazara (USDOS 15.8.2017). Die meisten Hazara-Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan leben einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016). Afghanische Schiiten und Hazara neigen dazu, weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein als ihre Glaubensbrüder im Iran (CRS 13.12.2017).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 11.4.2018). Obwohl einige schiitischen Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demographischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiere; auch vernachlässige die Regierung in mehrheitlich schiitischen Gebieten die Sicherheit. Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 15.8.2017).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime ca. 30% (AB 7.6.2017; vgl. USDOS 15.8.2017). Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 15.8.2017).
Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen (USDOS 15.8.2017). Afghanischen Schiiten ist es möglich, ihre Feste öffentlich zu feiern; einige Paschtunen sind jedoch wegen der Feierlichkeiten missgestimmt, was gelegentlich in Auseinandersetzungen mündet (CRS 13.12.2017). In den Jahren 2016 und 2017 wurden schiitische Muslime, hauptsächlich ethnische Hazara, oftmals Opfer von terroristischen Angriffen u.a. der Taliban und des IS (HRW 2018; vgl. USCIRF 2017).
Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten (USDOS 15.8.2017).
...
16.2 Hazara
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).
...
Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).
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17. Frauen
Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).
Bildung
Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).
In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).
Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).
Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon
77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).
Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).
Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).
Berufstätigkeit
Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o. D.).
Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).
Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Politische Partizipation und Öffentlichkeit
Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).
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Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung
Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).
Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).
EVAW-Gesetz
Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).
Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen:
Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).
Frauenhäuser
Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).
Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung
Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).
Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Legales Heiratsalter:
Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).
Familienplanung und Verhütung
Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).
Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).
Ehrenmorde
Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).
Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkeru